The Project Gutenberg EBook of Schriften, by Ludwig Tieck

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Title: Schriften
       Achter Band

Author: Ludwig Tieck

Release Date: January 25, 2010 [EBook #31074]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Ludwig Tieck's

Schriften.

 

Achter Band.

 

 

Abdallah.
Die Brüder.
Almansur.
Das grüne Band.

 


Berlin,
bei G. Reimer,
1828.

 

 

Dem

Prediger Kadach

in Ziebingen,

bei Frankfurt an der Oder.

Schon im Jahre 1804 machte ich in Schlesien Ihre Bekanntschaft. Als ich zwei Jahre später aus Italien zurück kam, fand ich Sie in jener Einsamkeit des Landes, die damals meine Heimath war, und seitdem sind wir als Freunde verbunden geblieben. Alle schönen Stunden jener Zeit, im Genuß der Musik, der Poesie und einer edlen und freien Mittheilung in gebildeten Zirkeln feiner und geistreicher Menschen haben wir beisammen verlebt, Freude und Trauer, den Schmerz über manchen Verlust im Verlauf der Jahre mit einander getheilt. Auch in meine Studien und Arbeiten sind Sie gern und gründlich eingegangen. Shakspear, Göthe und Sophokles haben uns oft gemeinsam beschäftigt. Meine Arbeiten über den brittischen Dichter sind Ihnen mehr, wie irgend einem meiner Freunde, bekannt. Ihrem freien Sinne waren diese Studien, in denen Sie sich gern vertieften, erfreulich, so gründlich und gewissenhaft Sie sich auch Ihrem Amte, vom wahren religiösen Geiste des Christenthums durchdrungen, hingaben. Ein ächter frommer Priester, ein freier Denker, ein Begeisterter für Kunst, ein edler, treuer Freund, — als solchen habe ich Sie gesehn und gekannt, und nie werden Ihnen, so wenig wie mir, die schönen Tage und Abendstunden aus dem Gedächtnisse entschwinden, in denen Solger unsre ländliche Einsamkeit neu erfrischte, in welchen er uns seine Manuskripte vorlas und wir uns selbst, die Aufgabe des Lebens und alles Hohe durch die Lebensworte unseres Freundes inniger verstanden.

L. Tieck.

 


 

Abdallah.

Eine Erzählung.

1792.

 


 

Erstes Kapitel.

Ein Theil der Tartarei ward vom Sultan Ali beherrscht. — Dem Tirannen entgeht der Haß nie, mit dem ihn seine Unterthanen verfolgen und Ali betrachtete sie bald als eben so viele Feinde, über die ihn nur seine Grausamkeit und sein Ansehn erhalten könnten: mit andern Freuden unbekannt, sollte ihm das Gefühl seiner Macht jeden Mangel ersetzen.

Ohne Begriffe, ohne zu denken, ohne nur Seelengenuß zu kennen, war er zum Greise geworden und in einer unerschöpflichen Leere schmachtete er itzt jedem neuen Tage entgegen. Mehrere seiner Gemalinnen starben und er begrub sie mit eben der Gleichmuth, mit der er den Untergang der Sonne sahe, die, wie er wußte, jenseit des Horizonts wieder heraufstieg, — selbst sein einziges Kind Zulma liebte er nicht, nur Stolz war es, was ihn an diese fesselte, da das ganze Land sie für die Krone der Schönheit anerkannte. —

In der Hauptstadt des Landes lebte Selim in einer weisen Eingezogenheit, ohne eine öffentliche Bedienung, ohne daß man viel von ihm sprach ward er von allen geliebt. Er war freigebig ohne Prahlerei, sparsam ohne Kargheit und sein Aufwand unterschied sich sehr von der Pracht des Veziers und der übrigen Großen.

Aus seinen Leiden hatte er stets seine große starke Seele gerettet; seinen Haß konnte nichts aussöhnen, aber eben so unauslöschlich war seine Liebe. — Mit dieser dauernden Liebe umfing er seinen Sohn Abdallah, das Einzige, was ihm seine geliebte Gattin zurückgelassen hatte.

 


 

Zweites Kapitel.

Die Sonne war schon untergegangen, als Abdallah und Omar durch ein schönes Gehölz wandelten. Omar war der Lehrer Abdallahs, ein ehrwürdiger Greis, dessen flammende Augen tief in eines jeden Seele schauten, seine Stirn und sein Blick trugen Ehrfurcht vor ihm her, aber ein süßes Lächeln, das fast immer seinen Mund umschwebte, verjüngte sein Gesicht durch eine liebenswürdige Freundlichkeit und lockte zur Mittheilung aller Gefühle und einer kindlichen Aufschließung des Herzens.

Sie traten itzt in einen freien Platz, wo ein stiller See im bleichen Licht des Mondes glänzte. Der letzte Streif der Abendröthe glimmte durch die Fichtenwipfel und durch die zitternden Cypressen bebten ungewiß die Sterne. Verspätete Mücken spielten im Mondstrahle, Käfer summten träge und schläfrig um sie her, und laut erklang durch die ruhige Einsamkeit des Waldes das zirpende Lied des Heimchens.

Siehe Omar, begann Abdallah, wie schön! — Ha! der ruhige See über den sich der Mondschein so lieblich herabsenkt, — der Abend, der noch in den hohen Wipfeln der Bäume säuselt, das Lied der Nachtigall, das mit tausend abwechselnden Melodieen aus dem Walde heraufschallt, — o sieh Omar! wie alle Geschöpfe sich freuen, wie alles lebt und im Leben glücklich ist! Sieh, wie die kleinen Fliegen von der Abendröthe Abschied nehmen, und der Käfer der Nacht seinen dumpfen Willkommen entgegensummt. — O die lebendige Kraft, die aus der Natur so unerschöpflich quillt und unzähligen Wesen Athem und Dasein giebt, — dieser Anblick erfüllt das Herz mit lautem überströmenden Dank gegen den, der so gütig alles aus dem Nichts hervorrief und zum Staube sprach: Lebe und sei glücklich! —

Omar lehnte sich auf den Stamm eines abgehauenen Baums und sahe starr vor sich nieder.

Abdallah. Du bist traurig, mein Omar, kann dich dieser Anblick nicht heiter machen?

Omar blickte auf und faßte seine Hand. — Sieh, sprach er, die Abendfliegen sind verschwunden, sie sangen der Sonne so wehmüthig nach, denn es war das letztemal, daß sie sich in ihrem Strahl erquickten. — Diese Woge wirft das Leben an den Strand, die nächste Welle kömmt, verschlingt es wieder und senkt es in die tiefsten Abgründe. — Eine unendliche Schöpfung spielt itzt lebendig um dich herum, — und in der folgenden Stunde — liegt sie todt und verwest. — Eine Lebenskraft fliegt durch die Natur und Millionen Wesen empfangen wie ein Allmosen auf einen Augenblick einen Funken Leben, sie sind — und geben dann ihr Leben wieder ab und werden todter Staub. Die Welt ist ein Gesang, wo ein Ton den andern verschlingt und vom nächsten verschlungen wird. —

Abdallah. Diese traurige Wahrheit, Omar, wirft meine schöne Begeisterung mächtig nieder. — Ach ja, alles geht durch die Natur hindurch und verläuft sich wie ein Funken in der Asche. Alles wird nur geboren, um zu sterben, alles wandelt wieder dahin zurück, woher es gekommen ist. — O Omar, wenn ich dich nun fragte: Warum glänzt dieser Mond? Warum funkeln diese Sterne und wozu haucht ein lebendiger Geist in meinem Innern?

Omar. Wozu? — O Jüngling, laß die Erde unaufgewühlt, du findest ein scheußliches Todtengerippe! Laß diese Geheimnisse ewig deiner Seele verschlossen bleiben. —

Abdallah. Verschlossen? — O nein, mein drängender Geist steht vor dieser Pforte und klopft ungestüm an. — Was der Mensch fassen kann, will auch ich begreifen.

Omar. Du vertraust dich einem Meere, das dich nie an's Land zurückträgt, Zweifel wälzen sich auf Zweifel, Woge stürmt auf Woge, dein Ruder ist unnütz und die unendliche See dehnt sich dir furchtbar unermeßlich entgegen.

Abdallah. Ich könnte nicht ruhig sein, wenn ich wüßte, daß etwas da sei, was in meinem Gehirne Raum hätte und dem ich den Eingang versagen müßte.

Omar. Aber unsre Weisheit findet eine Felsenmauer vor sich, an die sie vergebens mit allen Kräften anrennt, — wir sind in einem ehernen Gewölbe eingeschlossen, wir sehen nichts, was wirklich ist, die schimmernden Gestalten, die wir wahrzunehmen glauben, sind nichts, als der Widerschein von uns selbst im glatten Erze, — o schon viele Weisen stürzten mit Ohnmacht von diesen Schranken zurück, — und starben. — Der Zweck unsers Daseins? — O wer hindurchschauen könnte durch das Geheimniß der unendlichen Nacht, wenn doch vom Thron der Gottheit nur ein Sonnenstrahl herniederschösse! — Wir tappen ängstlich umher — und finden nur die Wände, die uns eingeschlossen halten. Wir sehen nichts, als daß wir Gefangene sind, — warum wir es sind, müssen wir mit Geduld vom Ausspruch des kommenden Gerichts erwarten.

Abdallah. O warum verlieh uns der Schöpfer nur so viel Kraft, diese Schranken zu sehn und nicht zu durchbrechen? — Warum ward eine Ahndung in unser Herz gelegt, die nie zur Gewißheit reift? Eine Centnerlast liegt auf unsrer Brust, und wir kämpfen vergeblich sie abzuschütteln.

Omar. Vielleicht werden alle diese Räthsel einst gelöst. — Ein großer Schwung wälzt sich durch alle Theile der Natur, durch alle Wesen klingt ein Ton. Eine Kraft drängt sie zu einem Mittelpunkt: Genuß! — Alles schöpft aus dem nie versiegenden Quell und legt sich dann zum Schlafe nieder. — Die Welt ist eine reiche Tafel, an der sich alles niedersetzt und gesättigt aufsteht, der Schöpfer schickte die Millionen Wesen in die Wüste hinaus, sie sind Staub und in sich selber eingekerkert, — aber er gab ihnen tausend Mittel auf den Weg, ihr Dasein zu empfinden, und alles freut sich, alle Wesen kommen, genießen und sterben dann, ohne es zu wissen, so wie sie geboren wurden, — nur der verblendete Mensch verfehlt sein vorgestecktes Ziel.

Abdallah. Der Mensch? — Wie? der Preis der Schöpfung? Um dessentwillen die Natur ihre reichen Schätze aufthut? Um den sich die Bestimmung alles Erschaffenen dreht?

Omar. O des Stolzes! — Die Bestimmung alles Erschaffenen? Kein Mensch weiß seine eigne Bestimmung, er taumelt selbst verlassen in der Finsterniß und maßt sich an, den Wesen ihren Rang und ihren Zweck anzuweisen. — Allen Wesen ward ein gleiches Bürgerrecht ertheilt; der ausgeartete Mensch reißt sich aus der Kette des Erschaffnen, statt zu genießen wie alles genießt, ringt er im ewigen Kampfe mit dem Tode und seinem Verhängniß, alle seine Kräfte kämpfen rastlos von der Zeit eine Stunde und eine Minute nach der andern zu erbetteln, — um auch in dieser zu fürchten, um auch in dieser mit Gedanken zu streiten, deren Auflösung weit außer ihm liegt.

Abdallah. Wenn Genuß der höchste letzte Zweck unsers Daseins ist, wodurch ist dann der Mensch vom Thiere unterschieden?

Omar. Und wozu des Unterschiedes? Der Mensch wäre glücklich, hätte er nie höher gestrebt, die Natur umfinge ihn dann noch mit ihren liebevollen Armen, hegte ihn und spielte mit ihm als ihrem Kinde, — aber der Stolze hat sich von seiner Mutter losgeschworen, sieht die Sterne, die über seinem Haupte hängen, erklimmt eine schroffe Klippe und schreit ihnen zu: ich bin euch nahe! Wehmüthig lächelnd blicken die Sterne auf ihn herab und er steht nun verirrt am schwindelnden Abschuß; zur blühenden Wiese, die er erst verschmähte, hat er den Rückweg verloren. —

Abdallah. Und nichts als diesen verächtlichen Übermuth hätte der Mensch vor den Thieren des Waldes voraus?

Omar. Nichts als ihn. Mit verachtendem Fuß stößt er die Erde zurück und will sich an die Gottheit drängen, aber seine klägliche Natur zieht ihn allmächtig zurück. Seine Weisheit, seine Tugend, mit der er sich brüstet, — Wolkenschatten, die der Wind über die Ebne jagt und denen der Wahnsinnige nachtaumelt.

Abdallah. Tugend, Omar, nur ein Schatten? — Der Lasterhafte und der Edle ständen hier in einer Reihe? Die beiden Enden, Größe und Verächtlichkeit, schlängen sich zusammen? Aus einem Samen sproßte der Schierling und die heilende Pflanze? — Unmöglich! —

Omar. Und warum unmöglich?

Abdallah. Wo ich anbetend in den Staub sinke, wo mein Geist in verehrender Demuth die Flügel zusammenschlägt, wo mein ganzes Wesen sich in Ehrfurcht auflöst, — an diesen Stolz der Menschheit wäre die Schaam der Welt mit unauflöslichen Ketten geschlagen?

Omar. Derselbe Gesang auf einer andern Laute.

Abdallah. Nein, Omar, nein. — Die Gerechtigkeit des Ewigen wird durch diesen Glauben angeklagt. — Wie könnte der Gütige dem Edlen Belohnung und dem Bösewicht Strafen aus jener schwarzen Thür am Ende ihrer Bahn entgegenschicken?

Omar. Abdallah, wir wissen nicht, woher wir kommen, wir wissen nicht, wohin wir gehen. Ob uns ein Gedanke folgt, wenn wir hier Abschied nehmen, ob wir mit allen unsern Träumen in das kalte Grab eingeriegelt werden — o das ist ein Räthsel, vor dem die Weisen ewig forschend stehen werden. — Strafe, — Belohnung, — Tugend, — Laster. — Wenn ich dich fragte, wo du die Scheidewand zwischen Tugend und Laster gründetest, du würdest um eine Antwort verlegen sein. — Die Gewohnheit lehrt uns Worte sprechen, bei denen wir uns oft nur wenig denken.

Abdallah. Omar, du machst, daß ich mir selber mißtraue. —

Omar. Wir sind mit unsrem Lob und unsrer Verdammung so freigebig und kurzsichtig genug, um nicht wahrzunehmen, wie ungerecht wir oft beides vertheilen. — Wir ahnden nicht, daß es nur eine Kraft ist, die in der Tugend und im Laster lebt, beides eine Gestalt, aus demselben Spiegel zurückgeworfen. — Nur ein kalter eigensinniger Thor trat hinzu, schied und sagte: dies sei gut, dies nicht!

Abdallah. Ein Thor?

Omar. Dieses Leben, das uns geliehen ward, ist zu kurz uns selbst zu kennen, — in unsrem eignen Innern herrscht ein wüstes Dunkel und mit vorwitzigem Blick treten wir zu unserm Nachbar und wollen in seiner Seele lesen.

Abdallah schwieg und sahe starr vor sich nieder. Omar fuhr fort:

Alle meine Handlungen sind Gestalten, die aus meinem Innern aufsteigen, von tausend innern Kräften gereift, von hundert Neigungen gepflegt, schießt die Pflanze empor, — nur ich, der Schöpfer, bin mit ihrer Entstehung bekannt, ich verstehe mich selbst nur, ich handle nur für mich, der ich mich selbst kenne, — alle übrigen Menschen sind für mich in einer mindern Abstufung fremde Wesen, wie mir der Wurm und der Krokodil Fremdlinge sind.

Abdallah. Omar, du wirfst mich in eine fürchterliche Einsamkeit, ich verliere mich selbst in der schrecklichen Wüstniß. —

Omar. Ich handle, wie mein innrer Sinn es mir befiehlt, und ein Fremdling, der nicht in das Gebäude meiner Seele hineinschauen kann, der die Leiter nicht entdeckt, von der die Ahndung zum Gefühl, das Gefühl zum Gedanken, zum Vorsatz und dieser endlich zur Wirklichkeit aus dem unergründeten Brunnen heraufstieg, — dieser tritt mit kaltem und verschloßnem Sinn herbei und sagt: deine That ist ein Laster!

Abdallah. O ich verstehe dich! weiter! weiter!

Omar. Aus derselben Quelle wird eine andre Schaale heraufgezogen und man nennt sie Tugend. Beide steigen aus der Tiefe einer Seele hervor, aus einem Stoff gewebt — und man hält sie für Feinde.

Abdallah. Fürchterlich sonderbar!

Omar. Wo ist der Bösewicht, der nicht zum Engel würde, wenn er den Richter in die geheime Werkstätte seiner Seele führen könnte? — Abdallah, wir sind Brüder aller Mörder, die je die Geschichte mit Abscheu genannt hat und schwesterlich schließt sich unsre Seele an alle, die einst bewundert und angebetet wurden. — O ihr Thoren, laßt den nichtigen Rangstreit, ein Hauch weht in allem Leben, — freut euch dieses Hauches, er kehrt nicht zurück, wenn er entflohen ist.

Abdallah. Du führst mich durch Labirinthe, Omar. —

Omar. Als die erste Gesellschaft zusammentrat, als man das erste Gesetz niederschrieb, da veräußerte der Mensch selbst sein hohes, heiliges Recht. Dem Ganzen opferte jeder Einzelne seine Freiheit, allmächtig ward eine Schnur zwischen Gut und Böse gezogen und unglückliche Vorurtheile keimten auf. Vorurtheile, die Menschen gegen Menschen hetzten, das Blut von Tausenden vergossen. — An den Gedanken Verbrecher knüpfte man Haß und Unversöhnlichkeit und eine ewige Verfolgung wühlt durch das ganze Menschengeschlecht. — Seit der Zeit ist der große Spruch gesprochen; in einem nichtigen Taumel greift der eine zur Belohnung seiner Tugend nach der Sonne und tritt gewaltsam seinen Bruder unter sich, der nach dem Übereinkommen ein Verbrecher ist. —

Abdallah. Ha! die ewigen Schranken stürzen ein!

Omar. Strafe und Belohnung? — Hier unten sind sie entschieden, — aber wen soll der Richter dort belohnen oder strafen? — Sandte er nicht alles was ist, aus seiner Hand in die Sterblichkeit? Ist es nicht sein Athem, der den Staub belebt? — Alle Handlungen kommen zu ihm zurück und melden sich als ihm angehörig: sein Schatten wandelt in tausend Gestalten umher; wo er hinsieht, erblickt er sich nur selbst in dem Spiegel der unendlichen Naturen, soll er, kann er sich selber strafen? —

Abdallah. Omar, halt ein! immer neue Wundergestalten stehn aus einem Abgrund auf, mich zu schrecken. —

Omar. Von einer unbekannten Macht der Welt übergeben, tritt der Mensch seine Bahn an, nicht aus sich selbst hervorgebracht, ohne seinen Willen in das Leben geworfen. — Er lebt und vereinigt tausend Pflanzen und Thiere mit seinem Selbst, sein erstes Wesen geht durchaus verloren, — alle Lagen, von Kindheit an bis in sein Greisenalter, prägen sich in treuen Abdrücken in seinen Geist; alles um ihn her modelt und formt ihn anders, er selbst geht unter, und aus seiner Nahrung, seinem Vergnügen, aus den todten Gegenständen, die ihn umgeben, tritt ein andres fremdes Wesen an seine Stelle, — das nach und nach von einem neuen wieder verdrängt wird.

Abdallah. So sind wir nur eine Hütte, in die ein Fremdling nach dem andern einkehrt und sie dem folgenden überläßt.

Omar. Wer handelt nun? — Wer ist gut, wer böse? — Soll des Mörders Dolch bestraft werden, oder sein Arm, sein Herz, sein Blut? Oder der Gedanke, den er vielleicht vor zwanzig Jahren dachte? — Sein Blut, das er sich nicht selber gab? Der Gedanke, der durch tausend Formen wandelnd, von einem Sonnenstaub seinen Weg antrat und beim gräßlichsten Morde aufhörte?

Abdallah. Undurchdringlich ist das Gewebe, das sich seit Ewigkeiten her verschlang.

Omar. Eigne Kraft ist uns versagt; was wir unsern Willen, unsern Vorsatz nennen, ist nur der Einfluß fremder Dinge, wir sind nur ein Stoff, an welchem fremde Kräfte sichtbar werden; ein großes Spiel von einer fremden Macht regiert, der eine steht als König, der andre als Sklave da, — und alle sind sich gleich, nichts als hölzerne Zeichen, obgleich der König und der Ritter stolz auf das Fußvolk vor sich hinabsehn, — das Spiel ist zu Ende — und Laster und Tugend hört auf verschieden zu sein. — Ein Wirbel dreht sich durch die Welt, alles bis zum kleinsten wirkt in den großen Plan; der eine Augenblick gebiert den folgenden, eine Handlung stößt die andre vor sich her, eine unendliche Kette, die sich rund um alle Welten zieht. Kein Glied kannst du herausreissen, ohne das vorhergehende und folgende zu zerstören und eine allgemeine Vernichtung zu bewirken.

Abdallah. O entsetzlich! — Omar, — ich schaudre, — wenn ich gerade diesen Schritt itzt nicht thäte, — nicht gerade diesen Gedanken dächte — so könnte die Welt nicht erschaffen sein! —

Omar. Nothwendig. — Eine große Schwungkraft belebt die Unendlichkeit, alle Kräfte weben und wirken durch einander von Ewigkeit berechnet, die treibende Gewalt ermattet nie, das Leben fliegt durch alle Pulse der Natur und so geht das große Werk den allmächtigen Gang. — Wie will dies kleine Wesen, der Mensch, sich gegen ewige Gesetze stemmen? Wie in seinem engen Geist den Schöpfer mit all seinen Planen fassen? Eigenmächtig gegen das Weltall wirken und durch sein jämmerliches Dasein noch Verdienst erringen? Ohnmächtig kämpfend wird er fortgerissen, der eine Ton verklingt in der allgemeinen Harmonie.

Beide schwiegen düster vor sich hinbrütend. Ein hohes Roth flog über Omar's Wangen, ein neues Feuer fuhr in seinen Augen auf, er faßte heftig Abdallah's Hand.

Jüngling! rief er aus, was wir gut, was wir böse nennen, verschwimmt in ein Wesen, alles ist nur ein Hauch, ein Geist wandelt durch die ganze Natur und ein Element wogt in der Unermeßlichkeit — und dieses ist Gott!

Abdallah fuhr zurück.

Omar. Wo sollte der Unendliche jenseit der Schöpfung Raum für sich finden? — Er umarmt und durchdringt die Welt, die Welt ist Gott, in einem Urstoff steht er in Millionen Formen vor uns, wir selbst sind Theile seines Wesens! — Dies ist der tiefe Sinn von der Lehre seiner Allgegenwart. — Wirft er einst die Kleidung wieder von sich, dann gehn im Ruin die Welten und seine Himmel unter, dann steht er wieder da, er vor sich selbst, in der ewigen Wüste. —

Eine tiefe Stille. Um Abdallah war alles rund umher versunken, er stand mit gesenktem Haupte und betrachtete in seinem Innern die gestaltlosen Bilder, die auf- und niederschwebten. — Omar, sagte er nach langer Zeit, — nun ist die Kraft meiner Seele versiegt, alle meine schönen Entwürfe, meine wonnevollen Schwärmereien liegen wie Leichen um mich her, alle Freuden sind verwelkt, alle Hoffnungen in meiner Brust verwest. — Ein Kampf rastloser Zweifel wüthet da, wo ehedem meine Himmel standen.

Omar. Du hast es so gewollt, du hast das fürchterliche Todtengerippe ausgegraben, wo du einen Schatz zu finden hofftest. — O, wohl dem, der mit verbundnen Augen durch das Leben taumelt! der nie sich selbst anrührt und furchtsam fragt: Wer bin ich?

Abdallah warf sich unter eine Cipresse nieder. Sein Geist war von hundert neuen Vorstellungen verwirrt, ohne sich festhalten zu lassen flohen tausend Gestalten seiner Seele mit Blitzesschnelle vorüber.

Der Mond stand itzt hinter den dunkeln Zweigen der Tannen und von zitternden Schatten getheilt, gossen sich goldene Streifen über die Wiese aus. Ein leiser Abendwind wiegte sich in den Wipfeln der Bäume und spielte mit einem Blatte, das auf dem glatten See schwankend tanzte; ruhig betrachtete sich die Gegend selbstgefällig in dem Wasserspiegel und der Duft der Nacht stieg ernst und langsam aus dem Schooß der Erde.

Die schöne Landschaft, mit all den lieblichen Träumen, die über ihr hingen, vermischte sich nach und nach mit den Gedanken Abdallah's; er hatte sich schon den Spielen seiner Einbildungskraft überlassen, als er noch zu denken glaubte.

Die Wipfel säuselten immer leiser und leiser, vom Winde angehaucht lief ein stilles Flüstern durch das Rohr des Sees, — immer wunderbarer spielte das Mondlicht um die buschichten Tannenzweige, — noch einigemal blickte er mit mattem Auge empor und sahe wie vom nahen Berge ein Greis in die Arme seines Omar eilte, — beide hielten sich umarmt — als die Gegend allgemach wie hinter einem schwarzen Vorhang hinabsank. —

Aus den Cypressen stiegen Träume auf ihn herab, durch seine Augenlieder dämmerte schwach in seine Traumgestalten die monderhellte Gegend. —

Plötzlich rollt es dumpf wie ferne Donner, ein wildes Rauschen, wie wenn die erboßte Fluth gegen Felsen hinanheult, fuhr immer lauter und lauter über ihn dahin, — Abdallah erwachte.

Da stand er einsam in schwarzer Nacht, Stürme hatten den Mond hinter ferne Gebirge hinabgeschleudert, große Wolken wälzten sich krauß durch einander, die hohen Wipfel der Cedern schlugen krachend zusammen. — Ein Schaudern springt aus dem Walde hervor und packt ihn an mit eiskaltem Arm. Omar! ruft er mit bebender Stimme, aber höhnend stürmt der Orkan durch seine Töne und wirft sie zerrissen in die Lüfte.

Ein leuchtender Glanz flammte plötzlich in den Wolkengebirgen auf, eine Feuerkugel flog durch den Himmel, von einer andern verfolgt, die tausend blendende Funken von sich sprühte. — Jeder Funken sprang mit einem Donner los, der sich furchtbar auf des Sturmwinds Schwingen über alle Wälder hinabwälzte. — Mit lautem Gebrüll sank die Kugel nieder und die stille Nacht stand wieder um Abdallah. —

Eine bleiche zitternde Gestalt fährt aus dem nahen Busche und ergreift kalt Abdallahs Hand, — es war Omar. — Krampfhaft preßte er die Hand des Jünglings in die seinige und riß ihn mit sich fort. —

Abdallah folgte schaudernd.

Sie kamen in die Stadt und eilten auf ihr Gemach, Omar's Gesicht war lang und verzerrt, sein Auge rollte wild. Abdallah wagte kaum, ihn anzusehen. — An Geist und Körper müde, legte er sich schlafen, Omar ging noch lange gedankenvoll umher.

 


 

Drittes Kapitel.

Abdallah erwachte, als Omar sich schon entfernt hatte. Der Tag sah trübe durch die Fenster und eine schwermüthige Erinnerung des gestrigen Abends kam ihm sogleich entgegen. Sein Leben trat itzt eine neue Bahn an; alles, was er vorher gedacht hatte, war von einem Strudel kämpfender Zweifel verschlungen. Alle seine früheren Gedanken schienen ihm unreif und kindisch; er hatte mit Leidenschaft die Lehre Omars ergriffen und doch that es ihm weh, seine ganze Pflanzung, die er so sorgfältig aufgezogen hatte, zerstört zu sehn. — Wie eine schwarze Nacht stieg es in ihm auf, wenn sein Geist noch einmal über alle die Gedanken hinwegsahe, die er seit gestern dachte; er hätte es so gern nicht geglaubt, er hätte so gern den vorigen Sonnenschein zurückgerufen, die vorige Unschuld seiner Seele zurückgezaubert, aber sein Verstand wies mit verachtendem Ernst alle seine früheren Gedanken zurück, die wieder in ihm aufdämmern wollten.

O heilige Tugend! rief er aus, — vor derem Bilde ich einst niederkniete, — dein Altar ist umgestürzt! Du Sonne bist erloschen, zu der ich mit kühnem Fittig emporfliegen wollte und der Pfeil des Zweifels hat meine Schwingkraft gelähmt. — Wer bin ich, wenn diese Gottheit todt ist, die mich sonst mit mütterlichem Lächeln zu sich lockte? — Ich muß mich selbst verachten, wenn ich nicht mein eigen bin, wenn nur eine finstre Nothwendigkeit mich durch das Leben jagt, wenn ich dem Druck einer fremden Macht nachgeben muß, die mich wider meinen Willen zu Gräueln oder edeln Thaten drängt. — Doch, was schwatz' ich? — Mein Wille sinkt im Triebwerk des Ganzen unter und mit der Tugend ist das Laster zugleich gestorben, ich bin ein abgerißnes Blatt, das der Wirbelwind nach seinem Gefallen in die Lüfte wirft. — Der Unendliche, den ich sonst schwindelnd dachte, auf dessen Vatersorge und Allmacht ich so fest vertraute — er und das Schicksal ist mir entrissen. Im Felsen und im Gesträuch steht der Unfaßliche vor mir, mir näher gebracht und dadurch um so entfernter. Omars Lehre hat mich zu einer Waise, mich mir selbst verächtlich gemacht, — und doch bin ich ein Strahl jener Gottheit! —

Er schwieg und verlor sich immer tiefer in seinen Träumen; Gefühle wollten sich itzt in seine Seele zurückdrängen, die ihn einst so bezaubert und die Aussichten des Lebens so verschönt hatten, aber kein Klang aus der Vorzeit schlug wie ehedem an seine verstimmte Seele. O! rief er aus, gieb mir meine glückliche Unwissenheit zurück, Omar, laß mich wieder zum Kinde werden, wie ich war, mein Geist ist zu schwach für diese Last, er seufzt gekrümmt unter der drückenden Bürde.

Raschid trat itzt zu ihm herein. Er war kein Freund Abdallah's, aber einer von den angenehmen Gesellschaftern, an die der Jüngling sich so leicht schließt und sie eben so leicht wieder verliert. Er war Aufseher über die Gärten des Sultans und kam itzt zu Abdallah um Trost zu suchen, denn er war gewöhnlich finster und verdrüßlich. Abdallah ging ihm freundschaftlich entgegen. »Willkommen, sprach er, indem er ihm froh die Hand drückte, ich habe dich lange nicht gesehn.« — Er freute sich, daß ihn jemand aus seinen Träumereien riß, die er gern von sich abwarf und sich dem Wohlwollen überließ. — Willkommen! rief er noch einmal.

Raschid war traurig, sein Gesicht war bleich und sein Auge eingefallen. Ein schweres Leiden schien seine Seele zu drücken, eine tiefe unbestechliche Schwermuth sahe aus seinem schwarzen tiefliegenden Auge, nichts vermochte eine Heiterkeit über sein Gesicht zu werfen, seine Stimme war langsam und ohne Feuer. —

Dein Anblick wird immer kränker, fuhr Abdallah fort.

Raschid. Kränker? — Wirklich? — Vielleicht geh' ich dem Tode entgegen.

Abdallah. Dem Tode? —

Raschid. Ich hoff' es.

Abdallah. Du hoffst es?

Raschid. Mein Geist erträgt die Leiden nicht mehr, die sich immer höher thürmen.

Abdallah. Deine Liebe, Raschid, wird dich in dein Grab hinuntertragen. — Sei heitrer, verabschiede deinen Gram und werde wieder der blühende Jüngling, der du warst. — Die Liebe soll ja, wie man sagt, in Felsen Paradiese auferstehen lassen und dir —

Raschid. O glücklich, daß du davon wie von einem unbekannten Lande sprichst. — Doch nein, du bist unglücklich. — Ein Wesen ohne Liebe, — eine Laute ohne Saiten. — Für die göttlichsten Empfindungen todt kriecht der Gefühllose im Staube, wenn der Liebende den glänzenden Fittig im Morgenrothe wiegt. —

Abdallah. Und dennoch nennst du dich elend. —

Raschid. Ja und doch möcht' ich meine Liebe nicht zurückgeben, — Freund, nur ein Blick aus ihrem Auge — ach! er würde den Frühling in meiner Seele wieder auferwecken! — Eiserne, unzerbrechliche Ketten halten mich zurück, — ich liebe und darf nicht hoffen, — ich wünsche und meine Wünsche überschreien meinen Verstand; wenn er zuweilen die Stimme erhebt, — o dann treten sie alle bleich zurück. — Mein Unglück hat alle Blumen um mich her ausgerissen und in den Wind verstreut, die Freude hat mich in eine düstre Nacht geworfen und mir ewig ihre Thür verschlossen, — ach Abdallah, ich sterbe gern: denn welcher Wunsch, welche Hoffnung soll mich in's Leben zurückhalten? —

Abdallah. Wer würde nicht wenigstens hoffen? —

Raschid. Ach! wenn ich nur hoffen dürfte! wenn ich nur eine Spalte in der hohen Felsenmauer entdeckte, durch die ich mich hindurchwinden könnte!

Abdallah. Du hast mir aber noch nie den Gegenstand deiner Liebe genannt — wen liebst du?

Raschid. Laß dies noch itzt ein Geheimniß bleiben. — Ach! ich möcht' es mir selber nicht gestehn, daß der Mensch sich seinem Glücke Mauern in den Weg baute, die seiner Ohnmacht spotten, daß — ich kam hierher mich zu trösten und ich gehe trauriger von dir als ich kam.

Abdallah. Wodurch kann ich dich trösten?

Raschid. Nein, ich mag auch nicht getröstet sein. — Lebe wohl! — dieser Schmerz ist mir lieb, denn ich leide ihn für sie, — ich will in der Einsamkeit meine Thränen weinen, ich finde keinen Menschen, der mich versteht.

Er ging und Abdallah sah ihm traurig nach, dann versank er wieder allmählig in sein voriges Nachdenken. Omar kam. — Du bist so tiefsinnig, Abdallah?

Abdallah fuhr auf und sahe ihn bedeutend an.

Worüber dachtest du? fragte Omar.

Abdallah. Über deine gestrigen Lehren.

Omar. Sie haben dich traurig gemacht.

Abdallah. Ich irre in einer ausgestorbenen Wüste, alles ist hin, was einst mein war, ich selbst habe mich verloren. Du hast mich Verachtung meiner selbst und der Welt gelehrt; wohin mit meiner Liebe, mit der ich sonst so warm die Natur umfaßte? —

Omar. Und muß denn Abdallah hassen, um lieben zu können? — Ich habe dir deinen Haß genommen und um so größer sollte deine Liebe sein; du sollst alles lieben, auch den, den die schmähende Welt mit Füßen tritt.

Abdallah. Alles? — Ach Omar, kann es der Mensch?

Omar. Er soll es wollen.

Abdallah. Mein Geist sträubt sich gegen diesen freudenleeren Glauben.

Omar. Weil er deinen Stolz kränkt. — Vieles ist gestürzt, auf das du bis itzt eingebildet dich für besser als tausend andre hieltest; es ist dir genommen und du sinkst zu den übrigen Menschen hinab. Aus Eigennutz bist du unzufrieden und bildest dir ein, es geschehe der Tugend wegen. —

Abdallah. Omar, du hast tief in meine Seele geschaut. — Kann aber die sterbliche Natur sich ganz vom Eigennutz losreißen? du sagtest selber, jeder handle nur für sich, bin ich daher nicht der erste Zweck meiner Entwürfe und müssen die übrigen Wesen nicht mir selber weichen?

Omar. Du sollst und kannst dich nie von dieser Schwäche trennen, — nur der Stolz sei dieser Eigennutz nicht; sei eigennützig im Genuß, ein Traum ist kein Genuß. —

Ein Sklave kam und rief Abdallah zu seinem Vater Selim.

Omar. Und verschließe diese Lehren tief in deine Brust, sie taugen für kein ander Ohr.

Abdallah. Für mich allein hast du also diese Trostlosigkeit ausgelesen?

Omar. Abdallah, sei nicht undankbar. — Der Weisere kann mich nur verstehn.

Abdallah ging.

 


 

Viertes Kapitel.

Selim saß in tiefen Gedanken, als Abdallah zu ihm hereintrat, er bemerkte seinen Sohn und stand auf. Ich habe dich rufen lassen, sagte er, um dir eine wichtige Nachricht anzukündigen; hat dir Omar nichts davon gesagt?

Nichts, antwortete Abdallah, — aber dieser Name den du genannt hast, lieber Vater, erinnert mich an eine Bitte, sage mir, wer ist dieser Omar?

Und wie kömmst du so plötzlich zu dieser Frage, fragte Selim, du kennst ihn schon so lange und noch nie ist es dir eingefallen, etwas näher von ihm unterrichtet zu sein.

Dieser Omar, antwortete Abdallah, ist mein zweiter Vater, nach dir lieb' ich ihn am meisten, ja vielleicht, wenn ich aufrichtig sein soll, habe ich zwischen dir und ihm meine Liebe ganz gleich vertheilt. — So tief meine Erinnerung in die Vergangenheit hinunterreicht, eben so lange kenne ich auch diesen Omar; er war der Spielgenosse meiner Kindheit und ist der Lehrer meiner Jugend, als Knabe konnt' ich mir Gott nie anders, als meinen Omar denken und itzt ist er mir ein Bild der Weisheit. Alles, was ich denke und weiß, habe ich aus ihm geschöpft, — ohne seine Liebe könnte ich nicht glücklich sein. — Er ist mir bekannter, als meine eigne Gestalt, sein Geist ist meiner Seele so vertraut, ich schmiege mich so kindlich an ihn, alle seine Züge hab' ich so oft betrachtet und tief in meine Seele geprägt, — nur gestern am Abend, war es die magische Nacht, die meine Einbildung mehr als gewöhnlich hob, — oder war es das nüchterne leere Erwachen von einem Schlummer, wo uns sogleich in der freien Landschaft hundert verworrene Gebilde entgegentreten; als ich gestern durch den Wald mit Omar zur Stadt zurückging, trat mich plötzlich das sonderbare Gefühl an, als wenn ein fremder Mann zu meiner Seite gehe, — ich war hundertmal im Begriff, meine Hand aus der seinigen zu ziehn, ich wagte es nicht, ihn anzusehn, der Schein der Nacht flatterte ungewiß um ihn her und verstellte alle seine bekannten Züge, — ich war aus mir selbst herausgerissen, — ich folgte ihm schaudernd.

Selim. In den Jahren, wo die Einbildungskraft unsre Amme ist, spielen tausend Schwärmereien und trügende Gefühle um uns her, die, wenn wir nach ihnen greifen, in Luft zerfließen und unsern Geist zu einer trägen, thatenlosen Beschaulichkeit führen. Der männliche Jüngling muß alle diese kindischen Einbildungen mit ernstem Blick zurückweisen, auf seiner Bahn ungestört weiter gehn und diesen Morgendünsten nicht einmal ein zurückgeworfenes Auge schenken.

Abdallah. Seit gestern aber beunruhigt mich der Gedanke. Sage mir, wer ist dieser Omar?

Ich will dir alles sagen, was ich von ihm weiß, antwortete Selim; du hast ihn bis itzt als deinen Lehrer und Freund geliebt, du wirst ihn nun auch als deinen Wohlthäter ehren. — Ali, der wie ein verzehrender Brand in dem Körper seines Landes wüthet, gegen den tausend Flüche der Wittwen und Waisen rastlos um den Thron Gottes schweben, Ali hatte auch mich unter Tausenden elend gemacht. Ich war reich und meine Schätze lockten seine Habsucht, er entriß mir alles, was ich besaß, — nur deine Mutter und du — weiter blieb mir in dieser Welt nichts übrig. Du warst damals einen Sommer alt und lächeltest am Busen deiner Mutter unverständig dem Elend entgegen. — Wir verließen die Stadt und wanderten über unbekannte Berge zu fremden Gegenden, der Jammer ging neben uns und reichte uns die ärmliche Nahrung, alle meine Freunde verließen mich, als hätten sie mich nie gekannt, Sorge und Dürftigkeit waren unsre einzigen unzertrennlichen Gefährten: so wandelten wir von Stadt zu Stadt und lebten kärglich von den Allmosen, die uns das Mitleid der Menschen zuwarf. — Ein stiller Gram wühlte unsichtbar in dem Herzen deiner Mutter, sie reichte mir lächelnd den Abschiedskuß — und ging nach einigen Stunden in ihre bessere Heimath zurück. Ich blieb mit meinem Unglück in der Einsamkeit.

Traurig schwieg Selim einige Zeit, dann fuhr er fort:

Sie ward begraben. Die Erde fiel feucht und schwer auf sie hinab, ein Dolch schnitt durch meine Seele, wenn du mit kindischem Lächeln nach deiner Mutter fragtest und an den Grabhügel pochtest, um sie wieder heraufzulocken; aber dein Lächeln war das letzte schwache Band, das mich damals an diese Welt zurück hielt, unverletzliche Pflichten sprachen mich aus deinem freundlichen Auge an, du lebtest noch und darum war mir das Leben noch etwas theuer. Ich konnte mich nicht aus der Gegend entfernen, in der Zamiri ruhte, ihr Geist schien dort zu schweben und mich in dem Wohnorte meines Grams zurück zu halten. — Ach Abdallah, es waren traurige Tage, — wenn das junge Morgenroth so glühend heraufstieg und zitternd auf mein schlafloses Auge schien, wenn der goldne Abend über die Berge zog und die traurige einsame Nacht mit hundert neuen Sorgen langsam aufstieg, — die Erinnerung dieser Tage, — der Mensch muß viel erdulden, aber sein Muth muß ihn nie verlassen.

 

Eine kleine Stille. Aufmerksam und traurig hörte Abdallah die Erzählung seines Vaters, dieser sprach dann weiter:

 

Ich besuchte täglich den Kirchhof, auf dem sie ruhte, ich betete andächtig auf ihrem Grabe und flehte um Stärke. Im innigsten Gefühle meines Elends saß ich einst auf dem Grabhügel, du spieltest unbefangen vor mir im tiefen Grase, die Vergangenheit trat freundlich auf mich zu und setzte sich traulich an meine Seite, unmännliche Thränen rannen heiß über meine Wangen und fielen auf gelbe Todtenblumen, die auf dem Grabe blühten. — Plötzlich sah' ich einen Derwisch, der sich mir aus dem Schatten der Bäume näherte. Er hatte mich in meinem Glücke oft besucht und in seiner Gegenwart empfand ich stets eine heilige Ehrfurcht, denn ein stiller Schauer hauchte mich an, als wenn aus ihm der Geist des Propheten wehte. Mein Unglück schien ihn zu rühren: Grabe, sprach er, hinter jenem verfallnen Hügel und ein neues Glück wird dir entgegenblühen. — Ich grub und fand einen großen Schatz, der mir mehr ersetzte, als mir Ali genommen hatte, — als ich dem Derwisch meinen heißen Dank bringen wollte, konnt' ich ihn nirgends entdecken — und dieser Derwisch ist Omar?

Abdallah. Omar?

Selim. Dein Lehrer Omar. — Ihm dank' ich alles, was ich besitze, alles was ich habe ist nur ein Gut, das er mir geliehen hat. — Ich ließ mich an der fernsten Gränze des Reiches nieder, veränderte meinen Namen und nannte mich Selim. Hier war ich vor Ali's Grausamkeit und Habsucht sicher, bis er nun seit einem Jahre seinen Wohnsitz verändert und sich hierher begeben hat. — Ich war itzt so glücklich als ich nur werden konnte, als nach dreien Jahren eine seltsame Erscheinung mein Haus besuchte. Ein hagrer ausgedörrter Greis reichte mir seine lange Hand, die wie ein Todtengebein klapperte, der Tod sahe aus seinen tiefen eingefallen Augen, kraftlos wankte der Schädel hin und her und seine Sprache war nur das Keuchen eines Sterbenden. Ich erschrack bei diesem Anblick des Jammers und erst nach langer Zeit erkannte ich in diesem Todtengerippe — deinen Omar.

Abdallah. Omar?

Selim. Ich nahm ihn auf, wie meinen Wohlthäter, verpflegte ihn wie einen Vater, bis er von seiner Siechheit genaß. Als seine Gesundheit und seine Kräfte zurückgekehrt waren, nahm er freundschaftlich meine Hand und sagte: »du bist mein Wohlthäter Selim, du hast mein Leben gerettet und ich will nicht undankbar sein; du hast einen Sohn, ihm will ich bezahlen, was ich dem Vater nicht bezahlen kann.« So ward unser Wohlthäter dein Gespiele, dein Lehrer, dein Freund.

Abdallah stand nachdenkend. Eine neue Dankbarkeit band ihn fester an Omar und hing an seine Lehren ein noch größeres Gewicht; seines Lehrers Tugend war unbezweifelt, um so zuverläßiger mußte also seine Weisheit werden; der Lasterhafte, der die Tugend läugnet, wird nicht gehört, aber wenn der Edle dem Bösewicht die Hand reicht und ihn ungescheut Bruder nennt, dann zagt die stolze Tugend und sieht zweifelhaft in ihr Innres.

Du schweigst, begann Selim von neuem, bist du nun nicht begierig, die Nachricht zu hören, die ich dir anzukündigen hatte?

Abdallah. Verzeih mein Vater — ich höre. —

Selim. Du sollst dich vermählen.

Abdallah. Dein Gebot ist mein Wille.

Selim. Des edlen Abubekers Tochter.

Abdallah. Du willst es und sie ist meine Gattin.

Selim. Diesen Gehorsam hatte ich von dir erwartet, mein Sohn. Abdallah wird seines Vaters Liebe nicht mit Undank vergelten.

Abdallah. Nein, nie mein Vater.

Selim. Du liebst also nicht, mein Sohn?

Abdallah. Ich liebe nur dich und Omar. —

Selim. Laß diese kindliche Liebe nie in deinem Busen verlöschen. — Abubekers Tochter, — oder meinen Fluch!

Selim sahe ihn mit einem durchbohrenden halberzürnenden Blick an, den Abdallah nicht verstand. Es war ein kalter fester Blick, der sich unauslöschlich mit dem fürchterlichen Worte Fluch in Abdallah's Gedächtniß grub; bei diesem Blicke kehrte plötzlich wie ein Blitzstrahl die sonderbare Unbekanntschaft mit Omar in seine Seele zurück, — als dieser hereintrat.

Er sahe ihn an und es war ganz wieder der alte, freundliche, bekannte Omar; er ging froh hinweg und alle seine ängstlichen Besorgnisse waren verschwunden.

 


 

Fünftes Kapitel.

Itzt trat auch Abubeker in das Zimmer und mit ihm mehrere von seinen und Selim's Freunden.

Abubeker war ein Greis von siebenzig Jahren, sein Gesicht war lang und hager, sein Auge sanft und sein silberweißer Bart sank ehrwürdig auf seine Brust herab. Schon seit langer Zeit war er der Welt abgestorben, ohne daß er sie, oder sie ihn vermißte; er lebte mit seiner Tochter in einer häuslichen Einsamkeit, nur von seinen Freunden gekannt und geehrt. Er war im Felde erzogen und unter der Rüstung ein Greis geworden, die Feinde hatten seine Tapferkeit gefürchtet und in seinem männlichen Alter war Abubekers Name durch das ganze Land bekannt gewesen; aber mit den Diensten des Feldherrn verschwindet zugleich der Dank des Volkes, der Ruhm gleicht dem Nebel, der sich über das ganze Gefilde auseinander wickelt und am weitesten ausgestreckt, verschwindet. Im Lager und in Schlachten hatte Abubeker seinen Geist nur wenig bilden können, er dachte daher nur langsam und beharrte unerschütterlich auf jede gefaßte Meinung, jede seiner Überzeugungen ließ er sich ungern nehmen und eine neue an ihre Stelle setzen: denn das, worüber er einmal gedacht hatte, schien ihm die einzige und letzte Wahrheit.

Selim bewillkommte ihn und seine Begleiter, und alle setzten sich.

Eine kleine Stille weilte über die Versammlung, als Selim endlich aufstand, Abubekers Hand ergriff und wie von einem heiligen Feuer ergriffen, also redete:

Abubeker, du bist mein Freund und was mehr ist, ein wackrer Mann; das seid Ihr alle, die Ihr zugegen seid, und wäre einer unter uns, der dies große Gefühl nicht in seinem Busen trüge, der entferne sich, ehe ich weiter spreche, denn meine Worte taugen für kein unedles Ohr. — Aber nein, — die edelsten Männer des Staats sind hier versammelt und darum sollen ungescheut meine Gedanken und Worte einerlei Weg wandeln. Zum Biedermanne muß der Biedermann ohne Umschweif sprechen, und eben dies war die Ursach meiner Einladung.

Alle schwiegen; Selim stand und sahe in der Versammlung umher, dann fuhr er fort:

Abubeker, du erinnerst dich vielleicht noch der goldnen Tage, als der Scepter des weisen Alfargo dieses Land beherrschte, als ein ewiger Friede an den Gränzen des Reiches wachte, als eine unzerbrechliche Treue alle Unterthanen in ein schönes Band vereinte und die Rüstung des Fürsten war, als das Glück in unsern Häusern wohnte, als — wozu der schönen Erinnerung, Freunde? diese Zeit war und ist nicht mehr, der Sonnenstrahl, der scheu an des Gefängnisses Mauern zittert, macht dem Gefangenen den Kerker enger, diese Erinnerung ist uns das, was dem verirrten Wandrer in der Sturmnacht das ausgelöschte Licht. Wir waren glücklich, aus diesem Gedanken springt die traurige Überzeugung: wir sind unglücklich! — Wie beim Gewitter hängt die Luft schwer und drückend über unserm Vaterlande, die Arbeiter haben furchtsam das Feld verlassen und verbergen sich in Höhlen, das Gras zittert leise dem kommenden Sturm, die ganze Natur athmet schwer und harrt mit banger Ungeduld dem einbrechenden Wetter. — Dies ist das Bild unsers Vaterlandes, Freunde; kein Gesicht lächelt, als das der unverständigen Kinder, kein Auge glänzt, als das Auge des Sterbenden, keine Fröhlichkeit lacht aus betrübten Herzen, — traurig, mit gesenktem Haupte, in uns selbst versunken, von keinem heitern Gefühl aus unsern schwarzen Träumen geweckt, stehn wir verlassen auf einer spitzen, meerumheulten Klippe und klagen in das wilde Rauschen der See. — Und warum hängen unsre Thränen so schwer an den rothgeweinten Augenliedern? Warum schwellen unterdrückte Seufzer unsre Brust so hoch? — Sind die blühenden Felder um uns her Wüsten von Sand geworden? Entfaltet die Sonne nicht mehr ihren Mantel über dieses Reich? Hängt eine verzehrende Seuche über unsern Häuptern? Sind unsre Freunde verschieden? —

Ach ja, unsre Freunde sind verschieden, eine Pest schaut wild auf uns herab, die Sonne ist uns untergegangen und die Blüthe unsrer Fluren ist dahin! Ein liebliches Morgenroth spielte im fröhlichen Wogengeräusch um uns her, die Fluth sinkt zurück und unser Nachen steht auf einem dürren Felsengrund eingeklammert. — Das Glück hat uns seine Hand zum ewigen Abschied gereicht und wir sehen mißvergnügt seinem Scheiden nach. — Und tröstet uns denn kein Ersatz über unsern Verlust und sind wir auch nicht einmal begierig, die Ursach unsers Elends zu erfahren?

O zum Allgütigen laßt eure Klagen nicht dringen, denn er zürnt uns nicht, die freigebige Natur hält keine karge Hand über uns ausgestreckt. — Aber welche übermenschliche Gewalt schnürt unsre Brust so mächtig zusammen? Wer schlägt dies verfinsternde Gewölbe um uns her? — O daß ich es schaamroth aussprechen muß, — ein Fremder würde staunend unsrer Schwachheit spotten, — ein Mensch!

Ihm tragen unsre Felder, zu ihm fließt, wie zu einem geizigen Meere, alle unsre Arbeit zurück, wir leben nur für ihn, für den Einzigen kämpfen im unnützen Streit alle unsre Kräfte. — Ihm hast du, dem Undankbaren, deine Schlachten gefochten, Abubeker, er ist die Pest, die das Land verzehrt, hinter seinem Thron ist unsre Sonne untergegangen, in seiner fürchterlichen Allmacht liegt der Tod aller unsrer Freunde. — Leben und Vernichtung hält er auf der verfälschten Wage, an seinen Launen hängt schwankend unser Glück, Gewitter donnern aus seinem zürnenden Auge, das Lächeln seines Mundes ist unsre erquickende Frühlingssonne, seine Worte des Ewigen unveränderliche Gesetze, — wir stehn da, und fühlen daß wir elend sind, und o der Schande! — wir begnügen uns damit, daß wir es fühlen!

Sind wir alle schon so tief in Kraftlosigkeit versunken, daß wir auch nicht einmal murren? Sind wir uns so fremd geworden, daß wir auch nicht einmal unser Schicksal geändert wünschen? Daß wir uns mit dem begnügen, was er uns aus der Verheerung zurückwirft und uns der Gnade freuen, die uns noch unter den Trümmern unsrer vorigen Heimath zu wandeln vergönnt? Die Schlange verwundet wüthend die Ferse ihres Mörders, die schuldlose Taube kämpft ohnmächtig gegen den Zerstörer ihres Nestes, ja der zertretene Wurm krümmt sich zürnend unter dem Fuße des Wandrers — und wir! — Wer ist der Schändliche, der sich nicht der Ketten schämte und sie gern von seinen Armen streifte? — O er gehe hin und erzähle Ali meine Rede!

Sklave und freier Bürger sind in unsern Zeiten gleich, das Reich kennt nur einen freien, wir alle sind seine Sklaven, das Vaterland und seine Bürger sind in dem Einzigen untergegangen, unsre Wünsche knien vor seinem Willen, das hohe Recht, das jeder Mensch mit auf die Welt bringt, haben wir an diesen Betrüger verspielt. Unser Dasein können wir nicht Leben nennen, wir sind todte Massen ohne eignen Willen, Steine, die ein muthwilliger Knabe zum Spielwerk am Abend in das Meer wirft. — — Und wer ist dieser Allgewaltige? Ein Riese mit ehernem Körper, von dem zerbrochen jeder Stahl zurückprallt? — Nein, eine Sammlung Staub, wie wir, von einem aufgehobnen Arm auf ewig zu Boden gestürzt.

Wo ist der Muth, der in unsern Vätern focht und die Feinde erzittern machte? Sind alle Dolche stumpf? Ist keiner mehr, der zu den Waffen greift und sich und seine Brüder rächt? Keiner? — O ich habe mich geirrt, ich vergaß, daß ich jetzo lebe, itzt, wo Knechtschaft ehrt, wo unser höchster Wunsch ist, der schändlichste seiner Sklaven zu werden. — Die Zeit hat ihren Kreis gemacht und alles Edle aus unsern Jahren hinweggenommen, nur mich Unglücklichen hat sie einsam stehen lassen.

Er schwieg. — Die Männer glühten, die Arme der Jünglinge zuckten unwillkührlich. In vielen Augen stand die Thräne der hohen Begeisterung, viele wollten aufspringen und ihre Dolche schwenken, als der weise Abubeker mit langsamer bedächtiger Stimme also sprach:

Selim, deine Stimme ist die Stimme der Wahrheit, das Reich ist unglücklich, die Tyrannei herrscht mit erschlichener Gewalt von ihrem Thron herab, das Volk seufzt tiefgebückt unter dem ehernen Joch, — aber höre mich als Freund und zürne nicht. — Ich stehe auf einem hohen Gipfel, von dem ich über so manche Jahre hinweg sehe, die zu meinen Füßen ausgebreitet liegen, das Alter und die Erfahrung tritt endlich an die Stelle der Weisheit. — Hast du nie, Selim, eine Fluth gesehn, die verheerend das Gefilde überschwemmt, und es gedüngt und fruchtbarer wieder verläßt? Einen Stamm, den der Blitz verbrennt und aus dessen Asche ein schönerer mit frischer Kraft hervorschießt? — In dem gegenwärtigen Übel liegt oft die Geburt eines künftigen Glücks, nur daß das sterbliche Auge nicht durch die Dunkelheit der Zukunft dringt, daß unser kleiner Blick nur das umfaßt, was vor uns, nicht, was oft dicht daneben liegt. — Schon vielen Völkern sandte der Herr zur Züchtigung einen eisernen Scepter und schon viele erkennten die bessernde Hand. — Ali ist vielleicht nur der Abgesandte einer höhern Macht, der uns von dorther den Krieg ankündigt: können wir rebellisch gegen den Ewigen aufstehn und seine weisen Plane meistern und verwerfen? Ziemt es dem Sklaven, seinen Herrn zur Rechenschaft zu ziehn? — Tausend Diener horchen auf das Gebot des Unendlichen und vollbringen die Befehle seines Zorns. Er darf nur winken und Ali wird vom Blitz durchbohrt, vom Sturm zerrissen. Er vermag die Erde aus ihren Angeln zu heben, und im Unmuth mit dem Hauch seines Mundes gegen die Gränze des Weltalls zu zerschmettern, — und er sollte nicht einen Staub zum Staube wieder hinabsenden, wenn es sein Wille wäre? — Nein, wir wollen dulden, Selim, und im Dulden unsre große Seele zeigen. Rache brüllt nur aus den Thieren, der Mensch dulde und verzeihe! —

O Greis! rief Selim aus, das Alter, das alle unsre Kräfte verzehrt, spricht aus dir. Der Stunden, die du noch zu leben hast, sind dir zu wenige, um für sie zu handeln, — aber unsre Kinder, Abubeker!

Abubeker. Wacht nicht über sie das große Auge, das sich niemals schließt? — Laß sie die Tugend und Gott verehren und sie können nicht elend werden.

Selim wandte sich unwillig hinweg und Omar fing an zu sprechen:

Du sprachst mit tiefer Weisheit, Abubeker, die Hand aus den Wolken lenkt oft sichtbar die Schicksale der Menschen, das dunkle Verhängniß tritt oft aus seiner Finsterniß hervor, und zwingt selbst den kühnsten Zweifler zur schaudernden Verehrung.

Selim. Und auch du, Omar? der du meinen großen Entwurf zuerst zur Reife brachtest?

Omar. Oft aber waltet die Allmacht in ihrer Undurchdringlichkeit und lagert vor die frechen Augen Finsternisse um sich her. Oft tritt das unerbittliche Schicksal zurück, es zerreißt den Faden, an dem es den Menschen lenkt und läßt ihn ohne Leitung gehn. Dann schaut es auf den Weg des Wandrers herab und zeichnet ihn mit ewigen Zügen auf der unvergänglichen Tafel. Dann wird des Menschen Name unter die Seeligen oder Verdammten eingeschrieben, ohne fremden Druck stehn aus dem Herzen die Tugend oder das Laster auf.

Abubeker. Ich fasse den Sinn deiner Rede, Omar. Wenn das ewige unwandelbare Schicksal niemals den Menschen aus seiner Hand ließe, dann trieben wir einen reissenden Strom hinab, der ohne unsre Schuld den Nachen vielleicht an einen Fels zerschellte, oder in die See versenkte.

Omar. Alle Widersprüche vereinten sich dann in einen Mittelpunkt, die ganze Natur wäre eine Flöte, auf der ewig die Töne des schaffenden Künstlers erklängen, keine That gehörte uns, unschuldig kehrten alle zum Schöpfer zurück. — Nein, Abubeker, wenn der Ewige auch nach seiner Güte das Laster zuläßt, so ist er es doch nicht selbst, der den Lasterhaften führt, das hieße ihn aus seinem Wesen hinausschelten, denn er ist ja das Gute selbst; blind ihn aus seinem Glanz vernünfteln, mit eben der Vernunft, die er uns lieh, ihn zu erkennen.

Abubeker. Ein Irrthum täuschte mich, Omar.

Omar. Ein Athem seines Wesens streifte leise den irdischen Staub und es entstand der Mensch. Dieser göttliche Funke, der aus der Nacht sich ihm freundlich zugesellte, ist es, der ihn aus den Thieren des Waldes, den Bäumen und Felsenwänden heraushebt, dieses ist das große Zeichen, an dem die Menschen sich erkennen, das untrügliche Unterpfand, daß uns jenseit ein neues Leben entgegentrete, wenn die Seele hier den Staub wieder von sich abschüttelt und zürnend das Thal verläßt, um einen schönern Hügel zu ersteigen.

Abubeker. Deine Worte wecken in meiner Seele eine Sonne, die das Dunkel erleuchtet.

Omar. Dieser Verstand lehrt uns die Wunder der Natur finden. Wie der Schnecke und dem Wurme Fühlhörner gegeben sind, um ihre Nahrung zu suchen und ihre Feinde zu fliehen, so verlieh der Gütige dem Menschen den Verstand. Der Zweck des Wurmes ist das Leben, dem edleren Menschen ist das Leben nur ein Weg, aus dem er zu seinem Endzweck geht: durch seinen Verstand sich selbst und Gott erkennen; je näher er diesem Ziele gekommen ist, je mehr hat er die Krone des Siegers verdient. — Ohne diesen Stern, der unser Schiff regiert, lebten wir, wie der Maulwurf, unter tausend Wundern, ohne sie zu bemerken. — Die Kraft der Heilung liegt in tausend Pflanzen ausgegossen, aber der Schöpfer tritt uns nicht unmittelbar in den Weg; die schwache menschliche Natur würde zu sehr vor ihm zusammenschaudern, er legt seine Furchtbarkeit ab und in schönen Blüthen findet der Verstand des Menschen die Kraft des Gütigen wieder, und Tod und Krankheiten fliehen vor dem wohlbekannten, allbelebenden Hauch, der ihnen aus den Kräutern entgegen duftet.

Abubeker. Deine Gedanken über den Ewigen sind wie der Schein des Mondes, sie leuchten auf den Pfad, ohne zu blenden, du verschlingst die Allmacht mit der Lieblichkeit und vor dem wonnevollen Bilde kann der Mensch anbetend in tiefer Ehrfurcht knien, und es zugleich lieben.

Omar. Der Verstand regiert wie ein Steuermann unsern Willen gegen Wind und Wogen der Leidenschaften und des Unglücks. — Der Verstand formt aus dem ungestellten Zufall eine Säule; statt uns selbst die Hand zu reichen und durch das Dunkel zu führen, haucht der Ewige an diesen Funken und er leuchtet heller. — Dann werden große und edle Thaten geboren, Tyrannenthronen gestürzt, des Vaterlandes Feinde geschlagen, Völker besiegt und des Propheten Glaube über Meere getragen. — Diesen Fingerzeig der Gottheit nicht achten, heißt seiner Güte spotten, da er uns einen Schatz anvertraute, den wir nicht benutzen, dann wird er uns einst schwer zur Rechenschaft ziehen, daß wir ein Gut verachteten, das uns ihm ähnlich macht. — Es waren Propheten, die die Zukunft weissagten von Gottes Athem angeweht: wenn nur der Ewige selbst in unsre Seelen diese Gedanken gesendet hätte, wenn er durch uns Ali strafen und das Reich wieder glücklich machen wollte und seine Allmacht dabei unsichtbar erhalten, wenn wir die Pflanzen wären, aus denen der Gütige mittelbar Genesung unsern Brüdern zusendete?

Abubeker dachte tief den Worten Omar's nach, die übrigen horchten aufmerksam auf seine Rede.

Omar. Ist es dann nicht unsre Pflicht, seinem Wink zu folgen und unverzeihliche Trägheit, wenn wir die Arbeit, die er uns in den Weg legt, verdrossen liegen lassen? — Auf dann! tretet alle Zweifel unter euch, beginnt das Werk und sagt der Ewige »Nein« zu unsrer That, — nun, dann wird das Unglück unsern Schritten folgen und uns von seinem Zorne Nachricht bringen.

Abubeker. Du hast mich überwunden, Omar, ich gebe deiner Weisheit nach.

Omar. Ha! wenn wir keine Leuchte hätten, die uns durch die Nacht begleitete! — aber wir tragen sie in unserm Busen. — Glaubet! ruft uns der Ewige selbst zu — und handelt nach eurem Glauben und Herzen! Daher jagt das nagende Gewissen den Bösewicht, dies ist der gute Engel, der den Menschen zu edeln Thaten winkt. — Ein jeder muß nach seiner Überzeugung handeln — und wer glaubt nicht, daß wir alle glücklicher wären, wenn Ali von seinem Thron herunterstiege? Unser Recht? — o er hat unser Recht verletzt, er hat unsre Menschheit gekränkt, er zwingt uns, unser Wort zu brechen, das wir ihm gaben, er ist unser Feind, nicht unser Fürst. Wir scheuchen das Unglück über die fernen Gebirge, das itzt so dräuend über uns hängt, wir sind die Retter unsers Vaterlandes, aus seinem Grabe wird das Glück dann wieder auferstehn und uns dafür belohnen, unsre Brüder werden Freudenthränen weinen, — ha! wer steht noch müssig? Wer kann noch furchtsam zurückzagen? — Nein, Abubeker, Freunde, — wir wollen nicht die Krone von Ali's Haupte reissen, wir müssen es, — das Land liegt kniend zu unsern Füßen, des Ewigen ernstes Auge schaut anmahnend auf uns herab, die Nothwendigkeit reicht uns den blutigen Dolch, — wir können nicht zurücktreten und den furchtbaren Arm von uns weisen.

Selim. Nein, wir können, wir dürfen es nicht. Die Gefahr streckt uns ihren Rachen entgegen, — stürzt auf sie zu, Freunde, sie verherrlicht unsern Triumph! Welcher Feige würde nicht mit dem Edlen um jeglichen Kampfpreis ringen, wenn die Furchtbarkeit nicht die große nie zerfallende Scheidemauer zöge? Daß wir unser Leben wagen, o das ist es, was unser Unternehmen zu einer großen That stempelt, das ist es, warum sie Männer und keine Knaben fordert. Das Glück schwebt um uns her; faßt mit starkem Arm den ehernen Ring und haltet ihn fest, — dreht er sich allmächtig weiter, — nun was können wir mehr als sterben? Und können wir in tausend Jahrhunderten einen ruhmvollern Tod finden, als im Kampf mit der Tyrannei dahinzusinken? — O wem das Leben das höchste Gut ist, der mag zagen, ihm sei es erlaubt zu zittern, er mag sich hinter Ali's Thron verkriechen und sich fest an seine Ketten klammern und an den Pfahl, an dem er gefesselt ist, — wir kämpfen, siegen oder sterben für's Vaterland und unsre Brüder, — das Schild am Arm, den Säbel in der Faust stürzen wir vor Ali hin und fordern uns selbst von ihm zurück, — wir verschwinden in dem großen Ganzen, eine Woge im Meer; was liegt an mir, wenn ich auch untergehe? — Die Gefahr nicht achten, heißt sie tödten; sich selber muß der Edle freudig seinen Brüdern opfern können. — Wer so denkt, der reiche mir seine Rechte!

Alle sprangen auf, man lief eilig durcheinander, jeder wollte der Erste sein, der die Hand des edlen Selim faßte. — Es ist kein Schändlicher unter uns! riefen alle, wie aus einem Munde, auch Abubeker trat hinzu und umarmte Selim und Omar. Eine große Begeisterung wandelte durch den Saal, alle Gesichter glühten, alle Augen funkelten.

Brüder! rief Selim aus, — das Loos ist gefallen! — Er kniete nieder. — Hier schwör' ich bei dem Ewigen und seinem Propheten, bis auf meine letzte Lebenskraft gegen Ali zu kämpfen, mein Vaterland zu retten oder zu sterben!

Alle knieten und schwuren ihm den großen Eid nach, dann umarmten sie sich von neuem, drückten sich die Hand und küßten sich wie Brüder. Ein Gedanke lebte in allen Seelen, eine Entzückung, ein Geist wehte durch die ganze Versammlung.

Freunde! sprach Omar, — und wer soll denn an Ali's Stelle treten und eine neue Sonne über unser Reich heraufgehn lassen.

Alle schwiegen und Omar fuhr fort.

Das unmündige Volk bedarf eines Führers, ohne Oberhaupt würde es sich selber vernichten. Ein weiser Mann muß an der Spitze stehn, der alle die schweifenden Kräfte in einen Mittelpunkt sammelt, die sonst unnütz an tausend mannichfaltigen Gegenständen zerschellen. — Ihr kennt Selims Weisheit, seinen Muth, seine Güte und Menschenliebe. Er betrete den verwaisten Thron, er werfe unser Elend in das unergründete Meer und wecke das Glück aus seinem Schlummer. — Wer andrer Meinung ist, der spreche!

Du thust mir Unrecht, rief Selim, als alle schwiegen; warlich Omar, deine Worte schmerzen mich tief. — Hat denn Ehrgeiz oder Herrschsucht meine Gedanken geleitet? Bin ich der einzige Edle in dieser Versammlung? — Ich widerspreche dir hier laut, ich widerspreche euch allen, wenn ihr ihm beistimmt. — Der Unbetrügliche sieht mein Herz, beim Grabe seines Propheten schwör' ich hier, — durch meinen Tod, ja durch meine Schande wollt' ich Euer Elend von mir kaufen, ungenannt sterben und vergessen werden. Ich selbst war bei diesem Entwurf mein letzter Gedanke. — Omar, wie konntest du dem weisen, tapfern, erfahrnen Abubeker vorübergehen? — Hier steht unser Herrscher! Er verdient das Diadem zu tragen, das Ali entweiht. —

Er warf sich vor dem Greise nieder und berührte mit der Stirn dreimal den Boden, alle übrigen folgten seinem Beispiel. Der erstaunte Abubeker war gerührt und konnte ihnen nur durch Thränen antworten.

Du bist unser, Abubeker, sprach Selim, freiwillig zu uns herübergetreten, von keinem äußern Zwange gedrückt. Der Edle muß aus eignem Willen handeln, und damit auch nicht der kleinste Schein von Eigennutz auf dich fiele, hab' ich dir noch eine Nachricht vorbehalten, die du itzt erfahren sollst. — Ali, nach deinen Schätzen begierig, hat das Ziel deines Lebens näher rücken wollen; Omar hat durch seine Weisheit diesen Anschlag vernichtet und dich uns gerettet.

Der Greis Abubeker drückte ihm schweigend die Hand. — Selim, sprach er dann, ich bin dir sehr viel schuldig, dir dank' ich meinen Reichthum, du wandest ihn aus den Händen ungerechter Feinde, du schütztest mein Leben gegen einen Räuber, dessen Säbel schon über meinen Schädel blinkte, — erinnerst du dich noch jener Tage, als wir uns ewige, unzerbrechliche Freundschaft schwuren. Wir haben unsern Eid gehalten und wollen ihn noch ferner halten. — Damals schwurst du feierlich in meine Hand, dein Sohn Abdallah sollte der Gatte meiner Tochter werden, ist es noch dein Wille?

Selim. Ich schwur und ich hätte keinen Willen mehr, wenn es nicht mein sehnlichster Wunsch, mein freudenvollster Gedanke wäre.

Abubeker. Mein Kind vermählt sich deinem Sohne.

Selim. Und wenn auch das Unglück uns verfolgt, auch wenn ich tausend Schätze besäße und du wärst eben so elend, wie ich einst war, — sie wird meine Tochter, — nimm dies Versprechen noch einmal vor dieser feierlichen Versammlung.

Abubeker. Eben dies verspreche ich dir, wackrer Selim. — Dein Sohn wird der meinige, — aber wo ist er? Meine Augen haben ihn schon vorher vermißt. Sollte er keinen Theil an diesem großen Schauspiel nehmen?

Omar trat hervor. — Der zarte gefühlvolle Jüngling, sprach er, taugt noch nicht für Männer Unternehmungen. Tausend zärtliche Besorgnisse für seinen Vater würden sein Innres zerreissen; sein Geist steht itzt noch in der Blüthe und kann noch keine Früchte treiben; diese Gedanken würden ihm Ruhe und Schlaf rauben und seine Hülfe würde uns unmerklich sein. — So tragen wir ihn schlummernd den steilen Fels hinan, auf dem ein Schwindel ihn wachend seiner Vernunft berauben würde. Wenn er oben steht, dann wecken wir ihn sanft und er wird uns unsre zärtliche Sorgfalt danken.

Alle stimmten ihm bei und man beschloß am folgenden Tage sich von neuem zu versammeln, um über die Mittel zur Ausführung ihres Entwurfs zu berathschlagen. Dann ging man froh auseinander und ein jeder nahm große Gedanken und schöne Entwürfe in seiner Brust verschlossen mit sich.

 


 

Sechstes Kapitel.

So untergruben Selim und Omar den Thron Ali's; unbefangen ging Abdallah neben allen Gefahren hin, die er nicht sahe, das Gewitter zog sich in schwarzen krausen Wolken über ihn zusammen, aber er hörte nicht den Sturm, der von allen Bergen her die Dämpfe zusammenjagte, unbesorgt ging er in seiner Unwissenheit dreist einher, wo er, in das Geheimniß der Verschwörung eingeweiht, sorgsam prüfend den Fuß auf die schwankende Brücke gesetzt hätte und zitternd sich umgesehn, ob nicht unter ihm die Pfeiler stürzten.

Der Sonnenschein hatte ihn aus seinem Hause gelockt, er wollte eben die Stadt verlassen, als ihm Raschid begegnete.

Sei mir willkommen Freund! rief ihm Abdallah entgegen.

Raschid war traurig wie gewöhnlich und erwiederte Abdallah's Gruß mit niedergeschlagenem Blicke.

Du bist traurig, sprach Abdallah, komm mit mir in die schöne Natur, der Frühling wird dich heitrer machen.

Itzt nicht, antwortete Raschid, nöthige Geschäfte rufen mich zu Ali; aber wenn die Sonne untergeht, dann erwarte mich auf der steinernen Bank, dem Pallast gegen über. — Er entfernte sich schnell und Abdallah ging durch die Thore der Stadt.

Der schönste Frühlingstag war aus dem Meer emporgestiegen, die Luft athmete lau, Düfte von tausend Blumen lagen auf den Schwingen des Westwindes, über die Berge war der glänzende Himmel wie ein blaues Zelt ausgespannt, unter welchem lichte Wolken in leichter Bewegung tanzten. — Itzt hatte er einen Hügel erstiegen, der die schönste Gegend übersahe. Ein Thal schmiegte sich zwischen waldbewachsnen Bergen, der Wald rauschte ernst und feierlich und durch sein zitterndes Grün blinkte ein Strom verstohlen hervor, der bald verschwand und dann wieder schön gekrümmt wie ein weiter See im Sonnenschein glänzte. Friedliche Hütten lagen traulich unter den Zweigen der Bäume, der Sonnenschein spielte in mannichfaltigen Strahlen auf das frische Grün des Rasens, das bald heller bald dunkler sich den Hügel hinuntergoß, Cedern standen feierlich schwarz auf den Bergen, die den Horizont begränzten. Alle Wesen, von der Fliege die im Sonnenschein summte bis zum Hirsch im Walde und dem Adler in den Wolken, waren froh und glücklich, von jedem Zweige des Waldes rauschte die Freude, in tausend Gesängen bunter Vögel zwitscherte sie in das Geräusch der Waldung.

Abdallah stand und betrachtete mit Entzücken die glanzumschlungne Gegend. O der schönen Welt! rief er endlich aus. Wie freundlich es aus dem Thale zu mir heraufweht! Wie göttlich diese Wonne mich, wie ihren Freund, umarmt! Alle meine Sorgen liegen unbedeutend weit hinter mir, alle meine Sinne thun sich dem wohlthätigen großen Gefühle auf. — Welch ein Feuer in meinem Busen lodert! Wie tausend flammende Empfindungen zum Herzen strömen! — O unglückseliges Gedächtniß! — Nur Tod brütete in dieser unendlichen Pracht? — Mein Geist nur ein leiserer Ton von dem, der im Walde rauscht? — Mit dieser funkensprühenden Begeistrung bin ich nichts mehr, als dieser Strauch? Und doch drängt sich alles so zu mir herauf, alles kniet vor mir und meinen Gefühlen nieder, in meinen Empfindungen schwimmt ein ätherischer Glanz, der von mir selbst Bewunderung erzwingt, ich schlage an die goldnen Saiten der Natur und verstehe den großen Klang, — ja, ich bin ein edler Wesen, als die todten stummen Massen, — hinweg mit dir du Weisheit, die mich verschmachten läßt, — du raubst mir den Genuß, und Genuß ist ja das erste und letzte Ziel dieses Erdenlebens.

Er lagerte sich am grünen Abhang des Hügels und schaute in die unendlichen Reize hinaus, die sich nach und nach dem aufmerksamen Auge unaufhörlich auseinander wickelten. — Eine heilige Ruhe schwebte mit leisem Fittig über die Gegend, hundert neue Schönheiten gossen sich aus, wenn sich der Schatten vor den Wald hin ausstreckte und die Berge höher hinanlief, über das weite Gefilde lagen Dunkel und Sonnenschein freundlich zusammen und wechselten und spielten durch einander. Ein gelber schräger Sonnenstrahl schimmerte gebrochen durch die fernen Cedern und erglühte durch die Zweige wie Flammenstreifen auf dem grünen Berg, die im Rauschen des Waldes funkelnd auf und nieder zuckten.

O! daß ich mich stürzen könnte in das Meer der unermeßnen Göttlichkeit! rief der wonnetrunkene Abdallah, — diese tausendfachen Schätze in meinen Busen saugen! Könnt' ich sie fesseln und ewig wach erhalten in meiner Brust diese göttlichen Gefühle, die itzt durch meine Seele zittern! Ach, daß der Gesang durch die Laute rauscht und nachher verstummt! — Ich höre das Pochen meines ungeduldigen Geistes: was ist diese unnennbare unausfüllbare Leere, die mich stets im Genusse so kalt und todt ergreift? Ein fremdes Streben ringt mit meiner Begeisterung und wirft sie nieder. Ich schwindle auf der Freude höchsten Gipfel und stürze in den Staub betäubt zurück. — Alle meine Gefühle drängen mich weiter hinaus zu einem unbekannten Etwas, zuweilen flattert unstät ein Schein durch die Dämmerung und wie eine holdselige Erinnerung winkt es mir zu, — aber er verlischt plötzlich und die ungestümen Wogen wälzen sich von neuem durcheinander.

Ein Abendwind bließ durch die Waldung, ein rother Duft schwebte um den Horizont, die ungewissen Widerscheine flossen nach und nach zusammen und ein Kranz von Gold, Purpur und Violet flocht sich rund um die Stirn des Himmels. Ein friedlicher Rauch stieg aus den Hütten und vermischte sich mit dem Nebel, der leise und langsam über die Fluren schritt und in tausend blendenden Sternen flimmerte, von einem Sonnenstrahl durchbrochen. Ein Schäfer zog mit seiner klingenden Heerde den Abhang herauf und seine einsame Flöte tönte sanft in das Thal hinab.

Abdallah ging mit seinen Träumen zur Stadt zurück, das Rauschen des Waldes hallte ihm noch immer wieder, in sein Ohr tönte noch die Flöte, die vom Berg herab ihm mit ihren Melodieen flüsternd gefolgt war.

Er setzte sich auf die steinerne Bank, dem Pallast des Sultan's gegenüber, in tausend verworrenen Gefühlen versunken. Die Leere der Stadt mit ihrem abendlichen Geräusch und der lärmenden Emsigkeit umgab ihn, die Kaufleute verschlossen ihre Thüren, der Handwerker verließ seine Läden, die Ausrufer gingen durch die Straßen, von den Moscheen ward die Stunde zum Gebet gerufen und durch das verwirrte bedeutungslose Getöse hallte ihm noch wehmüthig froh der Flötenklang, in das Bild der dämmernden Straßen schwamm noch ein Wiederschein von der reizenden Landschaft und bildete eine Gestalt, die ihn mit schwermüthigem Lächeln ansah. Das Getön einer Thür riß ihn aus seinen Träumen, er schlug die Augen auf und sahe — Zulma, des Sultans Tochter.

Schlank und mit majestätischer Anmuth trat sie herbei, um auf dem Altan die Blumen und jungen Citronenbäume zu begießen und auf einen Augenblick die Kühlung des Abends einzuathmen. Ihr dunkles Haar floß geringelt auf ihre Schultern, ihr schwarzes Auge brannte wie ein Stern durch die Wolkennacht. Um ihre zarten Lippen spielte eine süße Freundlichkeit und die Liebe selbst legte den Mund in das lieblichste Lächeln.

Weitgeöffnet starrte Abdallah's Auge zum Altan hinauf, er verschlang mit glühendem Blicke die reizende Gestalt und jede ihrer kleinsten Bewegungen, er glaubte ein Seeliger des Paradieses zu sein und in Zulma die schönste der Houris zu sehn, — unter ihm hätte ein Erdbeben unergründliche Schlünde reißen können — er hätte es nicht gefühlt, — hätten tausend Donner um ihn her gebrüllt, — er hätte sie nicht gehört, — alle seine Sinne waren todt, sein Geist war aus seinem Körper entflohen und brannte verzehrend in seinen Augen. — Zulma ging wieder zurück und Abdallah starrte noch immer zum Altan hinauf, er glaubte noch immer den Schimmer des weißen Arms durch die grünen zitternden Blätter zu sehn, zu sehn, wie die Rosen von ihrem Anhauch schöner glühten und von Zulma's Glanz die Lilien heller leuchteten.

Endlich erwachte er aus seiner Betäubung, so wie der Wandrer in der Nacht erwacht, der müde auf dem Felde einschlief und den ein Reisender mit einer Fackel weckt. Er steht auf und sieht ohne Besinnung umher, er kennt die Gegend und sich selber nicht, von allen seinen Erinnerungen abgerissen, taumelt er dumpf seine Straße fort, die Berge um ihn her wanken im Schein und die Gegend liegt dunkel wie ein Räthsel vor ihm. — Aus diesem Gewirre kehrte Abdallah endlich zurück, — er sah, er hörte wieder, seine zugeschloßnen Sinne thaten sich wieder auf, — aber er erkannte sich selbst nicht wieder. So wie er itzt sahe, hatte er noch nie gesehen, so hatte noch kein Klang sein Ohr getroffen: eine neue Sonne schien ihm entgegen, aus jedem Ton grüßten ihn holde Melodieen. Ihm war als stiege er aus einer finstern feuchten Gruft heut zuerst dem Licht entgegen, hundert Besorgnisse schüttelte er von sich ab, er fühlte sich frei, stark und groß, kühn zu jedem Unternehmen, ausdauernd für jede Arbeit, unerschrocken vor jeder Gefahr, feiner fühlend für Schönheit und Edelmuth. — Rothe Wolken schwammen durch den Himmel und glänzten vorüberfliegend an den hellen Fenstern, Schwalben zwitscherten um ihn her, alles war ihm theuer, alles war ihm neu und ein neugewonnener Freund. — Er ging über die Brücke des Flusses, der die Stadt durchströmte. Eine flammende Gluth brannte durch den Himmel, das Abendroth sank hinter den Fluß nieder und warf ein bleiches goldnes Netz nach dem Abendsterne, der seinem Glanze folgte, der Strom glühte in Purpur, vom Kuß des Himmels erröthend, in sanften Krümmungen schlich sich das erhabne Ufer neben den Strom hin und spiegelte sich in seiner Fluth, rosenrothe Wellen plätscherten an das grüne Gestade und lockten in der Ferne eine Heerde, die auf einem schmalen grünen Landstreif sich in den Strom drängte und aus den goldnen Wellen trank, eine Guitarre sprach in zärtlichen Tönen vom Fluß herüber, — Abdallah sahe in jeder Schönheit Zulma's Gestalt, die jeden Reiz erhöhte, er schwamm in einem Meer von Wonne, er stürzte sich und versank in die schönsten, erhabensten Gefühle.

Itzt sank der letzte goldne Streif des Abends nieder und aus Osten stiegen Schatten mit großen Schritten auf; er weinte und wußte nicht, warum eine Thräne sich so heiß aus seinem Auge drängte.

Sinnend ging er auf sein Zimmer, wiegende Wogen trugen ihn auf dem Bache der süßen Schwärmerei hinauf und hinab, ermüdet schlief er ein.

Die Zukunft strömte ihm hell und glänzend entgegen, wie ein Quell dem durstigen Wanderer, goldne Träume umfingen ihn und Zulma's Gestalt stand in den Träumen. — Er war so glücklich, daß er nie hätte erwachen mögen.

 


 

Siebentes Kapitel.

Die Traumbilder wickelten sich leise aus Abdallahs Armen und er erwachte. Zulma war sein erster Gedanke, der gestrige Abend stand vor ihm und seine Einbildung holte ihm jede seiner gestrigen Empfindungen zurück. Alles lag ahndungsvoll wie ein Traum vor seiner Seele, oder wie eine mondbeglänzte Gegend, er zweifelte an allen seinen Gefühlen, durch ihre ganze Harmonie wand sich sein Geist hindurch und suchte die Quelle, aus der dieser Strom seiner umgewandelten Empfindungen geflossen sei.

 

Ein früher Strahl des Morgens zitterte durch sein Fenster, er öffnete es und sahe sinnend in die schöne Gegend hinaus. Ein frischer, kühlender Hauch kam ihm entgegen, die Sonne schimmerte auf den Wellen des Flusses und brannte golden an den Fenstern der hundert Palläste umher, ein dünner Nebel sank in den Fluß zurück und durch den Himmel war ein purpurnes Meer ausgegossen. Durch jedes Wolkengebilde blickte Zulma's Gestalt hindurch, sie stand in den Sonnenstrahlen, die sich auf den Wellen brachen und lächelte ihm entgegen, in den Gebüschen am gegenüberliegenden Berge säuselte ihr Name, die ganze Natur umher war nur ein Wiederhall seiner Empfindungen. — Dürftig und ohne Reiz schien ihm alles, was er vor dieser Umwandlung gefühlt hatte, seine Phantasie war nun erst mündig geworden und verschmähte ihr voriges kindisches Spielwerk, seine erhabensten Gedanken reihten sich willig an das, vor dem er sonst kalt und ohne Empfindung vorübergegangen war, ein heiliges Entzücken flüsterte im Grase und spielte in der Gluth der Wolken, wie ein großes verschloßnes Buch hatte sich ihm die ganze Natur aufgeschlagen.

 

Raschid trat herein, als Abdallah sich noch seinen Schwärmereien überließ, er wollte seinem Freunde Vorwürfe machen, daß er sein Wort gebrochen und ihn am Abend nicht erwartet habe, dieser aber hörte nicht, was er sagte, sondern sprach mit seinen Träumen und wußte kaum, daß Raschid neben ihm stand. Dieser verließ ihn endlich voll Verdruß, als ihm Abdallah nur durch einzelne unzusammenhängende Töne antwortete.

Abdallah hatte sich und sein ganzes Wesen vergessen, er hing glühend an seinen Phantasieen und Omar und seine traurige Weisheit war von seinen neuen Gefühlen verschlungen. — Vordem hatte er mit Kindlichkeit die Tugend und sich geliebt, alle Räthsel, die vor ihm lagen, hatte ihm Niemand Räthsel genannt und er stand unbefangen vor ihnen; seit jenem Abend, an welchem Omar ihn in seine Weisheit eingeweiht hatte, schien ihm alles Glück der Einbildung erloschen, die schöne Hülle war von der Natur abgefallen und er sahe nur das nackte Gerippe; er hatte schon daran verzweifelt, daß ihn je wieder ein Strahl aus den glücklichen Tagen seiner Unwissenheit anfliegen könnte, — und itzt schmückte sich alles schöner als je, so zauberreich stand noch nie die Wirklichkeit vor ihm, so geläutert und rein hatte noch kein Gefühl in ihm geklungen.

Omar trat herein, aber Abdallah bemerkte ihn nicht. — Worüber denkst du? fragte ihn dieser. — Über nichts, fuhr Abdallah erschrocken auf und Omar entfernte sich wieder. Abdallah war so froh, als ihn sein geliebter Lehrer verließ, als wenn eine lästige Gesellschaft von ihm gegangen wäre; er überließ sich ungestört seinen Schwärmereien, wie jemand, der in einem schönen Traum erwacht und wieder einzuschlafen sucht. — Was ist dir, mein Abdallah, sprach Omar nach einiger Zeit, indem er von neuem hereintrat.

Abdallah schwieg. — Was hat dich so tiefsinnig gemacht? fragte ihn Omar mit freundschaftlicher Unruhe.

Omar! stammelte Abdallah, sieh die Natur, die unendliche, unbegränzte, sieh, wie tausend Schönheiten mich anlächeln und tausend schlafende Empfindungen in meinem Busen wecken. Sieh, wie die Herrliche ausgegossen von mir liegt, vom himmlischen Reiz umfangen. Wie des Morgens Gluth sich durch die Wolken schwingt, wie die blühende Erde sich lächelnd in die Arme des Himmels schließt, sieh, wie alles rund umher in dem lebendigen Glanze schwelgt, — o daß ich diese Göttlichkeit an mein Herz drücken könnte und mit Seligkeit gesättigt in den hohen allgemeinen Wohllaut zerfließen!

Es ist nicht das, sprach der ernste Omar, indem er Abdallahs Hand ergriff, du willst deinen alten Freund hintergehen und das solltest du nicht. Du warst mir noch nie verschlossen, noch nie vergaßest du über deine Empfindungen mich, noch nie brannte dein Auge so wie itzt, — noch nie suchtest du deinen Blick meinen Forschungen zu verbergen, — nein Abdallah, noch nie strebtest du deine Hand aus der Hand deines Freundes zu ziehn. —

Abdallah sahe nieder und schwieg; Omar hatte die geheimsten Geberden seines Geistes verstanden, er suchte daher beschämt seine Gesinnungen zu verbergen und dann war er wieder im Begriff, dem Freund mit seinen innigsten Gefühlen entgegen zu gehn. Sein Gesicht glühte, seine Blicke irrten ungewiß auf den Boden umher und suchten einen Gegenstand, der sie fesseln könnte. — Omar fuhr fort:

Hast du denn alles Vertrauen zu mir verloren? — Bin ich nicht mehr Omar, dein Freund? Warum willst du dich mir verbergen? Entdecke dich mir, unsre Seelen sind sich ja verschwistert, laß mich dein Glück oder Unglück mit genießen oder leiden; seit wann ist Abdallah so eigennützig geworden?

Er schwieg und Abdallah wollte sprechen, aber eine heiße Thräne stieg in sein Auge, ein großer Seufzer erstickte seine Worte, seine Hand zitterte in der Hand Omars, dieser ließ sie mit freundschaftlichem Unwillen fallen.

Ich habe mich geirrt, dies ist nicht mehr mein Abdallah, so stehen Omar und er nicht mit einander. — Gut, ich muß dein Vertrauen noch erst zu verdienen suchen. — Er wollte gehn. —

Nein, nein, Omar, rief ihm Abdallah heftig nach, bleib! o ich will ja zu dir sprechen. — Doch was soll ich dir sagen? Wie wirst du mich verstehn, da ich mich selbst nicht verstehe? — Es giebt keine Worte, keine Sprache, in der ich alles so lebendig, so lauter hingießen könnte, wie es hier in meinem Herzen strömt und lebt! — Könnt' ich dein Herz in das meinige legen, deinen Geist in den meinigen schmelzen, o dann, dann würdest du mir die Worte ersparen und mich ohne Sprache verstehn!

Omar. Seelen, die sich so vertraut sind, wie die unsrigen, legen in die Worte jene Empfindungen hinein, die keine Beschreibung ausfüllt, den geistigen Hauch, der sich in keinen Tönen festhalten läßt, — darum werd' ich dich verstehen.

Abdallah. Aber kann deine ernste Weisheit auch dem jungen Freunde verzeihen?

Omar. So sehr kann Abdallah nicht fehlen, daß für sein Vergehn keine Verzeihung sein sollte.

Abdallah. Ach nein, ich bedarf keiner Verzeihung, das sagt mir mein Herz, die Unbefangenheit, mit der ich den Blick in mein Innres werfe. Es ist kein Verbrechen, denn alles, die Natur, ich selbst, du mein Omar, alles ist mir unendlich theurer als vorher, das Lebende und Leblose ist meinem Herzen näher gerückt, ich fühle mich größer, edler, geistiger, — o mein Omar, laß dir alles in einem Wort' enträthseln: ich liebe!

Omar. Du liebst?

Abdallah. O du mochtest lächeln! Ach nein, es ist nicht das, nein, es ist nicht jenes Gefühl, das unsre Dichter so oft beschreiben, — kein Mensch hat noch je dieses hohe, heilige, unaussprechliche Wesen in seiner Brust beherbergt, Liebe ist es nicht, es ist das Gefühl der Seligen, mir allein seit Ewigkeiten aufbewahrt, mich aus dieser Welt hinauszureissen; eine allmächtige Woge hat mich auf die hohe gähe Spitze einer Klippe geschleudert, die Welle sinkt ins Meer zurück und ich stehe schwindelnd über Wolken, von allen Menschen die einst waren und sind auf ewig abgerissen, die Unendlichkeit um mich her, — die Gottheit hat heut mein Leben von neuem berührt und durch die leisesten Töne hindurch zittert der allmächtige Stoß. — Wer würde nicht dies Verbrechen mit mir theilen und welcher Freund mir nicht verzeihen?

Omar. Dir verzeihen, daß du liebst? Ist Liebe nicht der Zweck alles Erschaffenen, das, was uns die öde Welt in einen Garten umwandelt?

Abdallah. Du sprichst zu meiner Seele, wie ein Vater zu seinem kranken Kinde; ja, es ist die schönste Vollendung des Menschen, ich fühl' es, Liebe ist die einzige Tugend; nimm mir alle, laß mir nur diese übrig und ich werde sie nicht vermissen.

Omar. Sie bleibe dir ewig. Verdient aber auch deine Geliebte, — nenne mir ihren Namen.

Abdallah. Omar, du bist ein Gotteslästerer! — Setze das Paradies auf die eine und Zulma auf die andre Seite, und ich werde Zulma ohne Bedenken wählen. — Ich sahe sie gestern und seitdem sehe ich nichts, als sie, — mir war's, als fiele ein lächelnder Blick ihres holden Angesichts auf mich herab, — o wär' es Wahrheit, ich wollte mein Leben gegen noch einen dieser Himmelsblicke tauschen!

Omar. Zulma? — Ali's, des Sultan's Ali's Tochter?

Abdallah schwieg, dann fuhr er langsamer fort: Ach Omar, warum hast du die freundliche Binde von meinen Augen genommen? Ich war so glücklich, als ich nicht daran dachte, warum gönntest du mir nicht diesen lieblichen Betrug?

Omar. Wo willst du Adlersfittige hernehmen, dich zu dieser Sonne empor zu schwingen?

Abdallah. O die Liebe, die Allmächtige wird sie mir reichen! — Der Verzagte verliert ewig, dem Kühnen geht das Glück selbst entgegen.

Omar. Du stehst vor einem Abgrund, der sich zwischen zwei Felsen reißt, ein dichter Nebel liegt wie Land dazwischen und du trittst mit vertrauendem Fuß in die Luft, aber du wirst in die Tiefe stürzen.

Abdallah. Ach Omar, ich habe dir mein Geheimniß entdeckt, kannst du nichts, als es tadeln, hast du keinen mitleidigen Trost, keinen Rath für mich?

Omar. Und wenn ich ihn hätte?

Abdallah. O dann wollt' ich vor dir knien und dich meinen Erschaffer nennen. — Nur Hoffnung und ich bin nicht ganz elend!

Omar. Nicht elend? Wenn aber tausend Gefahren —

Abdallah. Die Unmöglichkeit soll unter das Joch den ehernen Nacken beugen, Gefahren will ich wie Blumen brechen und sie Zulma entgegentragen, ich will durch wilde Ströme schwimmen, über Abgründe springen, durch hundert Schauder unerschrocken gehen, mich durch Klüfte drängen, durch die kein Leben wandelt, wenn sie nur am Ziel der schreckenvollen Wanderung steht. — O sprich! nur ein Strahl, der mir aus der Ferne leuchtet und ich will ihm mit Adlersflug entgegenfliegen!

Abdallah! rief Omar aus, sein Gesicht war feierlich ernst, seine Augen durchschauten wild den Jüngling, — heut in der Nacht will ich dich wieder sprechen. Dann ging er und Abdallah sah' ihm staunend nach.

Unglücklicher! rief er aus, — wo sind nun alle deine hohen, himmlischen Schwärmereien? Sie sind vor einem Worte wie Nebel niedergesunken, und eine kahle Felsenwand steht vor dir, wo erst ein goldner Duft im tausendfachen Schimmer spielte. — Welche Kette hängt an dem Worte Ali, die mich so gewaltsam von Zulma zurückreißt? Lieg' ich in den Staub gebunden und glänzt sie ewig unerreichbar wie ein Sirius über mir? — Nein, ich will eine Leiter bis in den Himmel legen, ohne sie giebt es kein Glück, kein Leben für mich, bei diesem Spiele kann ich nur gewinnen.

Er schwieg und sein Blick senkte sich, als wenn ihn ein Gedanke plötzlich überraschte.

Nur gewinnen? fuhr er dann langsam und traurig fort. — Und mit deines Vaters Fluch, Elender, verlierst du nichts? — O eine schwarze Ahndung breitet sich über meine Seele aus. Mit diesem Tage nimmt vielleicht das Elend meines Lebens seinen Anfang, ich stehe hier vielleicht am Scheidewege, wo ich in einen dunkeln, unendlichen Wald hineingehe und die freie helle Flur auf immer verlasse. — Mein Vater selbst tritt mir in den Weg und hält mich an, mein Vater liebt mich, um mich elend zu machen. — Alle meine Hoffnungen stürzen von diesem Fels zurück und hinter mir stehn schwarze Klippen furchtbar aufgepackt, und versperren mir den Rückweg. — Omar, leite deinen Freund aus dieser Irre! —

Er überließ sich seinen Gedanken, die bald den vorigen Schwärmereien weichen mußten, bald wieder kalt und verweisend ihre Stelle einnahmen. — So träumte und dachte er bis zum Abend.

 


 

Achtes Kapitel.

Schwarz lag die Nacht auf dem Gefilde, als Omar und Abdallah die Stadt verließen.

Wolken gossen sich gedrängt und düster von den Bergen herab, in hohen unendlichen Gebirgen aufgewälzt, wie eine dicke gewölbte Mauer hing der schwarze Himmel mit seinen wankenden Riesenschatten über ihnen, kein Stern sah durch die Hülle, kein Strahl des Mondes zitterte durch die Wolkenwildniß: ein Regen rauschte in den nahen Bäumen, durch den fernen Wald wandelte der Sturm dumpf murrend, die Wächter riefen aus der Stadt die Stunden der Nacht, die Natur schwieg mit feierlichem Ernst und ein heimliches Grauen stieg von den finstern Bergen. — Beide gingen schweigend und in tiefen Gedanken versunken. — Nach einer langen Stille begann Omar:

Sieh Abdallah, wie der hohe Himmel mit seinen unabsehbaren Finsternissen über uns schwebt, wir treten wie in eine unendliche Wüste hinaus. Wie fürchterlich verlieren wir uns in diesem Wogensturm, der sich schwarz um uns her wälzt, — sieh, wie es durch einander wogt und flieht und sich zerrissen jagt! — Kaum ist ein ferner Schimmer des Mondes sichtbar, der unaufhörlich mit der Finsterniß kämpft, der Regen fällt in schweren Tropfen auf die Flur und der Sturmwind heult durch den dichten Wald, wie ein verlornes Kind, das in der Irre winselt.

Abdallah schloß sich fester an den Arm seines Freundes, — Omar, sprach er mit beklemmter Stimme, — o diese Nacht ist das Bild eines unglücklichen Lebens! So schwebt der Elende am Finger der Allmacht in die Nacht des Jammers verlassen hinausgehalten, von keinem Lichtstrahl erquickt. — Horch! wie sich der Strom in wunderbaren Tönen an dem Ufer bricht! Wie verworren alles vor uns liegt, — Omar, diese Nacht ist fürchterlich!

Omar. Fürchterlich?

Abdallah. Noch nie hab' ich mich so einsam in der Natur gefühlt, so einsam unter tausend Schaudern und fremden Gefühlen, so losgespühlt wie ein Sandkorn und an ein fremdes Gestade angeworfen. Dies wunderbare Gefühl der Einsamkeit, Omar, macht mich schaudern.

Omar. Mich begeistert diese Einsamkeit zu hohen Gedanken und Träumen; so in der stillen Nacht umherzugehn, so den Flug der Wolken zu sehn, das einsame wimmernde Plätschern des Ufers zu hören, — o dann ist mir, als stiege ich tief in eine Grube hinab, wo ich nur noch in einer weiten Ferne unvernehmlich ein loses Wehen dieser Welt verstände, dann ist mir oft, als könnt' ich den ewigen Weltgeist durch die Glieder seiner Weltordnung stillschaffend wandeln hören, als könnte mein entkörperter Blick durch das große Gebäude dringen und die hohe Ordnung verstehn. — Ja, Abdallah, eine solche Nacht winkt der Schwärmerei, hier wohnen tausend kühne Gedanken, die vor dem kalten ernsten Tageslicht zurückzittern, hier tritt unsre ungestammte Furcht wieder in ihre Rechte, hier machen uns dieselben Gedanken erblassen, die wir frech im Sonnenschein verlachen; der Spötter sinkt nieder und ruft: Gnade! der Zweifler greift geängstigt nach seinen Zweifeln und dem Weisen verstummt das dumpfe verworrne Getöse der Zeitlichkeit, er vernimmt den Gang der ewigen Naturgesetze, die Kleidung fällt von der Endlichkeit ab und er sieht mit anbetendem Schauder die unendlichen Kräfte durch einander weben und die Räder im ewigen Schwung sich drehen.

Abdallah. Sieh, wie hier verloren ein Glühwurm mit mattem Fluge summt und sich in das feuchte Gras setzt, so einsam und traurig wie die verarmte Wittwe, die im engen Gemach bei der kleinen Lampe weinend betet und sie nicht auslöschen will, um mit dem Strahl nicht auch das Bild eines Freundes zu verlieren. — Ach Omar, dieser kleine Wurm verliert sich so armselig unsern Blicken, das aufkeimende Gras ist ihm ein Wald, unser Auge muß ihn ängstlich wiedersuchen, — und wie verlieren wir uns in diesem mitternächtlichen Gefilde, und diese unbegränzte Flur wird auf der Erde kaum bemerkt. —

Omar. Und wie versinkt diese Erde in der Unermeßlichkeit der Welt? — Abdallah, unser kühnster Schwung fällt lahm von dem Gedanken zurück, — diese Welt, — o vielleicht, daß für Wesen jenseit unsrer Gedanken dieser Mond und diese Sterne nur Feuerwürmer sind, die der Erde wie einem Grashalm einen grünen vorüberscheidenden Lichtstrahl zuwerfen, — und die höchsten Gedankenschwünge dieser Wesen schlagen gewiß noch nicht an die Gränze des Weltalls. Die Unendlichkeit wirbelt sich noch immer höher und höher, Millionen Arme streckt sie durch die ernste Ewigkeit und in jeder Hand hält sie tausend Welten.

Abdallah. Der Gedanke stürzt unter dieser Gewalt zusammen. Wo die Orionen und die Macht der Sterne wie Nebelblasen schwinden, o was bin ich da und dieser Verstand, der diese Wunder fassen will?

Omar. Ja, Abdallah, der Donner kann sich nicht durch die schwachen Saiten der Laute wälzen, sie brechen unter seiner Last. Je eilender wir diesem Gedanken folgen, je weiter flieht er von uns hinweg und um so lauter spottet ein höhnendes Gelächter unsrer Schwachheit.

Abdallah. Eine fremde Hand streckt sich uns entgegen, aber wir verstehen ihr Winken nicht.

Omar. Die Gottheit zieht an die große Kette des Lebens und vom Elephanten bis zum Wurm, den unser Auge kaum bemerkt, zittern alle ihre Glieder, ein Faden, der alle diese Perlen schüttelt. — Du wirst Gewürme gesehen haben, Abdallah, die nur wenige Stunden leben, die sich freuen und ihr armseliges Geschlecht nicht untergehen lassen, — für uns sind sie nur Wesen eines Augenblicks, — auf uns lächeln vielleicht eben so mitleidig andre Geschaffene herab, denen unser Dasein nur ein Athemzug scheint; ihr Leben scheint höhern Wesen nur ein Tropfen Thau's, den der erste Sonnenstrahl aufküßt, und diese verwehen doch nur wie ein Staub in der Ewigkeit.

Abdallah. Das Leben ist nur eine Wasserblase, die sich aus der Fluth emportaucht und im Auftauchen zerspringt.

Omar. Darum sagte jener große Sänger: »Jahrtausende sind vor dir nur wie ein Augenblick.« — Und doch kriechen die nichtigen Gewürme auf der Erde umher und nennen sich dem Ewigen ähnlich, und brüsten sich mit Weisheit und tiefen Forschungen, und verachten den, der nicht ihre Weisheit kennt, — o Abdallah, dies ist ein Anblick, der den Unbefangenen zur Verzweiflung bringen könnte. — Eine alberne Mummerei, wo ein jeder nur darauf sinnt, seine Larve nicht Lügen zu strafen, — wenn wir sie nach Hause begleiten und die Larve abnehmen sehn — so sind sie nichts als Knochen und verächtliche Verwesung. — Ha! sie wollen den Ewigen fassen und sind sich selber unbegreiflich, und brandmarken alles Lüge, und verlachen alles, was in ihren engen Sinn nicht geht.

Abdallah. Verachtung sei ihre Strafe!

Omar. Ihr Verstand, eine Sammlung Staub, der wieder in Staub zerfällt, der nichts als Staub ist, in eine unkenntliche Form gemodelt, der aus Würmern ward und wieder zu Würmern wird, — o des Erbarmens! mit diesem verläugnen sie den Finger, der seinen Namen in die Unendlichkeit hineinschreibt.

Abdallah. O sie sollten verehrend niederknien, blinde Anbetung des Ewigen sollte ihre Weisheit sein.

Omar. Die Welten sollen in ihrem Gehirn ihren Lauf vollenden und sie können die Lebenskraft der Schnecke nicht begreifen, ihre armselige Erfahrung stempeln sie Gesetze der Natur; daß die Sonne auf- und untergeht, hat ihrem dumpfen Sinn die Gewohnheit begreiflich gemacht, aber daß sie einst stille stände, oder an den Gestirnen zertrümmerte, — dagegen sträubt sich ihr Glaube und die Welt nennt sie Weise.

Abdallah. Der blöden Thoren!

Omar. Wir stehn unter unendlichen Räthseln, nur die Gewohnheit hat sie uns weniger fremd gemacht; vom Baum bis zum Grase, vom Elephanten bis zur Mücke, wer sind diese Fremdlinge, die an uns vorüber gehn? O könnten wir an diese Wunder allmächtig schlagen und Antwort fordern; — aber es ist nur der Ton unsers Arms, der durch den Felsen dröhnt, — sie ziehn vorüber und bleiben stumm. — Wir selbst sind uns eben so unbegreiflich, als der Geist, der auf Mondstrahlen niederschwebend durch die Wolken flattert und Wälder mit einem Hauch ausrottet.

Abdallah. O könnte der richtende Mensch von allen Wesen Rechenschaft fordern!

Omar. Empfandest du nie, Abdallah, daß wenn dein Verstand durch tausend Stufen auf der höchsten schmalen Spitze schwindelnd taumelte, — daß er dann wieder zur thierischen Dumpfheit, zur Unbehülflichkeit des Steins herabstürzte?

Abdallah. Oft Omar. Dann liegt die Menschheit am verächtlichsten vor mir, wenn wir endlich gegen unsre Schwäche kämpfend im Begriff sind ringend den Preis zu gewinnen, und ohnmächtig hinsinken, und nichts als verworrene Gefühle davon tragen, dunkler und körperlicher als die unmittelbarsten, die todte Gegenstände um uns unsern Sinnen reichen. — O es sind Augenblicke, wo ich mein Wesen mit dem Wesen der Schwalbe austauschen möchte!

Omar. Auf dieser gähen Spitze gelingt es zuweilen dem Forscher, diesen fliegenden Augenblick zu fesseln. Dann weht es ihn wie mit reineren Lüften an, dann sieht er, wie durch einen dicken Vorhang, ein Licht über die nächtliche Haide wandeln; dies ist der fürchterliche Augenblick, wo der Verstand zwischen höherer Weisheit und Wahnsinn ungewiß hängt, ein Windstoß von hier oder dorther jagt ihn auf ewig auf die eine oder auf die andre Seite. — Dem Weisen fallen dann der Wesen vorgehaltne Bilder nieder, er erkennt was ist, ihm antworten die Wunder umher, sein Blick gräbt bis auf den Mittelpunkt der Erde. — Verstehst du mich, Abdallah?

Abdallah. Ich folge deinem Geiste.

Omar. Diesen ist dann die Binde von den Augen genommen, der Verblendete nennt sie Thoren, die Welt bewundert oder verachtet sie dumm, doch ihre Weisheit ist ihnen genug, der Gesunde bedarf keiner Krücken. Sie ergreifen die großen Zügel der Natur und lenken sie nach ihrer Willkühr, sie rufen Geister aus dem Abgrund, sie lassen die Jahreszeiten wandeln, das Meer sinken und anschwellen, sie fassen ein Glied von der großen Kette des Schicksals und lassen sie bis tief hinunter wanken. — Die Weisen der Welt sehn mit Verachtung auf sie herab und der Weisere klagt sie nicht ihrer Blindheit wegen an, er greift dreist an die Handhabe der Natur, er hat die verborgenen aber einfachen Gesetze gesehn und er ist Herr der Welt, durch Zuversicht hat er die Herrschaft gewonnen, nichts kann sie ihm entreissen; daher sagte ein weiser Prophet mit tiefem Sinn zu seinen Schülern: Glaubet, und ihr werdet Berge versetzen! und sie glaubten und die Natur gehorchte ihnen.

Abdallah stand in tiefen Gedanken und Omar fragte ihn leise: Liebst du Zulma noch?

Abdallah fuhr auf. — Zulma? — Du hast alles um mich her ausgelöscht, Omar, aber in tiefer Ferne winkt mir aus der dicken Nacht noch ein freundlicher Funke, — ja, Omar, ich liebe sie, ich werde sie ewig lieben. — Ich stoße die Verächtlichkeit der Welt auf die Seite, ich gehe unwissend ihren Räthseln vorüber, — diese Weisheit ist nicht für ein sterbliches Gehirn, — meine Weisheit sei Genuß, mögen Wunder und Furchtbarkeiten um mich spielen, ich verhülle mich an ihrem Busen und sehe sie nicht.

Omar. Wenn dich aber nur dies Reich der Geister glücklich machen kann?

Abdallah. Ich gehe freudig jeden Weg, der mich zu dieser Krone führt.

Omar. Fühlst du dich stark genug für die furchtbare, zermalmende Vertraulichkeit?

Abdallah. O ich will zentnerschwere Bürden mit allen ihren haarsträubenden Schaudern, mit allem kalten Grausen auf meinen Rücken nehmen, — denn Zulma steht vor mir und lächelt und sie drücken mich nicht.

Omar ergriff schweigend die Hand des Jünglings. — Abdallah! rief er laut, Abdallah! so erfahre, was du nie erfahren solltest und laß es tief in deinem Innern widerhallen, Omar ist mehr als dein Freund, mir sind die Gesetze der Welt unterthänig!

Abdallah fuhr zurück und riß seine Hand aus der Hand Omars. — Wie? — Omar? — Ha! wie eine eiskalte Hand mich fürchterlich von dir hinwegreißt! Omar, dieser bekannte Omar mehr als Mensch? — Er tausend Stufen höher als ich — und doch derselbe, mit dem der Knabe Abdallah spielte? — O fürchterlich! fürchterlich!

Omar. So jämmerlich sinkst du unter diesem Grausen zusammen und sollst es nur bis zu deiner Zulma tragen?

Abdallah. Nein, Omar, ich sinke nicht. — So sei denn mehr als Mensch, laß die mächtigen Riegel der Zukunft aufspringen, und die Welt sich unter deinen Sprüchen krümmen, laß alle deine Kraft meinen Wünschen nachfliegen und aus meinen Träumen Wirklichkeit schaffen.

Es sei, sprach Omar langsam und ernst. — Sie waren in ein kleines Felsenthal gekommen, in dem sich ein Wasserfall schäumend von einem Hügel goß. — Wo sind wir? rief Abdallah aus, — diese Gegend sah ich noch nie. — Omar schlug mit seinem Stab dreimal auf den Boden und ein dumpfes Dröhnen und Pochen unter der Erde antwortete ihm. Man ruft dich, sprach Omar und zugleich riß sich eine schwarze Kluft klingend in den Boden. — Omar faßte die bebende kalte Hand Abdallah's. — Hier steige hinab und gehe im geraden Wege, so weit du gehen kannst, dort wird sich dir die Zukunft enthüllen.

Abdallah setzte langsam den Fuß hinein und sahe seinen Lehrer zweifelhaft an; Eulen heulten ihm aus der Kluft entgegen, aus tiefer Ferne rief der Wächter in der Stadt die Mitternachtstunde, — Omar ließ die Hand Abdallah's fahren und dieser taumelte hinab. — Die Erde verschloß sich wieder.

Die Wolken entflohen und der Mond und die Sterne sahen durch das blaue Gewölbe, zuweilen noch rauschten die Bäume und schüttelten rasselnd den Regen von den Blättern, Omar stand sinnend an eine Felsenwand gelehnt.

Ein fernes Winseln zitterte unter der Erde, Omar schlug auf den Boden — und Abdallah trat bleich, mit verzerrten Zügen und starren Augen wie ein Gespenst aus der Grube, seine Knie zitterten. — Er stürzte wüthend nieder und betete mit einer Inbrunst, die der Raserei ähnlich war.

 


 

Neuntes Kapitel.

Abdallah hatte geendigt und stand langsam auf. — Ha! rief er fürchterlich, welch ein bleiches Feuer schlägt über mir zusammen und nagt an meinen Gebeinen? — Warum sieht das richtende Schicksal aus tausend glühenden Augen so fürchterlich auf mich herab?

Abdallah, sprach Omar und ging ihm näher, Abdallah, der Mondschein umgiebt dich und die Sterne flimmern über dir.

Der Mondschein? Die Sterne? O sie sind auf ewig untergegangen! — Sie werden mich nicht wieder grüßen, — dann ging Abdallah zu Omar, und sagte zu ihm leise und langsam: Omar! bewahre mich vor Wahnsinn!

Was hast du gesehen? fragte ihn Omar.

Abdallah stand in Gedanken und schwieg, bis sich das wilde Keuchen seiner Brust etwas besänftigt hatte, dann sprach er:

Ich stieg in die Kluft hinab wie ein Träumender, der laute Donner der zusammenspringenden Felsen weckte mich aus meinem Taumel. — Ich tappte unendliche kalte, feuchte Wände hinab, eine fürchterliche Stille ging vor mir her, ich hörte in der entsetzlichsten Einsamkeit nichts als das Wehen meines Athems, der sich die Mauer hinabschleifte und das Dröhnen meiner Tritte. — Meine Zähne klapperten vor kaltem Schauder, und ein Grausen setzte mir die Hände in den Rücken und trieb mich weiter. — Plötzlich kam es mir wie ein Heereszug entgegen, mit Trommeten und Paukenwirbeln, wie einem Sieger, der in seiner Heimath empfangen wird. — Donner wälzten sich durch die hallenden Gewölbe, Waldströme stürzten sich rauschend herab, und ein Hohngelächter borst mir von allen Seiten entgegen. O es war ein Gewirre, das jeden meiner Sinne betäubte und zu neuen Schrecknissen wieder weckte. — Oft schwieg es und wie Flöten und Nachtigallengesänge flüsterte es über mir und weckte hämisch die Erinnerung meiner Kinderjahre in meinem innersten Herzen, — und plötzlich brachen dann wieder die Donner und Siegestöne hervor, und das Hohngelächter schallte von neuem und jagte meine Seele zur Verzweiflung. —

Itzt versank und erlosch alles wieder rund umher und die Einsamkeit und Stille streckten sich wieder vor mir aus, tausend Schrecken flogen um mich herum und saußten mit kaltem Fittig um mein Haupt. — Eine nasse Felsenwand stand vor mir, — ich tappe zur Seite — unerbittlich streckt sich mir ein Fels entgegen, — ich stürze rückwärts, — auch dort der Weg durch eine Klippe verriegelt.

Ich warf mich nieder, ich zerfleischte mein Gesicht, mein Gebrüll sprang fürchterlich von den Felsen zurück, ich verfluchte mich und dich und betete von neuem in noch gräßlichern Verwünschungen. — Plötzlich wehte es wie ein Wind über mir hin, es flüsterte und zischte und aus dem Felsen leuchteten sanfte Schimmer. — In mannichfaltigen Verschränkungen webten und flutheten sie in tausend Farben zusammen, die Strahlen schossen hin und her und leckten die Felsenmauer und rollten sich dann in eine große Flamme. Aus der Flamme streckte sich langsam ein weißgebleichtes Todtengebein hervor und steckte kalt und klappernd an meinen Finger einen Ring, dann ging die Hand wieder in den Schein zurück. — Itzt fuhr das Feuer wüthend auf und ab und ein heller Sonnenschein sprang plötzlich aufrecht und stieß mit dem Haupte an die Felsendecke, und itzt sah' ich — o wären meine Augen ewig verblindet! — Hätte vor dieser Stunde mich der Todesengel mit seinem Schwert geschlagen, — ich sahe, — o verflucht, dreimal verflucht sei die Stunde meiner Geburt! — den Leichnam meines Vaters, fürchterlich geschwollen und mit entstellten Zügen und die scheußliche Hand reckte sich noch einmal hervor und zeigte auf ihn hin. —

Der Schein versank, die Felsen sprangen krachend auseinander und das schauderhafte Getön kömmt mir wieder schneidend entgegen, wie ein Heer von bösen Engeln, die in gräßlicher wüthender Schadenfreude mit den Höllenpauken die Verdammten begrüßen, — das Hohngelächter trat mir wieder frech entgegen, ach! und hinter mir schleppte sich das fürchterliche Bild meines gemordeten Vaters, als wenn es die Hand ausstreckte, mich festzuhalten, — ich flohe mit kalten Schweißtropfen auf der Stirn, bis mir endlich das verworrene Getöse nur wie aus tiefer ungewisser Ferne nachtönte. — Ich ging durch hundert Gewölbe, ich drängte mich durch unendliche Klüfte, wand mich durch tausend Felsenspalten kalt und ohne Leben hindurch, — und immer weiter dehnte sich mein Weg, ich schrie um Hülfe, mein Geschrei erklang durch hundert gewundene Öffnungen und verhallte wie der Wind in der Ferne, — ich stürzte durch neue Felsengemächer und alle meine Klagen kamen ohne Trost zu mir zurück. — Schon verließen mich meine Kräfte, schon wollt' ich mich verzweifelnd niederwerfen und lebendig eingegraben ein Dasein enden, das mir nur Qualen verhieß, — als ein mächtiger Donner die Erde über mir auseinander riß. — Dem gräßlichsten aller Tode entronnen stürzte ich der Rettung und dem Lichte entgegen und dankte.

Abdallah schwieg und ein neuer Schauder ergriff ihn. — Omar! Omar! schrie er plötzlich auf. — Sieh! sieh! da liegt das bleiche, fürchterlich verzerrte Bild und sieht mich mit den todten Augen an, — o warum hast du es nicht in die Kluft zurückgeschleudert, und sie dann auf ewig, auf ewig verschlossen!

Omar antwortete nicht und sah ihn wehmüthig an. — Abdallah stand lange und starrte auf einen Punkt, dann fragte er ohne sich umzusehen: — Nur meines Vaters Tod kann mich glücklich machen?

Das Schicksal hat es ausgesprochen, das fürchterliche Wort, antwortete Omar.

Beide gingen langsam und schweigend zur Stadt zurück.

 


 

Zehntes Kapitel.

Abdallah erwachte nur erst spät, fürchterliche Träume hatten ihn gequält und seine Kräfte erschöpft, er fuhr schreiend aus dem Schlafe auf und seine Augen suchten Omar, aber vergeblich, denn dieser hatte schon früh sein Gemach verlassen.

Er stand auf und brütete mit finstrer Seele über sein Unglück, er suchte umsonst nach tröstenden Gedanken. — Wenn er an Zulma dachte, so stellte sich ihm der Fluch seines Vaters und das gräßliche unterirdische Bild entgegen, der Freund Omar war ihm entrissen und dafür ein fremdartiges übermenschliches Wesen untergeschoben, in sich selber konnte er nicht zurückfliehn, denn aus seinem Innern heulten ihm tausend Ungeheuer entgegen, eine trostlose Lehre hatte ihm die Vorsehung und Tugend genommen und dunkle Zauberdämonen grinzten ihn in seiner schwarzen Wüste an; alles, was ihm je theuer gewesen, war ihm gestohlen, seine Begeisterung, die einst für das Große und Edle so rein gebrannt hatte, war von schwarzen Dämpfen erstickt, in denen Schreckengebilde auf- und niedertanzten. Für eine Freundesseele, der er sich hätte aufschließen können, hätte er die Hälfte seines Lebens dahingegeben; hundertmal stieg der Gedanke in ihm auf, seinen Jammer in den Busen seines Vaters zu schütten und seinem hohen eingebildeten Glück zu entsagen, in einer beschränkten Zufriedenheit zu leben, und seine goldnen Träume zu verabschieden, aber dann fühlte er wieder lebhaft, daß er die Ketten, die Omar und Zulma ihm angelegt hatten, nie wieder von sich abschütteln könnte, sein Elend hatte ihn so fest verstrickt, daß seine Lebenszeit zu kurz schien, die verwickelten Fäden auseinander zu lösen. Der Strudel hatte ihn ergriffen, er konnte nicht rückwärts, sondern mußte sich den Wogen überlassen, die ihn dürren Felsenmauern vorüberwälzten, Zulma war die einzige Blume, die in der starren Wildniß ihn mit ihren lieblichen Farben erquickte.

»O ich sehe den grausen Finger, sprach er, der mich in das Thal des Jammers ernst hineinwinkt, unerbittlich jagt das Verhängniß hinter mir her, nur das todte Opfer kann es versöhnen, der Abgrund gähnt bereitwillig unter mir und hinter mir steht das Schicksal und läßt mich nicht entrinnen, ich sträube mich vergebens, mein Wille ist zu schwach, ich muß hinunter. In der Sterblichkeit ist keine Rettung und Gott — o dieser Grundstein ist versunken, alles ist eingestürzt und die wüsten Trümmern rufen mir wehmüthig zu: es war!«

Erst mit der Dämmerung kam Omar zurück. Er fand Abdallah in Gedanken versunken und den Ring betrachtend, den er in der Nacht aus der unterirdischen Grube gebracht hatte. Omar setzte sich neben ihn und Abdallah sah ihn mit starren Augen aufmerksam an und sagte: Omar, — ja ich erkenne noch jene Züge, die einst meinem Freunde zugehörten. — Er konnte sich nicht länger zurückhalten, er fiel ihm lautweinend in die Arme, — ja Omar, rief er aus, — es war eine schöne Zeit!

Omar umarmte ihn feurig; Abdallah, sagte er, du sprichst von ihr, als wäre sie nicht mehr. Ich war und bin dein Freund, wandre durch das weite Asien und du wirst vergeblich ein Wesen suchen, das dich inniger liebte als ich. —

Abdallah machte sich aus seinen Armen los. O gieb mir zurück, Omar, was du mir genommen hast, sagte er mit klagender Stimme, als ich mit kindlichem, leichtem Herzen noch durch das Leben ging. Mit frohen Ahndungen ging ich der verschloßnen Welt vorüber, du hast sie mir aufgethan und verächtlich liegt die häusliche Armseligkeit der innern Natur vor mir. Die Brücke ist hinter mir eingestürzt, ich kann nicht wieder rückwärts. Mit sicherm Fuße stand ich einst auf diesem Ufer, der Triebsand schießt unter mir zusammen und versenkt mich in den Abgrund.

Omar. Deines Omars Liebe wirft dir einen Balken zu, ergreife ihn und rette dich.

Abdallah. Als ich noch auf deinen Knien ruhte, mit deinem Barte spielte, und mich in deinen Augen lächelnd sah, — o wie glücklich war ich damals! Rufe jene Jahre zurück, Omar, und ich gebe dir freudig alles wieder, was ich von dir empfangen habe. Gieb mir die Liebe zurück, mit der ich dich damals liebte, da gehörtest du mir, ich dir. — Omar, ich liebe dich noch, aber ein geheimes Grausen hält Wache um dich her und läßt meine Liebe nicht in das Innerste deines Herzens dringen. — Du stehst mir verloren in den Wolken und ich seufze zu dir hinauf, der Mensch kann nur den Menschen lieben, dem Gotte gebührt Anbetung.

Omar. Das soll nicht sein, Abdallah. Ich bin derselbe Freund, der ich war, bleibe auch du derselbe.

Abdallah. Ich? — O von dem Abdallah ist nichts mehr als der Name da, alles übrige gehört den bösen Geistern.

Omar. Ermanne dich Abdallah, und vergiß die Begebenheiten dieser Nacht.

Abdallah. Vergessen? — Er zeigte auf den magischen Ring, — o sieh den ernsten unermüdlichen Mahner, nein, ich werde sie nicht vergessen.

Er betrachtete den schwarzen Ring, auf dem wunderbare magische Charaktere eingegraben waren. — Sieh, Omar! rief er aus, — hier steht in unverständlichen Zeichen mein Unglück geschrieben, dies ist der Pfandbrief meines Elends, meines Vaters gräßliches Todesurtheil, der schwarze Gränzstein meines Lebens; — wie eine Blutschuld hängt dieser Ring an meinem Finger.

Omar. Nimm Abschied von mir, Abdallah, denn ich werde dich heut noch verlassen. — Du fährst zurück? Nicht auf lange, nur auf wenige Tage. — Nur höre meine Bitte: liebe mich stets, laß keine Verläumder sich zwischen unsre Freundschaft drängen, ich bin dein auf ewig, dein Glück ist der Endzweck meines Lebens. Laß keinen Wurm der Lästerung sich auf die Blume unsrer Liebe setzen und sie vergiften. — Versprichst du mir das?

Abdallah. Ja. — Aber warum reisest du? — Und warum gerade itzt?

Davon ein andermal, sagte Omar, und umarmte ihn. Abdallah hielt ihn ängstlich fest umschlossen, er drückte ihn lange an seine Brust. — Mir ist, Omar, seufzte er, als würdest du mich lange nicht wiedersehn, oder noch unglücklicher als itzt!

Bald und glücklich, sagte Omar und machte sich aus Abdallahs Umarmung los, — vergiß nicht meine Bitte. Auch abwesend will ich dich nicht verlassen, mein Schutz soll eine Rüstung um dich legen. Verfolgen dich Gefahren, so nenne meinen Namen, drehe diesen Ring und du bist gerettet.

Bei diesem Ringe soll ich an meinen Omar denken? fragte Abdallah mit schwerem Schmerz. Omar sah ihn mit einem ungewissen Blick an und wollte gehen, er kehrte wieder zurück. — Noch, sagte er, habe ich dir eine Botschaft zu bringen, die dein Herz bis oben an mit Freuden erfüllen und jeden Kummer ertränken muß, oder meine Freundschaft hat vergebens gehandelt. Höre!

Abdallah erwartete ungeduldig die Nachricht.

Zulma liebt dich! rief Omar.

Zulma? und zugleich sprang Abdallah heftig auf, — o dann bin ich mit mir selber wieder ausgesöhnt! — Zulma? — Unendliche Wonne kömmt mir in diesem Ton entgegen! — Zulma? — Nicht möglich! — So plötzlich kann die feindselige Wirklichkeit nicht auf die andre Seite springen! — O Himmel! wie verächtlich liegen dann alle meine Klagen vor mir! — Sie liebt mich? — O nun — nun mag das Unglück gedrängt um mich wimmeln — vor diesem Worte flieht alles rückwärts. — Omar, dieser Talisman schützt mehr als der deinige, nun bin ich dir wieder gleich, denn nun bin ich mehr als ein Mensch! — Dein Freund und Zulma's Geliebter! O wo ist der Sterbliche, der mit mir um den Rang nach der Gottheit stritte? — Aber nicht möglich! — Wie kann — o du willst mich täuschen, Omar, um mich wieder lächeln zu sehn, du grausam zärtlicher! In eben so vielen Worten wird noch tausendfacher Elend liegen, als diese Seligkeit enthielten. — Omar, sprich, schweige nicht, — in einem Worte Seligkeit oder Verdammniß, — o auf Jammer bin ich nun ja schon gefaßt, sprich es aus: sie liebt mich nicht!

Omar. Nein, beim Schicksal! sie liebt dich, — laß mich sprechen. Ich sahe in die schwarze Tiefe deines Unglücks und suchte einen goldnen Sonnenstrahl in die Todtengruft hinabzuleiten. Schnell mußte die Rettung sein, oder du warst verloren. — Ich eilte zu Zulma, (wie ich die hundert Schwierigkeiten überwand, das sei dir itzt gleichgültig) ich sprach von dir, sie kannte dich, sie hat dich schon seit lange bemerkt, ohne von dir bemerkt zu werden, ich schilderte deine Liebe, sie ward gerührt. — Ja! rief sie aus, ich will ihn erhalten! Gehe mit dem Geständniß zu ihm zurück, daß ich keinen als Abdallah liebe.

Abdallah. Keinen als Abdallah? — O nun erst ist mir dieser Name theuer, von itzt an will ich stolz werden, Abdallah zu sein. — O Omar, wäre diese Empfindung nicht so übermenschlich, sie würde mich unglücklich machen, denn nun bleibt mir ja nichts zu wünschen übrig.

Omar. Auch nicht sie zu sehen, sie zu sprechen?

Abdallah. Zu sehn? Zu sprechen? Zeige nur die Möglichkeit, und ich muß, ich muß sie sehen! —

Omar. Abdallah, laß nur die Vorsicht neben deiner Liebe gehn und die trunkene durch die Gefahren sicher geleiten. — Sie selbst hat mir die Möglichkeit gegeben. — Dort, jenseit des Flusses siehst du die Mauer, die sich um den Garten des Sultans zieht, eine alte Cipresse steht dort am Ufer, nach jener Stelle fahre in der Nacht, in dieser Nacht, du wirst Gesang und die Töne einer Guitarre hören, antworte mit deiner Laute und übersteige dort die Mauer des Gartens — und du findest Zulma allein, nur von einer vertrauten Sklavin begleitet.

Abdallah umarmte Omar heftig, er schluchzte vor Wonne, und Thränen erstickten seine Worte. — Fort! rief er, ich kann nicht danken! —

Omar ging und sprach einige Worte, um den berauschten Abdallah noch einmal an die Vorsicht zu erinnern, die bei seiner Liebe so unentbehrlich war. — Dann ging dieser allein mit großen Schritten auf und ab, er küßte seine Laute und schlug mit brennendem Entzücken in ihre Saiten. Er sahe nach dem Abend, ob er nicht bald heraufdämmern wollte und der Nacht die Zügel der Welt übergeben, er hätte ungeduldig den zögernden Himmel herumrollen mögen und die schwarze Seite mit dem Mond und ihren Sternen heraufreißen. Dann sah er wieder nach der Mauer hinüber, die ihm aus der Ferne entgegenschimmerte, er erinnerte sich, wie oft er seit seiner Kindheit ohne Gedanken zu ihr hinübergeschaut, und wie sie itzt sein Glück und alle seine Wünsche umfasse. Aus allen seinen Träumen herausgerissen tanzten tausend goldne Hoffnungen vor ihm her, Zukunft und Vergangenheit waren vor ihm und hinter ihm untergegangen, diese Nacht war die einzige Heimath seiner Träume, Wünsche und Gedanken.

Selim und Abubeker hatten indeß schon mehrmals ihre Freunde versammelt, der Strom war hoch gegen seinen Damm angeschwollen und erwartete noch die letzte Welle, um ihn zu durchbrechen und über die Flur seinen verderblichen Grimm auszugießen.

Sklaven wurden im Pallast Selims verborgen gehalten und bewaffnet, jede Art der Rüstungen in unterirdischen Gewölben verwahrt, heimliche Zeichen unter den Verschwornen verabredet, die sich durch heilige Eide verbanden. Ein mächtiges Feuer loderte in allen Herzen und brannte zur Vernichtung Ali's, Redlichkeit hielt den geheimen Bund mit unzerbrechlichen Fesseln zusammen. — Omar trat itzt zum letztenmal in ihre Versammlung, dann nahm er Abschied und trat seine Reise an.

 


 

Zweites Buch.

 

Erstes Kapitel.

Itzt schwamm der Mond in silbernen Wolken über die Spitze eines fernen Berges herüber und jagte einen freundlichen Schein über den Strom; Abdallah bestieg einen kleinen Nachen. Er hatte schon seit langer Zeit auf diesen Augenblick gehofft, schon hundertmal den Kahn losgebunden und wieder befestigt, die Wellen schienen ihn mit ihrem Murmeln einzuladen, die Winde ihm zuzurufen; er war lange ungeduldig auf- und abgegangen, es war fast Mitternacht, der Dampf der Nacht stieg in leichten Streifen dem Himmel und seinen Sternen zum Opferrauch entgegen, und kaum goß sich itzt der erste goldene Schimmer des süßen zauberischen Lichtes über den Fluß aus, so sprang Abdallah rasch in den Nachen, nahm das bunte Ruder und fuhr in den glatten Strom hinein. — Er schwamm wie in einem Meere von Wonne, leicht von spielenden Wellen getragen, von kleinen lauen Abendwinden geneckt, die um ihn säuselten. Der Fluß schien ein Becher voll goldenen Weins, in tausend Schimmern rieselten die Wellen durcheinander und hüpften hin und her, wimmelten funkelnd um den Nachen herum und schienen ihn zu küssen, Wolken durchzogen abspiegelnd den Fluß und kleine schießende Goldwellen jagten ihrem silbernen Saume nach, die gestirnte Wölbung lag im Wasser ausgebreitet und wogte sanft auf und nieder. Dem Liebenden tönte das Plätschern des Ruders und das Rauschen des Kahns wie Flötengesang in die süße Wellenmelodie.

Er landete und verbarg den Kahn im hohen Schilf, das säuselnd seine grünen Schwerter im Mondstrahle blitzen ließ und unaufhörlich gegen Abendfliegen kämpfte, die summend am Ufer des Stromes schwärmten. — Die alte Cipresse stand wie ein Freund am Ufer und streckte dem Jüngling ihre Zweige wie Arme entgegen, er ging in ihren Schatten und harrte mit klopfendem Herzen auf den ersten Klang, der sich aus der Laute Zulma's losreißen würde, mit ängstlicher Furcht erwartete er diesen schönen Augenblick; die höchste Sehnsucht erschrickt vor dem langerhofften Gegenstand. — Der Schall eines Fußtrittes kam längst dem Fluß herab, er schloß sich dichter an den Baum; der Schall kam näher und Abdallah erkannte das Gesicht Raschids, der traurig und gedankenvoll vorüberging, ohne ihn zu bemerken. — Denkend und träumend, hoffend und fürchtend stand er an den schattigen Stamm des traulichen Baumes gelehnt und lächelte seine Träume an, alles flüsterte so heimlich und liebevoll um ihn her, ein stiller Wind lustwandelte durch die Blumen des Ufers und beschenkte die blauen Kinder des Frühlings mit hellen kristallenen Tropfen, Meerlilien trieben muthwillig auf ihren schwimmenden grünen Blättern in dem Strom umher, bläuliche Wasserschmetterlinge haschten sich im einsamen Grase, der Gesang der Nachtigall schallte aus Zulma's Garten her und verhallte in immer leiseren Accenten und schwoll dann wieder wollüstig in hohe silberne Töne hinein, die weithin durch das Laub der Bäume zitterten. — Itzt — ein freudiger Schauder fiel mächtig auf Abdallah herab und zuckte pochend bis in die kleinsten Adern, — itzt erklang eine leise Guitarre über die Mauer des Gartens und sang:

Mondschein winke,
Welle locke
Den Geliebten
In die Fluth.  —
 
Und der Mond winkt,
Und die Welle lockt, —
Kömmt der Geliebte
Durch die goldnen Fluthen?
 
Sprich aus deiner hohen Palme,
Holde Sängerin der Nacht:
Kömmt er durch Wellengelispel?
Naht er durch der spielenden Wogen Melodie?
 
Steht er silbern unter goldnen Schimmern,
Die in lichten Kreisen um ihn zucken,
Um die Locken eine Strahlenkrone weben?
Sprich ihm mit traulichem Geschwätz entgegen:
 
Wie ich harre,
Auf ihn hoffe,
Und die holde Nacht
Neben mir schlummert. —

Der letzte Ton verwehte wie ein leises Lispeln im Geständniß der Liebenden. Abdallah horchte noch und die ganze Natur schwieg, als horche sie mit ihm auf neue Melodieen, in lieblicher Stille schmiegte sich der Himmel umarmend um die Erde. — Mit zitternder Hand ergriff Abdallah die Laute und sang:

Sonne der Nacht!
Himmel meiner Seele!
Reizgeschmückte,
Schönheitgekrönte,
Ich nahe deiner Gottheit!

Er hing die Laute auf die Schulter und nahte sich der Mauer. — Selbst die leblose Natur schien ihn zu begünstigen, die Zeit hatte aus der Mauer viele Steine herausgenommen und so Stufen gebaut, auf denen er leicht bis auf die oberste Decke der Wand stieg. Mit einem kühnen Sprunge stand er dann in dem Garten.

Verworren standen hier tausend Lieblichkeiten durcheinander, Bäume schienen in Bäume verschlungen. Die Winde wühlten in tausend Wohlgerüchen und jagten und verließen sie wieder, und die Blumen schüttelten zutraulich ihr Haupt gegeneinander. — Abdallah eilt mit großem Schritt durch den Garten, er hat vergessen wo und wer er ist, er fliegt zu einer blühenden dunkeln Laube von Jasmin, erkennt die reizende Zulma, in einer schönen Stellung auf einen Rasensitz hingegossen und stürzt in namenlosen Entzückungen ohne Sprache, ohne Besinnung vor ihr nieder. —

Zulma beugte sich schüchtern über ihn. — Abdallah! flüsterte sie leise, — Abdallah!

Abdallah hob langsam sein Haupt auf und legte es zitternd auf ihr Knie.

Steh auf, Abdallah, sprach sie, und setze dich hieher.

Er gehorchte. — Und es ist wahr, rief Abdallah, was mir noch der kühnste Traum nicht gegeben hat? Es ist wahr, Zulma? — O ich darf dich ja nicht fragen, denn die Traumgestalt wird von meinen Wünschen bestochen sein.

Zulma faßte seine Hand. — Es ist kein Traum, Abdallah, nein, so schön sind Träume nicht.

Abdallah. Nein, nein Zulma, denn wenn sie es ja sind, so muß uns das hohe Entzücken aus dem Schlafe reissen, — dies ist mein Trost, ja es muß Wahrheit sein.

Sie hielten sich beide schweigend Hand in Hand. — Blätter säuselten, die Blüthen dufteten, der Mondschein schlummerte süß auf dem grünen Rasen, durch die Guitarre Zulma's klang ein leiser Hauch.

Abdallah. O Zulma, wie hab' ich diesem Augenblick entgegengesehn! — Was hatt' ich dir zu sagen, — und nun, — meine Zunge ist stumm, kaum bin ich mich meiner selbst bewußt.

Zulma. Wo findet die Liebe Worte? — o Abdallah, wie glücklich machst du mich, — wie haben dich seit drei Monden meine Augen nun so oft vergebens gesucht, als ich dich an jenem Feste unter meinem Fenster erblickte, tausend heimliche Seufzer sind dir nachgeflogen, — und nun sind alle meine Wünsche erfüllt!

Abdallah. O wie werd' ich mich von der Quaal dieser Wonne wieder erholen können? Wie wird mir nun die Welt dort draussen leer und öde sein! — O Zulma, könnt' ich hier, hier zu deinen Füßen sterben, daß mein Geist aus einem Paradiese in das andre schlüpfte!

Er warf sich nieder und bedeckte die Hände Zulma's mit Küssen. — Zulma beugte sich zärtlich auf ihn herab, eine Thräne, halb von Freude, halb von Wehmuth glänzend, trat in ihr schwarzes Auge. »Liebst du mich wirklich, Abdallah?« fragte sie mit der rührendsten Unschuld.

O laß mich schwören! rief der trunkene Abdallah aus, bei dem Hauch der Liebe, der durch den Garten wandelt, bei der Liebe, die aus dem Himmel mit tausend goldenen Augen auf uns herabsieht, —

Zulma ergriff seine Hand. — Lügner, sagte sie leise, und dieser Ring, — sie hielt ihm den Zaubertalisman an der linken Hand entgegen.

Ein dumpfe Bangigkeit zog durch Abdallah's Brust, es war ihm, als würden furchtbare Gestalten aus den rauschenden Gebüschen hervortreten; er verschloß die Augen und verbarg sein Haupt an Zulma's Busen.

Nein, sagte er betäubt, dies ist ein Geschenk der Freundschaft, ein heiliges Versprechen meines Glücks, ein Unterpfand, das mich deines Besitzes versichert. — O Zulma mein, auf ewig mein!

Zulma. Auf ewig?

Abdallah. Es soll, es wird sein! — warum würde sich alles so wunderbar fürchterlich an einander reihen, wenn es nicht dazu wäre? O das Schicksal häuft nicht Begebenheiten, um seine Menschen elend zu machen; ich werde glücklich sein!

Zulma. Ich verstehe dich nicht, Abdallah.

Abdallah. Ach ja, Zulma, Zulma liebt mich! o Thörichter, was willst du mehr?

Er umarmte sie und drückte sich inniger an ihren Busen, sein Mund fiel glühend auf den ihrigen; eine Stille der Mitternacht lag um sie her. Das Herz sprach zum Herzen in verständlichen Schlägen, die Geister besprachen sich in der hohen Entzückung, — ein heiliger Hauch wehte wie ein Schutzgeist um sie her, die Sterne glänzten goldener, die Natur lächelte mütterlich auf ihre glücklichen Kinder hin.

Ein Händeklatschen aus dem nahen Busche. — Wir müssen scheiden, sagte Zulma seufzend; geh zuweilen dem Pallast meines Vaters vorüber, dann sollen dir die Blumen Nachricht geben, ob du wieder zu mir kömmst. Die blasse Lilie bedeutet Furcht, der Citronenbaum Unmöglichkeit, das Veilchen vergebliches Hoffen, die Rose bist du, — wenn diese auf der Mitte des Altans steht, dann kömmst du wieder hieher, sobald dich meine Laute gerufen hat. — Sie drückte ihn noch einmal feurig an ihre Brust und Abdallah ging wie im Traume taumelnd zurück. —

Als er in den Nachen stieg, tönte es ihm silbern aus dem Garten nach:

Walle sanft auf stillen Wellen,
Dich geleitet meine Seele
Säuselnd durch die blaue Fluth.

Er ließ das Schiff vom Strome forttreiben und sang leise zurück:

   Doch bei dir weilt meine Seele;
   Wie die abgerißne Blume
   Schwimm' ich durch die blaue Fluth.

Die Töne verklangen in dem leisen Wogengeräusch. — Der Nachen landete.

Abdallahs Brust war zu voll von hoher Begeisterung, alle seine Gefühle waren zu laut angeschlagen, in seine stille enge Wohnung konnte er itzt nicht zurückkehren. Er eilte in's Freie, wo der Mond über das Gefilde ausgegossen lag und heimlich in den dichten Wald durch kleine Spalten blickte. — Er überließ sich allen seinen Empfindungen, die durcheinander strömten. — Das Rauschen eines Wasserfalls weckte ihn endlich aus seinen Träumen, er sahe auf und stand wieder in dem Felsenthal, wo Omar ihn neulich unter die Erde hinabgesandt hatte. Vom Berge rann im Mondschein der Strom wie schäumendes Blut hinunter.

Ein Schauder verschlang alle seine süßen Empfindungen, mit kalter Hand griff ein Grausen in seine Brust und zerriß das zarte Gewebe.

Welche dunkle Macht hat mich hierher geführt? rief er aus. — Der Jammer verfolgt mich ungestüm bis in die Wohnung der Seeligen. — Alle gräßlichen Erinnerungen steigen wieder von diesen Felsen herab, es kömmt mir wild und zähnknirschend entgegen! — Das Bild meines Vaters regt sich unter meinen Füßen und will sich zu mir emporarbeiten. — Hinweg! hinweg! —

Er entflohe mit bleichem Antlitz, als es aus den Bergen hinter ihm »Abdallah!« rief.

Ein neuer Schauder warf sich ihm entgegen. Er stand. — Ein Greis stieg von dem Berge herab und eilte auf Abdallah zu.

Wer bist du? rief ihm der Jüngling entgegen.

Dein Freund, antwortete der Greis. —

Eine dunkle Erinnerung schwebte in dem Gesicht des Alten, Abdallah hatte ihn schon gesehn: nach langem Nachsinnen entdeckte er, daß es eben der Greis sei, der in jener fürchterlichen Sturmnacht in die Arme Omars geeilt sei, ehe er unter der Cipresse einschlief. —

Der Greis reichte ihm stumm eine Sammlung von Palmblättern.

Was soll das? fragte Abdallah erstaunt.

Nimm, antwortete der Greis, — lies und sei gerettet!

Gerettet? rief Abdallah aus.

Ein böser Geist, antwortete der Fremde, steht in der Gestalt deines Freundes Omar neben dir, nimm die Warnung des alten Nadir gütig auf, der auch einst sein Freund gewesen ist, verlaß diese Schlange, die dich mit ihren giftigen Knoten umstrickt.

Omar? sagte Abdallah, Omar? — O nenne seinen Namen mit Ehrfurcht, deine Lästerungen werden nicht an mein Herz und meine Freundschaft hinanreichen.

Lebe wohl, antwortete Nadir, ich darf nicht zu lange weilen und ein heimliches Grauen, das von dir ausströmt, jagt mich zurück.

Der Greis verschwand wieder in den Felsen. —

Ein wacher Hahn krähte von einem Dorfe durch die Monddämmerung, Hunde heulten in der Gegend umher, und Abdallah ging in einem tiefen Nachdenken langsam zur Stadt zurück.

Er wollte noch itzt diese Blätter lesen, aber die Gefühle, die ihn durchstürmt hatten, hatten ihn so ermüdet, daß er nach wenigen Augenblicken in einen tiefen Schlaf versank.

 


 

Zweites Kapitel.

Die Verschwornen hatten sich in dieser Nacht wieder in dem Pallast Selims versammelt und man war itzt im Begriff, heimlich auseinander zu gehen. — Der morgende Tag, sprach Selim, ist also zur Ausführung unsers großen Entwurfs bestimmt? — Ihr habt es selbst beschlossen, es sei. — Das Glück geht uns entgegen und reicht uns zu unsrer Unternehmung die Hand.

Am folgenden Tage ward im Pallast des Sultans ein großes Fest gefeiert, zu dem schon alles bereitet war. Der ganze Pallast war dann in Freude und Lust berauscht, fast jedermann hatte dann Zutritt, die Wachten vernachlässigten ihr Amt und auf dieses Fest hatten die Verschwornen ihren Anschlag gegründet. — Man hatte Selims Freunde und Sklaven in dieser Nacht gerüstet, alles stand bereit zu dem furchtbaren Schlage, einem jeden war zu diesem großen Augenblick sein Amt angewiesen, Rüstungen und Harnische erklangen dumpf in den stillen Gewölben und durch die Einsamkeit der Nacht, Erwartung stand auf jeglichem Gesicht, alle Seelen waren stark wie die Sehne eines Bogens angezogen, schon zitterte der Pfeil, losgeschnellt nach seinem Ziel zu fliegen.

Seht! rief Selim, schon wankt die graue Dämmerung des Tages herauf, schon drängt sich ein blutrother Streif hervor und erinnert uns an unsre Unternehmung. — Seid ihr es noch itzt zufrieden, daß heut der große Wurf gewagt werde?

Alle bejahten es einstimmig, nur Abubeker lehnte sich stillschweigend an die Mauer.

Nun dann, rief Selim aus, so sind wir frei!

Ich schwieg in eurer Versammlung, begann endlich Abubeker, denn die Menge hätte mich doch überstimmt, aber itzt laßt mich sprechen und handelt dann nach eurem Willen. - Diese Nacht war fürchterlich, ein kaltes Grausen nach dem andern ist meinen Rücken hinabgeschlichen; mögt ihr mich doch einen thörichten Greis nennen, den das Alter wieder in die Kindheit zurückgeführt hat. — Als Omar von uns Abschied nahm und aus der Thür ging, hörtet ihr da nicht aus der Ferne ein Gelächter, das mein Blut in Eis verwandelte? — Hörtet ihr nicht über dem Pallast ein Gekrächz von Raben, die über uns, als ihre Beute hinwegflogen? Die Eulen winselten um das Dach und Hunde heulten vor der Thür, als wäre das Haus mit Leichen angefüllt. — Mir war, als sähe ich schadenfrohe böse Geister mit höhnischen Gesichtern durch die Spalten der Thür sehen und einen schwarzen Strich durch unsern Anschlag ziehen, der Todesengel hat uns in sein Buch eingezeichnet, sein Schwert liegt auf den Wink des Schicksals bereit. —

Der Morgen stieg in Säulen von Dampf empor und ein gedrängtes Heer von Raben flog krächzend von Osten her, und flatterte von neuem über das Dach des Pallastes. —

Seht! rief Abubeker, — da steigt die Unglücksvorbedeutung von neuem herauf! Diese Vögel des Todes krächzen uns noch einmal unser Schicksal entgegen. Der heutige Tag sträubt sich unwillig unter der Last, die wir auf ihn legen wollen; wartet auf einen günstigeren, wo uns das Glück seine holden Zeichen entgegensendet. —

Die ganze Versammlung sahe auf Selim, der itzt zu reden anfing:

Ihr tretet alle ungewiß zurück, von einer schwarzen Ahndung hart angeredet, ihr werfet zaghaft euren Vorsatz von euch und entflieht, und ihr glaubt, daß auch ich zu euch hinübertreten werde und dem großen Entwurf Lebewohl sage. — Abubeker, du hast das Blut aus allen Wangen gejagt und die Furcht sitzt auf derselben Stelle, aus welcher der Muth vorher thronte. Ha! wessen Auge darf sich anmaßen, in die Geheimnisse der Natur zu schauen und ihre Winke zu deuten? Wer versteht die räthselhafte Schrift, in der der Ewige der dienstbaren Welt ihre Gesetze schreibt? Sie enträthseln wollen, heißt nicht den tiefen Sinn verstehen. Deine Ängstlichkeit hat hier geirrt, Abubeker; welches kühne und große Unternehmen wird erst auf die Einwilligung ungewisser Vorbedeutungen warten? Wer könnte handeln, wenn Thiere erst seinen Vorsatz bestätigen müßten? Ward der Mensch darum über diese Wesen gesetzt, um vor ihnen zu zittern? — Und laß diese Vorbedeutungen selbst Wahrheit sagen, laß die Hunde der Nacht um unsern Leichnam heulen, muß darum unser Unternehmen nicht in Erfüllung gehen? Wenn wir nun zugleich mit Ali sterben, so sind wir nicht unglücklich, denn unser Tod macht unsre Freunde glücklich. — Was werdet ihr bei den Gefahren thun, wenn ihr schon vor der dunkeln Ahndung der Gefahr zurückzittert? — Kein so begünstigender Tag als der heutige wird uns wieder entgegengehn; unverzeihliche Trägheit ist es, wenn wir unsre Arbeit stets von einem Tage zum andern uns selber aufbewahren, euer Muth erkaltet, der Sultan wird von unserm Vorhaben benachrichtigt, und dann erst haben diese unglücklichen Vorbedeutungen Wahrheit gesprochen. Wenn das Schicksal uns zürnt, so ist es mir erwünschter, noch heute seinen Zorn zu erfahren, als unter ängstlichen Erwartungen zu leben.

Abubeker selbst stimmte ihm etwas unwillig bei und die übrigen folgten seinem Beispiel. — Man beschloß am Abend mit gewaffneter Hand in den Pallast zu dringen und Ali und sein Gefolge niederzumachen. — Alle warteten ungeduldig auf die ersten rothen Streifen des Abends.

 


 

Drittes Kapitel.

Abdallah erwachte und tausend verworrene Gefühle, traurig und froh, drängten sich ihm mit den ersten Strahlen der Sonne entgegen, Ahndungen die ihn mit Schaudern umgaben und doch mit hohen Entzückungen seinen Busen schwellten; in seiner Seele schwebte eine Dämmerung, die hundert Flammen durchzuckten und von der kalten Finsterniß wieder ausgelöscht wurden. Zulma, die ihn gestern so liebevoll aufgenommen hatte, neben dem blutigen Strom im Felsenthal, jene wollüstigen Empfindungen waren ihm nachgeschwommen und kämpften itzt mit den Schreckenserinnerungen, seine Seele rang mit Freude und Verzweiflung, Quaalen und Seligkeiten wechselten in seinem Busen, wie eine Welle, die bald der Schatten überfliegt, bald wieder ein blendender Sonnenstrahl vergoldet. — Die Palmblätter lagen neben ihm, er nahm sie und wollte zu lesen anfangen.

Deine Ahndung, edler Freund, sprach er, hat dich nicht getäuscht, die Schmähsucht will das Band zerreissen, das meine Seele an die deine knüpft, man will dich aus meinem Herzen jagen und mir auch das letzte Andenken meines vorigen Glückes rauben, auch den letzten Becher will man von meinen brennenden Lippen nehmen. — Ob ich diese Blätter lese? Oder sie ungesehn in den Strom auf ewig versenke? Kein Verdacht hat dann meine Freundschaft befleckt, dann kann ich ohne Scheu dem zurückkehrenden Omar entgegengehn und ihm den Kuß der Liebe geben. — Verdacht? — Himmel! was kann dem großen allmächtigen Omar an dem Wurm Abdallah liegen? — Ihm ziemt es, von seiner Freundschaft Rechenschaft zu fordern, nicht mir, — sein Sonnenglanz sieht mit milder Güte auf mich Verlassenen herab — und ich will ihm mißtrauen? Was kann er denn von mir gewinnen, das er nicht schon tausendfach besäße? Was kann ich verlieren, das er mir nicht unendlich ersetzen könnte? — Nein Omar, dein Abdallah wird nie undankbar sein, du pflanzest für ihn einen Garten, dessen Kühlung ihn erquicken soll, und ich will dankbar dein Geschenk annehmen. Hast du mir nicht in dieser Nacht Himmelsseligkeiten zubereitet? Das feindselige Verhängniß kämpft gegen deine Güte an, es fordert laut mein Elend, aber du hältst einen Schild vor meine Brust. — Deinen Freund Nadir hast du verloren, mich sollst, mich kannst du nicht verlieren, wenn du mich nicht selbst verächtlich von dir wirfst, und darum will ich ohne Scheu diese Blätter lesen, ich will diese Verläumdungen erfahren, um desto unzertrennlicher an dir zu hangen.

Er nahm die Blätter und fing an zu lesen:

 


 

Abdallah, ich beschwöre dich bei allem, was dir auf dieser Erde und jenseit des Grabes theuer ist, weise diese Worte nicht mit der Kälte zurück, mit der man einen verdächtigen Fremden abzuweisen pflegt, grabe sie tief in die Tafel deiner Seele und laß sie dort durch kein Mißtrauen, durch keinen täuschenden Verdacht wieder auslöschen. Zweifle in der ganzen Zukunft deines Lebens, nur itzt nicht, denn diese Zweifel könnten dich um alles bringen, was je ein Wunsch und eine Hoffnung ahndete, was je ein Geist zu erlangen strebte. O ich bin glücklich, es ist die edelste That meines Lebens, und der Zweck meines Daseins ist zehnfach erfüllt; wenn diese Blätter nicht zu spät in deine Hände fallen, der Baum ist gesegnet, aus dem sie hervorschossen, das Rohr ein Heiligthum, das diese Züge niederschrieb, dann kann ich dem Richter jenseit mit Vertrauen entgegentreten und meine Rechnung seinen Händen überliefern, diese That löscht alle meine Sünden in seinem schwarzen Buche aus. —

Aber du möchtest mich nicht verstehen und in meinen Worten nur Verläumdungen finden, darum will ich zu dir wie zu einem Verbündeten sprechen, der schon in die Geheimnisse der Nacht eingeweiht ist. Du stehst einmal jenseit der glücklichen Unwissenheit und es wäre Frevel, von Geheimnissen zu schweigen, deren Mittheilung dich vielleicht noch von dem Abgrund zurückreissen kann, vor dem du schwindelnd im dumpfen Nachsinnen stehst. —

Eine schwarze Nacht liegt um dich her und du kniest vor einem verdorrten Stamm, den du für das Bild eines Gottes hältst, du verehrst in Omar die Macht, die über die Menschenkraft hinausgreift, du stehst ihn auf der Spitze eines Felsen, zu der du den schroffen Abschuß vergebens hinaufklimmst, — o dürft' ich ganz die Hülle von deinen Augen nehmen und einen Stern in dieser Nacht erwecken! du siehst einen prächtigen Nebel in der Abendsonne in hohen gewundenen Säulen brennend emporsteigen — und vergissest, daß es nur Dampf und nichtiger Rauch ist. — Könntest du ohne Blendung in die wesenlose Pracht hineinblicken, du würdest da verachten, wo du itzt verehrst. — Die Mauer der Allmacht ist unübersteiglich, kein Sterblicher wird je in das Innere des Heiligthums dringen, eine unwiderstehliche Hand hält den Staub unerbittlich von dem zurück, was nur daurende Geister sehn und begreifen können, uns ist ein Feld angewiesen, wo wir über Blumen denken dürfen, jene unendlichen Wälder sind unserm Blick zu groß, kaum hören wir zuweilen von der Mauer ihr dumpfes Rauschen herüber, kein Auge wird sich je in den Garten des Ewigen wagen. — Jene Kraft, die der Getäuschte für einen Theil der Allmacht hält, ist nichts, als ein Blendwerk, das in seinen eignen Augen schwimmt, er selber bringt wider seinen Willen das hervor, was er glaubt vom Himmel herabsteigen zu sehen.

Welcher Wurm kann sich ohne Flügel zum Glanz der Sonne aufwärts schwingen? Ein Strahl zittert auf ihn hernieder und er glaubt sie steige auf sein Gebot zu ihm herab und spiele neben ihm im Grase, aber es ist nichts, als ein Tropfen Thau's, in welchem ihm ihr Bild aus einem kleinen Spiegel entgegenlächelt. Die Hand des Menschen wird nie in ewige Gesetze greifen und ihnen Stillstand gebieten; wer würde noch zum Allmächtigen beten, wenn der Hauch des Staubes die Weltendonner seiner Sprache überschrie, wenn ein Sonnenstaub sich seinem Willen entgegenwürfe und das große Gewebe sperrte? — Nein Abdallah, du glaubst zu sehen, was du nicht sehen kannst, in dir selber schlägst du die Töne an, die du aus den Wolken zu hören glaubst, die Unendlichkeit steht deinem Lehrer nicht zu Gebot, aber deine schwachen Sinnen vermag er zu beherrschen, das große Geheimniß, vor dem du verehrend zurückschauderst, ist nichts, als ein gemeiner Betrug, den du an einem armseligen Künstler verachten würdest.

Darum höre mich und sei was du warst, verliere den Freund und gewinne dich selber der Verrätherei wieder ab, sprich das belebende Wort über die Leichen aus und laß aus ihrem Grabe die Seligkeiten wiederkommen, die du selbst ermordet hast; laß das schlachtende Messer inne halten und binde sorgsam die letzte Rose auf, die schon in der Sonnenhitze verschmachten will. —

Mein Name ist Nadir, ich trete mit dem morgenden Tage in mein achtzigstes Jahr, traue meinem Alter, das mich bald vor den Thron des Richters bringen wird, wo man mir jede Lüge aufbewahrt. — Seit meiner Kindheit brannte in mir eine unauslöschliche Ungeduld, alles zu erfahren und zu wissen, was nur in der Seele des Menschen Raum fände; als Jüngling schweifte ich bald mit meinen Gedanken über die Gränze hinaus, die eine gütige und grausame Hand unserm vorwitzigen Geiste gesetzt hat. Mein Verstand wollte das Unendliche umspannen und das Undurchdringliche durchdringen, die Schwäche der Menschheit hielt ich nur für die Schwäche meines Geistes, meine Sinne schweiften durch alle Regionen der kühnsten Zweifel und der verwegensten Irrthümer, ich riß alles um mich her aus, und bepflanzte die leere Schöpfung dann mit den Wesen meiner Einbildung, ich glaubte nichts, um alles zu glauben. Alle meine Kräfte bot' ich zum Kampfe auf und fühlte mitten im Streit meine Schwäche, ich hatte durch meine Kühnheit Gott und das Schicksal verloren und doch genügte ich mir nicht selbst in der traurigen Einsamkeit, ich hatte die Vorsehung geläugnet und fing nun an, an die Macht fremder Wesen und Dämonen zu glauben; Aberglaube und Nichtglaube berühren sich unmittelbar auf der Gränze, aus einem Feinde der Andacht ward ich ein Schwärmer. Von itzt lebte ich unter Wundern und Unbegreiflichkeiten, zu denen ich mich hinandrängen wollte, die Ähnlichkeit der Gottheit schien mir darin zu liegen, die geheimen Winke der Natur zu verstehn, und das Unmögliche möglich zu machen, ich taumelte auf einem schmalen gefährlichen Wege durch das Gebiet des Wahnsinns, von blendenden Hoffnungen begleitet.

Auf dem Gipfel des Caucasus, hört' ich, wohne der weise Achmed, der die große Auflösung zu den Millionen Räthseln gefunden habe, den Stab, mit dem er an die Sonne und die Sterne reichen könne und dem sich die Zukunft aufthue. Ich verließ mein Vaterland, um diesen Gott zu sehen und sein Schüler zu werden, wenn er mich für würdig erklärte. Er nahm mich auf und ich überstand fünf harte Probejahre, in denen er mich durch tausend Mühseligkeiten zurück zu schrecken versuchte, aber meine Wißbegierde ertrug alle Lasten leicht und tröstete meine Ungeduld, die zuweilen erwachte, mit dem herrlichen Augenblick, in welchem meinen Augen der ewige Vorhang niederfallen würde. — Omar war wie ich ein Schüler Achmeds, — der erharrte Tag erschien endlich und ich ward in den schwarzen Bund aufgenommen. — Wir mußten beide dem edeln Achmed mit einem heiligen Eide schwören, nur durch unsre Macht Glück und Freude zu verbreiten, dem Elenden beizustehn, den Schändlichen zu strafen und so dem Ewigen ähnlich zu werden. — Wir schwuren es und Achmeds Gewalt war die unsrige.

Nun erst sah ich ein, daß meine Wünsche jenseit der Schranken der Menschheit lagen, daß das, was ich verloren gegeben hatte, mehr werth sei, als mein Gewinnst. Alle meine großen Hoffnungen waren hintergangen, ich war im Begriff mich selbst zu verachten. Tausendmal wünscht' ich die Vergangenheit zurück, in der ich noch nicht an die Gränze der menschlichen Kraft gekommen war, wo mich eine unbarmherzige Schrift höhnend zu den Thieren des Feldes zurückwies. Ich hatte gehofft, daß sich mir die Ewigkeit aufschließen würde, wo ich im Heiligsten die Gottheit schaute und den großen Plan der Welt sähe, den sie gezeichnet hat — und ich ward vor einem Spiegel geführt, in dem ich nun meine eigne Verächtlichkeit sahe und eine Kunst war mir verliehen, die mir durch armseligen Betrug den großen Verlust nicht ersetzen konnte, eine Macht, die Niemand an dem Besitzer beneiden würde, wenn er nur einen Blick durch den blendenden Glanz zu werfen vermöchte.

Omars Freundschaft tröstete mich in meiner Trostlosigkeit und versöhnte nach und nach mein Mißvergnügen, wir tauschten unsre Seelen gegen einander aus, und ein jeder gewann, wir schlossen einen heiligen Bund und jeder Gedanke, jedes Gefühl floß in das Wesen des Freundes hinüber.

Endlich trennte sich Omar von mir und ich blieb allein bei meinem Lehrer, und lebte in einer stillen Einsamkeit und Ruhe, von der Welt und ihren Geschäften geschieden, in steten Betrachtungen der Natur und der Weisheit Gottes. Ich dachte oft an meinen Freund Omar und wünschte ihn zu mir zurück. Zwanzig Jahre waren so verflossen, als ich von meinem Lehrer Achmed den Auftrag erhielt, ihn aufzusuchen, denn meine Reise setzte er hinzu, könnte wichtige Folgen haben.

Ich durchreiste Arabien und Persien vergebens und fand ihn endlich hier wieder, an jenem Abend, als du unter einer Cipresse eingeschlafen warst und ein brausender Sturm dich aus deinen Träumen weckte. — Er eilte in meine Arme, es war eine wonnevolle Stunde des Wiedersehens; wir erzählten uns unsre Schicksale und Omar sprach also:

»O! daß der Mensch in Seinem Busen einen unversöhnlichen Feind mit sich herumtragen muß, der ihn unabläßig quält! daß dies heillose Drängen unsrer Seele, dies Streben gegen die Unmöglichkeit uns den Genuß unsers Daseins raubt und uns gegen uns selbst verderbliche Waffen in die Hand giebt!«

Wir hatten uns weiter hinein in den Busch entfernt, die Nacht sah schweigend auf uns herab, die Bäume wiegten sich leiserauschend und Omar fuhr also fort:

»Wir sprachen schon damals, Nadir, als wir beide noch den Unterricht des weisen Achmeds genossen, von jenem Sturm, der unaufhörlich in dem Baum unsers Geistes wüthet und ihn zu zerstören droht. Kaum hatte ich von dir Abschied genommen, so verfolgten mich alle meine Wünsche mit erneuerter Wuth, mein brennender Durst war nicht gestillt, sondern durch Achmeds Kenntniß nur von neuem angefacht, mein Vordrängen war vergebens gewesen, denn noch in dichtem Nebel eingehüllt lag der große Felsen in der Ferne, hinter welchem die Sonne wohnte, die ich suchte. Ich fühlte mich eingeengt und gepreßt und war unglücklicher als ich je gewesen war.«

»Furchtbare Gedanken standen itzt leise in meiner schwarzen Seele auf wie Verbrecher, die die Ketten von sich streifen und sich frech im düstern Kerker erheben. Weisheit war mir der edelste, der einzige Zweck des Menschen, die einzige Krone, die seine Stirn schmücken könnte, ein Zweifel an alle Tugend machte mir diese gepriesene Gottheit verächtlich — und ich wagte endlich vermessen einen Schritt, von dem ich vorher wußte, daß sich hinter mir ein Abgrund reissen würde, um mir den Rückweg ewig unmöglich zu machen.«

Omar hielt ein und mit gespannter Aufmerksamkeit horchte ich auf seine Rede. — Mein Freund fuhr fort:

»Am Ende der Welt, in einem fürchterlichen Schlund, der sich zwischen die Klippen des Atlas wirft, an einer Stelle, wohin noch kein Menschenfuß sich verirrte, wo zwischen ewig einsamen Felsenwänden das Grausen wohnt und kaum ein verirrter Wind mit seinem Fittig gegen die hohen Steinmauern streift, dort, — so sagte eine alte Sage, — wohne seit Jahrtausenden ein furchtbarer Sterblicher, der hier im kalten Haß der Ewigkeit entgegenharre, von Menschen und Engeln losgerissen, ein Wesen, einzig, ohne je ein Leben zu finden, dessen Seele mit der seinigen gleichgestimmt sei. — Greise erzählten mir unter Schaudern, daß er ein höherer Geist gewesen sei, der sich vom Ewigen losgeschworen und in die leere Wüste der Strafe der Allmacht entronnen sei, Mondal, so nannten sie den Schrecklichen und sagten, daß der große Verworfene keine Strafe bedürfe, denn er selber sei seine Verdammniß. Man sprach von den Wundern die er ehedem gethan und denen die Völker in Demuth erzittert wären, von gräßlichen Strafen, mit denen er sich an seinem Feinde gerächt, sein Name war die Loosung zum Schrecken.«

»Ihn wollt' ich aufsuchen und mich an seine fürchterliche Größe drängen, hier die Flammen meines Busens kühlen, oder ein unausbleibliches Verderben finden. — Ich wanderte durch die Wüsten von Afrika, ich ging über die hohen unermeßlichen Gebirge und näherte mich endlich der langerhofften Gegend. Das Gebirge lag fürchterlich aufgethürmt, wie die Mauer der Welt vor mir, die Wolken des Himmels schienen scheu um den Fuß zu flattern und frech hoben sich die Spitzen des Klippengebirges in die unendliche Leere des Äthers, immer höher und höher aufgewälzt und immer furchtbarer und kühner aufgethürmt.«

»Ich bestieg die untersten Gebirge, die sich nur wie Hügel an die unbegränzte Felsenmauer lehnten. Die Erde lag unter mir mit allen ihren Schätzen und Städten ausgebreitet und schien mir Lebewohl zu sagen, das Meer unermeßlich ausgegossen tief unter mir. In tausend Herrlichkeiten winkte mich die Sterblichkeit zurück, sie streckte die Arme liebevoll nach ihrem verlornen Sohne aus und rief mich mütterlich an ihren Busen hin, an dem ich in der Kindheit meines Geistes mit so inniger Liebe gehangen hatte. — Aber ich ging vorwärts und ließ hier meine Menschheit zurück, ich warf alles von mir ab, was der Endlichkeit gehörte, ich riß auf ewig das große Band entzwei, das mich an die Schöpfung hielt, ich setzte den Fuß vorwärts, von diesem Augenblick ganz mein eigen, die Menschheit hinter mir auf ewig zugeschlossen, ich auf ewig in die Unendlichkeit des Meeres hinausgewiesen, von keinem Ufer jemals wieder angewinkt zu werden.«

»Mein Pfad wand sich immer steiler die Felsen hinan, immer unfreundlicher die Natur umher, die Bäume starben aus, die Sträucher, und endlich erlosch auch der letzte Schimmer des grünen Grases unter meinen Füßen. — Itzt lag die Erde und das Meer in eins verschwommen ungewisser wie ein Nebel unter meinem Blicke, wie in einen schwarzen Schleier eingewickelt; so weit mein schwindelnder Blick sich wagte, über mir und unter mir und neben meinem Schritte die unendliche gedankenlose Leere. — Bei jedem Schritte zog sich ein härterer Panzer um meine Brust, keine meiner vormaligen Empfindungen wagte es, mir in den eisernen Aufenthalt zu folgen, nur von nackten Felsen und dem Himmel umgeben hatt' ich schon vergessen, daß ich einst ein Mensch gewesen sei.« —

»Ich kam in Gegenden, die die Natur zuletzt in ihrer Ermüdung geschaffen zu haben schien, kein Leben, kein Moos, das die Felsen hinaufkroch, erinnerte mich an die Welt, die ich verlassen hatte. Hier schien der Tod seine Behausung zu haben, eine Welt schien hier einst untergegangen und dies ihre schauderhaften Ruinen zu sein. Ein kaltes Grauen begleitete mich, immer größere Furchtbarkeiten kamen mir entgegen, alle meine Gefühle gingen nach und nach in meiner Brust unter, und nichts als mein Vorsatz und das Bewußtsein meines Daseins blieb mir übrig.«

»Itzt stand ich auf einer Felsenspitze, die in ein Thal hinabsahe, das rings von kahlen schwarzen Klippen eingeschlossen war, ein Schauder brütete über diesem Schlund, in den sich tausend Höhlen rissen und ein verworrenes Gebäude bildeten, kein Luftzug rauschte durch die Felsenwüste, kein Ton, der ein Leben verrieth, schlich hervor; die gespaltenen Klippen grinßten mir aus dem Abgrund entgegen, die Vernichtung sahe sich hier selbst mit Wohlgefallen an und behorchte sich in der schauderhaften Stille.«

»Dies ist seine Behausung! rief ich unwillkührlich aus und der erste Klang warf sich zerschmettert die gewundenen Klippen hinab, ich selber fuhr erschrocken zurück und der Ton verlor sich winselnd in den fernsten Schlünden.«

»Die letzte Furcht faßte mich zweifelhaft an. — Soll ich hinuntersteigen? fragte ich mich leise. — Noch, noch steht mir der Rückweg offen! Noch darf ich selber über meinen Willen gebieten. — Doch was soll ich in der Welt? — Ein Engel darf, ein Mensch mag ich nicht sein, nur die Hölle bleibt den Unbefriedigten übrig, — ich kann nicht anders, ich würde nichts vom Menschen wieder rückwärts bringen: — und zugleich stieg ich in das fürchterliche Thal hinab.«

»Wie mit tausend kalten Armen hielt es mich eingeklammert, wie in den unerbittlichen Tod schritt ich hinunter.

»Plötzlich fuhr ich bebend zurück. — In einer halb dunkeln Grotte saß ein Greis und lächelte mir mit einer Freundlichkeit entgegen, die mehr dem Zähngeknirsch eines Ungeheuers glich. Ein weißer Bart sank bis auf seine Füße hinab und deckte sein Gesicht. Ein fremdes mir unbegreifliches Wesen sahe aus seinen wilden Augen, er hatte bloß das Ansehn eines Menschen, um die Menschheit von sich zurückzuscheuchen. — Sein Anblick hatte mich bis in das Innerste meiner Seele erschüttert und ich wagte es nicht, die Augen zum zweitenmal auf ihn hinzuwerfen: ich hatte allen sanften Gefühlen Abschied gegeben und die Schauder vertraulich in meinem Busen aufgenommen, — aber hier fand ich ein Wesen, vor dem meine Frechheit Demuth ward, alle meine Verwegenheit sich in banges Grauen auflöste.«

»Wer bist du? rief er mir in Tönen entgegen, wie ohne Klang und Athem; sie kamen zu mir, wie aus einer fernen Welt und sprachen in Accenten, von denen kein sterbliches Ohr eine Ahndung hat und haben kann.«

»Ein Wesen, schrie ich ihm entgegen, das sich selber nicht begreift! Meine Menschheit hab' ich jenseit diesen Klippen ausgezogen! — Das Leben hat keinen Reiz für mich, ich will in der Wildniß meine Freude suchen.«

»Mondal schwebte mir entgegen und stierte mich mit einem Blicke an, der meine Seele mit Riesenkräften zusammendrückte.«

»Du bist das erste Wesen, sprach er, das mein Angesicht sieht, ich sitze hier und faste der Ewigkeit entgegen und noch kein Staubgeborner hat es gewagt, mich in meinem Hause zu besuchen, wo ich mit dem Grausen spiele und Schauder mir die Zeit verkürzen. — Was suchst du hier?« —

»Was ich hier oder nirgends finde, antwortete ich zitternd, ich schäme mich ein Mensch zu sein, nimm du mich in deine Gesellschaft auf und vergönne, daß ich deinen Geist begreife und dir ähnlich werde.«

»Er sahe mich an und lachte fürchterlich auf, daß die Felsen umher in ihren Wurzeln wankten. — Vermessener! rief er dann: — Du verläugnest die Menschheit und doch zeigen deine Worte, daß du ihr noch zugehörst. Ein Funke, der von mir zu dir herüberleuchtete, würde dein Wesen zersprengen. Dank' es meiner Verachtung, daß mein Anblick dich nicht tödtet!«

»Nun dann, sprach ich mit knirschender Verzweiflung, so bleibt mir keine Hoffnung übrig, als meine Vernichtung!«

»Vernichtung? antwortete der Furchtbare und zog den Mund zum Grinsen, so kalt und todt wie die Felsen umher. Was ist, kann nicht vernichtet werden, die Ewigkeit hält dich fest, so lange die Zeit dauert, dauerst du selbst. Du kannst dich tödten und in eben dem Augenblick stehst du ein neues Wesen in deiner eignen Verdammniß wieder da, — so hat es der Gütige dort gewollt, der alles mit seiner Milde umfängt. O! wenn Vernichtung möglich wäre, wenn wir uns selber angehörten und beherrschten — o dann wäre noch Glück in seiner Schöpfung!« —

»Ich fuhr mit Entsetzen zurück. — Voll Frechheit kömmst du hierher, sprach Mondal weiter, und bedachtest nicht, daß dein Wesen sich nie dem meinigen nähern könne. — Nein, Sterblicher, ganz kannst du mich nicht verstehen, denn tausend Naturen stehen zwischen uns; die Gedanken, die die du begreifst, sind nicht meine Gedanken, unser Urstoff ist verschieden, wir können uns in keiner Empfindung begegnen.«

»Wo find' ich dann, rief ich mit bitterm Unwillen aus, ein Wesen, das mich versteht? Mir ist alles verschlossen, in der ganzen Schöpfung kein Laut, der in mir denselben anschlüge. Vernichte dies Streben in meiner Brust, das mich durch alle Welten drängen würde, du verwirfst mich als deinen Schüler, erniedrige mich bis zum Wurm, der sich dumpf und ohne Bewußtsein zu deinen Füßen windet.«

»Ich verwerfe dich nicht, sagte Mondal, deine Natur hält dich gefangen! Ich will dir geben, was ich kann, — aber du wirst meine Bedingung nicht erfüllen.«

»Alles, alles, sprach ich hastig, — nur reiß mich aus diesem peinvollen Dasein, mach, daß ich mich nicht verachten muß, sollt' ich mich auch dafür verabscheuen!« —

»Mondal schwieg eine Weile, dann sagte er: Ich stehe nicht über der Menschheit, ich bin nur ein fremdartiges Geschöpf, dessen Gedanken und Gefühle Strahlen sind, die nie mit denen der Menschen in ein Licht zusammenfließen, sondern sich ewig zurückstoßen. Die Menschen haben von ihrem Gotte jenen Trieb, alles zu ordnen und in ein Ganzes zu bringen, meine Freude ist Zerstörung. Ihrem Triebe genug zu thun, arbeiten sie in einer ewigen Thätigkeit an Ordnung und Harmonie, Sklaven eines Herrn, dem sie dadurch schmeicheln wollen, Schönheit und Tugend nennen sie das Gebäude, das sie aufführen, für mich giebt es keine Tugend als ihre Laster. — Kannst du deine angeborne Menschheit bis auf die letzte schwächste Ahndung ablegen und mir voll Vertrauen die Hand reichen, kann ein heiserer Mißklang dir eben so viel Freude geben, als jener Wohlklang dort unten, verlierst du nichts an jenem Gott dort oben, so bist du mein!«

»Ich reichte ihm mit erzwungener Festigkeit die Hand.«

»Zerstörung! rief er mit wilder Freude, dein Hauch sei Vernichtung, jeder Pulsschlag ein Verbrechen, verfolge ihre Tugend und sei der Freund des Bösen, kehre in die Welt zurück und zerreiß das Gewebe, mit dem sie sich an ihre Gottheit knüpfen wollen, dies beschwöre mir mit einem großen Eid und unter diesen Bedingungen will ich zeigen, was kein Auge sieht. Fern ist noch der letzte Tag, wir wollen wirken, bis die Zeit zum Greise wird.« —

Omar hielt hier in seiner Erzählung ein. — »Und du schwurst den Eid?« rief ich erschrocken aus. —

»Ich schwur ihn,« antwortete er langsam und sprach dann weiter: »Es war ein Schwur, o, mehr ein Fluch, unter dem sich die geängstigte Erde hätte bäumen mögen, ich wag' es kaum, ihn in Gedanken zu wiederholen.« —

»Wie ein Vorhang fiel es vor meiner Seele hinweg, alle meine Gedanken waren zu Riesen aufgewachsen, die gegen den Himmel anstürmten, meine vorige Frechheit schien mir itzt Feigheit, alle meine Gefühle waren ehern, mein Busen Diamant.«

»Ich ward in seine fürchterlichen Geheimnisse eingeweiht, Flüche segneten mich ein, Grausen stieg mir aus den unendlichen Labyrinthen entgegen und Schauder waren meine Erfrischung. Meine Gedanken dachten das Ungedachte, ich war über den fernsten Gränzstein der Menschheit hinausgeschritten und wandelte nun, ein fremder Pilger, jenseit dem Leben auf der dürren Haide. — Die Vergangenheit kam meinem Ruf zurück, die Zukunft schloß sich meinem Blicke auf. — Mondal zeigte mir ein ungeheures Buch, in welchem auf jedem seiner Millionen Blätter tausend Punkte gezeichnet waren. — Dies ist mein Almanach, sagte er lächelnd, so viel Punkte du ausgelöscht siehst, so viele Tage hab' ich durchlebt, die übrigen sind die Tage, die noch bis zum letzten Tage übrig sind, ihre Zahl ist unzählbar; aber endlich nutzt sich nach und nach die Zeit ab, auch der letzte Punkt wird ausgelöscht und die neugeborne Ewigkeit wandelt über den Ruin der Welten. Bis dahin sieht mein Auge; was dann sein wird, ist ein Geheimniß, das ich schon seit Jahrtausenden zu enthüllen strebe.«

»Mein Geschäft war nun geendigt und ich ging in die Welt zurück, nicht um zu leben und zu genießen, sondern um Genuß und Leben zu zerstören. Alle meine vormaligen Freuden kamen mir wie eben so viele Feinde entgegen, ich zerstörte und vernichtete, so weit nur meine Gewalt reichte, Jammergeschrei folgte meinen Schritten und Flüche der Wittwen und Waisen, mein Weg war mit Thränen benetzt und Grabhügel waren die Denkmale, die von meiner Durchreise sprachen. — Der Ewige hatte mich in ein Leben verwiesen, das ich verachtete und ich sättigte mich im Genuß der Rache, ihn selber konnte mein Arm nicht erreichen, aber seine Geschöpfe mußten meinem Zorne büßen! Das Dasein quälte mich, wie eine Gewissensangst, Vernichtung war nicht möglich, Flüche nicht genug, ich mußte ihn strafen.« —

»Ich kam in mein Vaterland und der Sultan Ali ward mein Freund, er war im Begriff, seinen Unterthanen ein guter Fürst zu werden, aber ich lehrte ihn die Menschheit und ihre Tugend verachten und so kam er endlich zu jener kalten Grausamkeit, die seinen Namen zum Schrecken des Landes gemacht hat. Durch mich ließ er tausend Schlachtopfer fallen und tausend eine Beute des Mangels werden, unter diesen war auch Selim Ali nahm ihm seine Schätze, Selim entflohe mit seiner Gattin und einem kleinen Sohne, auch die Gattin mußte sterben und ihn sein Sohn nur noch gewaltsam in ein quaalvolles Leben zurückhalten. — Ich ging unter den Menschen in einer ewigen Einsamkeit, wie dienstbare Henkerknechte liefen Schrecken vor mir her und schlugen gewaltsam jedes Gefühl, jeden Menschengedanken von mir zurück, — so fand ich den armen, vormals glücklichen Selim, weinend auf dem Grabe seiner Gattin sitzend, — da flog mir wie ein ferner Schein der Wunsch vorüber, wieder in den entweihten Menschenorden zu treten. — In diesem unseligen Augenblick vergaß ich meines Amts und meines Herrn und ließ den trauernden Selim in den Schooß des Glücks zurückkehren, meine Macht ließ ihn einen Schatz finden, der ihm dreifach ersetzte, was er verloren hatte. — O wie hab' ich Jahrelang diesen einzigen Augenblick verflucht, wie gern hätt' ich ihn zurückgenommen und Selim's Glück mit neunfachem Jammer ausgetauscht, wenn es dem Zauberer vergönnt wäre, sein eigen Werk wieder zu vernichten.«

»Unaufhaltsam jagte es mich seit dieser Zeit zu Mondals Wohnung zurück, ich sträubte mich vergebens gegen die drängende Macht. — Mondal trat mir entgegen. Schon so früh kömmst du wieder? sagte er mit gräßlichem Hohnlächeln, — du hast deine Menschheit abgeschworen, dein Vertrauen war so frech — und doch kömmst du selber zurück, dich anzuklagen? Stumm ging er mit mir zu einem fernen, verzackten, einsamen Klippenmeer, er spaltete einen Felsen und warf mich bis an die Hüften in die Öffnung, die donnernd wieder zusammensprang.« —

»Mich zermalmten unaussprechliche Martern. Eine heiße Gluth webte sich am Tage um mich her und nagte und saugte an meinen Gebeinen, Flammen bohrten sich glühend in mein Innres und in der Nacht jagten sich kalte Nordwinde um mich her und bliesen mich mit ihrem Athem an, ein Panzer von Eis umgab meinen Körper und zerschmolz wieder an der Gluth des Morgens. Siedende Waldströme stürzten brausend auf mich herab und schmetterten spielend mein Gebein gegen hervorragende Felsenspitzen. Mein Geheul erklang fürchterlich den Abgrund hinab, und sprang von Klippe zu Klippe, eine taube stumme Einsamkeit lag kalt und ohne Mitleid um mich her. — So brüllte ich vier Jahr meine Flüche und meine Bitten dem unerweichlichen Mondal entgegen, aber er hörte mich nicht; zuweilen flog er auf einer braunen Wolke über mein Haupt, sahe höhnisch auf mich herab, freute sich meiner Quaalen und überließ mich dann von neuem den unerbittlichen Martern. — Endlich schien er gerührt, oder der alten Ergötzung überdrüssig, denn welches Mitleid sollte diese steinerne Brust bewohnen? — Ich will dich von deiner Kette losnehmen, rief er und neigte sich wie ein Gewitter weiter auf mich herab, aber nur unter einer schweren Bedingung geb' ich dich frei. — — — —

Abdallah wollte unter Schaudern weiter lesen, als sich ein lautes Getümmel im Hofe des Pallastes erhob. — Bestürzt eilte er an's Fenster — und die furchtbaren Palmblätter entsanken seiner Hand. —

 


 

Viertes Kapitel.

Säbel glänzten im Schein der Sonne und leuchteten Abdallah wie Blitze entgegen; in einem fürchterlichen Getümmel kämpften Selim's Sklaven mit der Leibwache Ali's, sein Vater stand in der Mitte des Gefechts, mit entblößtem Säbel stürzte er hinaus.

Ein wildes Geschrei flog über den Hof des Pallastes, Ali's Sklaven wütheten gegen Selims bewaffnete Freunde, das Geklirre der Säbel an die Schilder geschlagen, rasselte furchtbar. Abubeker lag mit seinem weißen Barte vor ihm, in seinem Blute gewälzt, das Geschrei und der Klang der Waffen schlug gegen die Mauern des Pallastes, Blut floß in Strömen, einige Sklaven flohen, andre stürzten todt nieder, — und itzt sahe Abdallah auch seinen Vater unter einem Säbelhiebe sinken.

Er stürzte sich wüthend in das Gedränge und metzelte um sich her, eine blinde Wuth gab ihm Riesenkräfte, er fühlte die leichten Wunden nicht, die er erhalten hatte und tobte wie ein Rasender in dem Gewühle auf und ab, — eine bekannte Stimme rief seinen Namen aus, — es war sein Freund Raschid. — Auch du? rief Abdallah wüthend, — auch du bist mit meinem Elende einverstanden? — Nur wider meinen Willen, antwortete Raschid und gab ihm die Hand; rette nur deinen Vater, setzte er leise hinzu, sieh' er lebt noch.

Abdallah blickte nieder, sein Vater lag zu seinen Füßen und sahe ihn mit einem matten Blicke an; Abdallah ergriff ihn stark und trug ihn aus dem Getümmel, Raschid begleitete ihn und half den verwundeten Selim aus dem Hofe des Pallastes führen, alle Krieger machten dem bekannten Raschid Platz, weil sie den Verwundeten für einen Diener Ali's hielten; so brachte Abdallah seinen Vater aus dem Pallast und durch das Thor der Stadt.

Selim war stumm und in sich selbst verschlossen, heftige Gedanken schienen ihn zu beunruhigen, nur zuweilen stahl sich ein Seufzer aus seiner Brust, den er aber seinem Sohne zu verbergen suchte.

Ich kann nicht weiter, sagte er endlich und setzte sich auf einen Erdhügel am Wege. Sein Gesicht war bleich, seine Wunde, die Abdallah verbunden hatte, fing von neuem an zu bluten. — Warum hast du mich nicht sterben lassen? sagte er dann, da das Schicksal auf mich zürnt? — Du hättest mich jenen Dolchen lassen sollen, denen du mich entrissest, denn ich gehörte ihnen an, von Verrätherei dem Tode verkauft. —

Abdallah kam itzt erst aus seinem Staunen, seiner Wuth und Angst nach und nach zurück. Er war bis itzt in eine unwillkührliche Thätigkeit geworfen, er hatte nicht empfunden und nicht gedacht, über die Gefahr seines Vaters hatte er sich selbst vergessen. — Vater! rief er aus, — o daß ich dich habe retten können, daß ich dich aus dem Gemetzel herausriß und dem Leben wiedergab, — o das ist das erstemal, daß dein Sohn dir etwas mehr als Dank sagen kann, — eine Stunde, wo ich dir durch Thaten meine Liebe zeigen könnte, habe ich so lange gewünscht, — ach! und sie mußte so schrecklich, so unvermuthet kommen!

Abubeker, sagte Selim, der redliche Greis ist todt, mein großer Entwurf ist dahin! — deine Ahndung, alter wackerer Mann, hatte Recht, warum hörten wir nicht auf deine Stimme? Wozu leb' ich noch, da die schönste Hoffnung meines Lebens umgesunken ist? — Ich habe ein großes Spiel gewagt, ich setzte verwegen mich und Ali dem Verderben zum Pfande aus — und das Schicksal rief Selim!

Schmerzt dich deine Wunde, Vater? fragte Abdallah.

O ich weiß kaum, daß ich verwundet bin! rief Selim unwillig aus, ich weiß nur, daß ich habe entfliehen müssen. — O warum kann ich nicht der verächtliche Hund jenes müden Wanderers sein, der den Berg herunterzieht? Er ist freier und glücklicher als ich! —

Dann ging Abdallah mit seinem Vater langsam weiter. Oft ließ er ihn auf Rasenhügel sich niedersetzen und wenn er erquickt war, mahnte er ihn sogleich wieder zur Flucht, weil er die Verfolgung seiner Feinde fürchtete. — So gingen sie langsam bis zum Abend und wandten sich zu einem kleinen unbesuchten Nebenweg, der in einen Wald hineinführte. —

Die rothen Streifen des Abends wallen durch den Himmel, sagte der Greis, sie wollen den trägen Selim zu seinem Vorhaben rufen, aber ihr kommt zu spät und findet nur noch meine Schande. — O dürft' ich eure verhaßten Flammen nicht erblicken, oder spiegeltet ihr euch in Ali's Blute! — Meine Freunde sind für mich gefallen und der feigherzige Selim flieht und rettet ein freudenleeres Leben. O des edeln Greises Abubeker! dessen Silberhaar so schrecklich auf den Steinen ausgebreitet lag und vom Blute triefte! — verzeih Abubeker, dem unvorsichtigen Freunde, der deiner älteren Weisheit nicht traute. —

So klagte Selim auf dem Wege und hörte nur wenig auf den Trost seines Sohnes. — Das Schicksal, sprach er endlich, nachdem er lange bei sich gedacht hatte, erprobt den Mann durch tausend Gefährlichkeiten und mannichfaltiges Unglück, mein Muth soll vielleicht noch härter gestählt werden, um dann desto größere Funken zu schlagen. Der Mann muß vor seinem Tode nichts verloren geben, seine Entwürfe müssen ihm so unverletzlich sein, wie Heiligthümer, die man ihm zum Aufbewahren anvertraute, der nächste Tag versöhnt mich vielleicht mit dem heutigen. —

Er ging getröstet weiter.

 


 

Fünftes Kapitel.

In einer entfernten Gegend des Waldes, wo die Bäume am meisten verwachsen waren, wo das dichteste Dunkel sich unter den verschränkten Zweigen herabsenkte und man kaum von der fernen Landstraße zuweilen ein dumpfes Getöse hörte; dort stand unter Büschen versteckt ein kleines ländliches Haus, das Selim sich vor vielen Jahren hatte erbauen lassen, um hier auf der Jagd einen einsamen, unbekannten und stillen Ruheplatz zu finden. Nur Omar, Selim und sein Sohn kannten diesen Aufenthalt, kein Weg führte zu dieser Wohnung, nur ein Fußsteig, der sich in hundert Krümmungen wand und den kein Fremder auffinden konnte. Seit vielen Jahren war diese Wohnung unbesucht geblieben, selbst Selim fand itzt den Weg dahin nur mit Mühe. Büsche und hohes Gras hatten den kleinen Fußsteig verschlungen, sie mußten sich durch junge Bäume drängen, die in einander gewachsen waren, sie verloren oft den Pfad und fanden ihn nur mühsam wieder, erst mit der Finsterniß kamen sie an die Hütte. —

Alles war verwildert, das Dach mit Moos bedeckt und vom Regen durchlöchert, durch die Fenster hatten sich junge Gesträuche gedrängt und Epheu schlängelte sich in grünen Labyrinthen die Wände hinan, Heimchen nisteten in ihren Schlupfwinkeln und ziepten einsam durch die Stille der Nacht und das Rauschen des Waldes; Eulen hatten sich auf den benachbarten Bäumen niedergelassen und heulten nach dem Hause hinüber. Der Aufenthalt begrüßte sie traurig und verfallen, wie ein kranker Freund, der auf dem Sterbebette Abschied nimmt.

Sie traten in das Zimmer und der ermattete Selim ließ sich sogleich auf ein kleines Ruhebett nieder. — In der Nähe rieselte eine Quelle vom Berge herab und Abdallah schöpfte aus dem frischen Wasser einen Trank für seinen entkräfteten Vater. — Ich bin erquickt, sprach dieser, — o daß ich dich noch übrig habe, daß das Schicksal dich nicht von meiner Seite genommen hat, das ist ein Glück, dessen Größe ich mit inniger Dankbarkeit verehre.

Abdallah verband von neuem die Wunde Selims und bat dann seinen Vater, ihm zu sagen, woher dieses Unglück so plötzlich auf ihn eingestürmt sei, was es veranlaßt habe und womit sein Vater den Zorn Ali's so heftig aufgereizt habe. — Diese Wunde, sagte Selim, die mir plötzlich so tödtlich geschlagen wurde, ist mir selber unbegreiflich, schon seit lange wälze ich alle meine Gedanken umher, dieses Räthsel zu verstehen, alle meine Freunde und Sklaven lasse ich in Gedanken vorübergehn, aber auf kein einziges Gesicht steht der Name Verräther. — Der Himmel selber wirft sich mir entgegen und drängt den Strom gegen seine Quelle zurück. — Dann erzählte er ihm die Entstehung der Verschwörung gegen Ali's Leben und nannte ihm alle Ursachen, die sie veranlaßt hatten. — Ich wollte das Land glücklich machen, so schloß er, aber der Ewige will, daß sein Elend noch ferner dauere, er zürnt auf mich, daß ich seinen weisen Rathschlüssen habe vorgreifen wollen und an seine Stelle treten. Der Sterbliche muß nur der Hand folgen die ihn leitet, nicht aber mit Vorwitz den geheimen Plan der Gottheit zu übersehen glauben, sein Frevel bestraft sich selbst. — Der Tyrann herrscht und ich beseufze hier verlassen mein Unglück, ohne Rath und Hülfe, ohne Freund, — o wenn nur Omar zurückkäme, auf ihm und seiner Weisheit ruht itzt meine letzte Hoffnung: aber wenn er auch zurückkömmt, kann er das, was geschehen ist, ungeschehen machen? Er kann nichts als trösten, und Trost ohne Hülfe ist kein Trost für mich, — meinen Freunden wird endlich kein Dienst übrig bleiben, als mich in mein Grab zu legen.

Es war im Zimmer dunkel geworden und Selim fühlte einige Thränen heiß über seine Wangen fließen, er schämte sich seiner Schwäche und nur die Finsterniß, die die Zähren seinem Sohne verbarg, tröstete ihn etwas über seine Unmännlichkeit. Abdallah ergriff die Hand seines Vaters und drückte sie ohne zu sprechen an seine brennenden Lippen, Selim umarmte ihn schweigend und eine wehmüthige Stille war um ihren Schmerz ausgegossen. — Durch die Fenster dämmerte ein irrer Schein der Sterne und eine Fledermaus schlug mit rauschendem Flügel an die äußern Wände. Selim sahe mit starren Augen nach dem matten Sterngeflimmer, das sich durch die grünen Gebüsche brach, vom Wege und seiner Wunde müde schloß sich endlich das gespannte Auge und er versank in einen sanften Schlummer. Abdallah stand in tiefen Gedanken neben seinem Vater und schien auf das Athemholen Selims zu horchen.

 


 

Sechstes Kapitel.

Alles um Abdallah her war still wie das Grab, die Quelle in der Nähe plätscherte immer leiser und leiser, das Rauschen der Bäume verhallte immer dumpfer und Selims Athem röchelte schwach, wie der Athem eines Sterbenden. Abdallah stand an die Wand gelehnt und sahe in einer kalten Seelenträgheit dem wunderbaren Spiele seiner Gedanken zu. Sein Vater hatte den Namen Omar genannt und mit diesem Namen waren die Schreckenserinnerungen reissend wie ein Waldstrom in seine Seele zurückgekommen; schon hatte er alles vergessen, aber dieser Ton brachte ihm mit Wucher zurück, was er so gern nicht angenommen hätte, was er so gern auf ewig von sich zurückgewiesen hätte. — Omar! sprach er leise zu sich selbst — Omar! wiederholte er mit zitternder Stimme. Sein Geist wandte sich scheu vor dem Gedanken zurück, der sich unüberwindlich zu ihm hinaufkämpfte. — Omar hatte die kindliche Liebe schon verloren, mit der er ihn ehedem geliebt hatte, seit jener Nacht, die ihn zum Vertrauten seiner übermenschlichen Gewalt gemacht hatte, hatte sich seine Liebe mit Furcht und einem fremden Gefühl, einer Art von Anbetung vermischt: aber er war immer noch der Freund Omars geblieben, seine Liebe hatte sich gleichsam nur ein anderes Gewand gewählt, ohne ihr Wesen zu verändern, — aber zu der Empfindung, die itzt seine Seele durchschnitt, hatte bis dahin auch kein Keim, keine Ahndung in seiner Brust gelegen: es war nicht Mißtrauen, nicht Haß, nicht Abscheu, nicht Entsetzen; ein schwarzes Gewebe aus allen diesen Gefühlen gewirkt. Ein Todtengewölbe hatte sich ihm aufgethan, in welchem grinsende Gerippe, Moder und scheußliche Verwesung in tausend gräßlichen Vermischungen vor ihm lagen, das ganze Heer des Entsetzens zog mit schadenfrohem Lächeln an ihm vorüber und wie in Nebel gehüllt tobten neue Furchtbarkeiten aus der nächtlichen Ferne auf ihn zu, er sahe einen unendlichen engen Felsenweg vor sich, durch den er sich hindurch drängen sollte, um sich dann in einen Abgrund zu zerschmettern.

Omar! sagte er leise, wie fremd klingt mir itzt dieser Name, der einst meinem Vater zugehörte? der die Loosung zur Freude und zur Liebe war! — Itzt ist es der Name eines Ungeheuers, das seine Tigerklauen nach mir auswirft. — Oder war alles, alles nur ein Traum? Es kann nicht Wahrheit sein, unmöglich! Wie könnte so die Zeit ihr Gewand umkehren? Wie könnte so plötzlich der Zorn aus demselben Auge sehen, in dem so eben noch die Freundlichkeit thronte? — Wenn Omar statt mir die Hand zu reichen, mir einen schuppigen Drachenhals entgegenreckt, — wer soll mich dann aus der Grube ziehen, in der ich an den feuchten Wänden, ein verlorner Wurm, umhertappe? Was ist Wahrheit, wenn der Ort, wo meine Seele sonst am liebsten verweilte, sich so plötzlich in einen Kerker umwandeln kann? — Ich schwindle vor den tausend Gestalten zurück, die aus einem wüsten dunkeln Abgrund so drohend ihr Haupt emporheben und mir still und schweigend wie unversöhnliche ewige Strafen zunicken! — Nein, so fürchterlich sieht die Wirklichkeit nicht aus, nur Träume verweben sich in solchen verworrenen Wolkengebilden. Wo war mein guter Engel, als diese Phantasieen in meiner Seele aufstiegen und auch den letzten Strahl verschlangen, der noch kärglich in ihre dunkle Tiefe hinunterleuchtete? — Wer würde dann noch zaudern und sich bedenken, aus diesem Leben herauszugehn, wenn es ihn mit so entsetzlichen Speisen fütterte? — Nein, nein, o Verzweiflung wäre für ein solches Unglück zu wenig, es kann nicht Wahrheit, es soll ein Traum gewesen sein! —

Er schwieg, eine dunkle Stille säuselte um ihn her, in der finstern Nacht und der leeren Einsamkeit sahe er nichts als seine Gedanken schwimmen, ein Wiederhall seiner Seele wiederholte unzähligemal den Namen Omar.

Und doch ist es Wahrheit, fuhr er leise fort. — Ich erinnere mich der Stelle, wo ich jene schrecklichen Worte las, o ich weiß es zu gut, wann und wie es war, mein boshaftes Gedächtniß wiederholt mir mit hämischer Freude die gestrige glückselige Nacht und stellt mir noch einmal den alten Nadir hin, der mir die Blätter reicht. — Nein, es ist kein Traum, wenn unser ganzes Leben nicht ein einziger schwarzer Traum ist und wir selbst ein bestandloses Traumbild, ein Dunst, der durch die Leere seegelt und den ein nichtiger Schein anfliegt, bis ihn ein Wind verweht. — Blas't mich Wirbelwinde gegen Felsen, das mein Wesen in tausend Luftblasen zerspringe und sich niemals wieder zusammen finde! — Wo Grausen und Unglück wohnen, wo der letzte leuchtende Funke knisternd aus der Asche springt, wo eine ewige Einsamkeit auf tausend Verderben brütet, — o da, da finde ich mich jederzeit wieder, dort ist die Heimath meiner Seele, dahin kehrt nach allen seinen Streifereien mein müder Geist zurück, dies ist das Ziel, wo ich endlich ruhen soll, nach welchem mein schwarzer Engel mich hohnlachend peitscht; alles weicht aus meiner Bahn zurück, nur meine Verächtlichkeit bleibt mir übrig und die Hölle, die hinter mir ras't.

Omar ist mir auf ewig verloren; es ist ausgesprochen, das unbarmherzige Urtheil, das fürchterliche Geheimniß ist wie ein Todtengerippe aus seinen verhüllenden Gewändern herausgeschritten, — zurück, zurück von meinem Halse, Scheusal! — Es klopfte ja ein Menschenherz in dir, als ich dich verhüllten Fremdling an meine Brust drückte, wo hast du Betrüger dein Herz gelassen? —

Habe ich jene grausenvollen Blätter bis zu Ende gelesen und ihre ganze Gräßlichkeit in meinen Busen gesogen? — Nein, nein, — ein freudiger Funke glimmt in der Nacht wieder auf, die Auflösung des Räthsels ist noch übrig, — ja, du wirst mir wieder geschenkt werden, mein Omar! Ja, der Ort kann itzt noch keine Wildniß sein, auf welchem so eben noch dieser freudenreiche Tempel stand. — Ja, Omar hat sich von Mondals fürchterlichem Bunde losgerissen und in die Arme der Menschheit zurückgeworfen, ja, er liebt, er liebt mich, er ist wieder ein Mensch geworden, die übrigen Blätter werden, müssen es enthüllen. —

Er faßte den Entschluß in die Stadt zurück zu gehn und jene Blätter wieder aufzusuchen, die sein Schicksal enthielten, er bückte sich leise auf seinen Vater herab und hörte, ob er noch schlummere, dann verließ er schnell das Zimmer. —

Er drängte sich durch die Labyrinthe der Gebüsche und tappte in der wüsten Nacht mit den Händen umher, um den verborgenen Pfad zu entdecken. — Rauschend jagten sich Wolken durch die hohen Baumwipfel, die Sterne weinten kalten Thau herab, Sturmwinde spielten heulend im dichten Walde. — Abdallah stürzte oft gegen Bäume und fuhr durch rasselnde Gesträuche, flimmernde Lichter führten ihn oft trügend tiefer in den Wald hinein, wo ihm die Nacht noch dumpfer entgegenkam; endlich trat er auf die Heerstraße. —

Er ging durch das Thor und durch die stillen Straßen der Stadt, auf der Brücke hatten zwei Fischer ihre Netze ausgeworfen und unterredeten sich leise. — Abdallah stellte sich an das Ufer und dachte mit wehmüthiger Verzweiflung an den Abend zurück, an welchem der Untergang der Sonne sich so schön in dem Flusse spiegelte, als auf allen Wogen kleine Nachen schwammen, die für ihn mit Seligkeiten landeten, als jede Welle den Namen Zulma und Abdallah lispelte und mit dem Abendwinde stritt, wer »Zulma« am süßesten säuselte, er dachte an die Himmelsnacht zurück, als sich ihm das Paradies mit allen seinen unendlichen Wonnen aufgethan hatte, — er sahe nach der Gartenmauer, — aber eine neidische Finsterniß warf sich vor sie, die Wogen schauerten in verschlungenen Ringen im kalten Winde der Nacht und wankten in einer düstern Dämmerung, ein Stern blickte zuweilen wehmüthig hinter den schwarzen Wolken hervor und warf traurig einen flüchtigen Blick auf die dunkle Fluth. — Er stand in tiefen Gedanken und maß sein Elend an der Größe seines vorigen Glücks. Das Gespräch der Fischer flüsterte leise in das Rieseln der Wellen.

Wie ich dir sagte, Sadi, sprach der eine, auch keine Mauer von seinem Pallaste will der Sultan stehen lassen, er hat den unglücklichen Selim mit den gräßlichsten Flüchen verflucht. Sein Zorn ist noch nie so fürchterlich gewesen, Niemand wagt es sich ihm zu nähern.

Aber man sagt, fing der andre an, Selim habe dem Sultan nach dem Leben getrachtet; wenn das ist, so verdient er auch die Strafe, da er seine Hand an den Gesalbten des Herrn hat legen wollen.

Aber Sadi, antwortete der erste, Selim war von jeher ein wackerer Mann, er hat mich vom Hungertod gerettet, er muß gewiß Ursachen gehabt haben, so zu handeln, denn er ist ein edler Mann.

Aber den Sultan, fing Sadi von neuem an, hat Gott über uns gesetzt und ihn verletzen heißt Gott verletzen und darum hat er den Zorn und die Strafe Ali's verdient.

Sie stritten noch länger und zogen dann ihre Netze aus dem Flusse, sie hatten nichts gefangen und gingen verdrießlich nach Hause. Abdallah hatte ihrem Gespräche traurig zugehört und näherte sich dem Pallast seines Vaters.

Kein Licht brannte im Hause, alles war still wie ein großes Todtengewölbe. Er schlich sich durch das Thor und trat in den Hof, wo seine einsamen Tritte die Wände hinabschallten, er stieß mit dem Fuß an die Körper der Erschlagenen, die man mit Verachtung hatte liegen lassen und aus einem Winkel des Hofes seufzte ein Halbgestorbener und röchelte fürchterlich. Abdallah schritt bebend über sie hinweg und trat in die Gemächer des Pallastes. Alles war einsam und verödet, so still, als hätten niemals Menschen zwischen diesen Mauern gewohnt, — itzt kam er in sein Zimmer. — Mit zitternden Händen suchte er auf den Tischen und am Boden umher und fand die fürchterlichen Blätter nirgends. — Wie? — rief er aus, — sollte ich unter ewigen Zweifeln umhergeworfen werden und auch nicht einmal meinem Elende in's Angesicht sehen können? Sollte das schadenfrohe Schicksal mir auch selbst diese fürchterliche Freude der Gewißheit rauben wollen, damit meine Verdammniß in unaufhörlicher Angst bestehe?

Ängstlicher durchsuchte er das Zimmer noch einmal: — es gilt deine Liebe, Omar! ob ich mich mit dir aussöhne, oder nicht, hängt von diesem Augenblicke ab, — jetzt weiß ich nur genug, um unaufhörliche Quaalen zu dulden und nicht zur Verzweiflung reif zu sein. — Er suchte lange und unermüdet, endlich sprang er wüthend auf und wollte gehen, sein Fuß stieß an eine Rolle, die sich rasselnd auf dem Boden wälzte, er streckte seine Hand darnach aus, — es waren die erwünschten fürchterlichen Palmblätter, die ein Schreck ihm heut am Morgen aus der Hand geschlagen hatte. —

 


 

Siebentes Kapitel.

Die Hände Abdallah's zitterten, als er die Blätter ergriff und mit ihnen durch die Gemächer zurückeilte, alles, was er in ihnen gelesen hatte, trat wieder vor seine Seele, er drückte krampfhaft die Faust zusammen und eilte durch die Zimmer. Als wenn Drachen mit klingenden Flügeln hinter ihm herjagten, so entflohe er über den Hof des Hauses und durch die Stadt, nur vor dem Pallast des Sultans stand er still. — Nur ein einziges Licht wandelte noch hinter den Vorhängen umher und seine Einbildung schuf Zulma's Gestalt in dem Zimmer hinzu, er sahe sie unruhig auf und niedergehn, er hörte seinen Namen nennen und starrte lange mit unverwandtem Auge zum Pallast hinauf. — Das einzige lebendige Licht in der großen todten Steinmasse des Pallastes, die Erinnerung Zulma's neben seiner Verzweiflung ließ einen wunderbaren Schein in die tiefen Schachten seiner Seele fallen, so wunderbar wie eine verirrte Blume, die zu früh in einem schönen Wintertage aufbricht. Das Liebliche und die Gräßlichkeit sahen sich an und wollten sich die Hand reichen, aber Abdallah trat zwischen beide und ging mit dem Schauder, ein dichter Nebel verfinsterte Zulma's Sonne in seiner Seele, sie ging in ihm auf, aber nur hinter einen Wolkenvorhang, es war die wehmüthige Erinnerung einer Freude, auf die er nicht mehr zu rechnen wagte.

Er ging langsam weiter und eine Gestalt kam ihm durch die schwarze Nacht entgegen, es war Raschid, sein Freund. Raschid kehrte mit ihm zurück und ging lange schweigend neben ihm hin, aber Abdallah bemerkte ihn kaum, in die Verworrenheit seiner Träume verloren.

Nun bin ich ganz unglücklich, begann Raschid, nun ist mir alles genommen, ich sehe keinen Ausweg, als die Verzweiflung. Alles, auch der letzte fernste Abendschein meiner Hoffnungen ist mir auf ewig untergegangen. — Ich bin aus Ali's Pallast entflohen und habe mich vor seiner Wuth gerettet, denn er hat mir den Tod geschworen, — er glaubt, daß durch meine Hülfe dein Vater seiner Rache entronnen sei, denn er weiß, daß ich dein Freund war. — Ist dein Vater gesichert?

Mein Vater? fuhr Abdallah auf, — ja! —

Sei wachsam, Abdallah, antwortete Raschid, Ali wüthet, wie er noch nie gewüthet hat; er hat es beim Grabe des Propheten geschworen, deinen Vater lebend oder todt zu bekommen, er ras't im Pallast umher, wie ein Tiger, dem seine Beute entrissen ist, jeder entflieht seiner zertrümmernden Wuth. Dein Vater hat gewagt, was noch Niemand wagte, diese blutige Verschwörung, dieses Unternehmen, von dem er glaubte, es sei für einen Menschen zu kühn, hat seine Rache so heißhungrig gemacht, daß nur sie durch Selims Tod wird gesättigt werden können. — Dein Haus wird zerstört werden und ein Fluch des Himmels darüber ausgesprochen. Schütze Selim, denn sein Schicksal würde fürchterlich sein, wenn sein Aufenthalt dem Sultan verrathen würde.

Raschid ging und Abdallah verließ die Stadt und eilte nach der einsamen Hütte zurück. — Der bleiche Morgen schimmerte schon durch die Wipfel der Bäume und jagte ein nüchternes Licht durch die Schatten des Waldes, als Abdallah von der dunkeln Anhöhe hinunterging und sich im Waldgrunde der einsamen Wohnung seines Vaters näherte. — Ich habe dich schon vermißt, mein Sohn, rief ihm dieser entgegen, ich dachte, auch du hättest mich verlassen, denn der Elende muß jeder Furcht und keiner Hoffnung trauen. —

Du siehst bleich und krank aus, mein Vater, sagte Abdallah.

Ich bin erquickt, antwortete Selim, dieser Schlaf hat mir meine Kräfte zurückgegeben. — Sieh, wie das Morgenroth sich durch den verwachsnen Wald zu meinem Fenster drängt, um mich zu grüßen, wie der Himmel mich mit munterm feurigem Auge aus der Ferne ansieht, ja, ich will noch hoffen; ein Sturm hat mich in das Meer des Elends hineingeworfen, aber ich will nicht untersinken, auch dieses Unglück will ich noch auf meine Schultern nehmen und mein Haupt aufrecht halten; ja Abdallah, mögen tausend Donner um mich schelten, ich will mich nicht furchtsam vor ihrer Stimme in eine Höhle verkriechen, sondern ihnen mit Kühnheit antworten. Du bist ja noch mein und dieser Stab wird nicht unter mir zusammenbrechen, noch einen Faden hat mir das gütige Schicksal übrig gelassen und an diesen will ich das Gewebe meines Glückes unverdrossen von neuem beginnen; wenn dieser reißt, dann erst will ich die Arbeit auf ewig aus den Händen werfen.

Er umarmte feurig seinen Sohn. Ja, Vater, rief Abdallah aus, ich bin noch dein und werd' es bleiben. Laß dich von dieser Freude noch in diese Welt zurückhalten.

Die Wunde Selims war minder gefährlich als gestern, aber er war ermattet, selbst das Sprechen ward ihm schwer. Abdallah blieb bei seinem Vater, er brannte vor Begierde den Inhalt der Blätter zu erfahren, aber es war unmöglich, den Kranken, dem seine Hülfe so unentbehrlich war, zu verlassen. — Am Abend stellte er ein kleines Ruhebett neben das Bett seines Vaters und zündete eine Lampe an, die er in einem benachbarten Zimmer gefunden hatte.

Schon zitterten die Sterne durch die fliehenden Wolken, die Nacht stieg aus ihrer schwarzen Behausung auf und breitete durch den Himmel ihren Mantel aus, Selim schlief nach und nach ein und die kleine Lampe warf durch das enge Zimmer eine matte Dämmerung, Abdallah zog aus seinem Busen die Palmblätter, sein Auge durchflog sie von neuem und alle Schreckgestalten traten mit neuem wirklichen Leben auf ihn zu. — Nein, sagte er zu sich selbst, Omar kann mir nicht zurückgegeben werden, diese Warnungen hier lassen mich das Schrecklichste fürchten, die grausamen Blätter werden mir ihn nicht wiedergeben, — er las weiter:


— — — — — »Endlich schien er gerührt, oder der alten Ergötzung überdrüssig, denn welches Mitleid sollte diese steinerne Brust bewohnen. — Ich will dich von deiner Kette losnehmen, rief er und neigte sich wie ein Gewitter auf mich herab, aber nur unter einer schweren Bedingung geb' ich dich frei.«

»Sprich sie aus, Gräßlicher, heult ich ihm entgegen, o sprich, nur nimm mich wieder aus dieser Höllenpein, sprich es schnell und ich will das Unmögliche möglich machen!« —

»Der Felsen bog sich auseinander und gab mich frei, voll von der wonnevollsten Empfindung der Freiheit lag ich lange ohnmächtig und ohne Bewußtsein, endlich kam mein Geist zu mir zurück, Mondal stand noch neben mir.«

»Wandre zur Welt zurück, sagte er mit fürchterlicher Stimme, und nur das gräßlichste, vor dem der Sterbliche beim Anhören zurückschaudert, kann dir meine Verzeihung erwerben. — Keine gemeine und leichte That söhnt dich mit mir aus, wohlfeil kannst du dich nicht loskaufen. Itzt versuche deine Kraft; nur ein Sohn kann dich befreien, der, ohne vom Wahnsinn umhergejagt zu werden, seinen eignen geliebten Vater dem Tode übergiebt. Vollendest du diese Arbeit nicht, so will ich Quaalen für dich ersinnen, die im Augenblick dich zermalmen und mit noch gräßlichern Schmerzen dich wieder in's Leben zurückreissen, alle meine Kunst will ich dann aufbieten und meinen ganzen Scharfsinn an dir in Thätigkeit setzen. Ungestraft soll ein Mensch meiner nicht spotten dürfen. — Geh zurück und lies dir einen Sterblichen aus, der dich löse; nach zwanzig Jahren erwart' ich deine Rechenschaft.«

Ich ging. — Für Selim, sprach ich, habe ich gelitten, er soll meine Quaalen bezahlen. — »Und dort Nadir,« rief Omar itzt mit lauter Stimme, — »dort liegt mein Unterpfand!«

Omar hielt ein und stand in tiefen Gedanken. Schauder und Erstaunen hatten bis itzt meine Zunge gelähmt, ich fühlte mich von Omar mit tausend Armen zurückgerissen. — Dort unter jener Palme? rief ich nach langem Stillschweigen aus. —

»Ja,« antwortete Omar, »er bezahlt die große Schuld, auf ihn bin ich von Mondal angewiesen, er ist meine Speise, an der ich meine Rache sättige.«

Ich fuhr zurück und wollte auf dich zueilen, dich zu wecken und dir alles zu sagen. — Unglücklicher! erwache! rief ich mit lauter Stimme, du schläfst und siehst den Felsen nicht, der über deinem Haupte zusammenstürzen will!

»Nadir! mein Freund!« schrie Omar, — »o hab' ich mich an der Menschheit wieder geirrt? Ich hoffte auf dein erquickendes Mitleiden, dein Bedauern wäre mir ein frischer Sonnenstrahl gewesen, — und du willst deinen Omar zu unendlichen Martern zurücksenden? Ist dir dieser Unbekannte mehr als dein Freund?« —

Fort von mir, Entsetzlicher! rief ich mit wilder Stimme, fort mit deinen Händen! Du hast die Verdammniß angetastet, die Hölle hängt an dir!

Ich wollte auf dich zueilen, aber Omar riß mich gewaltig zurück, wir rangen einen hartnäckigen Kampf, wüthend stritten wir in hundert Gestalten, als Tiger, Löwen und Elephanten, unermüdet jagten wir uns durch viele Leben hindurch, Omar verwandelte sich endlich in eine große glühende Feuerkugel, um mich zu zernichten, ich warf mich ihm in eben der Gestalt entgegen und wir fuhren donnernd gegen einander. Endlich mußte ich der höllischen Übermacht Omars weichen, die Donner und Sturmwinde erweckten dich aus deinem Schlafe.

Ich sahe dich mit ihm zur Stadt zurückgehn, er hielt dich fest und wachte über dich, wie ein Tiger über seine Beute.

Ich konnte diesen schrecklichen Abend nicht vergessen, durch die Gewalt, die Achmed mir verliehen hat, schwebte mein Geist unsichtbar um dich her, ich entdeckte die Kunst, mit der Omar dich der schwarzen Stufe allgemach entgegenführt, er hat dir deinen Glauben an Gott und die Tugend genommen, die Welt ist dir verächtlich, deine Leidenschaft kämpft gegen die Liebe deines Vaters, das Zaubergeheimniß führt dich dem Wahnsinn entgegen, du ringst mit hundert furchtbaren Wogen, die dich verschlingen wollen, dein Wesen zuckt in ewigen Todeskrämpfen; nur Zulma hält deine Sterblichkeit noch zusammen. Liebe beglückt die Natur, nur dir ist sie eine Quelle, in der dir Tod sprudelt, auf diesem Nachen fährst du in den unvermeidlichen Strudel hinein, — o Abdallah, Abdallah, rette dich! Ich habe dir die Zukunft aufgethan, du weißt nun deine grausenvolle Bestimmung; o ich beschwöre dich, glaube meinen Worten, laß keine blendende Lehre dein Herz dem Ewigen untreu machen, vergiß nicht seine heiligsten Gebote. Wenn du, mir mißtrauend, zu deinem vorigen Freunde zurückkehrst, o so bist du unfehlbar verloren, er führt dich gewiß endlich auf dem verderbenvollen Wege zu seinem gräßlichen Endzweck; ich biete dir die Hand zur Rettung, o ergreife sie mit kühnem Muth; bin ich gleich ein Fremdling, nicht dein bekannter Freund, so glaube mir dennoch, denn beim Ewigen, meine Gedanken sind lauter, mein Herz schlägt noch für die Tugend.

Ja, Jüngling, es ist Tugend, o verachte den, den sie auf ewig von sich gestoßen hat und der sie aus boshafter Rache verläugnen will. Suche diesen Diamant wieder, der den werthlosen Ring adelte. Wir wanken unter Räthseln umher, aber fühltest du nicht ehedem ein Feuer in dir, das dieser Gottheit loderte? Das Gefühl der Tugend ward uns mit auf die Welt gegeben, um hier unten an diesem goldenen Gewebe weiter zu arbeiten und es einst vollendet zurück zu bringen. Dies Gefühl das in unserm Busen glüht, ist mit der Natur des Menschen verschmolzen und keine Vernünftelei wird es je verbannen, nichts löscht diesen Glanz aus, der auch wider des Bösewichts Willen niedergedrückt stets von neuem in ihm aufleuchtet, diese Stimme schreit immer wieder im Busen des Verbrechers, der innere Richter schläft nie ein, sein Buch liegt immer offen und unverfälscht da. — Dieses himmlische Gefühl ist der Fittig, der uns einst zum Thron der Gottheit hinaufschwingen wird; o lähme nicht diese Flugkraft, dieser Muthwille würde dich einst an jenem Tage allmächtig niederwärts halten. Kehre zurück und baue die wilden Trümmern wieder auf, laß dein Menschengefühl von keiner falschen Vernunft zu Boden ringen, der Thron des Ewigen wird unerschüttert stehen, wenn auch tausend Zweifel gegen ihn anschlagen, die Welt geht ewig ihren großen Gang und kein Menschenauge, kein andres Auge als der Blick des Schöpfers wird in das innere Geheimniß dringen. Glaube es, Abdallah, wie du es ehedem geglaubt hast, daß der Mensch höher stehe, als das Thier, das unverständig über die Pracht der Schöpfung hinweggeht, ohne in ihr den Wiederschein der Gottheit zu sehn: in dem Busen jedes Sterblichen liegt das hohe Gefühl, das ein Abglanz des Himmels ist; Abdallah, laß dir nicht heimtückisch dies Kleinod entwenden, du findest keinen Ersatz in der Sterblichkeit. Ein großes Netz ist um dich her geworfen, zerbrich muthig das eiserne Gewebe, ein Verbrechen ist dir zubereitet, an dem noch kein Mensch der Verdammniß zueilte, durch den zärtlichsten Sohn soll der Vater sterben, Liebe und täuschende Lehren haben ihre ehernen Haken nach dir ausgeworfen, du mußt verbluten, wenn du dich nicht rettest, Dämonen tanzen um dich her und schleppen dich dem Meere zu, wo du auf ewig untersinkst.

Du siehst traurig auf diese Worte hin und fühlst, daß du Zulma's Liebe nicht verloren geben kannst, du zweifelst, ob du dieses Unterpfand deines Glücks selbst gegen die Tugend auswechseln solltest, du kannst nicht zurückschreiten, ohne den Fuß über den Strom zu setzen, der dein Glück und Unglück scheidet. — Deines Vaters Fluch wirft sich deiner Liebe entgegen und Omar will dich auf der Bahn des Lasters über diese Unmöglichkeit hinwegführen, du glaubst keinen andern Pfad zu sehen, aber vertraue dich mir und ich will dich glücklich machen. Die Geheimnisse des Geisterreichs sind dir nicht unbekannt, in einer Nacht soll sich in diesen magischen Gefilden dein großes Glück entscheiden. Ohne deine Menschheit zu zertrümmern, will ich dich über den Fluch deines Vaters hinweg, in die Arme deiner Zulma führen, diesen einen Weg, nur mir bekannt, hat dir das Verhängniß offen gelassen, reich' deinem Freund Nadir die Hand und du wirst nicht in der Irre wandeln. — O wie leicht, voll von Seligkeiten wird dein Herz in deinem Busen klopfen, wenn du am sonnbeglänzten Ziele die Krone des Siegers empfängst, Zulma in deinen Armen, dein Vater neben dir und dich selber dem schwarzen Verderben wieder abgekämpft. Alle Schrecken, die dir nachjagten, fliehen dann mit flatterndem Haar zur Hölle ihrer Heimath zurück, glänzend steht die Gegenwart wieder neben dir, die Zukunft geht dir mit Rosenkränzen entgegen. O Jüngling, betrachte dies wonnevolle Bild und kehre zurück. — Kannst du je selbst in Zulma's Armen glücklich sein, wenn der schwarze Wurm in deinem Busen ewig frißt und an deiner Seele mit giftigem Zahne nagt? Wenn du dir selbst unaufhörlich einen Spiegel vorhältst, aus dem dir das todte Haupt deines Vaters von einem unerbittlichen Ankläger entgegengestreckt wird? Wenn Verzweiflung dir den Becher reicht und die bleiche Reue dir auf jedem Schritte folgt? — Wenn selbst die Thräne endlich in deinem Auge vertrocknet und du mit banger Gewissensangst vor deinem eigenen Schatten zurückstürzest? — Verehre den Schöpfer und seine Welt, gieb dir selbst deine Achtung wieder; o wenn du einst Zulma nicht mehr lieben solltest, so wirst du auch nur in ihr den gemodelten Staub und die Hülle eines leblosen Gerippes finden, laß den Vorhang wieder fallen, den du vorwitzig von dem Innern der Natur hinweggezogen hast, das Auge des Menschen kann und darf nicht den großen Weltenschöpfer meistern; ehedem sahst du in jeder Fliege Schönheit, itzt steht in jedem Leben ein unbekanntes Ungeheuer vor dir, dein einseitiger Blick muß ewig irren. Du verachtest die Welt, weil sie sich nicht in deine Launen fügt, du klagst den Ewigen und seine Schöpfung an, weil er dich beim großen Gebäude nicht um Rath befragte.

Wenn du dich zum Kampfe gewappnet hast, der dir Zulma erkaufen soll, so komm in der Mitternachtsstunde in jenes Felsenthal, in welchem sich ein Wasserfall vom Berge gießt: du mußt mit dem Geisterreich vertraulich werden und durch tausend Schauder unerschrocken gehen. Wenn du auch nicht die Möglichkeit der Auflösung begreifen kannst, so ist sie doch da, durch Muth mußt du Zulma gewinnen; um dein Glück in Ruhe zu genießen, um ewig von diesen schwarzen Dämonen der Nacht unangefochten zu bleiben, mußt du dich kühn hinein in ihre Mitte wagen, dann wirst du auf immer ihre Furchtbarkeit von dir abschütteln. — Geh ihnen dreist entgegen, es sind nichts als leere Schreckgestalten, die vor dem Blick des Muthigen sich zurück in ihre Nichtigkeit retten. — In jenem Thal' erwart' ich dich.

Den Zauberring reiß von deinem Finger, er fesselt dich unauflöslich an Omar und dein Elend, er ist das letzte Glied der schwarzen Kette, an der der Meineidige dich hinter sich schleppt, wirf ihn von dir und das Band zwischen dir und ihm ist zerrissen und du gehörst der Menschheit wieder zu.

Ich stehe hier auf dem Felsen wie ein Leuchtthurm, der dich im Wogensturm in einen sichern Hafen winkt; säume nicht, Abdallah, neun Nächte erwart' ich dich hier, kömmst du nicht, so will ich für dich beten.

 


 

Achtes Kapitel.

Abdallah hatte die fürchterlichen Blätter geendigt und sein Auge sah noch immer starr auf die letzten Worte hin, er verlor sich in tausend wunderbaren Gedanken und Gefühlen und eine stumpfe Betäubung hielt endlich alle seine Sinne gefangen. — Das schwarze Buch der Nacht mit der goldenen Schrift war durch den Himmel aufgeschlagen, die Erde ruhte ringsum in einem heiligen Schlummer; die Lampe im Zimmer brannte matt und blau und zuckte sterbend um die rothe Gluth des Dochtes, itzt hob sie sich zum letztenmale und verflog in die Finsterniß, die rothe Kohle zersprang knisternd und die Funken erloschen nach und nach, immer leiser und leiser flüsterte es um Abdallah her.

Nun ist es ja gelöst, sprach er endlich, das große Räthsel. O daß die Hölle Raum in so wenigen Worten findet! Hinweg mit dem schändlichen Namen Omar aus meinem Gedächtniß! Hätt' ich ihn nie nennen hören! dieser Name — o ich kann diesem Gedanken nicht folgen, bei dem mein Verstand erlahmt — dieser Name ist das Freudengeschrei der Hölle und doch so fest in mein Leben verwachsen: aber ich will ihn auf ewig ausreissen, die Vergessenheit soll ihren Fittig über ihn schlagen und dann ist es, als wär' es nie gewesen. Eine neue Hoffnung tritt auf mich zu, Zulma und doch Mensch bleiben, meine Liebe und meinen Vater erhalten, — ja, Omar, fahre wohl, ich nehme diesen Weg, fahre wohl, wir sehn uns nie wieder. Gehe du zu deiner kalten Verdammniß zurück, ich gehe in die Wohnung der Seeligen und finde dort alle jene Schätze wieder, die einst mein waren. Mögen die Stunden verflucht sein, die ich mit dir verlebte, dreimal verflucht! — Doch still, Unbesonnener, du verfluchst dein ganzes voriges Leben! —

Er zog den Ring vom Finger und wollte ihn eben durch das Fenster in ein Gebüsche werfen, aber plötzlich hielt er ein, — ein Gedanke überraschte ihn. —

Was willst du thun? fuhr er fort, — auch das letzte Bret fahren lassen, das dir der Schiffbruch übrig gelassen hat? — Hat Omar mich nicht selbst vor den Verläumdungen der Lästerer gewarnt? Wodurch hat es dieser Fremdling verdient, daß ich seinem Märchen und seiner ungeprüften Redlichkeit mehr glaube, als meinem längst erprobten Freunde? Ihn will ich zurückstoßen und mich einem ungewissen Schicksal in die Arme werfen? Wie kann ich wissen, in welchem dunkeln Winkel ein neues, noch größeres Elend für mich gesponnen wird, und diese Erfindung ist vielleicht zum Eingang in das Jammerthal bestimmt. Und wie kann dieser Nadir die Unmöglichkeit unter sich niederkämpfen? Wie meines Vaters Gebot mit meiner Liebe vereinigen? Auf welchem Wege sollen sich diese Widersprüche begegnen? — Es kann nicht Wahrheit sein, es ist ein Betrug, ein Fremdling will auf dem Thron sitzen, den mein Omar bis itzt eingenommen hat. — Aber wenn es Wahrheit wäre? O welcher Schmerz, welche Wuth erschöpften dann mein Elend? Was könnte mir dann meine Seligkeit bezahlen, die ich wie ein muthwilliger Knabe verspielt hätte? — Ich will hinaus und das Unternehmen wagen, für Zulma ist jede Gefahr nur ein Spiel! Und dieser Ring hier sei mein Anker, den ich an das Land werfe, wenn Wogen mich zu verschlingen drohen.

Mit diesem Entschlusse ging er leise aus dem Zimmer und suchte durch den Wald den Weg nach jenem furchtbaren Felsenthal. Wild lag die Nacht über der Natur ausgebreitet und tausend schreckliche Phantome ruhten auf ihrem schwarzen Mantel, Irrlichter schweiften durch den Wald und rothe Strahlen kräuselten sich um die Krone der schlanken Fichten, Ungewitter zogen am Horizont mit fürchterlichem Schweigen auf; aber Abdallah drängte sich durch die Nacht und ihre Furchtbarkeiten hindurch, er fand endlich die Heerstraße und das enge Thal.

Willkommen! Willkommen! rief ihm eine Stimme freudig entgegen, o glücklich, daß du meiner Einladung gefolgt bist. Nadir stieg schnell von einem Felsen herab und eilte ihm entgegen. — Wenn ich dich retten kann, Abdallah, so bin ich glücklich, dein Geist ist edel, dein Herz sanft und so tief zum schändlichsten Verbrechen solltest du herabsinken? In dir fließen tausend Quellen der Seligkeit und alle sollten dir mit Quaalen entgegenrauschen?

Abdallah reichte ihm zagend die Hand. — Ich will mich dir vertrauen, rief er aus, ich will dir glauben, so gern ich dir nicht glauben möchte. — Zeige mir den Weg zu meinem Glücke!

Du wirst durch eine Menge von Schreckgestalten gehen, sagte Nadir, aber laß dich von keiner auf deinem Wege zurückhalten, es sind nur leere Gebilde, die wie ein Rauch um dich wehen und sich wieder in Nichts verwandeln; wenn du durch alle Schrecken hindurchgezogen bist, so bist du nur von einem schweren Traum erwacht. Um nie wieder vom Geisterreich und seinen Phantomen im Glücke beunruhigt zu werden, mußt du durch das ganze magische Gefilde wandeln; laß dich von keiner Furcht überraschen, denke unaufhörlich daran, daß es dein Glück oder Elend entscheidet, wenn du zitterst, oder sie muthig verachtest. —

O laß mich durch das Reich der Nacht hindurchdringen, laß mich mein Glück erjagen und mich tausend grauenvolle Bilder verfolgen, Zulma sei mein Kriegsgeschrei, ich will ihr Bildniß in meiner Fahne tragen und mich kühn durch alle Schrecken kämpfen. —

Nadir ergriff seine Hand und sprach einige Worte. — Plötzlich sank unter ihren Fußen die Erde ein und sie standen in einem weiten unabsehlichen Felsengewölbe. Eine matte Dämmerung goß sich durch das Steingemach aus, an tausend hervorragenden Spitzen zuckte ein bleicher Schimmer und fluthete in grünen Strahlengeweben durcheinander, ein betäubender Duft wälzte sich in leichten Wolken empor und schimmerte wie ein Nebel, oben lag eine schwarze Finsterniß, eine Mauer, durch die kein scheuer Strahl des Sternenlichtes zitterte. Ein leises Brausen rauschte wie ein Gespenst in der Ferne dahin und aus den Steinen sprangen Strahlen und verflogen wie sinkende Sterne.

Vergiß meine Worte nicht, sagte Nadir noch einmal, laß dich nicht täuschen, sondern gehe kühn durch jene Gestalten, die sich dir mit allen Schaudern entgegenwerfen werden. So ungestalt und wunderbar, in so seltsamen Schreckgebilden sich auch die Nichtigkeit verkleiden mag, so vergiß nie, daß es nur Dünste sind und keine Wirklichkeit, daß alles ohne Gewalt um dich herum spielt und nicht an dich hinandringen kann, ein eherner Schild ist vor deiner Brust gehalten, laß die Wesen daran vorüberrauschen, so lange dein Muth dich aufrecht hält, können sie dir nicht schaden. —

Und wann, fragte Abdallah, wann ist mein Glück entschieden? —

Noch in dieser Nacht antwortete der Greis, lös't sich alles auf; gewinnst du das Kleinod, so ist es dein vor dem Aufgang der Sonne, so kömmt dir dein Vater und Zulma mit der Morgenröthe entgegen und bringt dir deine verlorne Ruhe wieder. —

Aber nur eine Ahndung, sagte Abdallah dringend, nur ein Wink meinem Geiste, wie dieses schwere Räthsel aufzulösen möglich sei. —

Ich darf nicht sprechen, antwortete Nadir mit ernstem Blick, denn sähest du in der Tiefe der Ungewißheit den Nachen der Zukunft schwimmen, dränge dein Blick bis auf den Boden des Abgrunds, in den du hinuntersteigen sollst, o so wäre dein Unternehmen kein Kampf, vor dem man zurückzagen könnte, das Verdienst des Wagens ginge unter und Abdallah wäre ein falscher Spieler, der dem Schicksal mit Betrug sein großes Glück abgewönne.

Er schwieg und ließ dann unwillig die Hand Abdallahs fahren. — Aber du traust mir nicht, setzte er mit Verdrossenheit hinzu, das sagt mir dieser Ring. — O möge dich dies Mißtrauen nie gereuen! — Itzt lebe wohl. —

Er ging zurück und verschwand plötzlich in die Felsenwände.

 


 

Neuntes Kapitel.

Abdallah sahe ihm lange nach, er war ungewiß, ob er noch itzt den Ring vom Finger reissen solle, oder nicht, er versuchte es, aber der Zauberring klemmte sich fest und gab dem Drucke nicht nach. Abdallah ging mit langsamen Schritten vorwärts.

Das Gewölbe schloß sich immer dichter hinter ihm zu, als wenn es ihm den Rückweg zur Welt versperren wollte, gewaltsam hielt ihn die Unterwelt in ihren Armen, lebendig eingegraben war ihm zum Tage durch tausend Klippen die Rückkehr verriegelt, vor ihm eine schwarze, undurchdringliche Nacht, unter bangen Räthseln und Erwartungen gefangen, war er oft im Begriff, sich umzuwenden und den Rückweg durch die Klippenlabyrinthe zu suchen. Aber dann dachte er wieder an jene unterirdischen Gewölbe, zu denen ihn Omar hinabgesandt hatte, er sahe den Leichnam seines Vaters vor sich liegen und ging weiter, indem er laut den Namen Zulma rief und sich durch die dicke Finsterniß drängte.

Der bleiche Schimmer glitt nach und nach von den Wänden herab und die Dunkelheit wuchs immer dichter zusammen, endlich versank der letzte Strahl und eine schwarze dichtere Nacht fuhr wie in tausend Wolken nieder. — Die Felsenmauern endigten sich und er trat in ein großes unendliches Gefilde, über das ein dürrer Wind hinwehte. — Er athmete bange empor, drückend lag die Finsterniß auf ihm gewälzt, er ging wie ein Schatten durch die schwarze Nacht dahin, wie ein Gespenst, das auf dem öden Schlachtfelde in stiller Nacht seinen Leichnam sucht, er wagte es kaum, Athem zu holen und den Fuß hörbar aufzusetzen, eine Stille, so einsam und todt lag um ihn her, daß er den Wurm vernahm, der durch das erstorbene Gras mit knisterndem Fuße ging. Bei jedem Schritt verschlang ihn eine dickere Dunkelheit, bei jedem Fußtritt glaubte er in ein neues Grab zu treten, das über seinem Kopf zusammenschlug; wohin er auch das bange Auge warf, stand die kalte Nacht dicht vor ihm, kein Strahl zuckte mitleidig durch das schwarze Gewölbe, kein Funke erglühte und warf sich durch das Dunkel, selbst kein Laut trat freundschaftlich seinem Ohre nahe, ihn zu trösten. —

In dumpfer Betäubung wandelte er durch die dunkle ausgestorbne Leere, als er plötzlich an der fernsten Gränze der Finsterniß ein blaues Licht entdeckte, das wie eine kleine Sonne grüne Strahlen um sich warf, in hundert Krümmungen zuckte und in wechselnden Farben spielte. Die Nacht sog begierig den Schein in sich und zitterte dämmernd und ungewiß um die ferne Helle. — Abdallah ging mit erneutem Muthe dem Lichte näher, das ihn mit tausend hellen Fingern zu sich winkte. — Schon sah er deutlicher den Weg unter sich, schon zog die Dämmerung immer schneller von seinen Augen hinweg, — als er vor einem Pallaste stand, aus welchem ihm das Licht entgegen glänzte. Ein breiter Fluß rauschte dem Schlosse vorüber und eine Brücke führte zum Eingang des Pallastes. — Der Strom floß still und schwermüthig hin, seine Wellen murmelten leise wie das Schluchzen eines Weinenden, das hohle Ufer klagte ihnen in wimmernden Tönen nach.

Abdallah betrat die Brücke, lehnte sich gedankenvoll auf das Geländer, und betrachtete den Funken, der vom Pallaste her sich in trüben Streifen in den Wogen spiegelte, hundert Wellen flossen unter ihm hinweg und wollten den tröstenden Schein mit sich hinwegwälzen, aber hartnäckig sprang er wieder von dem Rücken der Woge herunter und sie floß weinend und klagend weiter. —

Er verließ die Brücke und sie zog sich hinter ihm auf; Abdallah fuhr zusammen. — Jedes Grausen stieß ihn vor sich her, übergab ihn dem benachbarten Schauder und sprang dann von ihm zurück, wie ein Felsenstück, das ein Wasserfall von der höchsten Spitze des Berges reißt; eine Klippe wirft es spielend der andern zu, ein Abgrund dem andern, zurück führt es kein Sturm und kein Wassersturz, die Klippen beugen sich nicht herab, um es wieder aufwärts zu tragen. —

Itzt stand er vor dem Eingang des Pallastes; über der Thür waren diese Worte geschrieben:

»Wanderer, der du über den Thränenstrom gegangen bist, sieh hinter dir, der Rückweg ist unmöglich, nur durch diesen Pallast geht der Pfad der Rettung. — Fühlst du aber keinen Muth in deinem Busen, so wirf dich in den Strom, denn Schrecken lauern auf dich hinter der Thür.«

Abdallah trat in das große Thor und sein Fußtritt hallte laut in den hohen Gewölben, wunderbare Töne kamen ihm entgegen, flogen über ihn hinweg und streiften die Mauer, die Gebäude schienen den Fremdling staunend anzublicken, ein ungewisses Gewirre von gebrochenen Lauten wimmelte um ihn her. — Er ging über den gepflasterten Hof, jeder Schritt hallte dreifach an den unermeßlichen Wänden, auf denen sich die Nacht zu stemmen schien. Er ging durch eine Thür und trat in ein dunkles stilles Zimmer, er ging durch das Gemach hindurch, um eine andre Thür zu öffnen, die ihn auch in ein leeres unerleuchtetes Gemach führte, das Grausen schien diesen Pallast zu bewohnen, alles rundumher war still wie ein Grab. — Er eilte mit leisen Schritten und verhaltnem Athem durch viele Gemächer, und alle fand er leer, endlich eröffnete er eine Thür und ein schwacher Schimmer brach ihm entgegen.

Eine Lampe hing in der Mitte des Zimmers, die es erleuchtete wie der Mond durch schwarze Wolken das Gefilde, alles war still und feierlich umher, ein betäubender Dunst umgab ihn, und auf einem Ruhebette lag ein Greis und schlief, sein silberweißer Bart fiel ehrwürdig auf seine Brust herab, seine Füße ruhten auf einem kostbaren Teppich. Er glich dem Propheten Gottes an Majestät, Engel wären vor ihm niedergekniet. —

Abdallah stand in einer ehrerbietigen Entfernung und betrachtete den schlummernden Greis; der Schlaf schien sich mit Wohlgefallen über ihn zu neigen und ein Traum ihm den Himmel aufzuschließen, er lächelte im Schlaf, und Abdallah fühlte, daß sich Thränen heiliger Ehrfurcht und Anbetung in seine Augen drängten.

Endlich trat er näher, und eine leise Musik schwebte wie ein Abendnebel vom Boden empor und wiegte sich zitternd durch die Dämmrung, wie ein Duft stieg sie auf, und verhallte im leisen Nachklang an dem Gewölbe und quoll von neuem in süßeren Melodieen auf; Wohllaut ergoß sich auf Wohllaut, wo kleine Wellen sich im Mondschein übereinanderjagen, von wankenden Blumen angerührt; jeder Ton schwamm so süß hinüber, wie der letzte sterbende Klang der Flöte, jeder Ton schien den Wonnegesang zu schließen, und immer neue Accente gossen sich aus, wie ein stiller Quell, der sich unaufhörlich aus der Wiese hervordrängt. Heilige Wollustschauer zitterten durch Abdallahs Brust, seine Seele verlor sich in den entzückenden Melodieen.

Wie eine Wasserblase langsam aus dem Meere aufsteht, und sich immer größer und größer ausdehnt, bis sie endlich zerspringt, so hob sich itzt der Greis von seinem Ruhebette langsam und nach dem Fluß des Gesanges auf, er stand, dehnte sich und sank von neuem zurück und erhob sich von neuem, seine weit ausgestreckten Arme schienen sich von dem gewundenen Körper loszureissen, seine Züge und seine Gestalt waren nicht körperlich, er glich einem leicht gewundnen Nebel, — endlich öffnete er die Augen, es war, wie wenn der erste Strahl des Morgens durch den nächtlichen Rauch bricht.

Wer schlägt den heiligen Talisman an, sprach er leise und langsam, und erweckt mich vom Schlummer? Die Melodie zerreißt das goldene Netz, das ein schöner Schlaf um mich her geflochten hat, mein Geist kömmt über den Fluß zurück, der die Erde und den Himmel scheidet. Wer ist es, der die große Glocke anzieht, die mich zu erscheinen zwingt?

Abdallah schwieg. — Ha! bist du es Jüngling, fuhr der Greis freundlich fort, auf den ich hier schon so lange harrte? Glücklich, daß du mich gefunden hast. — Ich will deinem Blicke das Reich der Weisheit aufschließen, du sollst in die Tiefen der Erkenntniß dringen, ich will dir eine Leuchte geben, und du sollst in die finstern Schachten steigen, um Gold von schlechtem Erze zu sondern. Auf dem Pfad des Lebens will ich dich begleiten und in den Sonnentempel der Tugend führen, dich dem Glanzthrone der Gottheit näher bringen, du sollst den Blick in die flammenden Meere wagen und sehen, was nur der Cherub sieht.

Plötzlich fuhr er mit der Hand nach der Brust, ein innerer Krampf schien ihn heftig zu erschüttern, wie Meereswogen sank und stieg sein Busen ungestüm, eine wilde Wuth schien in seinem Innern zu ringen und gewaltig seine Seele gegen die Mauern seines Körpers zu schleudern.

Tugend? rief er geängstigt, — o wo geht der Strahl auf, nach welchem die Menschheit so ungestüm sich drängt? — Wo ist der Grund, auf dem der Thron der Gottheit ruht? —

Der Wahlspruch der Unendlichkeit, die Loosung aller Wesen heißt Genuß! — Was kann der Staub, den das Ohngefähr im Spiele modelte und zum Scherz in die Wirklichkeit warf — wie kann er sich so trotzig aufrichten und nach den Sternen als seinen Brüdern die Hand ausstrecken? — Wie kann er vermessen den ewigen Richter auffordern, um sich auf der untrüglichen Waage abwägen zu lassen? — Er geht im Trotze zur Verwesung zurück und träumt von Unsterblichkeit; ein herrschsüchtiger Sklave, der sich von der eisernen Kette des harten Nichtseins losgerissen hat, und verächtlich den Tyrannen spielt, ein Wurm, der sich aus seiner engen Höhle an das Licht verirrt hat und sich für den Herrn der weiten Schöpfung hält. — — Ein Wesen, das die Tugend erfand, um sich in seiner Tyrannei noch mehr zu brüsten; sein Name ist Verächtlichkeit, er gehört der Verwesung, die Elemente arbeiten an seiner Zerstörung, sie senden den Stolzen zurück, woher er gekommen ist, die Erde läßt sich unerbittlich die Schuld wieder bezahlen, ihrer strengen Rechnung ist noch keiner entronnen.

Welcher Sohn des Staubes kann in seinem engen Busen den Gedanken der Gottheit beherbergen? Sie fassen ihn nicht, den Unendlichen, und streben ihm entgegen, wie die Mücke, die der Sonne zufliegen will und sich am Schein der Lampe verbrennt: sie glauben und können ihn nicht begreifen, sie drängen sich einander in undurchdringlicher Nacht, ohne zu wissen wohin, alle Pfeile fliegen nach einem Ziele, das niemals aufgestellt wurde. Anbetung ohne Glaube und Glaube ohne Überzeugung.

Es ist kein Gott! rief er lauter, die Ewigkeit verspricht ihn vergebens, tausend Ewigkeiten sind verflossen, die Welten rollen sich durch die Unendlichkeit, und sehen ihm mit harrendem Auge entgegen, aber er kömmt nicht. Wo steht er verborgen und spottet der Erwartung?

Das Kochen seines Busens ward wüthender, er schlug heftig an seine Brust. Sein Kopf drehte sich gewaltsam hin und her, und seine Augen glühten und schwangen sich herum wie Feuerräder. — Ein Grinsen fletschte plötzlich aus seinem Munde hervor, er brüllte und hielt dem bebenden Abdallah ein knirschendes Lächeln in starrer Wuth entgegen. Abdallah fuhr mit einem lauten Schrei zurück, denn in der Nebelgestalt wankte es hin und her wie Omars Gesicht. —

Es ist kein Gott und keine Tugend! rief er noch einmal. Genuß ist die Tugend des Menschen, er selbst sein Gott, die Kette des Schicksals ist zertrümmert, ein blindes Ohngefähr streckt durch die Welten die eherne Hand aus, — alles ist Staub und Würmer, die Verächtlichkeit thront in der Schöpfung!

Vatermörder! schrie Omar's Stimme aus der Gestalt heraus, dein Vater wirft sich deinem Glück entgegen, — Vatermörder! Stoß ihn nieder und sei mir gegrüßt! —

Das wankende Bild streckte die bleiche Hand gegen Abdallah aus, der mit zitterndem Knie aus dem Zimmer entfloh. Ein kalter Schauder goß sich über seinen Körper aus, sein Herz schlug laut, ein eisiger Schweiß benetzte seine Stirn.

Er sammelte seine Kräfte und ging dann langsam weiter. Viele Gemächer und Säle öffnete er und ging hindurch, alle standen leer in wüster Dunkelheit, von einem heimlichen Grauen durchsäuselt. — Er kam an eine Thür, durch deren Spalten sich kleine Lichtstreifen drängten. — O es ist fürchterlich, sagte er leise, eine unbekannte Pforte zu öffnen und zu wissen, daß mir Schrecken entgegenspringen.

Er öffnete die Thür furchtsam und fuhr mit einem krampfhaften Schauder wieder zurück. — In einem großen hellerleuchteten Saal wütheten stumm und ohne begleitenden Gesang tausend Ungeheuer in Weibergestalten tanzend auf und ab. — Ein Riesenkopf mit verzerrten Zügen wankte auf zwergartigen Körpern schrecklich hin und her. Sie verschlangen sich in wilden Gruppen und stürmten wie Meereswogen stumm durch den Saal, sie rauschten immer schneller und ungestümer vorüber, die Flammen der Kerzen zitterten. — Vatermörder! schrie ihm eine wilde Gestalt entgegen und riß ihn in den Saal in die Mitte der schwärmenden Ungeheuer, man führte ihn taumelnd in den fürchterlichen Reigen, und eine Unholdin warf ihn der andern zu, im lauten Brausen wand man sich von neuem auf und ab, die Tänzerinnen sprangen und schwebten wild durcheinander, mit lächerlicher Entsetzlichkeit wälzten sie sich um einander her und hüpften mit fürchterlichen Geberden. — Dies ist deine Hochzeit, raunte ihm eine schreckliche Gestalt vertraulich in's Ohr und Abdallah fuhr zusammen; eine andre trat leise hinzu und flüsterte: siehe rückwärts, deine Zulma steht hinter dir. Abdallah wandte sich schnell, und ein gräßliches Wesen stand hinter ihm und fletschte ihn mit einem wahnsinnigen Grinsen an, alle ihre Züge waren fürchterlich verzerrt. — Sie reichte ihm eine lange dürre Todtenhand, und Abdallah entflohe; sie verfolgte ihn mit lautem Gebrüll, schon hielt sie sein Gewand, als Abdallah von einem Altan, auf den er sich gerettet hatte, hinuntersprang. —

 


 

Zehntes Kapitel.

Abdallah stand in einer weiten leeren Gegend, die schwache Mondstrahlen durch finstre Wolken nur mit einer einschleiernden Dämmerung erhellten. Ein schneidender Regen wehte ihn an, über das einsame Gefilde wehte traurig ein lauter Wind. Wie ein verschüttetes Grab fiel es hinter ihm zu.

Unbekannte Wesen schauerten ihm vorüber und entflohen eiligst, Gestalten gingen vorbei und schienen ihn mit mitleidigem Erstaunen zu betrachten, er war in eine Welt von Ungeheuern eingesperrt und ging mit wankenden Schritten durch ihre Einwohner, ein unbekannter Fremdling.

Wohin soll ich mich retten? rief er. Welche Schrecken stehn noch im Hinterhalt und lauern auf ihre Beute? Welche Schauder sollen noch in dem Mark meiner Gebeine wühlen? Meine Wünsche reichen zur Welt nicht zurück, die Gedanken, die ich von dort mitnahm, sind an dem gräßlichen Thor angehalten, Grausen umgiebt mich, alle meine Gefühle zerschmelzen in Schaudern, meine Gedanken werden Wahnsinn. In eine ungeheure Wüste hinausgestoßen, begrüßen mich nur die Ungeheuer der Nacht. — Über welche Steppen soll mein Fuß itzt wandeln? Wie Gefilde der Nichterschaffung streckt es sich vor mir aus, wo noch das wilde Chaos ungeordnet liegt und die Zeit nicht in die Tiefe hinabsieht, wo alle trägen Elemente im Todtenschlafe liegen und Leben und Verwesung sich umarmt, wie eine Gegend, die den schaffenden Ruf der Allmacht nicht hörte, aufgespart, um eine Hölle hier aufzubauen.

Er ging über eine große Haide, von einer schweren Bangigkeit gedrückt, von jedem Trost feindselig zurückgestoßen, von jedem erquickenden Gedanken abgewiesen. Endlich hörte er aus der Ferne einen Gesang, wie von Stimmen gesungen, die in krampfhaften Zuckungen und Todesschmerzen den letzten Schrei ausbrüllen; es glich dem Gerassel eines Wagens, der zerschmettert von Felsen stürzt, dem Schreien des Wassersturzes, der auf Klippen zerspringt:

Wir sind des großen Hauses
Gewaltge Wächter. —
Das Thor ist Verzweiflung,
Der Eingang Wahnsinn,
Jammergeschrei,
Schaudergebrüll
Sind die jauchzenden
Wonnegesänge,
Die aus der Wohnung
Dem Fremdling tönen. —
Ewig! Ewig!
Sieht der Gequälte
Marterzermalmte
Mit schwerem Ächzen
Nach der letzten Quaal.
Aber sie kömmt nicht,
Aber sie naht nicht,
Nimmergesättigt
Knirscht der grausame Zahn
An ihren Gebeinen. —

Ein wilder Klang ertönte zu der gräßlichen Melodie des Gesanges. Abdallah kam näher. —

Zwei riesengroße nackte Gerippe standen vor dem Eingang eines engen Felsenweges, der sich in geschlängelten Krümmungen wand. Sie standen gebleicht und zitterten mit den wankenden Häuptern; nach der Melodie des Gesanges schlugen sie mit Todtenbeinen klingend gegeneinander, ihr weißer Schädel nickte fürchterlich, einzelne dunkle Haare schweiften flatternd durch die dämmernde Finsterniß und seufzten in dem feuchten Nachtwind; mit den leeren Augenhöhlen starrten sie in die Wüstniß hinaus und aus den grinsenden nackten Gebissen drängte sich der zerschmetterte Gesang hervor.

Abdallah fühlte sich von einem kalten Wahnsinn angefaßt und ging in einer dumpfen Gleichgültigkeit den entsetzlichen Gestalten entgegen. —

Vatermörder!
Auf des Vaters Leichnam
Tritt in das Heiligthum der Schauder! —

so brüllte es ihm aus den Wächtern des Felsenwegs entgegen, er kam ihnen näher.

Vor dem Eingang lag der Leichnam seines Vaters gewälzt, blaß, mit geschwollenem Gesicht und fürchterlich aufgerissenen Augen. — Er schritt über den Leichnam ohne Besinnung hinweg und der Gesang fuhr ihm knirschend nach; wüthend und geängstigt, von tausend Foltermartern verfolgt, rannte er wie ein Rasender durch den Felsenweg: er war kühn durch die Gestalten hindurchgeschritten, und fuhr itzt selbst vor dieser Erinnerung bleich und zitternd zurück. Aus der Ferne hörte er den Gesang und das Klingen der Todtengebeine, er stürzte mit Verzweiflungseil durch die Krümmungen des Pfades, die schrecklichen Gerippe folgten ihm, er hörte ihren Vernichtungsgesang und stürzte brüllend weiter. —

Plötzlich stand er still. Die Felsen verliefen sich in einen spitzen schroffen Winkel, er hörte das Nahen der Gespenster, schon sahe er ihre Schädel über die Felsen her blinken, — stumm, ohne Gefühle stand er da, eine Distel, die sich von der Felsenwand beugte, schoß in seinem dämmernden Auge zum Baum empor, alles wankte zitternd hin und her, — er sank zur Erde, nannte den Namen Omar und drehte den Zauberring.

 


 

Drittes Buch.

 

Erstes Kapitel.

Abdallah erwachte am Morgen auf dem Ruhebette in der kleinen Hütte, er öffnete langsam die Augen und fuhr zusammen, als er die so bekannten Gegenstände wiedersahe: sein Vater schlief noch neben ihm. Er starrte die Decke und die Wände des Zimmers lange mit weit geöffneten Augen an, es schien ihm unmöglich, daß er das sähe, was vor ihm stand. — Der Morgen säuselte in den Gebüschen vor dem Hause, ein früher Strahl schlüpfte durch das grüne Gewebe des Waldes und zitterte flimmernd durch das Fenster, — lautschreiend bedeckte er seine Augen mit den Händen, denn Omar saß neben ihm. — Er stritt lange mit sich selbst, ob er es wagen solle, noch einmal nach dieser Gestalt hinzublicken, alles schien ihm nur eine neue Einbildung und die schrecklichste, die räthselhafteste von allen.

Abdallah, du kömmst aus einem schweren Traum zurück, sagte Omars freundliche Stimme.

Abdallah ließ ermüdet die Hände fallen, er sahe betäubt vor sich nieder. — Aus einem Traum komme ich wieder? sprach er mit erstickter Stimme, — o wo fängt die Wahrheit an? Wo steht die Gränzsäule? Laß mich sie finden, denn alle meine Sinne haben sich verwirrt. —

Omar wollte seine Hand ergreifen, Abdallah zog sie hastig und mit plötzlichem Schrecken zurück. — Was ist dir? sagte sein Lehrer; warum sieht mein Abdallah nicht zu mir auf? Warum erschrickt er vor meiner Stimme?

Warum? rief Abdallah lauter. — Ha! bist du nicht Omar, der der Nacht und ihren Schrecken gehört, was suchst du auf der Oberwelt? Willst du den Flüchtling einholen, der dir entlaufen ist? — Geh, wo mitternächtliche Schauder wandeln, wo das Verderben wohnt, dort ist deine Behausung, taste mich nicht an, Unhold, ich bin ein Mensch!

Ist das der erste Gruß, sagte Omar klagend, den mir mein Abdallah bei meiner Zurückkunft giebt?

Abdallah hörte nicht was er sagte, sein Geist stand vor einem gräßlichen Schlunde, in welchem tausend Mißgestalten sich übereinander wälzten und verschlungen, ein hundertfaches Leben wie in einem Körper wimmelte, sein Blick strebte die Ungeheuer zu sondern und jedes einzeln mit festem Auge zu betrachten, aber ein trüber Schleier zog sich vor sein Gesicht.

Ich habe in dieser Nacht eine gräßliche Bekanntschaft gemacht, sprach er, die Hölle hat sich mir aufgethan und in ihr Innres eingeführt, ein großes Siegel hat sich mir gelöst, ein böser Engel hat dir einen Brief gebracht und vorwitzig hab' ich ihn erbrochen. Ja, Omar, ich weiß nun alles, alles, deine Geheimnisse haben sich in meinen schwachen Menschenbusen gewagt, die Hölle wohnt in meinem Herzen; alle Schauder, die du pflanztest, sind mächtig emporgeschossen und ihre Frucht hat dich selbst vergiftet. — Fort! sei was du warst und dann komm zu mir zurück, bis dahin will ich dich verkennen, bis du mir ein Zeugniß bringst, das dich wieder unter die Menschen einschreibt.

Abdallah! Abdallah! rief Omar aus, deine Träume sprechen noch aus dir; nein, so kannst du nicht zu deinem Freunde Omar reden, oder hat dich Zulma in der neulichen Nacht zum Wahnsinnigen gezaubert?

Zulma! rief Abdallah aus, — dieser Klang ist der einzige in der ganzen Natur, der freundlich an die Saiten meines Herzens schlägt, diese Melodie ist mir in der großen Zertrümmerung übrig geblieben, alle meine Seligkeiten habe ich verspielt und diese einzige dafür gewonnen. — O alle meine Erinnerungen sind Lügner, oder du warst es, der mir diesen Diamant in der Finsterniß schenkte.

Omar. Ich that es, — aber mein Abdallah lohnt mich mit Undank. Oder hat mich ein Lästerer aus deinem Herzen gerissen? — Welche Hand hat jene Gemälde verlöschen können, die ich seit deiner Kindheit in deiner zarten Seele zeichnete? Ist denn von jener Liebe alles, auch die Wurzel verdorret und vermodert? Hat ein Sturmwind allen Blüthensaamen in das Meer verweht, daß auch nicht eine grüne Sprosse von neuem aus dem Boden keimt? — o dann hab' ich meine schönsten, meine letzten Jahre wie ein Knabe verschwendet, alle meine Hoffnungen und Wünsche einer Morgenröthe anvertraut, die hinter schwarzen Gewitterwolken untersinkt, — dann hab' ich keine Freude mehr, als das Grab. —

Abdallah. Du willst in meinem Herzen Fürsprecher erwecken, die ich selber nicht wiederfinden kann. — Ach, Omar, Omar, bin ich vielleicht wahnsinnig? Was sprech ich? Wer bist du und was ist diese Welt? O allenthalben renn' ich an eine Mauer wüthend an, die mich unbarmherzig zurückwirft. — Wen soll ich fragen und wo nach Wahrheit forschen? Ach, vielleicht bin ich ein Wesen, einzig und ohne Freund und Feind in einer leeren Wüste, das eingeschlafen ist und von allen diesen irdischen Possenspielen und Furchtbarkeiten träumt und beim Erwachen sich selbst verspottet.

Er dachte diesem Gedanken weiter nach und wandte sich dann von neuem zu Omar. Sei es, wie es sei, sprach er, ich will dir Rechenschaft geben, wie lange ich mit dem Vermögen ausreichte, das du mir geliehen hast, unbesonnen verschleudert hab' ich es nicht. Nein, Omar, der Kampf mit dir hat mir Arbeit gekostet, du ließest dich von meinem Mißtrauen nur schwer zu Boden ringen.

Er erzählte ihm den Inhalt der Palmblätter, die ihm Nadir in der Nacht gegeben hatte und die Erscheinungen der Unterwelt. — Siehe, schloß er seine Erzählung, dies sind die Begebenheiten dieser fürchterlichen Nacht, o alle Erscheinungen weisen mit ihren Gräßlichkeiten nach einem Mittelpunkt, meinem Elende hin; der Greis, der dir glich, der mich mit täuschender Freundschaft empfing und mit Gottesläugnungen von sich jagte, — ja nur das Grausen wird mich mit Zulma vermählen, meine Hochzeit wird sein, wie ich sie in dieser Nacht gesehen habe und auf dem Leichnam meines Vaters werde ich in die Wohnung der Verdammten steigen, ja, die Hölle hat mir einen Spiegel vorgehalten, in dem mir die Zukunft vorübergezogen ist.

Omar. Aber ermanne dich nur Abdallah und siehe, daß alle diese Gestalten nur Traumgestalten waren, die neckend um den Schlafenden gaukeln und bange vor dem ersten Blick des aufwachenden Auges zurückfliehen; denn ich kam in der Stunde der Mitternacht hierher und fand dich schlafend.

Abdallah. Du fandest mich? schlafend? hier auf diesem Bette?

Omar. Beim Propheten!

Abdallah. Nun, dann will ich alles Unbegreifliche glauben und auf die wunderbarste Erzählung, wie auf Wahrheit schwören. — Was sind alle meine Sinne, wenn sie solche Täuschung nicht bemerken? — Wenn der Herr in seinem eignen Hause sich verirrt und von einem Fremden wieder zurechtweisen läßt? — Omar, dann bin ich mir noch nie unbegreiflich gewesen, als itzt, wie soll ich dann die Wahrheit festhalten, die wie eine Schlange meinen Händen entschlüpft? — Woran soll ich dann nicht zweifeln, wenn ich daran zweifeln soll, daß ich diese Hütte verließ, daß ich die Sterne über mir flimmern sah, daß ich jene Blätter las? Wer stellt mir dann für mein Dasein einen Bürgen? O ich möchte nicht auf diese bedenkliche Behauptung schwören! — Welchen Gehalt hat dann der Verstand des Menschen, wenn seine Sinne, durch die er seine Schätze erhält, so betrügerische Sklaven sind? Alles, was wir wissen und glauben, ist dann nur ein Irrthum, unsre höchste Weisheit verkriecht sich dann vielleicht beschämt, wenn einst ein erleuchtender Strahl in die dämmerungsvolle Grube fährt.

Omar. Irrthum ist des Menschen Nahrung und hält ihn fest in den Kreis der Menschen; wenn im Mondschein die schwächere Täuschung möglich ist, den Stamm eines Baumes für einen bekannten Freund anzusehen, warum willst du an jener zweifeln, die dich im Traum über eine Haide und zu gespensterbewachten Felsen führt? Wer hat nicht schon irgend einmal so lebendige Gestalten im Traum gesehn, daß er ihn Wahrheit nennen möchte?

Abdallah. Aber auf diese Art, in solchem Zusammenhange mit meinem Schicksal!

Omar. Wären deine Gesichte weniger zusammenhängend, dann eben würd' ich sie um so leichter für Wirklichkeit halten, aber weil sie sich so genau an dein Schicksal schließen, scheinen sie mir nur Traumgestalten. — An jenem Abend, an welchem ein Sturm und der Glanz einer Feuerkugel dich aus dem Schlafe weckte, — an jenem Abend sannest du über neue, dir unbekannte Lehren, dein Lehrer war dein Freund, deine Schule eine schöne mondbeglänzte Gegend, liebliche Bilder wiegen dich in den Schlaf, — ein Greis eilt auf deinen Omar zu, — wer könnte Omar hassen, da du ihn liebst? Deine Augen sehen die Umarmung zweier Freunde — und du bist eingeschlafen. Aber deine Augen täuschten dich, dieser Nadir ist schon seit vielen Jahren mein Feind, er verfolgt mich von einem Ende der Welt bis zum andern, und als ich ihn an jenem Abend vom Berge steigen sah, warf ich mich ihm zu einem hartnäckigen Kampf entgegen, wir stritten in mancherlei Gestalten gemodelt und jagten uns endlich glühend durch den Himmel; ich sahe dein Erschrecken, aber damals wollt' ich dir diese Erscheinung nicht erklären, es wäre grausam gewesen, dem weichen Jünglings-Herzen den menschlichen Freund zu nehmen und ihm ein fremdes, kaltes Wesen dafür zurückzugeben. — Du liebst Zulma, die Unmöglichkeit geht dir entgegen, nur von der Noth gezwungen, entdeck' ich dir, wer ich bin. — Eine neue Thür zu einem unbekannten Gemache geht dir auf, du staunest, Schauder führen dich in die Geheimnisse der Mitternacht und du erfährst den grausamen Ausspruch des harten Schicksals. Du denkst nun deinen Omar nicht mehr mit der kindlichen Unbefangenheit, mit der du ihn ehedem dachtest, an seinen Namen knüpfst du dein Unglück und durch eine verzeihliche menschliche Täuschung verwechselst du ihn in eben diesem Augenblick mit der Ursach dieses Unglücks. — Ich nehme Abschied von dir und warne dich besorgt vor Lästerungen, die deinen Freund verläumden würden, du bist gerührt und kaum bin ich entfernt, so steht ein leiser Argwohn nach und nach in deiner Seele auf, du hältst meine Besorgniß für Bangigkeit des Bewußtseins. Was ich fürchtete, tritt ein, mein Feind Nadir benutzt meine Abwesenheit und warnt dich vor deinem Lehrer, der dich unglücklich machen will. — Du kömmst in Gedanken zurück, du bist nicht der einzige, der mißtraut, selbst ein Freund Omar's steht auf und zeugt gegen ihn, du verlierst dich in schwarze Träume. — Nadir will dich retten, Omar will dich elend machen. — Nur etwas Großes, Fürchterliches kann Omar bewegen, dein Elend zu wollen, — in diesem Gedanken versammelst du alle fürchterliche Träume deiner Kindheit, so entsteht das ungeheure Märchen, das du in den Palmblättern zu lesen glaubst. — Aber ist denn kein Ausweg aus diesem Felsengewinde? Soll dir Zulma ewig verloren sein? — Dieser Wunsch, der nach einer Befriedigung schreit, greift nach einer Hoffnung, mit den nächtlichen Geheimnissen vertraut siehst du nur in der Allmacht der Geister die Möglichkeit der Rettung, ein unbekanntes Wesen winkt dir und lockt dich durch süße Versprechungen an sich und du schläfst ein. — Schwarze Traumgestalten nehmen dich in Empfang, alle Gedanken, die du am Tage dachtest, kommen in der Nacht in Phantasieen gekleidet wieder, Omar ist ein Ungeheuer, Zulma dein Unglück, dein Vater liegt vor dir und Gespenster bewillkommen dich mit höllischen Gesängen. — In diesem Traume finde ich dich, von meiner Reise zurückkehrend: du siehst, nichts als eine Täuschung hat das ganze Gewebe zusammengeschoben. Allen Verdacht in dir zu tödten, dürft' ich dir nur die Ursach meiner Reise erzählen, aber sei damit zufrieden, daß sie dich deinem Glücke näher gebracht hat, etwas muß mein Abdallah mir auf mein Wort glauben, dies sei das Zeichen, daß er sich mit seinem alten Freunde wieder ausgesöhnt hat. — Ja Abdallah, du mußt mir es glauben, o bei allem, wobei ein Wesen schwören kann, ich liebe dich! — Meine Weisheit, meine Gewalt genügt mir nicht, mein Herz verschmachtet und dürstet nach Liebe, — dich hab' ich gefunden, dich hab' ich ausgewählt, deine Liebe soll mich glücklich machen, oder ich muß mich in mein Grab einschließen, — o Abdallah, laß diesen Traum dein einziges Verbrechen an meiner Freundschaft sein, gieb mir deine Seele zurück; willst du mich aus allen meinen Hoffnungen hinausstoßen und einsam und verlassen durch meine letzten Tage wandeln sehen? Nein, nein, das wird, das kann mein Abdallah nicht, dann hätt' ich ihn nie mit dieser innigen Vaterliebe lieben können, dann hätte er nicht so lange bei mir ausgehalten. — Ja, Abdallah, du bist wieder mein!

Abdallah sahe ihn mit festem Blicke an, als wollte er in seinem Auge die Seele wiedersuchen, die ehedem aus ihm gesprochen habe; in allen Zügen redete ihn jener Omar so herzlich, so dringend an, den er als Knabe geliebt hatte, — er fiel weinend an seine Brust. — Ja! ja! rief er laut schluchzend, ich bin wieder dein, keine Gewalt soll unsre Seelen auseinander reissen!

Selim erwachte. — Du begrüßest deinen Lehrer, sagte er, er ist in dieser Nacht zurückgekommen, aber du schliefest so sanft, daß wir dich nicht wecken wollten.

Omar. Wir sehn uns traurig wieder, Selim; das Schicksal hat eine schwere Hand gegen dich ausgestreckt.

Selim. Ja, Omar, aber meine Wunde schmerzt mich nicht mehr, meine Kräfte kehren zurück und ich will mich gewaltsam an die letzte Hoffnung halten, — sieht deine Weisheit noch in irgend einer Ferne ein Mittel, meinem großen, edlen Vorsatz auszuführen?

Omar. Ich sehe nichts. —

Selim. O dann, ja dann will ich meine Kräfte fallen lassen und mich verdrossen in den Wellen untertauchen. — Nun erst fängt mein Unglück an, mich zu drücken, die Hoffnung hatte mir bis itzt noch einen Stab gegeben, auf dem ich mich stützte, — aber itzt wird mir das Leben eine Last, nun wünsch' ich zu sterben. Seitdem ich weiß, daß mein Tagewerk ganz geendigt ist, bin ich ermüdet und will mich schlafen legen. — In dieser trägen Unthätigkeit sollt' ich leben, hier, wie ein Thier in der Wildniß, von allen Menschenrechten ausgeschlossen? Wie eine Pflanze nach und nach verwelken, die in ihrem Sumpfe unter trägen und verfaulten Dünsten emporwuchs und war und dann nicht mehr ist? — Nein, Omar, blicke noch einmal über den Horizont deiner Weisheit hin und schaue mit Seherkraft umher, — kann nichts, auch mein Tod nicht durch die Mauer dringen, die das Schicksal vor mein Vorhaben gestellt hat?

Omar. Dein Tod könnte dein Volk vielleicht glücklich machen.

Selim. O dann ist ja noch nicht alle Hoffnung aufgebrannt. — Aber ich Unglücklicher! meine Gesundheit kömmt schadenfroh zu mir zurück und selbst den Ausgang aus diesem Thal des Lebens zu suchen, ist Frevel, — o sage mir, wie ich ohne Sünde sterben kann und mein Volk ist glücklich.

Omar. Diesen Aufschluß mußt du nicht von mir, sondern von der Zeit erwarten, noch liegt alles dunkel und verworren vor meinen Blicken. —

Abdallah verließ das Zimmer.

 


 

Zweites Kapitel.

In tiefen Gedanken ging der Jüngling unter dem lauten Rauschen des Waldes auf und ab. — Ja, — sprach er zu sich selbst, — Omar ist mir zurückgegeben, alles umher liegt in wüster Verwirrung von schwarzer Nacht bedeckt, er ist mein Freund, er soll es sein, mir und dem Schicksal zum Trotz; ich habe ihn wieder in meine Seele aufgenommen: denn wo fänden meine Zweifel sonst ein Ziel? Durch diese einzige Gewißheit, die ich eigenmächtig zur Untrüglichkeit stemple, fallen alle Zweifel, die mir boshafte Geister entgegenhielten, wieder zur Erde, und ich stehe da in der freien uneingeschränkten Gegend. Meine Rechnung ist richtig, wenn dieser einzige Fehler ausgelöscht wird, ich will meiner Mühe ein Ende machen, er sei vernichtet! Ich gebe unangesehen diesen Verlust preis, um ein langweiliges Spiel zu beschließen.

Mein Vater wünscht zu sterben, — o ich sehe schon in der Ferne die Woge schwimmen, die auch die letzte kleine Bergspitze, auf der ich stehe, herunterschlagen wird, sie wälzt sich immer näher und näher. — Das Schicksal rückt den schwarzen Zeiger und stellt ihn nach und nach auf jene fürchterliche Stunde, unvermeidlich schlägt sie an und ich stehe plötzlich, ohne es ändern zu können, ohne meine Beihülfe jenseit der Gegenwart. — Traurig wie der Mond geht dann mein Vater unter und zugleich steigt Zulma mir gegenüber mit tausendfacher Pracht unter goldnen Flammen auf, — das Verhängniß läßt mich zwischen dem Vater und der Geliebten wählen, — o verzeihe, großer Prophet, ich wähle Zulma! Es muß sein, es kann, es will nicht anders. — Welcher Sterbliche kann den Eigensinn des Schicksals brechen?

Unter diesen Gedanken war er nach und nach aus dem Walde herausgegangen und stand itzt auf der Landstraße. — Die Stadt mit ihren runden Moscheen lag vor ihm, die Fenster im Pallast Ali's glänzten blendend in der Sonne, er glaubte Zulma's Gestalt an jedem Fenster zu sehen, seine Schwärmerei sahe ihre Blicke, mit denen sie wehmüthig nach ihm hinstarrte; ohne an die Gefahren zu denken, denen er sich unbedachtsam Preis gab, ging er in die Stadt hinein.

Der zürnende Ali hatte indeß auf Befriedigung seiner Rache gesonnen. Daß Selim ungestraft diese Verschwörung sollte unternommen haben, daß er ihm selbst entflohen sei, ohne daß irgend jemand wisse wohin, diese Gedanken reizten seine Wuth stets von neuem auf. Er hatte einen fürchterlichen Eid geschworen, sich an Selim zu rächen und dieser Schwur quälte ihn unablässig; er hatte daher an diesem Tage seine Vertrauten zu einer geheimen Rathsversammlung berufen, um sich von ihnen Mittel vorschlagen zu lassen, die den verborgenen Selim entdecken müßten, er hatte beschlossen, alles auf diese Wollust der befriedigten Rache zu verwenden, nichts sollte ihm zu kostbar sein, den verwegenen Aufrührer zu strafen.

Abdallah stand vor dem Pallast des Sultans und sahe mit brennenden Augen nach den Fenstern des Altans hinauf, — er sahe Zulma, sie blickte verstohlen hinter einem zurückgezogenen Vorhang auf die Straße, kaum aber sahe sie Abdallah's Gestalt, als sie sogleich schnell und erblassend zurückflohe. Er sahe ihr festgezaubert nach, bis auch der letzte Schimmer ihres Schattens verschwand, dann warf er sich auf eine Bank und sahe nach den Blumen des Altans. — Die Rose war hinter den Citronenbaum gestellt und in der Mitte des Altans stand die bleiche Lilie, das Sinnbild der Furcht. —

Er ging weiter und kam über die Brücke der Stadt an den Pallast seines Vaters. — Wehmüthige Thränen traten ihm in die Augen, als er so unbarmherzig alles zerstört sah. Einzelne Mauern und Thüren standen wie verspottet unter dem Schutt, im Hofe lag alles wild umher, Steine und Balken aufeinander gehäuft. Traurig suchte er die Stelle des Zimmers auf, das er ehedem bewohnt hatte; die Stufen waren abgebrochen, auf denen man auf das Dach hinaufstieg, ein Theil des Daches lehnte sich noch auf eine Mauer und drohte in jedem Augenblick den Einsturz. Das bekannte Haus, das ihn so oft so freundlich und väterlich aufgenommen hatte, das die Freuden und Schmerzen seiner Kindheit mit ihm getheilt hatte, lag itzt zerrissen vor ihm. Selbst das Leblose, in welchem er sonst glücklich gewesen war, war vernichtet, auch selbst das Andenken seiner Seligkeit schien ihm der zürnende Himmel nehmen zu wollen und bis auf die letzte Wurzel alles auszureissen, was ihn einst mit den schönsten Freuden genährt hatte.

Abdallah stand noch immer in seinem traurigen Nachdenken, als er das laute Schmettern einer Trompete hörte, von einem verwirrten Getöse und Geschrei des Volks begleitet; er kümmerte sich nicht um das Geräusch, nur klang es ihm, als wenn er den Namen Selim laut habe nennen hören. — Itzt kam der Zug bei ihm vorüber und er sahe einen Herold auf einem Pferde, der dicht neben ihm still hielt, einigemal in die Trompete stieß und dann laut ausrief:

»Daß derjenige, und wäre er selbst ein Sklave, welcher den Verräther Selim lebendig in die Hände des Sultan's liefern würde, seine berühmte, schöne Tochter Zulma als Gemalin dafür zum Lohn erhalten solle.«

Wieder das Schmettern der Trompete und der Zug lärmte vorüber. —

Dumpf und ohne Gedanken verließ Abdallah die Stadt, träumend wie ein Mann, der vom Schlafe erwacht und sein Haus in prasselnden Flammen sieht, die schon sein Bette lecken; er springt auf und steht betäubt und ohne Bewußtsein vor dem leuchtenden Element, das wüthend durch seine Besitzungen geht, er hat sich nur gerettet um desto unfehlbarer zu verderben: — so kam Abdallah fast ohne es zu bemerken zur Hütte im Walde zurück.

 


 

Drittes Kapitel.

Fürchterliche Gedanken warfen in der Nacht Abdallah hin und her, sein Auge starrte in die Finsterniß hinaus. Gräßlichkeiten zogen durch seinen Busen, Schauder jagten sich durch seine Gebeine, er wünschte mit Sehnsucht den Tag, die Dunkelheit um ihn her machte seine Seele noch schwärzer, oft schleppten seine heißen Wünsche seine sanftern Gefühle in Ketten hinter sich, oft riß sich sein Gefühl wieder los und rang seine Wünsche nieder. Er schien in zwei feindselige Wesen zerrissen, die unermüdet gegen einander kämpften.

Endlich erschlafften alle seine Kräfte, in seiner müden Seele starben alle seine Wünsche und Hoffnungen aus, gewaltsam schloß er in der Ermattung mit sich selbst einen Frieden.

Er sprang von seinem Lager auf, als kaum die erste graue Dämmerung des Tages die Schatten spaltete. Selim schlief noch und Abdallah verließ die Hütte. Er ging schnell unter den Bäumen auf und ab, er athmete die frische Luft des Morgens ein und wollte gewaltsam alle Gefühle von sich abwälzen, die ihn, wie lebendig eingegraben gleich Steinen drückten, aber er schlug vergeblich gegen die Mauern der Grube, kein Strahl des Tageslichtes wagte sich hinein.

Omar näherte sich ihm itzt und beide gingen schweigend auf und ab; Abdallah scheute sich, seinen Freund einen Blick in die Wüste seiner Seele thun zu lassen.

Was wühlt in deinem Innern so gewaltig? begann Omar, in der Nacht hört' ich dich seufzen. — Was ist dir, mein Abdallah?

Abdallah schwieg noch. — Nein, rief er plötzlich, — meine Seele ist zu schwach für diesen ewigen Streit! — die menschliche Natur erliegt dieser Gewalt, ich bin endlich müde und will mich selbst besiegt zu Boden werfen. — Er ergriff Omar's Hand. — Ja, Omar, höre das Gelübde, das ich vor dir ablegen will, — ich will, ich muß Zulma entsagen, mein Vater bleibe mir und Zulma gehe mir verloren; ich ward geboren, um den Becher des Glückes nicht zu kosten, ich willige in diese traurige Nothwendigkeit. —

Omar. Und was hat dich zu diesem Entschluß gebracht, der dir alle deine Hoffnungen kostet?

Abdallah. Meine Menschheit, — o! ich bezahle sie mit dem kostbarsten, was ich besitze, vielleicht weit über ihren Werth, denn ohne Zulma ist mir die Welt ausgestorben; ich entsage der höchsten Seligkeit auf ewig, das Gefühl der Liebe wird nie in meinem Busen wieder aufwachen, nur ihre Schmerzen bleiben mir auf immer zurück.

Abdallah erzählte seinem Lehrer itzt, was er gestern in der Stadt gesehn habe. — Diese Erinnerung, fuhr er dann fort, hat mir diese Nacht schlaflos gemacht; wenn ich die Augen schloß, weckten mich Ungeheuer durch Zuckungen auf, — o Omar, Omar, giebt es auf der Erde ein Wesen, das sein Elend mit dem meinigen messen könnte?

Omar. Und Abubekers Tochter wird deine Gattin?

Abdallah. Niemals, das Schicksal nimmt mir Zulma, aber kein andres Weib soll auch jemals in diesen Armen ruhn, diese Freiheit wird mir noch bleiben. Nein, ich will den Schwur nicht brechen, den ich zu Zulma's Füßen schwur. — Jeder Freude, jeder Hoffnung sage ich Lebewohl, mit meinem Elend will ich in die Wüste ziehn und dort das Morgenroth mit meinen Thränen begrüßen und den Abend mit Klagen rufen, Seufzer sollen meine Sprache werden und die Wehmuth meine Gespielin. — Ja, Omar, dieses Glück ist mir noch übrig, diese Freude ist die einzige, die mir nicht kann genommen werden.

Omar. Auch nicht durch deines Vaters Gebot? — Er will, du sollst der Gemal Roxanens werden.

Abdallah. Nein, das kann er nicht wollen, wenn ich ihm dies Opfer bringe. Nein, ich komme ihm entgegen, o er wird es auch thun, er ist ja mein Vater, er liebt mich ja so wie ich ihn liebe: Zulma kann nicht meine Gattin werden, und Roxane soll es nicht. —

Omar. Und dann wirst du in deiner Einsamkeit mit leerem Herzen glücklich sein? —

Abdallah. Ich glaube es itzt, und wenn ich es nicht kann, so will ich es wenigstens glauben. Alle meine Hoffnungen lasse ich dann in der Welt zurück, dem ersten Thoren will ich sie schenken, nur meinen Schmerz und die schönen Erinnerungen nehme ich mit mir. —

Omar. Wenn aber dein Vater auch zu diesem Glück nicht seine Einwilligung gäbe?

Abdallah. O, er kann es mir ja nicht beneiden; er ist nicht grausam. — Ich will itzt gleich zu meinem Vater gehn, er soll mir mein voreiliges Versprechen erlassen. — Dann geh ich aus der Welt und eine geräumige Höhle wird meine Wohnung, Bäume und Thiere sind meine Gesellschaft, ach, nach und nach werd' ich vergessen, was ich verloren habe, in der Gesellschaft meines Kummers werd' ich zum Greise, und erzähle mir dann zum Abendzeitvertreib, wie ein geschwätziges Kind, meine Leiden selbst. — Nicht wahr, Omar? die Zeit legt Balsam auf jede Wunde? wir werden uns nach Jahren selber unkenntlich, was mir itzt Thränen auspreßt, darüber kann ich einst vielleicht lächeln? Endlich ermüdet die Quaal an mir und geht verdrossen hinweg, die Stunde durchläuft ihren Kreis und wir stehn an der schwarzen Pforte, und alles was wir litten, alles worüber wir uns freuten, liegt wie Schaum des Meeres hinter uns, dann erst sehn wir, daß wir nur nach Schatten griffen, wie Kinder, die die Hand nach dem Morgenroth ausstrecken und den fliehenden Regenbogen haschen wollen. — Alles ist in mir gestorben und wird nie wieder aufleben, die Flammen meiner Seele sind ausgelöscht, mein Busen ist Eis. Zulma ist todt, meine Liebe ist verschwunden, und was sonst in diesem Herzen brannte, das hast du erstickt, — nein, zürne nicht, Omar, ich verlange es nicht zurück, unter Felsen und verdorrten Wäldern brauch' ich nicht ein Mensch zu sein, was nützt mir dort die Tugend und der Glaube an Gott? Ich will mich auf ewig von der Menschheit losreißen und mit den Thieren verbrüdern. Ja, Omar, ich gehe zu meinem Vater.

Er kehrte schnell in das Zimmer zurück. Selim war noch nicht erwacht, und Abdallah kniete vor sein Bette und betrachtete aufmerksam seinen Vater, der süß lächelte, in holdselige Träume verloren. — Nein, sagte er leise, — jene Gedanken, die sich in der Nacht zu mir hinanschlichen, sind verflucht, — Gott! wie konnt' ich sie nur denken, ohne mich zu verabscheuen? — diesen Greis, der mein Vater ist, — diesen, — nein, ich mag es mir selber nicht gestehn. — Nein, dazu bin ich nicht in die Welt getreten, noch ist Rettung möglich, noch ist nicht die letzte Öffnung zugefallen, durch die ich aus dem Felsenschlund entrinnen kann. — Wie sanft er schläft! — Wie er mich auch im Schlaf anlächelt! — Seine Vaterliebe fühlt die Nähe des geliebten, des einzigen Sohnes, — als meine Mutter gestorben war, war ich es, der ihn an das Leben festhielt, und ich! — Nein! die Hölle mag sich einen andern Zögling suchen, — meine Seele findet hier noch einen Ankergrund!

Der Vater erwachte und sahe Abdallah neben sich. — Was will mein Sohn? fragte er.

Abdallah küßte ihn und umarmte ihn glühend. — O Vater! rief er aus, — kannst du deinem Sohne eine Bitte abschlagen, die einzige, die letzte, die er von dir erflehen wird?

Selim. Was kann der arme Selim noch besitzen, das seinem Sohne nicht auch gehörte? — Doch nein, Abdallah, — mein Vermögen sind Thränen und Jammer, dies werde dir nicht.

Abdallah. Gieb mir deinen Segen, Vater. —

Selim legte die Hand auf das Haupt seines Sohnes.

Abdallah. Nein, Vater, ich will dich nicht täuschen, segne mich, wenn ich dir meine Bitte gesagt habe.

Selim. Sprich, mein Sohn, warum gehst du diesen Umweg zum Herzen deines Vaters?

Abdallah. O mein Vater! — Wenn du mich liebst, wenn dein Sohn nicht von dir gehaßt wird, — o so nimm jenen Fluch zurück, mit dem du mir einst drohtest. — Abubekers Tochter kann nicht meine Gattin werden. —

Er bedeckte mit den Händen das Gesicht und warf sich nieder, Selim sahe starr auf ihn hin. —

Sie kann nicht? — fragte er kalt, — und was hat der Sohn an dem Willen seines Vaters zu tadeln?

Abdallah. O nicht diesen Ton, der mich verurtheilt, sprich gütiger mein Vater, oder ich muß verzweifeln! —

Selim. Du verlangst Güte, wo du mir nur Trotz giebst? Auch gegen den ungehorsamen Sohn soll ich zärtlich sein?

Abdallah. Nein, ungehorsam schelte mich nicht, — kein andres Mädchen soll meine Gattin werden, aber auch Roxane nicht. — Nur widerrufe jenen Fluch, Vater, wenn du nicht meine Verzweiflung sehen willst! —

Selim. Ich widerrufe nicht.

Abdallah stand auf und sahe ihn mit einem festen Blicke an. — Vater! rief er aus, an diesem Fluch hängt das ganze übrige Glück meines Lebens, meine letzte Tugend, mein Schicksal jenseit dieser Welt! — Widerrufe, Vater, du sollst, du mußt es, — o ja und du wirst es auch. —

Selim. Nein. In dreien Tagen wird Roxane deine Gattin, oder alle Verwünschungen, die ein Vater für seinen ungehorsamen Sohn vom Himmel herabflehen kann, fallen auf dein Haupt.

Ich kann nicht, sagte Abdallah kalt und langsam. — Du liebst mich, ja, Vater, — o wie wenig kostet dich diese Zurücknahme, — ach! und wüßtest du, wie viel sie mir gälte!

Selim. Zurück, Ungehorsamer! ich widerrufe nicht, das schwör' ich beim Himmel und der Pracht seiner Sonne! — Mein Wort kann ich nicht brechen, das ich Abubeker gab, um die thörichten Launen eines Jünglings zu befriedigen, der seinem Vater trotzen will.

Abdallah warf sich wüthend nieder. — Du schwörst? rief er heftig. — Nun so schwör' ich hier auch beim Grabe des großen Propheten, beim Himmel und allen seinen Engeln, daß Roxane nie, nie, nie meine Gattin wird! —

Selim stand zornig auf. — Ich habe keinen Sohn mehr! sprach er heftig. — Ist das die Sprache, in der ein Sohn zu seinem Vater sprechen muß? Glaubst du mich durch Trotz zu beugen? O hier stoßen Felsen auf Felsen, ich wanke nicht in meinem Vorsatz. — Du hast den Sohn verläugnet, nun so will ich denn auch den Vater verläugnen! — Ich werfe meinen Fluch auf dich hin und mit Centnerlast möge er dich drücken. — Alles Unglück jage hinter dir dreimal Verfluchten her, der Himmel wende sein Angesicht von dir ab, wenn die Hölle nach dir die Arme ausstreckt; wenn du am Busen der Geliebten liegst, so fresse ein kaltes Grauen das Mark deiner Gebeine, in der Einsamkeit liege der Leichnam deines Vaters vor dir, den dein Ungehorsam zum Grabe reif macht; von Gewissensangst gefoltert, von allen Schrecken zum Leibeigenen erkauft, stirb unter Krämpfen und Verzuckungen.

Abdallah. O wirf nur Fluch auf Fluch, der Ewige hat mich schon seit der Geburt verflucht, dein Höllensegen findet nichts mehr zu vollenden. — Ha! so spricht ein Vater zum einzigen Sohn? dies ist die Einsegnung, die er mir auf die große Reise giebt. — Wer soll mich segnen, wenn der Vater mich mit diesen Flüchen verwünscht?

Selim. Fort aus meinem Angesicht! Du hast meinem Unglück die Krone aufgesetzt! — Du gehörst mir nicht mehr! Ich hasse deinen Anblick! hinweg! daß ich nicht versucht werde, dir noch mehr zu fluchen!

Er verließ das Zimmer wüthend.

Nein! schrie Abdallah, mir soll keine Rettung bleiben! Ich steh in der Verdammniß eingekerkert, und mein Vater selbst nimmt den Schlüssel zur Pforte und wirft ihn auf ewig in's Meer; nun ist keine Befreiung möglich, die Hölle streckt den Arm über mich aus und läßt mich nicht entrinnen! — Er warf sich ohne Bewußtsein in einen Sessel und Omar trat herein. — Er sahe lange den Jüngling mit forschendem Auge an: Hat er deine Bitte erhört? fragte er besorgt.

Abdallah. Du siehst dies Kochen meiner Brust und fragst noch? O! wann könnte mir auch eine Hoffnung in Erfüllung gehn, wäre sie auch so armselig, daß sie der Bettler auf seinem Wege liegen ließe! — Ich darf nur wünschen und tausend Stimmen schreien: Nein! in meinen Wunsch. — Das Schicksal hat mich unter Millionen zu seinem grausamen Spiel erlesen. — O warum ward ich ein Mensch geschaffen? — Warum mußte ich hinter dem Vorhang hervorgestoßen werden, um den Zuschauern zum Gespött zu werden?

Omar. Und dein Entschluß?

Abdallah. O was kann ich noch wollen? — Welchen Entschluß kann ich noch fassen? Selbst das Elend, das ich mir wählte, ist keine Freistätte mehr für mich; wohin ich auch fliehen will, hält mich ein Abgesandter der Verdammniß fest, die Erde stürzt unter mir ein, jede Scholle, an der ich mich empor arbeiten will, giebt treulos nach, — was kann ich anders als mich dem Verderben überlassen?

Omar ging mit großen Schritten auf und ab, seine Augen funkelten, seine Mienen drohten fürchterlich. — Ha! rief er endlich aus, — dies ist der zärtliche Vater, der seinen Sohn so innig liebt! — Worte sind seine Liebe, unbarmherzig läßt er den Sohn an diesem ehernen Eigensinn verbluten! Kalt läßt er ihn liegen und sterben, hat er doch seine Vaterrechte behauptet! — Und dieser Grausame nennt sich meinen Freund! — Wie kann er ein Freund sein, da er kein Vater ist? Liebe ist ihm fremd, seine Tugend ist Trotz, Eigensinn seine Standhaftigkeit! — Ich kündige ihm meine Freundschaft auf, wer meinen Abdallah haßt, den hasse auch ich, Selim ist aus meinem Herzen gestoßen, ich will seinen Namen aus meinem Gedächtniß reißen! — Dir auch dieses Glück nicht zu gönnen! — Diese Hölle war ihm noch zu schön für seinen Sohn, er hat härtere Strafen für ihn ersonnen. — Die Liebe sei verwünscht, mit der ich einst sein Freund war, für dich geb' ich die feindselige Welt verloren, was liegt mir an diesem Selim? —

Abdallah. O wär' ich nicht Selims Sohn, o dann, dann wär' ich glücklich! — Aber boshaft weht mir das Schicksal alle Unmöglichkeiten zusammen! Nur für mich wird alles angeordnet zum fürchterlichen Scherz. — O könnt' ich den Sohn verläugnen, dann würde Selims Eigensinn bestraft werden können, — aber, — es kann, es darf nicht sein!

Omar. Du wolltest ihn verloren geben, um Zulma zu gewinnen. Seinen Eigensinn gegen deine Liebe. — Er sollte dir eine Verschreibung werden, durch die du einen Schatz einlösetest, der dich auf ewig vor dem Mangel sicherte? — Ha, Abdallah, nein, nein, es kann, es darf nicht sein! — Die Tugend, die Pflicht, — o wer kann es alles nennen, was dich von diesem Gedanken zurückreißt? —

Abdallah. O ich schmachte nach andern Speisen, ich bin mit Grausen gesättigt. — Führt mein Pfad zur Hölle, o so ist es besser durch einen kühnen Sprung, als durch Umwege dahinzukommen. Aber noch spricht eine Stimme in mir, die mich Sohn nennt, die laut um Hülfe schreien würde, wenn ich sie ersticken wollte, hundert Gefühle sind mit diesem Ton verbunden. — Das Entsetzen der Natur wäre in den Abdallah verkleidet, wenn ich so sehr alles vergessen könnte, was den Menschen zum Menschen macht.

Omar. Nein, du darfst dich nicht von ihnen losreißen, verachte sie, nur halte dich treu in ihrer Mitte; o dürftest du nicht die Freiheit, ein Mensch zu sein, mit allen Schätzen dieser Welt bezahlen! — Ja, die Unmöglichkeit stellt sich fürchterlich vor den Eigensinnigen hin und beschützt ihn unverwundbar, — aber Abdallah! sorge auch bei Tage und in der Nacht, wachend und schlafend, daß niemand die Wohnung deines Vaters entdecke und ein Sklave den Preis erringe, nach welchem du strebtest. —

Abdallah. O, ehe ich Zulma in eines andern Armen sehe, ehe —

Omar. Ehe?

Abdallah. Will ich sterben. —

Omar. Dann hast du die Leiden der Welt abgeschüttelt, aber keine der hiesigen Freuden geht mit dir. —

Abdallah. Ach, Omar, dann bin ich todt und die Welt nennt mich tugendhaft. — Doch wenn mir Gedanken folgen, wohin keiner unsrer Erdengedanken dringt, — ach Omar, — werden mir dann nicht Freuden begegnen, die ich itzt nicht begreifen kann? — Kann ich itzt wünschen, was ich nicht begreifen kann? — Nur der Thor und der Verzweifelte tauscht ein gewisses Gut gegen ein ungewisses aus und glaubt zu gewinnen.

Omar. Und wenn nun unsre Rechnung hier unten schon völlig geschlossen würde? Wenn alle Anweisungen auf jenseit falsch und untergeschoben wären, und wer wird sich für ihre Ächtheit verbürgen? o dann — doch zurück von diesen Trostlosigkeiten! nein, Abdallah, ich habe dir nichts gesagt. — O, Abdallah; was hast du dann gegen deinen großen Verlust gewonnen?

Abdallah. Ich habe mich selbst verloren und das ist für den Elenden Gewinns genug. Dann drückt mich kein Gefühl und kein Gedanke quält mich, ich liege im kühlen Bette, von der Vergessenheit auf ewig zugedeckt, kein Morgenstrahl erweckt mich, keine Abendsonne bescheint mich. Alle Martern suchen mich dann vergebens auf, sie finden mich nicht; in den mütterlichen Armen der Erde gehalten scheucht die Zärtliche jedes Ungemach von dem schlafenden Sohne hinweg, eine ewige Ruhe umweht mich, kein Traum ängstigt meinen Schlaf, kein Schrecken kann mich zurückrufen.

Omar. Nicht sein? — O die menschliche Natur fährt vor dem Gedanken zurück, — wer wird Leben gegen Nichtsein austauschen? Kalt da zu liegen, ohne Gefühl und Gedanken, Würmern eine Wohnung, todt, vermodert und verächtlich, ein Scheusal jedem lebenden Auge: kein Schlaf, keine Ruhe, kein Schlummer, — sondern aus dem Reich der Lebendigen auf ewig hinausgestoßen, da gewesen und nicht mehr, — giebt es in der Sterblichkeit einen trostloseren Gedanken als: nicht da zu sein?

Abdallah. Nichtsein! O es ist wahr, die Einbildung erblaßt vor dieser Vorstellung, — Leben und Nichtsein. — Und wenn ich nun alles dem Halsstarrigen und seinen Entwürfen aufgeopfert habe, wenn leere Phantome und Feigheit die Schwelle meines Glücks bewacht haben, Omar, und ich gehe dann unter, auf ewig unter, — das Wesen, dem ich meine Seligkeiten sparte, ist nirgends aufzufinden, — o ist dies etwas anders, als die unsinnige Rechnung des Geizigen, der im ganzen Leben kargt, um nicht zu genießen und im Tode alles hinter sich läßt? —

Omar. Die Ewigkeit lacht spottend hinter dir her, — aber was willst du thun?

Abdallah. Ha! wer verdirbt nicht den Freund, um die Geliebte zu retten? Wer wagt nicht die Hälfte seines Vermögens, um das Ganze zu erhalten? — Und soll ich dem Eisenharten, oder dem Befehl des Fürsten gehorchen? Er fordert ihn, Ali mag sein Recht an ihm beweisen, der Diener darf nicht die Aufträge seines Herrn prüfen, ohne ungehorsam zu sein. — Und wo ist die Gränze zwischen Recht und Unrecht? — Mir ist es ewig verborgen, welche meiner Handlungen gut und welche böse wirkt; was die Menschen Tugend und Laster nennen, verstrickt sich hier oft unauflösbar. — Die Zukunft bildet unsern Willen aus, ohne uns um Rath zu fragen. Raschid war mein Freund, war ich es nicht, der ihn elend machte? — Wird er zu Ali zurückgebracht, o so hat ihn meine Freundschaft ermordet, ohne mich wäre er noch glücklich. — Unsre Thaten wandeln oft über viele Stufen unschuldig hinweg, ehe sie Verbrechen werden, — kann die Schuld auf uns zurückfallen? Sollen wir den Fehler des Zufalls büßen? — Diese That — o ich mag sie nicht denken, — warum könnten ihre Folgen nicht glücklich werden? könnte sie sich nicht in den unergründlichen Strom weiß und unschuldig waschen? —

Omar. Aber den Vater, — dem du das Dasein dankst, — zwar nicht ein Dasein voll Freuden —

Abdallah. Nein, voll Todesschmerzen; o wie kann ich ihm für diese Welt voll Quaalen danken?

Omar. Nein, für dein Dasein kann der Felsenharte keinen Dank von dir fordern, denn dann hättest du Unrecht über seine Halsstarrigkeit zu klagen, über den fürchterlichen Fluch zu jammern, den er auf dich gelegt hat. — So lange er dann nicht dein Leben endet, hast du keine Ursach auf ihn zu zürnen.

Abdallah. In eine Hölle hat er mich verwiesen und dafür sollt' ich ihn lieben?

Omar. Er konnte aber nicht vorher wissen, daß dies Leben dir Pein zubereiten würde, — freilich, eben so wenig, ob es dich glücklich machen würde.

Abdallah. Nicht er, ein blindes Ohngefähr hat mich in das Leben gerufen. — Wußte mein Vater denn im voraus, daß gerade ich, dieser Abdallah, sein Sohn werden würde? —

Omar. Wäre es nicht die Pflicht des Sohnes, vor dem rasenden Vater Schutz bei den Gesetzen zu suchen?

Abdallah. Vater, Sohn, nichts als leere Namen, der Verstand muß sich nicht vom Geschrei der Menge betäuben lassen, er zieht der Wahrheit ihre Hülle ab und sieht sie ohne Kleidung, Gewohnheit und Sitten hindern ihn nie in seiner Forschung. — Nicht wahr, mein Omar?

Omar. Halt ein, Abdallah! Soll der Leichtsinnige der zärtlichen Vaterliebe, der Fürsorge vergessen? Soll er die Sorgen mit kaltem Undank vergelten? — Dankbarkeit ist das große Band, das sich unzertrennlich durch alle Wesen webt, jeder handelt für den andern, um sich in seiner Brust einen Pallast zu erbauen, an Dankbarkeit knüpft sich Liebe und Wohlwollen, Wohlthaten und Dank wechseln sich in dem Herzen der Ältern und Kinder aus, ein Magnet in jeder Brust, der sich ewig anzieht.

Abdallah. Dies, ja dies ist das letzte Gefühl, das mich noch an ihn gefesselt hält, alle Fäden hat er durchgeschnitten, nur dieser eine ist ihm treu geblieben. —

Omar. Deine Erziehung war Selims Pflicht, aber nicht die hundert kleinen Wohlthaten, die er dir erzeigte, die tausend Freuden, die er dir zubereitete, das Wohlwollen, mit dem er dich durch das Knabenalter in die Jünglingsjahre begleitete, — dafür mußt du ihm danken.

Abdallah. Omar, es ist meine Pflicht ihn zu lieben.

Omar. Doch mit diesem furchtbaren Fluch nimmt der Geizige hundertfach zurück, was er dir gab; die Freude, die das große Glück deines Lebens entscheidet, versagt er dir mit eigensinniger Laune, Spielwerke hat er dir gegönnt, aber Lebensfreuden beneidet er dir, — er schenkt dir ein glänzendes Glas und fordert mit eigenmächtiger Gewalt alle schönen Hoffnungen deiner Zukunft von dir ein, du mußt in einer heißen Wüste verschmachten, weil er dir einst einen Trank aus der Quelle schöpfte, du hast einer Freiheit genossen, wie ein Gefangener, der nicht weiter gehn darf, als seine Kette reicht; strebt er über ihr Maas hinaus, dann fühlt er die täuschende Freiheit, dann fühlt er sich an der unbarmherzigen Mauer festgehalten. —

Abdallah. O es ist schrecklich! — Welch ein Recht, welches Gesetz liegt in dem Worte Vater, um diese unumschränkte Gewalt über ein Wesen zu haben, das er Sohn nennt? — Darf dieser Ton die Gesetze der Vernunft umstoßen und aus Menschenfreiheit schändliche Sklaverei machen? — Der Tod des Vaters macht den Sohn glücklich, — warum soll er sich nicht freuen dürfen, daß endlich das quälende Band aufgelöst wird? — Ist der Vater nicht hundertfach grausamer, der seinem Sohn in das Leben einen gräßlichen Fluch mitgiebt, von dem er hofft, daß er ihn elend machen soll? — Selim stirbt, — und Abdallah schleppt ein langes Leben wie eine unendliche Kette hinter sich, und an jedem Gliede hängt sich die Pein mit hundertfachen Martern, alle Glückseligkeiten fliehen vor dem fürchterlichen Gerassel zurück, — ist dies ein Vater, der seinen Sohn liebt, oder ein Unmensch, der sich an Todeszuckungen labt?

Omar. Ja, den Tod erdulden ist leicht, gegen den Schmerz der Pfeile, die ein quaalvolles Leben auf uns abschießt.

Abdallah. Warum ward dem Menschen die Vernunft gegeben, wenn er sich von einer blinden Gewohnheit will beherrschen lassen? Die Vernunft soll ihn begleiten und über seine Unternehmungen wachen. Die Gewohnheit darf nur den Unverständigen hinreissen, dem dieses Steuerruder fehlt, dieser muß furchtsam landen, wo er die übrigen landen sieht, und mit ihnen sein Schiff wieder ausfahren lassen. Wagt er sich einst mit unnützer Kühnheit allein in die See hinaus, so wird er den spottenden Winden und Wellen ein Spiel. — Und welche Vernunft, — Omar, ich spreche es aus, — welche hält mich zurück? — — Sprich, denn ich sehe nichts! —

Omar. Unsre Vernunft prallt ohnmächtig von allen Dingen zurück, die jenseit der Menschheit liegen, wir verstehen nicht den Gang der Welt und die Schrift der Sterne; die schaffende Kraft und die Entstehung der Wesen wird uns ewig ein unbegreifliches Geheimniß bleiben, — aber eben dadurch, daß diese Weisheit nicht für das irdische Gehirn ist, werden wir deutlich auf die andre Seite zurückgewiesen. Die Natur winkt ihren Kindern zu, und eine laute Stimme ladet alle Wesen zur reichen Tafel ein und sagt ihnen laut: genießt!

Abdallah. Daß wir da sind, um zu genießen, das ist die Weisheit, die unser Verstand begreift. Jedes Wesen lebt nur in und für sich selbst in einer großen Leere, jeder einzelne Mensch ist das letzte Ziel, auf das sich alle Bestrebungen der Natur beziehen. — Sein Genuß ist es, warum er geschaffen ward, er hat das Recht, jedes andre Wesen, das ihn im Genießen hindert, aus seiner Bahn hinwegzustoßen. Der Stärkere besiegt den Schwächern, der Löwe bekämpft den Löwen, der Tiger den Tiger, der Mensch den Menschen. — Noch ist kein Gestorbener zurückgekommen und hat gegen diese Weisheit gepredigt, noch hat keiner die Geheimnisse der Ewigkeit verrathen, — bis der Leichnam wieder kömmt, bis todte Zungen dagegen lästern, werd' ich an diese Lehre glauben.

Omar. Was wir Tugend nennen, ist bloß Gewohnheit, nichts als ein Gesetz, um die Gesellschaft, die der Mensch errichtet hat, aufrecht zu erhalten, ohne diese würde sie sich selbst vernichten. — Helden, Gesetzgeber, Weise sind tugendhaft, weil sie das Band der Gesellschaft fester ziehn, Mörder und Diebe nennen wir Bösewichter, weil sie dies Band zu zerreissen suchen. Sicherheit und Eigennutz schrieben zuerst den Unterschied dieser Namen. Daher kann Laster oft zur Tugend werden, wenn es das Wohl der Vereinigung befördert; schon mancher Mord war heilsam und mancher Diebstahl löblich, nur dies bestimmte Selims Vorsatz, den Dolch gegen Ali's Brust zu schleifen.

Abdallah. O ja, Laster und Tugend fließen in einen Strahl zusammen, es ist hohe Weisheit, daß man den Unverständigeren glauben läßt, sie wären von Ewigkeit her geschieden. —

Omar. Ach, Abdallah, daran hatt' ich nicht gedacht, daß du mir einst diese Lehren so fürchterlich wiederholen würdest, — o wäre mein Scharfsinn gewachsen, damit ich dir widersprechen könnte! — Zulma mag es einst versuchen.

Abdallah. Zulma? — O Himmel! Omar, sollte sie mich nicht zu Thaten aufrufen dürfen, durch die ich sie dem hartnäckigen Schicksal abränge; nur diese That führt mich in ihre Arme und sie wird mein Zögern schelten.

Omar. Doch wenn nun diese That, diese einzige, dich auf immer elend machte? —

Abdallah. O wenn ich daran glauben soll, so kann ich meinem Elende auf keinem Wege entrinnen. — In Zulma's Armen bin ich unglücklich, meines Vaters Fluch liegt auch in der einsamen Wüste schwer auf meiner Seele, noch größeres Elend steht neben Roxanen. — Welcher Ausweg bleibt mir übrig?

Omar. Nun so ergreife den Pfad, auf welchem die meisten Blumen blühen, wo der Rasen am hellsten lacht, wo der Himmel blau über der freundlichen Landschaft liegt. Itzt, itzt eben stehst du am Scheidewege. —

Abdallah. Werd' ich aber mit Zulma glücklich sein? —

Omar. Hör' ich diesen Zweifel aus Abdallah's Munde? Von denselben Lippen, die neulich in trunkener Wonne nicht Worte fanden? — Oder ist es nur Schwachheit, die aus dir spricht? Eine Unentschlossenheit, die gern glücklich sein möchte, ohne doch die Schwierigkeiten der Unternehmung zu tragen? die Fluth stürmt hinter dir her, aber du scheust dich, den schroffen Felsen zu erklettern, der dir die Rettung anbietet.

Abdallah. Nein, — nein, — Selim stirbt, und kann ich ihm sein voriges Glück wieder zurückgeben? Wird sein ganzes Leben nicht eine einzige wehmüthige Erinnerung sein? Ein ewiger Kampf von Schmerz und Hoffnung? — Er verliert hier nichts, er kann im Tode nur gewinnen, er dauert, oder löscht aus, — es ist besser, nicht zu sein, als an dem Joch eines quaalvollen Lebens zu schleppen. Selim kann mit Zuversicht sterben, er muß es jenseit besser finden: denn er läßt keine Freude zurück, den letzten Kranz, Vaterfreude, hat er muthwillig zerrissen.

Omar. Der schwache Greis, der schon an der Schwelle des Todes steht —

Abdallah. Ha! wenn meine große Aufopferung ihm Unsterblichkeit gewönne, — ha! dann könnt' ich diesen Kampf in meinem Busen dulden, dann könnt' ich Roxanens Gatte werden, oder ohne Klagen mit meinem Fluch in die Wüste ziehn, ja, könnt' ich ihm durch meine Quaalen auch nur noch ein Menschenalter erkaufen, — aber der unerbittliche Tod lacht über mich. Selim muß sterben, bald sterben, vielleicht ist er schon in wenigen Stunden nicht mehr.

Omar. Wer würde dir dann nicht verzeihen, wenn du bereutest, daß du mit diesem unvermeidlichen Tod dein Glück nicht der eilenden Zeit abgekauft hättest? — Dieser Athemzug erwirbt dir Zulma, ist er ausgelöscht, dann kannst du dieses Kleinod durch tausend Leben nicht erkaufen.

Abdallah. Und liegt ihm denn selbst an diesen wenigen Stunden, die ihm noch zugezählt sind? Du hast es selbst gehört, wie sehr er den Tod wünscht, seit er mit seiner letzten Hoffnung zerfallen ist. — Itzt würde der Tod seine Hoffnung sein, wenn wir eine Gewißheit hoffen könnten. — Soll ich mich bedenken, ihn glücklich zu machen, oder warten, bis er sich selbst den Dolch in die Brust stößt? —

Omar. Das Land mit seinen Bürgern war die Freude deines Vaters, einst ein neues Glück zu säen und die schöne Saat aufschießen zu sehen, dies war der feurigste seiner Wünsche, die kühnste seiner Hoffnungen. Für seine Mitbürger unternahm er das große Wagestück, auf das er sein Glück und sein Leben setzte, — die Würfel fielen unglücklich. — Roxane sollte deine Gattin werden, um die Ernte jener Aussaat einzunehmen, aber das Verhängniß verschwor sich gegen ihn und an einem Tage ward alles zernichtet. — Der Wille deines Vaters könnte entschuldigt, deine Aufopferung gelobt werden, wenn du auch itzt auf diesem Wege den Zweck deines Vaters erreichen könntest, — aber sieh umher, tausend Unmöglichkeiten spotten deines Scharfsinns. —

Abdallah. Aber Zulma, Zulma kann mich dorthin führen, wohin mich Roxane führen sollte, sie giebt mir den Thron dieses Reichs, und ich rotte die Dornen aus, die Ali pflanzte, dann kömmt der schöne, der große Entwurf meines Vaters zur Reife, neue Sterne gehen über dieses Land auf, ich verwandle es in einen Garten voll schöner Blüthen. — Nicht wahr, Omar, mein Vater würde sich nicht einen Augenblick bedacht haben, mich dem Wohl des Landes aufzuopfern? — Und ich säume ihn dem Glück der Bürger hinzugeben? Das Opfer thut meinem Herzen wehe, aber der Segen der Nachkommen wird mich einst belohnen.

Omar. Und Zulma! — Sollte sie in den Armen eines andern deiner vergessen? Solltest du einst ihrem Pallast als ein unbekannter Sklave vorübergehn und sie von ihrem Gatten umschlungen, einen fremden Blick auf dich herabwerfen? — Solltest du einst als Bettler vorübergehn und von der geliebten Zulma mit Verachtung abgewiesen werden?

Abdallah. Nein, nein, das soll nie geschehen, so lange ein Herz in meinem Busen schlägt, ist sie mein, noch mein letzter Blutstropfe würde für ihren Besitz kämpfen, so lange ich noch Gedanken habe ist sie der Inhalt meiner Gedanken und alle meine Kräfte laufen nach diesem Ziele.

Deiner Bestimmung, sagte Omar, kannst du dich nicht widersetzen. Steht diese That in jenem großen Buche, welcher Finger will die ewigen Züge verlöschen? Deinetwegen wird das große Gewebe nicht inne halten, der Faden wird hineingeschlagen und nicht um seinen Willen gefragt. —

Abdallah stand in tiefen Gedanken. —

Du kannst nicht gut, du kannst nicht böse handeln, fuhr Omar fort, ein Geist ist es, der in den Millionen Leben glüht, du und ich, Selim und Zulma sind nur ein Wesen, du arbeitest stets für und gegen dich, du kannst eigenmächtig über deine Handlungen den Ausspruch fällen, und diese gut und jene böse nennen, wer mag dir widersprechen?

Abdallah sahe starr vor sich nieder, dann wollten beide das Zimmer verlassen, Selim kam ihnen zornig entgegen. — Fort! Verbannter! rief er aus, so lange der Fluch auf deinem Haupte liegt, so lange hass' ich dein Angesicht! Hinweg! damit ich dich nicht mit neuen Verwünschungen belade!

Omar blieb bei Selim zurück, und Abdallah ging traurig und zürnend in das Dickicht des Waldes, wo eine einsame Stille ihn begrüßte, nur von einem leisen Wiegen der Baumwipfel unterbrochen. Dunkle Schatten lagen übereinander, kein Sonnenstrahl schlich sich auf den grünen Rasen herab. —

O der Eiskalte! rief Abdallah laut, wie leicht es ihm wird, ewige Quaalen auf mich herabzubitten! — und ich zögre und bedenke seinen Tod, — ihm wird es so leicht, mich ewig zu verderben, und ich kann diese Gefühle in meiner Brust nicht niederwerfen. Kann dieser einzige Verlust nicht tausendfachen Gewinn geben? Kann das Land und Zulma nicht laut dies Leben von mir fordern? und da er es selbst verachtet und für seine Mitbürger hinzugeben brennt? —

Ach und was vermag ich gegen das eiserne Schicksal? gegen die dicken Mauern schlagen vergebens meine Kräfte an, — wenn es sein soll, — o dieser Gedanke selbst ist mir vor meiner Geburt schon vorgeschrieben, ich kann nichts als ihn nachdenken, — in den ewigen Gesetzen liegt die Sünde, — die Hand mordet, die den Dolch ergreift, nicht das Werkzeug, das der größern Kraft wider Willen nachgeben muß. — O das ist ein Gedanke, der mich dem Wahnsinn entgegen führen könnte. — Alle meine Wünsche gehen hier unter, mein Wille ist todt, — ich muß, ich muß es vollbringen, und dann erst wird das Werkzeug aus den Händen gelegt. — Wo finden meine Gedanken auf diesem Meere einen Ort der Ruhe? — Wo eine Insel, an die sie im Sturme landen können? —

Er setzte sich in das Gras unter einem dichten Baum und sahe starr dem Spiel der Mücken und Gewürme auf der Erde zu. —

 


 

Viertes Kapitel.

Ein Geräusch dicht neben ihm im Busche schreckte ihn auf, Raschid stand vor ihm. —

Er sprang auf und fiel seinen Freund schnell in die Arme. — O, rief er, das ist es, was ich suchte, ja, ein Mensch hat mir gefehlt und dieser wird mir itzt gesendet.

Wir sind beide unglücklich, sagte Raschid, Elend verschwistert unsre Seelen.

Abdallah. Du elend? — O worin kannst du unglücklich sein?

Raschid. Ich? — Ich irre in der Nacht und am Tage durch verlassene und wüste Gegenden, ich wünsche und hoffe und verzweifle in demselben Augenblick, — ach Abdallah! Abdallah! du weißt vielleicht, was Unglück ist, nicht wahr, du würdest mich glücklich machen, wenn du es könntest?

Abdallah. Ja ich weiß was Elend ist, Unglück ist mir nicht fremd. — Aber was kannst du bei mir wollen? Suchst du Quaalen und Verzweiflung? — o die kann ich dir geben, — sieh! dies sind meine Schätze!

Sie gingen mit einander, in Abdallah's Busen lag es zentnerschwer, er wollte zu reden anfangen und schwieg dann wieder furchtsam. Endlich umarmte er den Freund noch einmal glühend: Raschid! Raschid! rief er, du bist ein Mensch, nicht wahr, es schlägt ein fühlendes Herz in dieser Brust? deine Seele ist für Mitleid nicht taub, — o sprich! nur ein Wort der tröstenden Linderung! —

Raschid. Du schweigst? vertraue deinem Freunde den Sturm, der in deiner Seele wüthet. — Was kann dich so mit Riesenkräften niederdrücken?

Abdallah schwieg noch immer, — ich liebe Zulma! rief er dann plötzlich. — Ach, ich muß dies fürchterliche Geheimniß in einen Menschenbusen ausschütten, o tröste mich, — verzeihst du mir, nennst du mich Bruder, wenn — hast du je die Allmacht der Liebe gefühlt?

Zulma? rief Raschid und stürzte bleich zurück, Zulma? O Unglücklicher!

Abdallah. Nur ein Wort aus deinem Munde! Darf ich sie wünschen? — macht mich meine Liebe zum Ungeheuer? — warum starrst du mich so an? Willst du mir keinen Trost geben?

Raschid. Trost? — Dieses Entsetzen hat mich zu dir gejagt, ich kam zu dir, um zu deinen Füßen mir mein Glück zu erbetteln, — du liebst Zulma, — o Unglücklicher, so wisse, so erfahre es denn und schaudre bis in das Innerste deiner Seele, — auch Raschid liebt diese Tochter der Sonne! aus dieser Quelle sind alle meine Martern geflossen, dies hat mich seit Jahren gepeinigt und an der Wurzel meines Lebens genagt.

Abdallah. Du liebst sie? du? — O Raschid, hinweg! du bist nicht mehr mein Freund! — ich verlange einen Ton der mich tröstet, ich schlage verzweifelnd an die Laute, — aber alle ihre Saiten sind zerrissen, kein Wiederhall in der ganzen Schöpfung!

Raschid. Darum bin ich hier, Selim sollte mich glücklich machen, du solltest mir ihn abtreten.

Abdallah. Nein! nein! — O beim Unendlichen, alles thürmt sich immer höher und höher, alle Schrecken wachsen zu Riesen auf und werfen sich mir entgegen. — Nein, nein, Raschid, du darfst nicht, Selim ist mein und Zulma mein, deine Hand darf es nicht wagen, in mein Glück zu greifen.

Raschid. Hinweg Freundschaft und Mitleid! die Liebe kömmt ihren Thron zu besteigen! Ich bin nicht mehr Raschid, nicht mehr dein Freund — Ja, ich will den großen Kampf mit dir eingehen, Abdallah, unsre Freundschaft sei zerrissen! Fluch um Fluch, Hölle um Hölle, alle Schrecken gegen einander, — Zulma ist mein! mein, sag' ich, — endlich hat der Himmel den Verstoßenen wieder angenommen, ich bin mit mir selber ausgesöhnt.

Abdallah. Raschid, ich ziehe allmächtig diese Waage nieder, die zu den Wolken aufgeschnellt wird, dieser Baum ist mein, in dessen Schatten du dich lagern willst, — Zulma liebt mich! —

Raschid. O sie wird, sie muß mich einst lieben, deines Vaters Elend ist eine Leiter, die mich in den Himmel trägt, ich will verwegen bis auf die letzte schwindelnde Sprosse steigen und wie ein Gott auf die armselige Welt hinabsehen.

Er wollte gehen und Abdallah hielt ihn mächtig zurück. — Wohin willst du? rief er aus, Schrecklicher!

Zu Ali, antwortete Raschid, dein Vater ist ein Unterpfand, das mir nicht entrinnen wird, ich bin nicht vergebens deinen Schritten nachgeschlichen; o ich muß eilen, denn ich fühl' es im Innern meiner Seele, für Zulma würd' ich freudig meinen Vater und meine Mutter der Schlachtbank überliefern.

Sie rangen hartnäckig mit einander. — O noch, noch verweile, rief Abdallah, nur diesen einzigen Tag noch, nur diese Stunde schenke mir noch mitleidig!

Um in dieser um meine Seligkeit betrogen zu werden? antwortete Raschid. — Nein! zurück von mir! — Er riß sich gewaltsam los und entflohe mit der Eil des Windes, auch keinen flüchtigen Blick warf er seinem Freunde rückwärts. —

Abdallah sahe ihm betäubt und schwindelnd nach. — Ha! nun ist es ja entschieden, sagte er mit unterdrücktem Lächeln, meine Martern habe ich umsonst geduldet, Zulma ist mir ewig, ewig verloren. — Ha! wie es in meinem Innern tobt und wüthet! — Kalt steh' ich da und sehe, wie auch meine letzte Freude von einem fremden Vorübergehenden lachend gemordet wird. — Er verhöhnt Freundschaft und Liebe und fliegt nach seinem glänzenden Ziel, — nur ich zögernder Thor schlage mich mit tausend Zweifeln und verliere den großen Augenblick. — Zulma nicht mein, Raschids? — O das, das kann, das soll nicht sein! So weit dürfte dieser Fremde sich in mein Paradies hineinwagen? — Was hält mich denn zurück? — Wollte er nicht seinen Vater dieser Wonne ohne Bedenken opfern? — O er ist ja auch ein Mensch, — er liebt ja Gott und betet das Schicksal und die Tugend an und dennoch, — mir ist alles genommen und doch zögert meine Trägheit noch? Wie mit hundert Stricken wird mein Arm zum tödtlichen Streich herabgerissen und ich kämpfe noch gegen diesen Schlag, — und muß Selim nicht dennoch sterben? — Er muß — und ich und Zulma sind unglücklich, — ja, ja, es muß sein, — ich höre die Stimmen umher brüllen, die mich zur That anmahnen. —

Er drängte sich in wüthender Eil durch die Gebüsche und sahe auf der Landstraße Raschid schon weit voraus, der der Stadt zueilte. Geängstigt rennt er ihm nach und stürzt wie beflügelt hinter ihm her, seine Augen sahen den Weg nicht, sein Athem röchelte laut, oft biß er knirschend die Zähne zusammen. — Endlich erreichte er ihn matt und ohne Bewußtsein. — Halt! rief er laut, — halt an mit deiner Beute, Betrüger!

Raschid sahe rückwärts und erblickte Abdallah, er wollte ihm von neuem entfliehen, aber gewaltig ergriff ihn Abdallahs Arm und hielt ihn zurück. — Nein, du sollst mir nicht entrinnen, schrie er wüthend, schwöre hier durch einen gräßlichen Eid dich von Zulma los, — oder beim Propheten! ich vergesse unsre Freundschaft, so wie du sie vergessen hast.

Raschid wollte sich los machen, aber Abdallah schlug seine Arme um ihn und hielt ihn mit der Kraft eines Riesen an seine Brust geklammert. — Zurückgerissen von dem Sonnenglanz, rief er, sollst du in einem ewigen Dunkel verschmachten, schwöre Zulma ab und wirf deine frechen Wünsche hinter dir, — ha! Selim ist mein Vater, nur Vatermord kann dich Zulma's würdig machen.

Ich schwöre nicht! schrie Raschid auf, — von mir Schändlicher! für Zulma ring' ich mit dir um Leben und Tod. —

Er versuchte es, sich mit allen Kräften aus Abdallah's Armen zu schleudern, aber dieser drängte ihn zu fest an sich, Raschid biß ihn mit den Zähnen wüthend in den Arm, um sich frei zu machen. — Sie rangen unter einem dumpfen Gebrülle gegen einander, kräftig warfen sie sich hin und her, die Erde dröhnte unter ihren Tritten. — Endlich warf Abdallah den ermüdeten Raschid nieder, er kniete auf ihn hin. — Willst du itzt Zulma zurückgeben? schrie er und stierte ihn mit einem eisernen Blicke an. — Nein, nein, und müßt ich ewig dafür verdammt werden, nein! brüllte ihm Raschid zu. — Abdallah zog einen Dolch und stieß ihn in die Brust des Überwundenen, ein großer Blutstrom stürzte hervor und floß über die Erde. — Unter krampfhaften Zuckungen starb Raschid endlich, ein Schleier zog sich über sein starres hervorgetriebenes Auge, er lag bleich und unbeweglich da. —

Abdallah stand über ihm und betrachtete ihn mit fürchterlicher Schadenfreude. — Warum rufst du nicht mehr Zulma's Namen aus? sagte er bitterlächelnd, wirst du mir sie itzt noch abkämpfen wollen? — Kann ich nun ruhen, ohne deine Eile zu fürchten? — Nun wirst du sie nicht gewinnen, die Würmer nehmen dich in Besitz! Nun ist sie mein, mein! o ich will es dir in die Ohren schreien, bis du von neuem fluchst, — Zulma ist mein! — Ha, warum bist du im Augenblick so kalt, gleichgültig und träge geworden? — Liebst du Zulma nicht mehr? — verdient sie itzt nicht mehr die Huldigung deiner Wünsche? —

Ein plötzlicher heftiger Schauder fiel ihn an, er wandte sich und flohe mit Windesschnelligkeit zur Stadt.

 


 

Fünftes Kapitel.

Er stürzte wild in die Stadt hinein und eilte wie ein Rasender durch die Straßen, alles wich ihm furchtsam auf seinem Wege aus, man hielt ihn für einen Wahnsinnigen, der seinem Kerker entsprungen sei und jedermann sahe ihn mit Furcht und Mitleid nach. Er schweifte wüthend umher und stand itzt vor dem Pallast des Sultans. Als er hineinstürzen wollte, hielten ihn die Leibwächter zurück. Er wollte sich mit Gewalt hindurchdrängen, er schrie laut, man sollte, man müßte ihn zum Sultan führen, man stieß ihn wie einen Unsinnigen fort; da er aber stets von neuem und stets dringender bat, nahm man ihm endlich seinen Dolch ab und ließ ihn in den Pallast treten. Mehmed, der Vezier, begegnete ihm, Abdallah's Knie zitterten, seine Stimme war nur ein gebrochenes Lallen. Der Vezier sahe ihn mißtrauisch an und ging endlich in das Gemach des Sultans. — Abdallah stand zitternd auf dem langen Gange vor den Thüren der Zimmer, er wußte nicht mehr, wer er war und was er wollte, vorübergehende Sklaven betrachteten ihn mit Erstaunen, wie einen niegesehenen Fremdling, er sahe scheu umher, alle fuhren vor ihm, wie vor einem Mörder zurück. Sein Zustand war fürchterlich und doch wünschte er ihn verlängert, sehnlich wartete er auf die Eröffnung der Thür und konnte sich diesen Augenblick nie als wirklich denken; ein wehmüthiges Entsetzen, eine fremde Verzweiflung, die ihn mit einer kalten Freude erfüllte, herrschte in seiner Seele. Itzt war ihm nichts werth und nichts verhaßt, er war sich selber abgestorben, in einem dumpfen Nachsinnen verloren, gab er sich endlich Mühe zu entdecken, warum er dort stehe und auf was er harre. — In einzelnen Streifen brach sich der Sonnenschein durch die Fenster und er betrachtete aufmerksam die kleinen zitternden Strahlen, die sich zusammenwebten und wieder auseinander flogen, sein unverwandtes Auge verlor sich in aufmerksamen Betrachtungen von hundert Kleinigkeiten, dann sahe er wieder nach den Sklaven, die vor ihm zitterten und eine leise Ahndung sprach in ihm an, als müßte er sich vor ihren Blicken schämen. — In der Ferne flog ein Schall den langen Gang hinab, mit seinem todten eiskalten Blick sah er hin, es war Zulma, die mit einigen Sklavinnen dicht vor ihm vorüber in ein Gemach ging, ein Schleier bedeckte ihr Gesicht, aber er erkannte ihren Gang und den Glanz ihres Auges durch die Verhüllung. Alle seine gefesselten wüthenden Leidenschaften wurden plötzlich von eisernen Banden wie Wirbelwinde losgelassen, er kam zu sich selber zurück und fand jedes Entsetzen in der grauenvollen Wohnung wieder. Er starrte dem Schimmer ihres Gewandes lange nach, sie hatte ihn nicht erkannt. — Wo bist du? fragte ihn ein aufwachender Gedanke, — und was willst du? — Ha! die Verdammniß hält dir noch einmal die trügende Speise an der giftigen Angel hin; war es nicht Zulma, die vorüberging? — Es ist meine Zulma, sprach er in sich weiter, sie ist mein, jetzt geh' ich hin und bezahle den großen Kauf, die Hölle reicht mir ihre Verschreibung. — Jetzt, jetzt wird der fürchterliche Augenblick nahen, der mich zum ernsten Verhör fordert, doch auch er wird vorübergehen, die Zeit verschlingt geizig alles. — Aber auch mein Glück wird verschwinden, es wird eine Zeit kommen, in der ich sagen werde, Zulma war mein und dann? — Nein, nein, ich will die Zeit festschmieden und ihre Räder zerbrechen, lahm soll sie langsamer von dannen schleichen. Die Wonne der Liebe soll mich berauschen bis ich wahnsinnig werde; wenn ich Zulma in meinen Armen halte, dann soll sich die Hölle nicht an mich hinanwagen, ihre Schuld einzufordern, o, ich will, ich will glücklich sein, — ich will schwören, daß ich nicht elend sein werde, der Fluch Selims trifft mich im Paradiese an, und flattert scheu zurück, in Zulma finde ich die Tugend und Gott, nur hier will ich anbeten, ich will mir selber Trotz bieten; die Seele ist verächtlich, die nicht Muth hat, von sich zurückzuschleudern, was feindlich in ihre Seligkeiten bricht, nur der Furchtsame leidet, durch seine feige Einwilligung ist der Elende elend, — ha! ich trotze dem Schicksal und der Allmacht, ich will kühn schroffe Klippen erklettern und mit hohnlachendem Triumph meine Kränze aus den Schrecken pflücken, — wer, wer kann mir verbieten glücklich zu sein? Wer will meinen frechen Geist beherrschen? Wer in Zulma's Armen Elend auf mich herabsprechen? — o er versuch' es, der Ewige, — mich treffen seine Flüche nicht, — mein Glück ist meine Tugend, ohne Zulma bin ich unglücklich, — Tugend ist ein nichtiger Schall, der verdammende Richter hat in seinem Busen nie die Menschheit gefühlt, — ein tyrannisches Schicksal hat eherne Gesetze für uns geschrieben, der Ewige hielt seine Erschaffenen für Engel, — er selber versteht die Menschheit nicht, — darum zertrümmert diese Gesetze, er wird einst verzeihen, oder er ist ein Tyrann, der die Schöpfung belebte, um sich ihrer Quaalen zu freuen. —

Die Thür des Gemaches öffnete sich. Der Vezier des Sultans trat heraus und führte Abdallah in ein prächtiges Zimmer; Ali saß in einer kalten empörenden Wuth auf einem Sessel und sahe dem eintretenden Abdallah starr entgegen; der Jüngling warf sich vor ihm nieder.

Eine lange Stille. Ali blickte auf ihn ernst herab, Abdallah wagte es nicht, die Augen aufzuheben. Seine Sinne hatten ihn verlassen, er ächzte laut in einer todten Betäubung. — Was willst du? fragte ihn endlich der Sultan mit zurückschreckender Kälte.

Abdallah hob sein Haupt auf und blieb auf den Knien liegen. — Was ich will? — antwortete er leise. — O diesen großen, schrecklichen, einzigen Augenblick wollt' ich. — Itzt, itzt ist er da! — Was such' ich hier? — Warum kam ich hierher? — Wer bist du?

Er ist wahnsinnig! schrie Ali auf, hinweg mit dem Unsinnigen!

Sklaven näherten sich und wollten ihn hinwegführen, Abdallah widersetzte sich ihnen stumm, — nein, rief er endlich aus, laßt mich! Ich muß hier bleiben, eine große Entdeckung führte mich vor deinen Thron, darum höre mich an. — Ali winkte, und die Sklaven entfernten sich wieder.

Nun sprich! sagte Ali, oder bei meinem Zorn, du gehst nicht lebendig aus diesem Saal!

Ich will sprechen, sagte Abdallah. O ich muß sprechen, von itzt an hab' ich keinen Willen weiter. — O Zulma! Zulma! — Ali, du hast ein großes Kleinod ausgeboten, du hast dem Zulma verheißen, der Selim deiner Strafe ausliefern würde.

Ali. Ja.

Abdallah. Wirst du dein Versprechen halten?

Ali. Beim Propheten!

Abdallah. O so ist sie mein! ich bringe dir das Geheimniß, gegen das du sie austauschen mußt.

Ali sprang heftig auf. — Selim? rief er, Selim? O meine Rache lechzt nach diesem Blute, sprich es aus, wo ist er? Wo kann ich ihn finden?

Abdallah schwieg. —

Sprich! schrie Ali noch einmal, meine Wuth steht mit neuer Macht in meinem Busen auf, foltre meine Ungeduld nicht länger, — oder beim Propheten —

Was hab' ich gethan? sagte Abdallah. — Hab' ich es ausgesprochen, das fürchterliche Wort? O nein, nein, ich habe nichts gesagt, ich frage dich Sultan, sprich, nicht wahr, ich habe nichts gesagt? — O laßt mich, laßt mich schweigen, meine Worte werden zu Mißgeburten, die meinen eignen Busen verwunden, ich bin an die Schwelle der Verdammniß gekommen, o laßt mich wieder rückwärts schreiten.

Sein Körper zitterte in einer fürchterlichen Angst, er wollte sich aufheben, aber er sank wieder kraftlos nieder.

Verwegner! sprach Ali zürnend, bist du Frecher hierhergekommen! meiner zu spotten? — Du kannst nicht wieder zurückfordern, was du gesagt hast; sprich, oder Foltern sollen die Nachrichten aus dir herausquälen, die du mir verweigerst. —

Abdallah. Und es muß also sein? die fürchterliche Frage ist nun auf ewig entschieden? — Nun so sei es denn!

Er hob sich mühsam auf, seine Stimme zitterte, sein Gesicht war bleich, sein Blick starr. — Er beschrieb dem wüthenden Ali den Pfad, der zu der Wohnung Selims führte, er nannte ihm die Zeichen, an denen man den Weg erkennen könnte. Ali befahl seiner Leibwache, diesen Weg aufzusuchen und Selim zu ihm zu führen. — Abdallah wollte mit dieser wieder aus dem Saal hinauswanken.

Nein, rief Ali, so steht unser Spiel nicht, du verweilst hier, bis die Abgeordneten zurückkommen; sind deine Nachrichten Lügner gewesen, so soll dein Leben für deine Frechheit büßen.

Abdallah blieb zurück und sahe wieder starr vor sich nieder.

Ali. Hast du Wahrheit gesprochen, o dann werde dieser Tag als ein Fest gefeiert, Jubelgesänge sollen durch den Pallast jauchzen, durch die ganze Stadt eine laute Freude brausen. Was Selims Frechheit wagte, hat noch kein Sterblicher gewagt, er werde gestraft, wie noch kein Sterblicher gestraft worden ist. Ich will darauf sinnen, wie ich ihn martre, allen meinen Launen will ich an diesem Verworfnen ein Fest geben, heut will ich nach langer Zeit wieder fröhlich sein. Fürchterlich will ich unter meine Feinde treten, alles um mich her will ich verwüsten, was mich haßt. Auf Liebe darf ich nicht mehr hoffen, aber fürchten soll man mich immer; so weit ist es mit mir noch nicht gekommen, daß man mich ungestraft verachten dürfte. — Ich will den Trotzigen zittern sehn und sollt' ich mein Gehirn mit Ersinnung von Martern zersprengen; Selim läugnet mir meine Menschheit ab, nun so mag er denn einen Tiger in mir finden. Nur durch Martern will ich zu ihm sprechen, die Folter soll mein Dolmetscher sein.

Bebend hörte Abdallah die Worte Ali's, er sahe ihn mit einem stieren Blicke an, kalt und ohne Leben wie das Gesicht eines ehernen Bildes. Ali fuhr zornig fort:

O daß das Leben nicht meinem Rufe gehorcht, ein Tod ist zu wenig, um diesen Frevel abzubüßen, ich wollte ihn mit Flammengeißeln durch hundert Tode und Leben peitschen, in die Vernichtung geworfen und wieder zum Dasein aufgeschreckt wollt' ich ihn mit Quaalen jagen, bis er in Demuth zitternd um Gnade flehte und den letzten Tod als ein Geschenk erwinselte. — Hat der Bösewicht nicht Freuden genossen, mit denen ich niemals Bekanntschaft machte? War ich nicht von je ein Bettler gegen ihn? Und mit niedrigem Neide steht er auf, mir auch das letzte zu stehlen, das Leben, ein Gut, das er verachtet, das einzige, was mir nur übrig blieb, da diese Menschen, die er liebt, mir alles genommen haben. Meine einzige Perl? — O dafür soll er keine Verzeihung finden, und wenn er mir alle Schätze seines Busens wie einem Erben hinterlassen könnte.

Abdallah erlag unter der Last dieser Gedanken, länger konnte er sie nicht ertragen, er riß mit Gewalt seinen Geist von diesen gräßlichen Vorstellungen zurück. Und Zulma? fragte er mit zitternder Stimme.

Ali. Sie ist dein, sie ist deine Gattin, und du bist mein Sohn, mein ganzes Reich soll es erfahren, daß du mein Sohn bist. — O ich bin glücklich, daß diese Tochter, mein Stolz, eine Lockspeise meiner Rache geworden ist, durch diese eine That belohnt sie meine väterliche Zärtlichkeit.

Zulma mein? — stammelte Abdallah. —

Aber wer bist du? fragte Ali, du hast mir deinen Namen noch nicht genannt.

Abdallah fuhr erschrocken auf. — Wer? schrie er laut. O daß ich es vergessen dürfte! daß dies Andenken sich nicht so fürchterlich an mich hinge! — Ha! wer bin ich? — — Nein, kein Mensch, kein Thier, kein Teufel, — o hinweg mit der Schaam! selbst diese geziemt dem Verworfenen nicht mehr. — Ich bin sein Sohn.

Abdallah? Selims Sohn? schrie Ali auf. —

Ich war einst Abdallah, antwortete er.

Ali fuhr bleich zurück, erblassend sah sich das Gefolge des Sultans an, ein starres Entsetzen bemächtigte sich eines jeden, man betrachtete den Jüngling als ein fremdartiges Wesen, das der Menschheit, seiner Mutter, auf ewig entlaufen sei.

Ihr fahrt zurück? sagte Abdallah. — Selbst Ali erblaßt, vor dem schüchtern jede menschliche Empfindung zurückbebt, ha dieser Blitzstrahl dringt allmächtig durch den steinernen Harnisch seines Busens! er fühlt es, er freut sich, daß er ein Mensch ist! Wie war es denn möglich, daß ich über diese unermeßliche Kluft sprang und nicht im Springen zerschmettert wurde? — Nun steh' ich jenseit und strecke die Arme nach der Vergangenheit aus. — Ha! warum erblaßt ihr? — Ihr fahrt zurück wie vor einem Verbrecher, der an die letzte fürchterliche Gränze aller Laster gekommen ist, ihr scheut euch mich Bruder zu nennen, — ach, ein hartes Verhängniß weht mich wie einen Staub umher, ich muß der sein, der ich bin. —

Ali sah ihn lange mit einem staunenden Blicke an. — Ich nannte dich so eben Sohn, sagte er langsam und leise, — Zulma bleibt dir, — aber mein Sohn kannst du nicht werden. —

Abdallah. Weil ich diesen Namen auf ewig gebrandmarkt habe, ha! Väter werden bei diesem Ton zusammenfahren und Mütter schaudern; seit Abdallah seinen Vater verrieth, zittert ein schneidendes Gefühl durch die Brust der Ältern, die Hölle jauchzt, der Himmel weint, Greise wetzen Dolche für den ungebornen Enkel, mein böser Engel hat sein schwarzes Buch geschlossen und steht müssig zu meiner Rechten, diese That endigt das Verzeichnis meiner Sünden; alles, was ich nun noch thun kann, ist nichtswürdig gegen diesen glänzenden Triumph.

Alle schwiegen und Abdallah sprach heftiger weiter:

Nun ich über den Gränzstein ausgeschritten bin, o Himmel, nun ich jenseit aller Menschen wohne, o so nimm mir auch das Bewußtsein und meine Gedanken, — was sollen sie mir dort in der verbrannten Wildniß? — Gieß den Wahnsinn in vollen glühenden Schalen auf mich herab! — Itzt, itzt kann ich wahnsinnig werden, ich fühl' es, — ich gebe dir den Funken zurück, den du mir grausam geliehen hast. — Aber das Schicksal ruft fürchterlich: Nein! Ja mir selbst wächst unaufhörlich der Schierling, der mich in Todeskrämpfen zittern läßt, zum Bewußtsein verdammt zieh' ich selber die Feuerflammen und Verdammnißquaalen um mich herum, dieser Geist ist meine Hölle und giebt mich nie wieder frei. — Itzt ist auch die letzte, die traurigste Blume der Hoffnung verwelkt, ich habe die Verzweiflung überstanden und bin noch der ich war; o warum ist unsre Tugend und Ruhe nicht so felsenhart und unzerbrechlich, als dies kalte quälende Bewußtsein?

Unglücklicher! sagte Ali, wie war es möglich —

Abdallah unterbrach ihn: — Kann ich es selbst begreifen? das Verhängniß und Zulma, — ich habe diesen Preis gewonnen, was ist es mehr, wenn ich mich selbst dabei verspielte? — Zulma, Zulma soll es mir alles ersetzen, ha! oder ich will einst den Richter jenseit bitter anklagen, daß er mich um mein Leben betrog, daß er mir hämisch einen großen Tausch anbot — und mich schadenfroh hinterging —

Halt ein! rief Ali, der Wahnsinn spricht aus dir! du lästerst den Herrn, Elender! — Was hilft es, daß du gegen die Last kämpfest, du wirst sie niemals abwerfen. —

Ali sahe starr vor sich nieder, sein Gesicht ward milder, sein Auge menschlicher. Er dachte über einen Gedanken nach, der ihn wehmüthig machte.

Ha, Mehmed! sagte er endlich und wandte sich zu seinem Vezier. — Wer tadelt mich nun noch, daß ich die Menschheit verachte? Wer darf noch murren, wenn ich ihren prahlenden Beglaubigungsschein nicht als gültig anerkennen will? — Sie selber sendet einen aus ihrer Mitte, der ihre schwarze Verrätherei entdeckt, der den verächtlichen Betrug entlarvt. Bis itzt hab' ich noch immer gefürchtet, an diesem Geschlecht zu irren, aber nun sind meine Zweifel gehoben, ich bin überzeugt! Was hat Selim von mir gewollt, da sein Sohn, den er liebt, der ihn liebt, selber gegen seine Stimme schreit? — Wo soll ich ehren, wo lieben, wenn Verächtlichkeit und Meineid mir warnend auf der Gränze entgegenkommen? diesen Bothschafter hier nennen sie selber tugendhaft und er schlägt das Vermögen unter, das sie ihm anvertrauten und entläuft knechtisch mit seiner Beute. — O hinweg von mir, was sich mit dem Namen Mensch brüstet! Ihr Stolz ist Niedrigkeit, ihre Tugenden sind nur unterdrückte Verbrechen, von itzt sollen sie an mir einen unerbittlichen Richter finden, der sich durch keinen blendenden Glanz bestechen läßt. Ich will ihren Stolz verfolgen, bis er zur Demuth wird, sie verkaufen sich um eine Nichtswürdigkeit der Hölle, ihre eignen Sinne sind die Angelhaken, die sie für die ewige Verdammniß gefangen nehmen. Selim haßte mich, weil ich die Menschheit haßte, weil ich sie nicht lieben konnte, wollte er das Band meines Lebens zerreissen, diesen hat er für seine Menschheit erzogen und er verläugnet sie auf ewig. — Mit Selim will ich mein strenges Amt beginnen, statt zu verachten will ich das Siegel itzt verhöhnen, auf das diese Elenden so stolz sind. Es ist Tugend, diese Brut zu verfolgen, über ihre allgemeine Vernichtung würde die Erde und der Himmel jauchzen. Selim ist die erste Beute, die mir aus dieser schändlichen Rotte zugeworfen wird, an ihm will ich dreist sündigen, an ihm sollen sie eine Probe ihrer Verfolgung sehn und zittern. — Kömmt er noch nicht? Ich schmachte nach seinem Anblick, itzt will ich ihm mit Kühnheit entgegengehn, denn unser großer Streit hat sich entschieden, ich habe meine Anklage gewonnen, er soll zusammenfahren. Alle Quaalen will ich an ihm ermüden und ihn dann erst des Spielwerks überdrüssig, in die Vernichtung werfen.

Abdallah hatte bis itzt in tiefen Gedanken verloren da gestanden, er hatte kaum Ali's Worte verstanden. Plötzlich brach wieder ein Ton durch die taube stumme Leere seines Innern, eine Tageshelle stand unvermuthet unter den flüchtigen Schatten, er wachte wie aus einem Rausche auf.

Mächte des Himmels! rief er plötzlich in lauter Angst, — was, was hab' ich gethan? Ha! wie bin ich hierhergekommen? — Wer ist es, der aus meinen Busen spricht? das ist nicht das Wesen, das sich einst Abdallah nannte, ein Fremdling hat ihn aus seiner Behausung geworfen und zerstört seine Wohnung, o könnt' ich ihn aus diesem Herzen reissen! — Nein, dies hat vor mir noch kein Mensch empfunden! Diesen Brand im Innern meiner Seele hat noch kein Sterblicher erduldet.

Er stürzte wüthend nieder.

Allmächtiger! rief er. — Was hab' ich gethan? — Vernichte mich, Gräßlicher, damit ich aus diesem Traum erwache! — Nur einen, einen Donner auf mein Haupt, laß ihn zerstörend durch mein Herz rollen und den Blitz durch diese Brust flammen, — wirf mich in die Hölle hinab, nur rette mich von diesem Gefühl, laß die Verdammniß mich nur von dieser Quaal erlösen! — Himmel! wie ein Nachtwandler wache ich plötzlich auf und finde mich in eine Todtengruft verirrt. — Reißt mit glühenden Ketten, mit Feuerhaken diesen angeklammerten Drachen aus meinem Busen, der wüthend mit scharfem Zahn in mein Eingeweide beißt! — Beschützt mich Geister der Hölle und schlagt diese Erinnerungen zurück, die zu mir hinanspringen! — O Ali, Ali, — ruf deine Henker und laß mich vernichten, wenn noch ein einziges Menschengefühl unter den vermoderten Ruinen liegt, — findest du nur noch eins, das letzte, o so laß mich sterben. —

Ali sahe kalt auf ihn herab. — Du sollst leben, sagte er.

Abdallah. Leben? — Ha! du geizest mit dem Tode! Selim soll sterben, ich bin dieser Wohlthat nicht werth. O wenn du nur noch einen Klang von der zerrissenen Harmonie in dir spürst, wenn meine Quaal dir denkbar ist, — o so laß ihn nicht sterben, gönne dir selber diesen ersten großen Sieg, versuch es nur diesmal, nur dies einzigemal, — und wenn dich dein Gefühl nicht belohnt, o dann, dann freue dich der Todeszuckungen.

Ali. Selim muß sterben. —

Abdallah. Sterben? — O wie kalt du dies eine Wort aussprichst, an das sich meine ganze Seligkeit gehängt hat. — Sterben? — Fühlst du, was ich in diesem einzigen Wort verliere? — mehr, als mir tausend Kronen ersetzen können, mehr als diese Erde werth ist. — O Ali, denke den großen Gedanken, durch einen Hauch deines Mundes kannst du dich zu meinem Gott emporschwingen, der mir mit freigebiger Güte den Himmel schenkt, der großmüthig mich aus der Hölle nimmt und sie verschließt, — o Ali, sterben kann mein Vater durch den Dolch eines jeden Sklaven, — aber dann steht die ganze Schöpfung da und kann den Hauch des Lebens nicht wieder fesseln, der flüchtig den Körper verließ, — nur die Allmacht kann zu ihm wieder sagen: lebe! O Ali, du darfst itzt des Allmächtigen Stelle vertreten, das Leben liegt im Winke deiner Hand; sei großmüthig, sei menschlich. —

Ali. Er muß sterben. —

Abdallah. Nein, laß ihn den Wink des Ewigen erwarten. — Du findest ihn dort einst wieder: laß ihn dir als Freund entgegengehn. Wünsch' es, daß du den heutigen Tag einst im Buch deiner Tugenden aufgezeichnet findest.

Ali. Nein, er muß sterben, heut sterben. — Wer bist du mir? Und für dich sollt' ich diese Freude verloren geben? —

Abdallah. Sterben? und unter Martern sterben? — Nichts kann diesen fürchterlichen Ausspruch vernichten? — Unter Martern, die bis in die fernsten Pulse der menschlichen Natur zucken? — Nun so häufe Quaal auf Quaal, sinne mit Henkersscharfsinn auf Schmerzen, trinke sein Blut und laß dir seine Gebeine vorsetzen, fülle das Maaß meiner Verdammniß bis oben an, daß auch keine Faser von mir der Hölle entrinne. — Nun es Flüche gilt, o so stürme die Unendlichkeit mit Millionen Flüchen auf mich ein, — nun bin ich einmal tief hinein in Raserei verirrt, nun mag kommen was da will. — Siehe, Gräßlicher, nun zittre ich nicht mehr, nun scheu' ich nicht mehr den Blick deiner Augen, so verworfen ich bin, so fühl' ich doch noch, daß ich ihm verzeihen würde. — Ich unternahm das fürchterliche Spiel, um mein Glück, um Zulma zu gewinnen, — du aber stehst von deiner Felsenkälte gepanzert da — und freust dich bloß der Todesquaalen. Du gewinnst durch seine Schmerzen nichts und ich verliere alles. — O nun dränge sich Verderben auf Verderben, nun die Würfel einmal gefallen sind, nun stürze der Himmel und die Erde zusammen und begrabe alles in eine Hölle und ich will dazu lachen. Sieh, du hast meine Geduld verspottet und mich zur fürchterlichen Gränze des Wahnsinns gerissen und nun trotz' ich dir und Gott. Was kann ich noch fürchten, da ich selbst mein größtes Entsetzen bin? — Ich könnte frech den Ewigen zum Zweikampf fordern und fluchend niedersinken. —

Er stürzte zu Boden, brüllte laut und schlug heftig mit den Fäusten seine Brust, der Vezier trat hinzu und wollte ihn hinwegreissen, aber Ali hielt ihn zurück. —

Laß ihn, Mehmed, sagte er mit bitterm Lächeln, mich ergötzt die Ohnmacht dieses Wurms. Er möchte sich selber entfliehen und unzerbrechlich ist sein Bewußtsein an sein Verbrechen geschmiedet. — Sieh, dies ist der Mensch, der Wiederschein des Ewigen. — Sieh, wie er in der Wuth sich wälzt und wie ein Rasender brüllt, — würdest du ihn dir als einen Edelstein unter verächtlichen Gewürmen hervorlesen? Laß ihn liegen, — o beklage mich, daß ich zum Menschen ward, ich schäme mich meiner selbst!

Abdallah's Bewußtsein kam zurück. — Derselbe Leichnamsblick kömmt mir wieder entgegen? sprach er matt und leise. — Sieht so ein Mensch aus? — O dann will ich zu den Teufeln flehen und ich werde sie mitleidiger finden, als dich.

Ali. Ich bedaure dich. —

Abdallah. Es ist nicht möglich, — dann würde dein Auge eine andre Sprache reden. Ali. Es thut mir weh, ein Wesen zu sein, das mit dir einen Rang in der Schöpfung hat, ich bemitleide mich selbst und darum bedaure ich dich. Weil ich euch verachte, will ich deinem Vater die Quaalen erlassen, mir ekelt, das Auge auf die Menschheit zu werfen, auch ihre Schmerzen können mich nicht vergnügen. Stehe auf, ich erlasse sie ihm.

Abdallah stand langsam auf, er ging betäubt zurück und stand ohne Bewußtsein und Gedanken an die marmorne Mauer gelehnt, Ali sahe starr vor sich nieder.

Es erhob sich ein Geräusch im Hofe des Pallastes, der Vezier eilte an's Fenster.

Was ist dort? fragte Ali. —

Selim, antwortete Mehmed, wird von der Wache hereingeführt. — Wie stolz der Verwegene seine Ketten trägt! —

Man hörte laut Ketten klirren; Abdallah fuhr aus seinem Todtenschlafe auf. —

Ketten? sagte er leise. — Ketten? — O wohin soll ich mich verbergen? —

Das Geräusch kam näher, Abdallah drückte sich fester an die Mauer und bedeckte mit den Händen das Gesicht.

 


 

Sechstes Kapitel.

Selim trat mit der Wache herein, die ihn vor Ali führte. Er stellte sich stumm vor ihn hin, Ali sahe ihn mit einem durchbohrenden Blick an; Selim hielt unerschrocken diesen Blick aus, ohne die Augen niederzuschlagen.

Du bist mein! rief Ali aus. —

Ja, antwortete Selim, das strenge Schicksal hat es so gewollt.

Ali. Und du zitterst nicht?

Selim. Nein. —

Ali. Da du in meiner Gewalt bist? —

Selim. Was soll ich fürchten? Du hast die Gewalt mich zu tödten und ich wünsche den Tod. —

Ali. Auch einen martervollen Tod?

Selim. Endlich muß doch die letzte Marter zu mir kommen, die mich mitleidig frei macht. Wie soll ich Martern fürchten, wenn sie nicht ewig dauren? — Wie kann ein Mann so kindisch ungeduldig einige schmerzvolle Stunden scheuen? —

Ali. Du wünschest den Tod und dies könnte mich versuchen, dich nicht zu tödten.

Selim. Seit mein Entwurf dahin ist, giebt es keine Freude, keine Hoffnung mehr. Ich mag nicht in einer Welt leben, wo dein Wille, dein Befehl alle Seelen lenkt. O versuch' es, ich werde mit größerer Kaltblütigkeit sterben, als du Muth hast, meinen Tod auszusprechen. — Ich hatte auf diesen Fall gerechnet; daß ich sterben konnte, daß du Sieger sein konntest, diese Möglichkeit hatte ich nicht vergessen und darum bin ich darauf vorbereitet. Auf beides machte ich mich gefaßt, entweder ich sprach dein Todesurtheil, oder du das meinige. —

Ali. Du hättest mich dem Tode übergeben?

Selim. Ja, denn du machst dein Volk unglücklich und es verdient glücklich zu sein. —

Ali. Du hättest mich unter Martern sterben lassen.

Selim. Nein, für dich wäre der Tod die größte Strafe gewesen.

Ali. Du verachtest mich?

Selim. Lehre mich, wie ich dich ehren kann. —

Ali. Du kannst mich hassen, nur verachten sollst du mich nicht. —

Selim. Nimm mir meine Meinung.

Ali. Du wirst zittern!

Selim. Vor dir? — Niemals! — dies ist also der Ali, vor dem Asien bebt? das Schrecken des Volks, der Mann, mit dessen Namen Mütter ihre Kinder zur Ruhe bringen? — Ich hätte ihn schrecklicher geglaubt. — Dies ist der Blick, der Tausende bleich macht, dies die Hand, auf deren Wink das Leben wie ein Hauch entflieht? — O versperre dich, Sultan, in deinem Pallaste, werde von Niemanden gesehen, sonst wird es bald dahin kommen, daß keiner vor dir zittert.

Ali. Du wagst es, mich zu verspotten?

Selim. Was kann ich wagen? — Das Leben hass' ich, so wie ich dich hasse, deine Martern veracht' ich, wie ich dich verachte, — nenne mir ein Wort, das die Farbe von meinen Wangen jagte, einen Ton, der mich erzittern macht; du kannst es nicht. — Sieh, ich bin über dir und über dem Schicksal erhaben. — O sieh' mich nicht so drohend an, dein Blick fällt vergebens so flammend auf mein Angesicht, ich bin kein Verbrecher, ich darf mich nicht vor deinem Auge verkriechen; trüg' ich nicht diese Ketten, o so müßtest du in meiner Gegenwart zittern, ein Verräther hat dir dies Zittern erspart, ein Verräther hat meinen Vorsatz vernichtet, auf ihn komme das Elend des Volks, nicht über dich. —

Ali. Nicht über mich?

Selim. Nein, — du verachtest die Menschheit, du verkennst ihren Werth, Menschen gelten dir weniger als Pflanzen, durch Schätze kannst du sie nur belohnen, durch Hinrichtung nur bestrafen; du hast keine Ahndung von dem Gefühl, das den Menschen zum Menschen erhebt, — und darum bemitleid' ich dich, darum verzeih' ich dir.

Ali. Verworfner? du verzeihst mir? — Welcher Stolz spricht aus diesem Sklaven? — Führt ihn hinweg!

Die Leibwache wollte ihn wegführen, als Selim sich noch einmal zu Ali wandte: —

Und was gewinnst du mit meinem Tode? — sprach er mit fester Stimme, wird dein Zittern enden mit diesem Schlag? — Wirst du weniger beim Schall des Windes und vor deinem Schatten zurückschrecken? — Die Tyrannen tragen ihre Strafe in ihrem eigenen Busen. — Dein Volk haßt dich und du weißt es, die Welt verachtet dich und du verachtest dich selbst. — Hartnäckig ringst du mit dir, dich aus dieser Selbstverachtung, aus dieser Seelenträgheit herauszureissen, — aber du vermagst es nicht. — Ich sterbe und du lebst, — aber beim Allmächtigen! ich möchte dein Schicksal nicht mit dem meinigen vertauschen! — Schon daß ich dich im Tode verliere, ist ein Gewinn, ein Leben, über das du in jeder Stunde gebieten kannst, ist kein Gut für mich, ein Glück, das von dir abhängt, kann kein Glück sein. — Und welches Leben, welches Glück bleibt dir zurück? o sieh in die Zukunft hinaus und erzittre vor der nimmerendenden freudenleeren Wüste. — Ohne lieben zu können und ungeliebt, verachtet und verachtend gehst du jeder Stunde entgegen. Eine ewige Langeweile, von keiner Freude vertilgt, ein ewiger Durst, der nie eine löschende Quelle findet. — Deine Brust ist hohl, du schämst dich ein Mensch zu sein, du kennst keine Seligkeiten, treulos haben sie dich alle verlassen. — So lebst du — und stirbst endlich, ohne gelebt zu haben. Du hoffst stündlich Freuden und vertraust dich unbefriedigt jedem neuen Tage, der letzte sinkt unter, — du bist nicht mehr und glaubst auch nicht gewesen zu sein, — Und darum, weil ich dich bemitleide, verzeih' ich dir!

Ali stand nachdenkend. — Noch dräut der Mordstahl in deiner Hand, fuhr Selim fort, noch erzittert alles rund umher vor deinem Machtspruch, — aber eine freudige Aussicht thut sich mir auf. — Unaufhaltsam bricht der Wogensturm heran, unaufhaltsam rauscht es immer näher, armselig wird deine Schreckensstimme in dem Brüllen der Orkane verwehen, dann, — o sie kann nicht fern sein, diese Zeit, — dann fühlt die Menschheit ihre große Kraft und fühlt zugleich ihre Ketten, sie zerspringen mit einem furchtbaren Klang und du zitterst! — Dann löscht kein Mord die hellen Flammen aus, dann gehn deine Geschlechter unter und die Menschheit fordert ihre ewigen Rechte zurück; — ich kann ruhig sterben, denn diese Zukunft lacht mir entgegen.

Selim wandte sich hinweg, um den Saal zu verlassen, Abdallah eilte hervor und stürzte vor seinem Vater nieder. —

Du hier? fragte Selim freundlich; glücklich, daß ich dich gefunden habe, mein Herz suchte dich schon auf dem Wege, aber doch wird mir der Abschied von dir diese Reise erschweren. —

Du gehst um zu sterben, Vater? sagte Abdallah mit dumpfer Stimme. Er klammerte sich schmerzhaft um seine Kniee, alle seine Pulse schlugen gewaltsam, seine Brust röchelte, sein Auge starrte brennend zum Vater hinauf.

Stehe auf, mein Sohn, sagte Selim, komm in die Arme deines Vaters. — Er umarmte ihn. — Mit diesem Kusse fuhr er fort, nehme ich den Fluch wieder von dir, den ich voreilig über dich ausgesprochen habe, wenn ich dir fluche, welche Seligkeit lasse ich dann auf dieser Welt zurück? — Nein, Abdallah, aller Segen des Himmels komme auf dein Haupt herab. — O vergieb dem Vater, der vom Zorne übereilt ward, vergieb ihm, geliebter Sohn! —

Vater! Vater! schrie Abdallah laut, — dein Segen brennt glühend auf meinem Haupte, gieb mir meinen Fluch zurück, er machte mich glücklich. Fluche mir, Vater, fluche mir dreifach, wenn du mich nicht ganz elend machen willst. —

Selim. Du sprichst im Wahnsinn, Abdallah; hat dich mein Unglück in diese Wuth gesetzt? — o laß mich, ich sterbe freudig. Ehre das Andenken deines Vaters und Abubekers Tochter werde deine Gattin.

Abdallah. Fluche mir, Vater, oder ich bin verloren! die Hölle ist mein Paradies; Flüche sind meine Freude!

Selim. Ich mußte ja doch bald sterben, Abdallah, — laß mich, du bist nicht Schuld an meinem Tode, wir sehn uns einst wieder.

Abdallah. Nein, nein! du bist mir ewig, ewig verloren; wir sehn uns nie wieder, ach! du weißt nicht —

Selim. Wir wollen Abschied nehmen, nur auf ein Menschenalter. Ich lasse dir meinen besten Segen zurück, mein Geist wird über dir wachen, meine Seele der Wächter deines Glücks sein. Ich will der Gehülfe deines guten Engels werden, — nur verzeih meine Härte, geliebter Sohn, mit der ich heut am Morgen mit dir sprach, ich habe sie nachher tief bereut. —

Abdallah schloß sich ohne Bewußtsein krampfhaft an seinen Vater, Selim hielt ihn in seinen Armen und sahe wehmüthig auf ihn hin. — Komm zurück, sagte er zärtlich, denn ich muß scheiden, von dir und von dieser Welt; ich habe genug gelebt, bleibe du zurück, entfliehe von hier und suche dir ein besseres Vaterland, hasse den Bösewicht und liebe den Tugendhaften, ehre Gott und seine Gesetze, und das Elend wird vergebens gegen dich anstürmen; du wirst in dir selber stets eine unversiegbare Quelle von Glück entdecken, das dir kein Tyrann und kein Boshafter rauben kann; an den Edlen reicht das Unglück nicht hinan, ihn erreicht keine Grausamkeit, kein Bösewicht kann ihn niederdrücken, er lebt und geht aus dem Leben hinaus ohne zu klagen, denn er weiß, daß er dort den Lohn seines Edelmuths empfängt. —

Nimm mich mit dir! rief Abdallah. — An deiner Seite wird man es nicht wagen, mich vom Eingange des Paradieses zu verscheuchen. O laß mich mit dir sterben!

Selim. Nein, Abdallah, du bleibst zurück, bis dich der Richter fordert, bis die Jahre ihren Kreis gemacht haben, bis die Welle deines Lebens in das große Meer der Ewigkeit fließt, — bis dahin sei ruhig, wir sehn uns wieder. — Tröste dich mit dem schönen Augenblick, in welchem ich freudig meinem Sohn entgegen gehen werde, wo die Ewigkeit unsre Liebe unzertrennlich verbindet; wo wir uns mit Lächeln von den hiesigen Träumen erzählen, — o halte mich nicht länger von diesem schönen Aufenthalt zurück, der Tod ist nur eine Brücke, die mich dorthin führt, — Lebe wohl! —

Er wollte sich von Abdallah losmachen, aber dieser hing sich fest an seinen Vater. — Ich lasse dich nicht, ich kann dich nicht lassen, schrie er wüthend, fluche mir und ich gebe dich frei, übergieb mich der Hölle und ich will dich dem Paradiese lassen. — Vater, du weißt nicht, wen du in deinen Armen hältst.

Meinen Sohn, meinen geliebten Sohn, antwortete Selim. —

Als du mir heut zürntest, antwortete Abdallah, als du mir fluchtest, da liebt' ich dich, da warst du mein gütiger Vater, hinweg! itzt muß ich dich hassen, denn du labst dich an meiner Höllenpein.

Abdallah stieß seinen Vater wüthend von sich, Selim sahe ihn befremdet an. —

Ist das mein Sohn? sprach er leise. — Welcher böse Engel spricht aus deinem Munde?

Abdallah. O erst hast du mich in die Verdammniß tief hineingestoßen, dein Arm ist zu schwach, mich wieder zurückzureissen, dein Segen wird den Fluch nicht von mir hinwegnehmen, der in allen meinen Gebeinen ras't, dieser Wassertropfen kann den schrecklichen Brand nicht löschen.

Selim. Hat deines Vaters Zorn dich wahnsinnig gemacht, geliebter Sohn? — Komm aus deiner Raserei zurück, ich muß fort, lebe wohl.

Er umarmte ihn noch einmal zärtlich, sein Kuß ruhte lange auf den Lippen seines Sohnes, Abdallah lag erschöpft in seinen Armen, sein Auge hing matt an den Blicken seines Vaters. — Lebe wohl, sagte der Jüngling schluchzend. Thränen stürzten über seine Wangen. Sein Vater wollte ihn verlassen, er drückte stumm die Hand des Sohnes, Abdallah hielt sie fest in der seinigen eingeschlossen; endlich wickelte er sich von ihm los, Abdallah taumelte zurück und sank gefühllos gegen die Mauer. —

Auch dies hab' ich überstanden, sagte Selim, und wandte sich zu Ali, dies war die Marter, die mir meinen Tod schmerzhaft machte; itzt magst du dich an meinen Schmerzen ergötzen und kein Stöhnen, kein Ächzen soll dir einen schadenfrohen Triumph gönnen. —

Ali sahe ihn mit einem leichenkalten Blick an. —

Du glaubst, fragte er ihn höhnisch, nichts kann dich mehr erschüttern, nun dieser Abschied vorüber ist?

Selim. Nichts. —

Ali. Hüte dich, daß ich dich nicht schaamroth mache und du als ein Lügner vor mir stehst.

Selim. Ich wiederhole es, nun mag kommen, was da will, ich will ihm mit festem Auge in's Angesicht sehen. —

Ali. Du stirbst gern? —

Selim. Ja.

Ali. Du liebst, du achtest die Menschheit?

Selim. Würd' ich dich sonst je haben hassen können? — Ja, könntest du mir diesen Glauben an die Menschheit nehmen, dann würd' ich dich für meinen Sieger anerkennen, dann, nicht eher, würd' ich mein Leben bereuen, dann, dann hätt' ich umsonst gelebt, dann wäre mein Stolz eine verächtliche Traumgestalt, die Arbeit meines Lebens ein nichtiges Kinderspiel gewesen, ich würde die Stunden zurückwünschen, in denen ich Menschenglück aufbaute und an dem Reichthum meiner Seele sammelte, dann würd' ich wünschen, Ali gewesen zu sein.

Ali. Und wenn ich dich nun dahin bringen könnte?

Selim sahe ihn mit einem furchtsamen Blick an, — dann, sagte er schüchtern, dann würd' ich vor dir zittern. — Aber nein, unmöglich, diesen Glauben kannst du mir nicht nehmen, du bist kein Mensch, was willst du von ihrem Adel wissen? —

Ali lächelte ihn höhnisch an. — Bist du nicht neugierig, den kennen zu lernen, der mir deinen Aufenthalt verrieth? fragte er mit funkelnden Blicken.

Nein, antwortete Selim, ich habe ihm verziehen, sei es, wer es wolle.

Ali ergriff die Hand Selims und führte ihn dann zu Abdallah. — Dieser ist es! sagte er schnell.

Selim fuhr blaß zurück. — Soll ich dieser Lüge glauben? sagte er nach einigem Stillschweigen; nein, Ali, dazu ist sie nicht fein genug ersonnen.

Dieser ist es! sagte Ali noch einmal mit schadenfroher Miene.

Selim. O Lügner, sieh dies Auge, diese entstellten Züge, diese Todesblässe, und wiederhole dann deine Worte noch einmal.

Ali. O dann wäre mein Triumph noch tausendmal herrlicher, wenn er itzt nicht bereute. —

Selim schwieg, er sahe mit einem schweren Blick auf Abdallah hin; Abdallah schlug die Augen nieder, alle seine Glieder zitterten.

Und mein Sohn antwortet nicht? fuhr Selim auf. — Nicht mit einem Ton, durch einen Blick widerlegt er diese gräßliche Lüge? — Soll ich dies Stillschweigen für Bewußtsein halten?

Abdallah drängte sich fester an die Mauer, er wünschte, daß ihn die Erde verschlingen möchte und schwieg.

Soll ich es glauben? sprach Selim erschrocken. — O wenn ich hier zweifeln soll, dann ist alles, was ich glaubte, Irrthum, dann — o ich Unglückseliger! — dann Ali, geb' ich mich besiegt. — O Himmel! Abdallah! Abdallah! sprich zu deinem Vater, höre meine letzte Bitte. — Er faßte die Hand Abdallah's. — Sprich, und zerrisse der Ton mein Ohr, nur eine Sylbe, nur einen Athemzug: sprach er Wahrheit? —

Abdallah's Herz wollte springen, er zitterte stärker, sein Busen kochte, mit matter stockender Stimme stammelte er endlich: Ja!

Ja? — sagte Selim und ließ plötzlich seine Hand niederfallen. — Ja? — Nun dann bin ich von einem tiefen Schlaf erwacht. — Auch dir hab' ich verziehen. —

Ali sahe ihn mit einem durchbohrenden Blicke an. — Auf diese Verdammniß hättest du nicht gerathen und hättest du dein Gehirn zersprengen sollen? fragte er ihn boshaft. — Du liebtest ihn, er liebte dich? Er gehört zu den Edelsten der Menschheit? — Sieh, dies sind die Verehrungswürdigen unter der Natterbrut. Selim, nun kann ich dir dreist in's Auge sehen, nun ist mein Triumph vollendet, der Eid, den ich beim Ewigen schwur, ist kein Meineid, — ich habe, was ich wollte, ich sehe dich zittern!

Ein Fieberschauer schüttelte Selims Gebeine. Ich habe die Menschheit nie gekannt, sagte er sehr ernst. — Noch einmal sahe er mit starrem Auge nach seinem Sohn, dann verließ er stumm den Saal, — die Leibwache folgte ihm. — Ali sahe ihm schadenfroh nach. — Ich bin gerächt! sprach er freudig, für die Menschheit hat er gekämpft und sie fällt in seiner letzten Stunde treulos von ihm ab, ha! nun wird ihm der Tod einen bittern Kelch reichen! So groß hätt' ich meinen Sieg nie geträumt. — Er wagte es nicht, mich anzusehen, — nun kann ich ihn verachten!

Abdallah stand ohne Bewegung, ohne Leben, sein Gesicht war todtenbleich, alle Glieder in einer fürchterlichen Erschlaffung erstarrt, man sahe kaum, daß er Athem holte.

Verloren! verloren! schrie er dann plötzlich. — Er schwieg wieder, alles war still, nur zuweilen tönte ein abgerissener brüllender Schrei Abdallah's durch den Saal. — Eine innere Wuth arbeitete in seiner Brust, tausend folternde Schmerzen duldete er in einem Augenblick zugleich, Angst und Verzweiflung, Wuth und Entsetzen stürmten durch seine Seele. — Mein Vater! mein Vater! rief er dann von neuem mit lauter Stimme. — O dies war sein letzter Blick! — dies! — o Ewiger, warum starb ich nicht vor diesem Blick? — Er hat mir vergeben? — Nein, eine heißhungrige Quaal nagt an mir. Alles ist zerstört und vernichtet, o mein Vater! — Stille, daß ich diesen Namen nicht nenne! Vater? — Ich bin kein Sohn, ich habe keinen Vater! — Nein, wie Abdallah sieht kein Sohn aus, — ich bin von der Menschheit ausgestoßen! Teufel sind meine Brüder, die Hölle ist meine Heimath.

Ein Sklave trug einen Giftbecher durch den Saal, Ali winkte ihm: man gebe ihm den Trank noch nicht, sagte er. Der Sklave ging.

In diesem Becher, rief Abdallah, wird meinem Vater der Tod gebracht! — Ha, wie die bösen Engel alle hohnlachend um mich grinsen! Nun gehöre ich ihnen leibeigen, nichts wird mich loskaufen. — Mein Name ist aus der Zahl der Lebendigen ausgestrichen, im Buch der Verdammniß steh' ich eingeschrieben, — bald wird mir die fürchterliche Rechnung vorgelesen werden! — —

Ali ging ihm näher und sagte: Verweile hier, ich gehe um Selim sterben zu sehn. — Itzt wird er den Giftbecher nicht so muthig, so verächtlich leeren. Höhnisch lacht ihm die Menschheit nach, er wird sich seiner Thaten und seiner Begeistrung schämen. — Diese Wonne will ich mir nicht versagen.

Ali ging und der Vezier und die übrigen begleiteten ihn. — Abdallah blieb in dem weiten Saal allein, alles um ihn her schien ihn mit fürchterlichen Gesichtern anzublicken, er stieß wüthend seinen Kopf gegen die Mauer.

Itzt! itzt! — sprach er leise, — itzt trinkt er den Becher, itzt lachen Ali und sein schändliches Gefolge über die Todeszuckungen meines Vaters; Selim denkt an seinen Sohn und dieser Gedanke dreht ihn in noch schrecklichern Krämpfen. — O Abdallah! Abdallah! — Wardst du darum geboren? — O nun ist jenes fürchterliche Ziel herangerückt! — Auf ewig, auf ewig bin ich verloren! — Selim! — Abdallah! — Die ganze Natur wird in ihr Chaos zurückspringen, denn die Liebe ist todt, alle Elemente werden von neuem feindselig gegen einander kämpfen und die Welt in Trümmern schlagen. — O warum gerade ich, unter Millionen ich der Verworfene, der seinen Vater ermorden muß? — Nur ich? — In diesem Gedanken grinst mich die ganze Hölle an.

Er stand von neuem in einer dumpfen Betäubung.

 


 

Siebentes Kapitel.

Omar trat in den Saal. Abdallah fuhr auf als er ihn sahe und stürzte sich wild in seine Arme. Rettung! Rettung! schrie er heftig. — Omar, reiß mich durch deine Gewalt aus diesem Strudel, der mich zerschmettert; o wo bist du gewesen? Warum hast du mich so unbeschützt allen diesen fürchterlichen Quaalen überlassen? — Bin ich deiner Hülfe nicht mehr werth? Liebt kein Wesen mehr den Abdallah, seit er der Menschheit untreu geworden ist? — Omar! rette mich vor mir selbst! sieh, ich bin fast wahnsinnig, o könnt' ich es ganz werden, ich wäre glücklich!

Ich erschrecke vor dir, sagte Omar, ich glaubte dich nicht so zu finden.

Abdallah. Nicht so? — O und wie anders? Wie kann ich anders sein? — Wundre dich, daß du mich noch lebendig antriffst, kein Sterblicher hat noch mit so vielen Martern gerungen. — Ich sollte ruhig sein, itzt, da mein Vater unter gräßlichen Schmerzen knirscht? —

Omar. Er leidet nicht mehr. —

Abdallah. Itzt?

Omar. Er ist todt!

Abdallah. Todt? — Todt? — Er war und ist nicht mehr. Todt? O wie viel liegt in dem armseligen kleinen Worte. Nun hat er mein Verbrechen abgebüßt. —

Er sank wieder in ein tiefes Nachdenken, das Omar vergeblich zu zerstreuen suchte. — Ich habe ihn gehabt, fuhr er dann fort. — Gehabt? — O Himmel, mein Vater, den ich so zärtlich liebte, der mich so innigst liebte, dieser ist todt. Von seinem Sohne geschlachtet, hingegeben der Mordgier durch Abdallah. — Ach, Omar! Omar! — So eben hätt' ich durch Zulma seine Martern abkaufen mögen und nun klag' ich darüber, daß er sie nicht mehr fühlt. —

Omar. Sei weise, Abdallah. Laß das, was vergangen ist, vergangen sein. — Was hast du gewonnen, wenn dich diese Gedanken ewig quälen? Zweifle an allem was war und lebe nur in der Gegenwart, alle deine Hoffnungen kommen dir gekrönt entgegen, siehe, es fehlt keine in ihrem feierlichen Zuge, geh mit heitrer Stirn auf sie zu, wie es dem Glücklichen ziemt. — Hinweg mit diesen Falten! Sieh aus wie ein Bräutigam, der seine Braut erwartet; Tausende sind unglücklich, ohne des Glücks zu genießen, das dein ist. Zulma! rufe diesen Namen nur und alle Sorgen werden zurücktreten, feigherzig entflieht dann jeder Kummer.

Abdallah. Zulma? — O das war eine Seligkeit, auf die ich einst so sehnlichst hoffte, aber auch dieser Strahl ist hinter Wolken untergegangen, auch diese Freude hab' ich verspielt, um nichts zu gewinnen. — Du zeigst, um mich zu trösten, auf ein Grabmal hin, in welchem ein Freund schlummert, der einst meine Wonne war.

Omar. O Zulma, Zulma ist dir nicht gestorben, ruf nur einen Strahl jener Entzückungen zurück, mit denen du ehemals ihren Namen dachtest. —

Abdallah. Ach Omar, sie wird mir ein ewiges Verzeichniß meiner Verbrechen sein, alle beseligenden Gefühle sind auf ewig von mir hinweggeflohen, nur die entsetzlichen sind mir geblieben, diese knüpfen sich an jedes Wesen, an jede Erwartung. —

Omar. Reiß dich aus dieser trägen Seelentaubheit, zeige den Schaudern eine Heldenbrust, und sie werden zurückstürzen!

Abdallah. Nein, Omar, auf welche Freude darf der Vatermörder rechnen? Jedem andern Verbrecher verzeiht der gütige Himmel einst, aber des Vatermörders Gebet darf sich nicht in seine Himmel wagen, die Engel würden erzittern und der ewige Glanz seines Thrones erbleichen. Seit Ewigkeiten ward ich ausgelesen, ein Spott des grausen Verhängnisses zu sein und dies fürchterliche Spiel wird sich niemals enden. — Ach! könnt' ich wieder werden was ich war, könnt' ich zu dir sagen: weck mich auf! und ich erwachte dann und alles, alles wäre nur ein Traum gewesen, stände dann der Abdallah wieder vor dir, der einst vor dir stand, wärst du derselbe Omar, der du ehedem warst, — ach! als ich deine Lehren noch mit kindlicher Unbefangenheit in mich sog, als ein zürnender Blick meines Vaters oder von dir das Unglück dieser Erde für mich war, als ich froh an jedem Abend einschlief und der Strahl des Morgens mich zu neuen Freuden weckte, als ich mich so unbesorgt und mit kindlichem Lächeln jedem Tage überließ, der mich dem folgenden überlieferte, — o wann kann ich wieder eine dieser Seligkeiten kosten? Wie ist dieser Abdallah so plötzlich jenseit aller Verbrechen und Laster geschleudert? — Himmel! wie nahe liegt mir die Zeit, als ich noch vor dem Gedanken Mörder zurückbebte? — Und selbst ein Mörder sein und der verworfenste von allen Mördern, Vatermörder! — o dürft' ich an die Unmöglichkeit glauben, dürft' ich der Unwahrscheinlichkeit vertrauen und mich keck mit mir selber wieder versöhnen. — Aber nein, es ist! Nicht wahr, Omar, es ist? —

Omar. Es war.

Abdallah. Nein, es ist! die Ewigkeit, der Allmächtige selbst kann mein Verbrechen nicht von mir wieder abkaufen. — Ach, Omar, als mein Vater hörte, daß sein Abdallah ihn dem Verderben verrathen habe, — ach, da sahe er mich mit einem Blicke an, — o es war ein entsetzlicher Blick, nie wird meine Einbildung diesen Blick verlieren, keine Stunde meines Lebens war mir noch so fürchterlich, als diese, noch nie war meine Seelenangst so hoch gestiegen, als bei diesem Anblick des Auges; alles Entsetzen lag darin. Laß mich nur diesen Blick vergessen, Omar, und ich will das freche Versprechen wagen, alles übrige zu vergessen!

Omar. Dein Vater hat dir verziehen, verzeih dir selbst. —

Ali und sein Gefolge kamen zurück. — Auch keinen Schrei konnte ihm der Tod auspressen, sagte Ali mürrisch, sein Tod war so halsstarrig wie sein Leben, er ging in die Vernichtung wie ein andrer sich zum Schlafen auf sein Lager wirft; der Schmerz wühlte in allen seinen Zügen und trieb seine Glieder fürchterlich geschwollen auf, aber er sahe dem gräßlichen Anblick wie einem Spiele zu. — Auch kein Seufzer ist ihm entschlüpft.

Ali winkte und einige Sklaven traten hervor, die den betäubten Abdallah in ein Bad führten. In Träumen verloren that er ohne Besinnung alles, was man von ihm verlangte. Man salbte ihn dann mit köstlichem Balsam und schmückte ihn mit reichen Kleidern, er bemerkte kaum diese Veränderungen. — Mit Gold und Purpur geschmückt ward er in den Saal zu Ali zurückgeführt.

Alle Großen des Reichs waren hier versammelt, der Saal schimmerte von Edelsteinen, himmelblaue Polster mit Gold geschmückt lagen an den Seiten des Saales. Jedermann begrüßte Abdallah ehrerbietig, alles neigte sich tief, er zwang sich heiter umherzusehen und jeden Gruß mit Freundlichkeit zu erwiedern.

Prächtig gekleidet trat Zulma itzt herein; Abdallah hatte sie noch nie so schön gesehn, er fuhr unwillkührlich auf und eilte ihr entgegen: mit ihr trat ein Priester herein. —

Ali nahm die Hand Zulma's und legte sie in die Hand Abdallah's. — Ich gebe sie dir, sprach er, so wie ich sie dir verheißen habe; deine Treue gegen deinen Fürsten hat dir diesen Lohn erworben, werde nie untreu, und meine Gnade und die Gunst des Himmels wird ewig auf dich herunterblicken.

Der Priester sprach den Segen über beide aus, die Gäste warfen sich nieder und wünschten ihnen Glück. — Abdallah sahe immer starr vor sich nieder, nur zuweilen drückte er heftig und stumm Zulma's Hand, sie sahe oft besorgt nach ihm hin, aber er bemerkte ihre Blicke nicht und brütete wieder in seinem dumpfen Nachsinnen weiter.

Die Feierlichkeit war geendigt, Ali und die Gäste entfernten sich, um im Garten die frische Kühle der Abendluft einzuathmen, Abdallah und Zulma standen allein im Saale. —

O so ist denn endlich, begann Zulma, der große, der fürchterlich schöne, der langerwünschte Augenblick herangekommen, an dem ich von jeher zweifelte? — So sind denn nun alle meine Wünsche erfüllt? — O wie zagt' ich gestern, und flohe erschrocken zurück, als ich dich vor dem Pallast stehen sahe, ich wußte wie sehr mein Vater dem deinigen zürnt, — aber nun ist ja alles vorüber, — ich sinne vergebens, wie du durch die Unmöglichkeiten hindurchgedrungen bist und dich zu mir gekämpft hast, — aber sei's, auf welche Art es wolle, ich halte dich in meinen Armen und bin glücklich, und was will ich denn noch mehr als dieses Glück? Daß ich glücklich bin, daran weiß ich genug, alles übrige ist mir heute gleichgültig und ohne Werth. — Aber warum bist du so stumm, Abdallah? Meine Freude schwatzt und die deinige schweigt in ein stilles Nachsinnen verloren?

Abdallah sahe auf. — Fühlst du dich glücklich in meinen Armen? fragte er leise.

Zulma. So glücklich wie im Paradiese.

Abdallah. Ganz glücklich?

Zulma. Könntest du daran zweifeln? —

Abdallah. O so ist der Fluch des Ewigen nicht auf meine Stirn geprägt, — und du fühlst nicht, daß du in den Armen eines Mörders liegst?

Zulma. Eines Mörders?

Abdallah. Hörtest du den Herold nicht das schreckliche Gebot ausrufen?

Himmel! — du hast nicht, — sagte Zulma mit banger Ahndung, — sie konnte, sie wagte es nicht, weiter zu sprechen.

Ja! rief Abdallah lautlachend, ich gab meinen Vater verloren, um dich, dich zu gewinnen!

Zulma fuhr erblassend zurück, sie wollte ohnmächtig niedersinken, aber Abdallah fing sie in seinen Armen auf. Mit halbgeschlossenen Augen sahe sie ihn starr an, sie konnte nicht sprechen, ihre Lippen zitterten, sie wollte sich aus seiner Umarmung losmachen, aber in einem schrecklichen Krampf hielt er sie fest an seine Brust gedrückt. Du bist mein! mein! schrie er laut, — ich habe dich der Hölle abgerungen und keine Hölle soll dich mir wieder rauben, — so wie du mir gehörst, gehörte noch kein Weib dem Manne, jedes Haar deines Hauptes ist durch einen Fluch erkauft. — O Zulma! Zulma! auch du willst mich verlassen? — Für dich hab' ich mich ja der Verdammniß verpfändet, für dich, nur für dich bin ich der Natur und meiner Menschheit abtrünnig geworden und habe wüthend an meinen eignen Gebeinen genagt, — o hier ist noch die letzte Freistatt meiner Seele, in kein andres Gebiet darf sich der gebrandmarkte Verbrecher wagen, nur die Liebe nimmt ihn gütig auf. — O Zulma! an deinen Busen gelehnt sollen mich deine süßen Lippen Vergessenheit lehren, hier will ich dem Himmel zum Trotz Seligkeiten genießen, — o dich hatt' ich vergessen, als ich dem Ewigen meine Freuden aufkündigte.

Ein Mörder? Ein Vatermörder? schrie Zulma schrecklich auf. — O hinweg Ungeheuer aus meinen Armen, du bist nicht mehr Abdallah!

Zulma! Zulma! rief Abdallah, hier ist meine letzte Hoffnung, nimm mir diese und meine Wollust ist Raserei und Gotteslästerung! — Wenn mir auch diese Seligkeit untreu wird, o so will ich mich in das ganze Meer der Verdammniß hineinwerfen, da Rettung doch unmöglich ist! Nein, Zulma muß mir bleiben, oder der Allmächtige ist mehr als grausam, er hat ja eine ganze Ewigkeit vor sich, mich zu martern, er lasse mir diese wenigen Jahre hier unten.

Gräßlicher! sagte Zulma. — O du hast mir ein entsetzliches Geheimniß enträthselt. — Liebe sollte sich in deine Brust hinein erkühnen? Wo das Grausen auf einem schwarzen Throne sitzt und Schauder seine furchtbaren Wächter sind? — Nein Abdallah, — meine Liebe ist seit diesem Augenblick erloschen; o Entsetzlicher, ich fürchte dich, wie sollt' ich dich lieben können?

Zulma! schrie Abdallah, o es gilt nun alles, alles, ich fluche dir mit entsetzlichen Flüchen, denn um dich hab' ich die That gethan, ich weihe dich zur Verdammniß und zum Grausen ein, ich klammre mich fest an dich und reisse dich mit mir in die Hölle, die meiner wartet.

Zulma. Du rasest, Abdallah. — O hast du mich so gewinnen wollen? — So? — hinweg! — die Menschheit hat dich ausgestoßen, was will der Verworfne in meinen Armen? Ich gehöre ihr noch an, — ich habe meinen Vater nicht ermordet, — wenn ich mit seinem Blute besprützt zu dir komme, dann wollen wir uns lieben, bis dahin sei mein Abscheu!

Abdallah ließ sie fahren. — Diese Furchtbarkeit sagte er, fehlte noch an der gräßlichen Zahl, Zulma weicht zurück; nun ewige Quaalen nehmt mich in Empfang! — die Liebe vergiebt mir nicht, — was soll ich von dem strengen Richter dort hoffen? Alles sagt sich von mir los, nur ich selber bleibe mir übrig. Vernichtung, stürme hervor! Brause heran, Verderben! — Hölle, öffne deine Arme! Sei verflucht Zulma, und der Augenblick, in welchem ich dich zuerst erblickte!

Abdallah warf sich erschöpft auf einen Polster, Zulma wagte es nicht, ihn anzusehen, sie trocknete sich heimlich kalte Thränen des Entsetzens von den Augen. — Ihr Vater kam mit den Gästen aus dem Garten zurück.

 


 

Achtes Kapitel.

Auch Omar trat itzt mit den übrigen Gästen herein und bewillkommte Abdallah. — In einem bunten Gewühl durchkreiste sich alles fröhlich und sprach und schwatzte mit einander; Sklaven und Sklavinnen liefen durch den Saal und bereiteten die Tafel und die festliche Mahlzeit; Lichter glänzten auf goldenen und silbernen Leuchtern und blendende Schimmer zitterten durch das Gemach. Alle Augen sahen fröhlich umher, alle lachten und scherzten, nur Abdallah stand mitten unter ihnen, wie ein Gegenstand ihres Spottes, sein Auge verirrte sich in der Versammlung und starrte dann wieder unbeweglich auf den Boden hin; oft fing er an mit dem, der ihm am nächsten stand, zu sprechen, aber sogleich brach er wieder ab, ohne es selbst zu wissen, und verlor sich in seinem gräßlichen Stillschweigen. — Zulma wandelte verlegen durch den Saal, bald sprach sie mit ihrem Vater, bald sahe sie nach dem leblosen Abdallah hin. — Endlich erblickte Abdallah seinen Omar im Gedränge, er eilte sogleich auf ihn zu, er hatte ein bekanntes Wesen endlich aufgefunden, das mit seinen Gefühlen vertraut war. Abdallah und Omar gingen auf und ab.

Auch das letzte Glück, sagte endlich Abdallah, ist mir abtrünnig geworden, Zulma liebt mich nicht.

Sie liebt dich nicht? fragte Omar erstaunt.

O sie verabscheut mich, antwortete Abdallah. — Diese Liebe war nur ein sehr kurzer Frühling, der schwarze Winter kömmt zurück. Siehst du, wie mir alles, alles ungetreu wird? — Ach Omar, ich wanke wie in einem Traum einher, — könnt' ich mich ruhig in mein Grab hineinlegen! O hätt' ich nie gelebt!

Omar wollte ihn beruhigen, aber Abdallah hörte nicht auf seine Worte, er blieb in sich selbst zurückgezogen und seufzte schwer.

Das Gastmahl war indeß angeordnet, die Lichter glänzten in helleren Schimmern, das Gewühl verlor sich itzt, man ordnete sich und setzte sich an den Tisch. Zulma saß zur Linken Abdallah's, Omar zur Rechten.

Man aß und alle waren froh und vergnügt, Sklavinnen tanzten, sangen und spielten auf Guitarren und Theorben, andre schlugen kleine Handpauken, andre Cymbeln.

Abdallah sprach nur wenig, er sahe starr vor sich nieder, Zulma anzusehen wagte er nicht. —

Unter einer fröhlichen Musik tanzten die Sklavinnen und sangen:

Schwebt in süßen Melodieen
Sanftgesungne Hochzeitslieder,
Und in immer süßern Tönen
Grüßt des Bräutigams,
Grüßt das Ohr der Braut. —
 
Wonnelieder
Sprechen in den frohen Tanz,
Jauchzende Gesänge
Schweben in leisem Fluge
Um euer beglücktes Haupt.
 
Wie ein goldner Blüthenregen
Schwimme Glück auf euch herab,
Wie nach Wettergewölken
Sich Regenbogen
Durch die Finsterniß spannen,
So komme stets nach trüben Stunden
Die Freude unermüdet wieder. —

Die Tänze verwebten sich in immer neuen Verschlingungen, ein zauberischer Wohlgeruch floß durch den ganzen Saal, alle Gesichter lachten und glänzten von Fröhlichkeit. Abdallah war betäubt, er hatte alles vergessen, die Tänze und Gesänge hatten ihn so sehr aus sich selbst herausgerissen, daß er mit der Freude eines Wahnsinnigen jedem fröhlich entgegenlachte. Von einer wilden, thierischen Fröhlichkeit berauscht umarmte er bald Omar und dann wieder Zulma, selbst Zulma lächelte zuweilen und spiegelte sich munter in seinen Augen. Die Gesänge jauchzten und Abdallah jauchzte zuweilen laut in die tanzenden Chöre. Auch Ali schien fröhlich, seine Rache war befriedigt und der furchtbare Selim, der einzige Mann in seinem Reiche, vor dem er zitterte, war nicht mehr. —

Eine lange Gestalt drängte sich itzt aus dem Gewühl hervor, dicht eingewickelt in schwarzen Gewändern zog sie einher, ein stiller Schauer begleitete sie, alles wich zurück. — Zu einer Laute hörte man leise singen:

Die Hölle hat den Sünder angenommen. —
Dem Feigen ziemen keine Kronen,
Nur der Muth kann sie erringen;
Seht ihr den Frevler
Unwissend
Neben seinem Verderben sitzen? —

Abdallah fühlte, wie ein kaltes Grausen seinen Rücken hinunterging. Die seltsame Gestalt zog itzt bei Abdallah vorüber, sie schlug das Gewand vom Kopf zurück, es war Nadirs altes todtenbleiches Gesicht; er trug einen Spiegel unter seiner Hülle; — Omar's Gesicht spiegelte sich von ohngefähr, — und o des Entsetzens! es zeigte sich so, wie es Abdallah in dem wunderbaren Zauberpallast gesehen hatte.

Der Greis verlor sich wieder in dem Gedränge.

Omar! sagte der schaudernde Abdallah leise zu seinem Freunde, — horch! — hörst du nicht unter den Gesängen eine Stimme leise: Vatermörder! ächzen? — horch! horch! wie der Ton eines Sterbenden, — das ist sein Geist, — Vatermörder! seufzt es so schwer, so abgestoßen, wie mit einer innigen Herzensbangigkeit. — O! schlagt die Guitarren und Theorben! rief er laut, bis ihre Saiten springen! überschreiet diesen verwegenen Mahner und jagt ihn betäubt aus dem Saale, laßt die Pauken lauter donnern! — Schlagt alles in einen furchtbaren Klang zusammen, daß keine fremde Stimme hörbar werde! —

Die Gesänge wurden lauter und wilder, die Tänze wüthender, wie schießende Flammen, so schnell flohe und verfolgte man sich, in immer künstlichern Geweben verschlungen:

Schlag an das Sterngewölbe
Stürmender Wonnegesang!
Daß weit durch die stille Nacht
Die rauschende Freude töne!
Trage zum Meeresstrande
Tönender Wiederhall
Unsern Wonnegesang!
Daß ferne Klippengestade
Den Namen Abdallah hallen,
Daß über grüne Wiesen
Der Name Zulma wandle,
Die Blumen schöner färbe.
Daß der Mond sich freue
Und goldner scheine,
Und die Zügel der Nacht nicht fahren lasse
Vor der Sonne fliehend.

Abdallah hatte ein bleiches Gesicht auf die gegenüberstehende Wand geheftet, seine Augen starrten fürchterlich aufgerissen wild in die Leere hinaus. — Befremdet fragte ihn Omar: was ist dir?

Sieh! Omar! ächzte Abdallah. — Sieh, die seltsame Erscheinung dort vor mir! — Eine weiße dürre Todtenhand klemmt sich heimlich und unbemerkt aus der Wand heraus und winkt mich unermüdet hinein, — was mag es sein, das mich so ruft? — Noch immer winkt sie mir ernst und befehlend, — sieh' den zernagten gekrümmten Finger! — Ha! es hat dich gesehn, denn die Hand hat sich zurückgezogen! — Omar, sie kömmt wieder, — sieh, der Arm dürr und knochicht bis zur Schulter, — es will sich aus der Mauer herausdrängen, — sollte das mein Vater sein, der durchaus zu mir will, um an meiner Freude Theil zu nehmen? — Stich mir die Augen aus, Omar, ich mag es nicht länger sehn! —

Omar lächelte ihn wehmüthig an. — Omar, sieh umher! sagte Abdallah ängstlich, — mir ist plötzlich, als sitze ich hier unter todten fremden gemietheten Maschinen, die bestimmt den Kopf drehen und die Lippen öffnen, — sieh doch, wie der abgemessen mit dem hölzernen Schädel nickt, der sich Ali nennt, — ich bin betrogen! — das sind keine Menschen, ich sitze einsam hier unter leblosen Bildern, — ha! nickt nur und hebt die nachgemachten Arme auf, — mich sollt ihr nicht hintergehn! — Sieh doch, dies hier sollte Zulma sein? — Ha! ein beinernes Gerippe, scheußlich mit Fleisch eingehüllt, — sieh! itzt eben werden ihr die todten Augen aus dem Schädel fallen, — hu! ich sitze unter Moder und Verwesung, wie in einer Schlachtbank bei aufgehäuftem Fleisch, — rette mich, — o hinweg! du bist nichts besser als diese!

Die Gesänge übertönten ihn: —

Im goldnen Wolkenschleier
Steigt die schöne Tochter der Nacht
Ihre Himmelsbahn hinan.
Fröhlich rauschend
Hüpfen Meereswellen
Ihr mit holdem Gruß entgegen. —
Sie mustert ernst ihre Sternenreihen,
Alle Sterne neigen sich mit Ehrfurcht,
Sie wandelt still. — —

Plötzlich fielen alle Lauten mit einem mächtigen Klang auf den Boden, alle Gesichter am Tisch wurden plötzlich starr und blaß, jeder ward unwillkührlich in einer gräßlichen Stellung festgehalten, wie zum Spott aufgestellte Leichname saßen alle da und sahen sich unter Schaudern an. — Abdallah sprang auf, seine Zähne knirschten entsetzlich. — Vatermord! — Vatermord! — schrie er, — die Hölle kriecht unter unsern Füßen umher, — der bleiche Tod steigt aus der Wand heraus und kömmt drohend auf mich zu! —

Alle fuhren auf. — Er ist rasend! — schrie Ali laut und ein plötzlicher Schreck fiel auf alle herab, sie entflohen hinweggejagt, Abdallah's Augen funkelten, — er wollte Zulma mit Gewalt zurückhalten, sie riß sich mit einem lauten Geschrei von ihm los, und ließ ihren Schleier in seinen Händen; schäumend warf er ihr brüllend seinen Dolch nach, er fuhr in die Wand.

Unsichtbare Wesen tobten hinter den Entflohenen her, sie zertraten die Lauten und polterten fürchterlich durch den Saal, — Stürme hausten klingend in den Fenstern, seltsame Töne schrien aus den Mauern hervor, es ras'te durch den ganzen Pallast wie ein fliehendes Heer. — Abdallah sank auf seinen Sitz zurück. —

Es ward still und als er die Augen wieder aufschlug, tanzten stumm durch den Saal die grauenvollen mißgestalteten Zwerge aus dem Zauberpallast, das Ungeheuer Zulma hatte sich ihm gegenüber gestellt, einzelne lange Haare wiegten sich auf dem nackten Schädel, aus dem ungeheuern Kopf grinsten ihm wild verzerrte Züge und Zähnknirschen entgegen, sie nickte ihm einen freundlichen Gruß zu, bot ihm die Hand, warf einen blutigen Ring auf den Tisch, und versank dann lächelnd unter die Erde.

Mit ihrem freundlichen Grinsen begrüßten ihn alle Ungeheuer und verflogen dann in die Wände.

 


 

Neuntes Kapitel.

Abdallah blieb lange stumm, der Mond schien blutig durch die purpurnen Vorhänge auf den Boden, im kalten Ernst saß Omar neben ihm.

Omar! rief endlich Abdallah, von der entsetzlichsten Angst und Verzweiflung gefoltert, — Omar! er umschlang ihn wüthend mit den Armen. — Alles, alles ist fort, nur du bleibst unauflöslich mein, ja, du hast es mir geschworen, — du liebst den Vatermörder noch, — o ja, du kannst ihn nicht hassen. — O könnt' ich mich stürmend in deinen Busen drängen und dort meine Wohnung bauen, und in dir mich gegen alle diese Schrecken verschanzen. — Könnte sich meine Seele in die deinige retten! — du antwortest nicht, mein Omar, — o sprich! — horch! wie entsetzlich die Todtenstille um uns flüstert! — sprich!

Omar lachte laut auf, Abdallah bebte zurück. —

Du lachst? — schrie er wüthend, — Omar, komm, wir wollen uns beide wahnsinnig spielen und mit den Nägeln unsre Gesichter zerkratzen, damit ich mich im Spiegel nie wieder kenne! — Omar, willst du deinen Freund nicht schützen?

Suche Schutz beim Schicksal und bei Gott! sagte Omar lachend.

Du hast sie mir gestohlen! rief Abdallah aus, gieb mir mein Eigenthum zurück! —

Er stürzte auf Omar zu und ergriff ihn wüthend bei der Brust.

Ich kann es dir nicht wiedergeben, antwortete Omar kalt, ich gehöre Mondal an. —

Abdallah stürzte mit neuen Schrecken rückwärts. — Mondal? schrie er, — o so ist es dennoch alles wahr? — Mondal!

Er saß starr und leblos da, alle Fürchterlichkeiten hatten seine Kräfte erschöpft. —

Itzt mußt du alles wissen, sprach Omar, diese Quaalen hab' ich dir bis zuletzt aufgespart, damit du nicht darben dürftest. — Wisse, ich war es, der Ali Selim's Verschwörung verrieth, meine Abreise war eine Lüge um dich und Selim zu täuschen. — Mondal! meine Rechnung ist richtig und ich bin frei!

Abdallah wand sich in zuckenden Krämpfen, es zermalmte seinen Busen und er konnte lange nicht sprechen. — Du hast es meisterlich vollbracht, sagte er endlich, ich möchte dir verzeihen, wenn ich es nicht wäre, der zum Abdallah verdammt worden ist; o wechsle mich mit dem elendesten Gewürme aus, und ich will jauchzen. — Sogar der armseligste Trost fehlt mir, mich zu laben, es ist auf dieser Erde kein Elenderer als ich; der gefolterte Sklave, der gespießte Verbrecher würde sich nicht gegen den glücklichen Gemal Zulma's austauschen lassen, o könnte mir die Wonne werden, daß ich ein Bösewicht würde, der unter Millionen Quaalen auf der Folter in Stücken gerissen würde, und nicht dieser Abdallah. —

Omar sahe triumphirend auf ihn hin: — Es war keine leichte Arbeit, sagte er, diese schöne Seele so zu verstümmeln.

Abdallah fuhr auf. — Erinnere mich daran nicht, schrie er mit den Zähnen knirschend, Hämischer! nicht diese Erinnerungen! — Omar, sieh wie weit du mich in den Abgrund hinabgerissen hast, laß mich nun ganz hinunterspringen! — Du gehst zu Mondal zurück, o nimm mich mit dir, laß mich nicht zurück, — ich muß ihn kennen lernen und sein Freund werden, ich will ihm bald ähnlich sein, meine Prüfung habe ich schon überstanden.

Er blickte matt empor. — Omar war nicht mehr da, ein unbekanntes gräßliches Wesen saß neben ihm. — Abdallah stürzte wie eine Leiche zurück. —

Das hagre Gesicht beugte sich fürchterlich auf ihn herab. — Elender, krächzte es, — dies ist Omars wahre Gestalt, wenn er die lästige Larve abnimmt, — so kannst du ihn ewig nicht ertragen. —

Abdallah lag noch ohne Bewegung auf dem Polster. —

Es hob sich neben ihm auf, ging zur Thür, er hörte sie öffnen, der Fremde ging hinaus und schloß sie hinter sich wieder zu. —

 


 

Zehntes Kapitel.

Abdallah war auf seinen Sitz zurückgesunken. — Alles war still um ihn her, er schlug die Augen wieder auf.

Der runde Mond sahe durch die purpurnen Vorhänge der Fenster, die Stunde der Mitternacht ward ausgerufen. — Alle Lichter im Saale waren erloschen, nur ein einziges brannte in der Ferne noch matt und blau und zuckte sterbend und flimmernd auf und nieder. — Itzt erlosch es und ein kleiner Strahl von Dampf zog sich aufwärts und verflog in der Dämmerung. —

Nun bin ich allein, sagte Abdallah leise, — nun ihr Schauder, nun werft euch alle auf einmal über mich! — Ihr Flüche Selims, kommt heran, itzt habt ihr Zeit, mich zu zermalmen. — O sie sind schon gräßlich in Erfüllung gegangen, ich habe alles erduldet und überlebe die fürchterliche Zerstörung. — Die Schauder mögen sich itzt an mir versuchen, ich spiele vertraulich mit ihnen, die Gräßlichkeit ist meine Braut geworden, ich erschrecke nicht mehr vor ihr. —

Allem Entsetzen Preis gegeben, will ich itzt selbst einen kühnen Schritt meinem Feind entgegensetzen. Hier unten finde ich kein neues Grausen mehr, ich will nun durch unbekannte Gefilde wandeln und dort meine Freunde suchen. —

Er suchte nach seinem Dolch auf den Polster umher, als seine Hände plötzlich das kalte Gesicht eines Leichnams fühlten. — Eine Leiche ist mein Bett! rief er und taumelte bebend auf. — Der Mond schien auf das weiße Antlitz, aufgeschwollen, mit weit hervorstarrenden Augen und verzerrten Zügen lag der Leichnam seines Vaters vor ihm. —

Darauf hätt' ich mich nicht besonnen! schrie er rasend, — der Scharfsinn der Hölle übertrifft den meinen, — sie hat gesiegt! —

Er sahe starr auf den Leichnam hin. — Regte er sich nicht? — sprach er leise. — Er starrte von neuem auf ihn hin. — Ha! er regte sich wieder! —

Wie das Stöhnen eines Schlummernden schallte es itzt aus der fürchterlichen Leiche heraus. — Abdallah hörte es bebend. —

Er schläft! — Er schläft! — sprach er im Wahnsinn. — O in der stillen Mitternacht neben einem Schlafenden zu stehn, ist fürchterlich, ich muß ihn wecken! — Er schlug mit der Faust auf die Brust des Todten. —

Bist du's, geliebter Sohn? — erhob sich eine dumpfe Stimme. — Die Leiche hob sich langsam auf. — Komm in meine Arme! — Komm! Ich muß von Tugend und Gott zu dir sprechen. —

Die Todten kommen wieder! schrie Abdallah, — meine Lehre war falsch. —

Der Todte kam mit offnen Armen auf ihn zu. — Abdallah fuhr zurück. — Hinweg! hinweg! brüllte er, — wir kennen uns nicht mehr!

Dann stürzte er auf ihn zu und schlug ihn wüthend mit der Faust auf den Schädel, daß er laut und fürchterlich erklang. — —

Als die Sklaven sich am Morgen zitternd in den Saal schlichen, fanden sie Abdallah mit wild verzerrtem Gesicht todt auf der Erde liegen.

 


 

Die Brüder.

Eine Erzählung.

1795.

In der Nähe von Bagdad lebten Omar und Machmud, die Söhne einer armen Familie. Als der Vater starb, erbten sie nur ein kleines Vermögen, und jeder von ihnen beschloß, zu versuchen, wie hoch er damit sein Glück bringen könne. Omar zog fort, um eine kleine Reise zu machen, und den Ort zu finden, wo er sich niederlassen wolle. Machmud begab sich nach Bagdad, wo er einen kleinen Handel anfing, der in kurzer Zeit sein Vermögen um ein Ansehnliches vermehrte. Er lebte sehr sparsam und eingezogen, und sammelte sorgfältig jede Zechine zu seinem Kapitale, um mit diesem wieder etwas Neues zu unternehmen. Auf diese Art bekam er bei mehreren reicheren Kaufleuten Kredit, die ihm zuweilen einen Theil der Schifffracht abtraten und gemeinschaftliche Spekulationen mit ihm versuchten. Durch wiederholtes Glück ward Machmud dreister, er wagte größere Summen, und sie trugen ihm jedesmal reichliche Zinsen. Nach und nach ward er bekannter, seine Geschäfte wurden größer, er hatte bei vielen Leuten Summen ausstehen, so wie er von vielen andern Gelder in den Händen hatte, und das Glück schien ihm beständig zu lächeln. Omar war im Gegentheil unglücklich gewesen, keiner von seinen vielen Versuchen war ihm gelungen; er kam jetzt ganz arm, fast ohne Kleider, nach Bagdad, hörte von seinem Bruder und ging zu ihm, um bei ihm Hülfe zu suchen. Machmud freute sich, seinen Bruder wieder zu sehn, beklagte aber seine Armuth. Da er sehr gutmüthig und weich war, gab er ihm sogleich eine Summe aus seiner Handlung, und richtete ihm davon ebenfalls einen Laden ein. Omar fing an mit Seidenwaaren und Kleidern für Frauen zu handeln, und das Schicksal schien ihm in Bagdad günstiger, sein Bruder hatte ihm die Summe Geldes geschenkt, und er hatte es daher nicht nöthig, sich wegen der Wiederbezahlung zu ängstigen. Er war in allen Unternehmungen unbesonnener als sein Bruder, und eben deswegen glücklicher; er war bald mit einigen Kaufleuten bekannt, die bis dahin mit Machmud ihre Geschäfte gemacht hatten, und es gelang ihm, sie zu seinen Freunden zu machen: dadurch verlor sein Bruder manchen Vortheil, der jetzt auf seine Seite fiel. Machmud hatte sich jetzt eine Gattin gewählt, die ihn zu manchem Aufwande nöthigte, den er bis dahin nicht gemacht hatte; er mußte von seinen Bekannten Summen aufnehmen, um Schulden zu bezahlen. Andre Gelder, die er erwartet hatte, blieben aus, sein Kredit sank, und er war der Verzweiflung nahe, als er die Nachricht erhielt, daß eins von seinen Schiffen untergegangen sei, ohne daß man das mindeste habe retten können: jetzt meldete sich ein Gläubiger, der dringend die Bezahlung seiner Schuld verlangte. Machmud sah ein, daß an dieser Zahlung sein ganzes noch übriges Glück hänge, er beschloß also in dieser äußersten Noth seine Zuflucht zu seinem Bruder zu nehmen. Er eilte zu ihm, und fand ihn sehr verdrüßlich, weil er gerade einen kleinen Verlust erlitten hatte. — Bruder, begann Machmud, ich komme in der äußersten Verlegenheit mit einer Bitte zu dir.

Omar. Sie betrifft?

Machmud. Mein Schiff ist gescheitert, alle Gläubiger drängen mich und wollen von keinem Aufschube wissen, mein ganzes Glück hängt von diesem Tage ab, leihe mir nur auf kurze Zeit zehntausend Zechinen.

Omar. Zehntausend Zechinen? — Du versprichst dich doch nicht, Bruder?

Machmud. Nein, Omar, ich kenne die Summe recht gut, die ich fordre, und nur grade so viel, nicht eine Zechine weniger, kann mich von der schimpflichsten Armuth retten.

Omar. Zehntausend Zechinen?

Machmud. Gieb sie mir, Bruder, ich will alles anwenden, sie dir in kurzem wieder zu erstatten.

Omar. Wer sie hätte! — mir sind Schulden ausgeblieben, — ich weiß selbst nicht, was ich anfangen soll, — man hat mich noch heut erst um hundert Zechinen betrogen.

Machmud. Dein Kredit wird mir diese Summe leicht verschaffen können.

Omar. Aber niemand will jetzt Geld ausleihen, Mißtraun von allen Seiten: nicht ich bin mißtrauisch, das weiß der Himmel! — aber es würde jedermann vermuthen, daß ich das Geld für dich verlange, und du weißt selbst am besten, an wie schwachen Fäden oft das Zutrauen hängt, das man zu einem Kaufmanne hat.

Machmud. Lieber Omar, ich muß dir gestehen, ich hatte diese Bedenklichkeiten nicht von dir vermuthet. Ich würde mich in umgekehrtem Falle nicht so argwöhnisch und saumselig finden lassen.

Omar. Das sagst du jetzt. Auch bin ich gar nicht argwöhnisch — ich wollte, ich könnte dir helfen: Gott ist mein Zeuge, daß es mich freuen würde.

Machmud. Du kannst es, wenn du nur willst.

Omar. Alles, was ich besitze, würde die verlangte Summe noch nicht vollmachen.

Machmud. O Himmel! ich hatte mir einen Vorwurf daraus gemacht, daß mein Bruder nicht der erste war, bei dem ich Hülfe suchte, — und warlich es schmerzt mich, daß ich ihm auch nur mit einem Worte zur Last gefallen bin.

Omar. Du wirst böse; das solltest du nicht, denn du hast Unrecht.

Machmud. Unrecht? — Wer von uns beiden thut nicht seine Pflicht? — Ach, Bruder, ich kenne dich nicht wieder.

Omar. Ich habe erst heute hundert Zechinen eingebüßt, dreihundert andere stehn mir auch gar nicht sicher, und ich muß mich auf ihren Verlust gefaßt machen. — Wärst du in der vorigen Woche zu mir gekommen, o — ja, da herzlich gern —

Machmud. Soll ich dich denn an unsre ehemalige Freundschaft erinnern? — Ach, wie tief kann uns das Unglück erniedrigen!

Omar. Du sprichst da auf eine Art Bruder, die mich fast beleidigen sollte.

Machmud. Dich beleidigen? —

Omar. Wenn man alles mögliche thut, — wenn man selbst Noth leidet und fürchten muß, noch mehr zu verlieren; — soll man da nicht gekränkt werden, wenn man für seinen guten Willen nichts als bittern Spott, tiefe Verachtung zurück empfängt?

Machmud. Zeige mir deinen guten Willen, und du sollst meinen wärmsten Dank empfangen.

Omar. Zweifle nicht länger daran, oder du bringst mich auf; ich bleibe lange kalt, ich kann viel ertragen, aber wenn man mich auf solche ausgesuchte Art kränkt —

Machmud. Ich merke es recht gut, Omar, daß du den Beleidigten spielst, um einen bessern Vorwand zu haben, völlig mit mir zu brechen.

Omar. Du würdest nicht auf diesen Gedanken kommen, wenn du dich nicht auf solchen Kleinlichkeiten ertappt hättest. Die Laster argwöhnt man von andern am leichtesten, mit denen man selbst am meisten vertraut ist.

Machmud. Nein, Omar, weil du mich doch durch diese Sprache zum Prahlen aufforderst, ich handelte nicht so gegen dich, als du, ein unbekannter Fremdling, nach Bagdad kamst.

Omar. Also für die fünfhundert Zechinen, die du mir damals gabst, verlangst du jetzt von mir zehntausend?

Machmud. Hätte ich's vermocht, ich hätte dir damals mehr gegeben.

Omar. Freilich, wenn du es verlangst, muß ich dir die fünfhundert Zechinen zurück geben, ob du es gleich nicht gerichtlich erweisen kannst.

Machmud. Ach, mein Bruder! —

Omar. Ich will sie dir schicken. — Erwartest du keine Briefe aus Persien?

Machmud. Ich erwarte nichts mehr.

Omar. Aufrichtig, Bruder, du hättest dich etwas mehr einschränken sollen, auch nicht heirathen, wie ich es bis jetzt noch immer unterlassen habe; aber du warst von Kindheit an ein wenig unbesonnen. Laß dir das zur Warnung dienen.

Machmud. Du hattest ein Recht, mir die verlangte Gefälligkeit zu verweigern, aber nicht dazu, mir so bittere Vorwürfe zu machen.

Machmud verließ mit tiefgerührtem Herzen seinen undankbaren Bruder. — So ist es denn wahr, rief er aus, daß nur Gewinnsucht die Seele des Menschen ist! — Nur sie selbst sind ihr erster und letzter Gedanke! für Geld verkaufen sie Treue und Liebe, stoßen die schönsten Gefühle von sich weg, um das nichtswürdige Metall zu besitzen, das uns mit schändlichen Fesseln an diese schmuzige Erde kettet! — Eigennutz ist die Klippe, an der jede Freundschaft zerschellt, — die Menschen sind ein verworfenes Geschlecht! — Ich habe keine Freunde und keinen Bruder gekannt, nur mit Kaufleuten bin ich umgegangen. Ich Thor, daß ich von Liebe und Menschenfreundlichkeit zu ihnen sprach! nur Geldstücke muß man ihnen wechseln!

Er machte einen Umweg, ehe er nach Hause ging, um seinen Schmerz etwas erkalten zu lassen. Er weinte, als er das tobende Marktgewühl sah, wie jedermann gleich den Ameisen beschäftigt war, in seine dumpfe Wohnung einzutragen, wie keiner sich um den Andern kümmerte, als nur wenn er mit seinem Gewinn zusammenhing, alle durch einander laufend, so empfindungslos, wie Zahlen. — Er ging trostlos nach Hause.

Sein Schmerz vermehrte sich hier; er fand die fünfhundert Zechinen, die er seinem Bruder einst mit dem besten Wohlwollen gegeben hatte; sie waren bald eine Beute der stürmenden Gläubiger. Alles was er besaß, ward öffentlich verkauft; eines seiner Schiffe lief in den Hafen, aber die Ladung diente nur, um alle seine Schulden zu bezahlen. Arm, wie der Bettler, verließ er die Stadt, ohne vor dem Hause seines hartherzigen Bruders vorüberzugehen.

Seine Gattin, die ihn in sein Elend begleitete, tröstete ihn und suchte seinen Kummer zu zerstreuen; aber es gelang ihr nur wenig, das Andenken seines Unglücks war noch zu frisch in Machmuds Gedächtniß, er sah noch immer die Thürme der Stadt vor sich, in der sein Bruder wohnte, der kalt und ungerührt bei seinem Unglücke geblieben war.

Omar fragte niemand nach seinem Bruder, um ihn nicht bemitleiden zu dürfen, er bildete sich ein, es könne vielleicht noch alles gut gegangen sein. Indessen hatte sein Kredit doch auch durch seinen Bruder gelitten, man ward mißtrauischer gegen ihn, und mehrere Kaufleute vertrauten ihm nicht mit der Leichtigkeit ihre Gelder wie ehemals. Dazu kam noch, daß Omar jetzt sehr geizig, und auf sein erworbenes Vermögen stolz ward, so daß er sich viele Feinde machte, die sich freueten, wenn er irgend einen Schaden erlitt.

Es schien, als wenn das Verhängniß seine Undankbarkeit gegen seinen Bruder bestrafen wolle, denn ein Verlust folgte in kurzer Zeit auf den andern. Omar, der gern das Verlorne schnell wieder erlangen wollte, wagte größere Summen, und auch diese gingen verloren. Er hörte auf, Gelder, die er schuldig war, zu bezahlen, das Mißtrauen gegen ihn ward allgemein, alle Gläubiger meldeten sich zu gleicher Zeit, Omar kannte niemand, der ihn aus dieser Verlegenheit würde helfen wollen; er sah keinen andern Ausweg vor sich, als in der Nacht heimlich die Stadt zu verlassen, und zu versuchen, ob ihm das Glück in einer andern Gegend günstiger sein würde. —

Das kleine Vermögen, das er noch mit sich hatte nehmen können, war bald verzehrt. Seine Unruhe wuchs in eben dem Grade, als sein Geld abnahm; er sah der drückendsten Armuth entgegen, — und doch keinen Ausweg ihr zu entfliehen.

Unter Klagen und schwermüthigen Gedanken war er so bis an die persische Gränze gewandert. Er hatte jetzt alles Geld, bis auf drei kleine Münzen ausgegeben, die grade nur noch hinreichten, um ein Abendessen in einer Carawanserei zu bezahlen; er fühlte Hunger, und da sich die Sonne schon zu neigen anfing, eilte er, um einen Zufluchtsort zu erreichen, in welchem er noch in dieser Nacht, vielleicht in der letzten, herbergen könne.

Wie unglücklich bin ich! sprach er zu sich selbst. Wie verfolgt mich das Schicksal und fordert mein Elend, welche schreckliche Aussicht eröffnet sich mir! — Ich werde von den Allmosen mitleidiger Seelen leben müssen, es ertragen müssen, wenn man mich verhöhnend abweist, nicht murren dürfen, wenn der Verschwender frech vorüber geht, mich keines Anblicks würdigt, und hundert Goldstücke für eine elende Spielerei verschleudert. — O Armuth, wie kannst du den Menschen erniedrigen! — wie ungleich und ungerecht theilt das Glück seine Schätze aus. Es schüttet seinen ganzen Reichthum über den Lasterhaften, und läßt den Tugendhaften Hungers sterben.

Die Felsen, die Omar überstieg, machten ihn müde, er setzte sich auf eine Rasenerhöhung am Wege nieder und ruhte aus. Da schleppte sich an Krücken ein Bettler vor ihm vorüber und murmelte eine unverständliche Bitte; er war zerlumpt und abgezehrt, sein brennendes Auge stand tief im Kopfe, und seine bleiche Gestalt zerschnitt das Herz und zwang es zum Mitleiden. Die Aufmerksamkeit Omars ward wider seinen Willen auf diesen Gegenstand des Abscheus gelenkt, der murmelnd seine dürre Hand nach ihm ausstreckte. Er fragte nach dem Namen des Bettlers, und merkte jetzt, daß dieser Unglückliche auch taub und stumm sei.

O wie unaussprechlich glücklich bin ich! rief er aus, — und ich klage noch? Warum kann ich nicht arbeiten; — warum nicht durch das Werk meiner Hände meine Bedürfnisse erwerben? Wie gern würde dieser Elende mit mir tauschen und sich glücklich preisen! Ich bin undankbar gegen den Himmel.

Von einem plötzlichen Mitleiden ergriffen, zog er die letzten Silbermünzen aus seiner Tasche und gab sie dem Bettler, der nach einem stummen Danke seinen Weg fortsetzte.

Omar fühlte sich jetzt außerordentlich leicht und froh, die Gottheit hatte ihm gleichsam ein Bild vorgehalten, wie elend der Mensch sein könne, um ihn zu belehren. Er fühlte jetzt Kraft in sich, die Armuth zu erdulden und durch seine Thätigkeit wieder abzuwerfen. Er machte Plane, wie er sich ernähren wolle, und wünschte nur gleich eine Gelegenheit herbei, um zu zeigen wie fleißig er sein könne. Er hatte nach seinem edeln Mitleiden gegen den Bettler, nach der Freigebigkeit, mit der er ihm sein ganzes übriges Vermögen hingegeben hatte, eine Empfindung, wie er sie bis dahin noch nicht gekannt hatte.

Ein steiler Fels stand an der Seite, und Omar bestieg ihn mit leichtem Herzen, um die Gegend zu überschauen, die der Untergang der Sonne verschönerte. Er sah hier zu seinen Füßen gelagert die schöne Welt mit ihren frischen Ebenen und majestätischen Bergen, mit den dunkeln Wäldern und rothglänzenden Strömen, über alles das goldene Netz des Abendroths ausgespannt; und er fühlte sich wie ein Fürst, der alles dies beherrsche, und den Bergen, Wäldern und Strömen gebiete.

Er saß oben auf der Felsenspitze in dem Anschaun der Gegend versunken. Er beschloß hier den Aufgang des Mondes abzuwarten und dann seine Reise fortzusetzen.

Das Abendroth versank und Dämmerung fiel aus den Wolken nieder, ihr folgte bald die finstre Nacht. — Die Sterne flimmerten am dunkelblauen Gewölbe, und die Erde ruhte und schwieg in einer feierlichen Stille. Omar sah mit starren Augen in die Nacht hinein, und sein Auge verlor sich schwindelnd in die unendliche Zahl der Sterne, er betete an die Majestät Gottes und fühlte heilige Schauer durch seine Seele ziehn.

Da war's als wenn sich ein Lichtstrahl am fernen Horizont erhöbe, blauleuchtend zog er empor und näherte sich wie ein glänzendes Feuer dem Mittelpunkte des Himmels. Die Sterne traten bleicher zurück, und wie ein Wiederschein des Morgens flimmerte es durch den ganzen Himmel und regnete in zarten, rothdämmernden Strahlen herab. — Omar erstaunte über die wunderbare Erscheinung und ergötzte sich an dem schönen und seltsamen Lichte: die Wälder und Berge umher funkelten, die fernen Wolken schwammen in blassen Purpur, wie ein goldenes Gezelt wölbte sich der Schein über Omar zusammen.

Sei mir gegrüßt, Edler, Mitleidiger, Tugendhafter, rief eine süße Stimme von oben herab, du erbarmest dich des Elends, und der Herr sieht mit Wohlgefallen auf dich herab.

Wie verhallende Flötentöne säuselten die Winde der Nacht um Omar, seine Brust hob sich froh und beklemmt, sein Auge war vom Glanze, sein Ohr von den himmlischen Harmonieen trunken. Und aus dem Glanze schritt eine Lichtgestalt hervor, und stellte sich vor den Entzückten; es war Asrael, der glänzende Engel Gottes. — Steige mit mir auf diesen rothen Strahlen in die Wohnung der Seligen, rief die süße Stimme, denn du hast es durch deinen Edelmuth verdient, das Paradies mit seinen Seligkeiten zu schauen.

Herr, sprach Omar zitternd, wie soll ich dir als ein Sterblicher folgen können? Mein irdischer Leib ist noch nicht von mir genommen.

Gieb mir deine Hand, sprach die Lichtgestalt. — Omar reichte sie ihm mit bebendem Entzücken, und sie wandelten auf den rothen Strahlen durch die Wolken, zwischen den Sternen hindurch, und die süßen Töne gingen hinter ihnen, und Morgenroth legte sich in ihren Weg, und Blumendüfte würzten die Luft.

Plötzlich ward es Nacht, Omar schrie laut auf, und lag in dicker Finsterniß unten am Fuße des steilen Felsen mit zerschmetterten Armen. Der Mond hob sich eben dunkelroth hinter einem Hügel hervor, und warf die ersten ungewissen Strahlen in das Felsenthal.

O ich dreimal Unglücklicher! rief Omar jammernd aus, als er seine Besinnung wieder gesammelt hatte. — Hatte der Himmel nicht genug an meinem Elende, daß er mich in einem lügnerischen Traume von der Spitze des Felsen schleudert, meine Glieder zerbricht, damit ich dem Hunger zum Raube werden soll? — Belohnt er so das Mitleiden, das ich mit einem Elenden hatte? — Wer war jemals unglücklicher als ich?

Eine Gestalt schleppte sich mühsam vorüber, die Omar für den Bettler erkannte, dem er heut den Rest seines Vermögens gegeben hatte. Omar rief ihn jammernd an, er solle die Wohlthat, die er von ihm empfangen, mit ihm theilen, aber der Krüppel keuchte gleichgültig in seinem Wege weiter, und Omar wußte nicht, ob er ihn nicht gehört habe, oder sich nur verstelle, um ein Recht zu haben, sich nicht um ihn zu kümmern. Bin ich nun nicht elender, als dieser Verworfene? klagte Omar durch die Nacht. — Wer wird sich mein erbarmen, da mir nun alles genommen ist, was mich noch trösten konnte?

Er seufzte tief und seine Arme schmerzten ihn, wie glühende Feuer brannte es in den Gebeinen, und jeder Athemzug gab ihm Pein. Er überlegte schweigend sein Schicksal, und dachte jetzt zuerst wieder an seinen Bruder. —

O, wo bist du Edelmüthiger! rief er aus, vielleicht hat dich das Schwert des Todesengels schon getroffen, das Elend hat dich vielleicht in der drückendsten Armuth verzehrt, und du hast in der Todesstunde deinem armen Bruder geflucht. — Ach ich habe es um dich verdient, ich leide jetzt die Strafe für meinen Undank, für meine Hartherzigkeit, der Himmel ist gerecht! — Und ich konnte noch so stolz einhergehn, und Gott zum Zeugen meiner Tugend anrufen? — O Himmel! vergieb dem Sünder, der sich ohne Murren deiner Züchtigung unterwirft.

Omar verlor sich in trüben Gedanken, er erinnerte sich, mit welcher brüderlicher Liebe ihn Machmud damals, als er zum erstenmale verarmet war, aufgenommen hatte, er warf es sich vor, daß er es unterlassen habe ihn zu retten, und auf diese Art seinen Dank gegen seinen Bruder abzubezahlen; er wünschte den Tod als das Ende seiner Strafe und seiner Leiden.

Der Mond erleuchtete die Gegend hell, und eine kleine Carawane von einigen Kameelen zog sich langsam durch das Thal. Die Liebe zum Leben erwachte bei Omar, er rief die Vorüberziehenden mit kläglicher Stimme um Hülfe an. Man legte ihn behutsam auf ein Kameel, um in der nächsten Stadt seine Wunden verbinden zu lassen, die die Carawane mit dem Anbruch des Tages erreichte. Der Kaufmann verpflegte den Unglücklichen selbst, und Omar erkannte in ihm seinen Bruder. Seine Beschämung war ohne Gränzen, so wie das Mitleiden Machmuds. Der eine Bruder bat um Verzeihung, und der andere hatte schon vergeben; Thränen flossen von dem Angesichte beider, und die rührendste Versöhnung ward zwischen ihnen gefeiert.

Machmud hatte sich nach seiner Verarmung nach Ispahan gewandt, und war dort mit einem alten reichen Kaufmann bekannt geworden, der ihn bald lieb gewann und ihn mit seinem Vermögen unterstützte. Das Glück war dem Vertriebenen günstig, und er erlangte sein verlorenes Vermögen in kurzer Zeit wieder; sein alter Wohlthäter starb, und setzte ihn zum Erben ein. —

Als Omar geheilt war, reiste er mit seinem Bruder nach Ispahan, wo ihm dieser eine neue Handlung einrichtete. Omar vermählte sich und vergaß nie, wie viel Dank er seinem Bruder schuldig sei. Beide lebten von dieser Zeit in der größten Eintracht, und waren für die ganze Stadt ein Muster der brüderlichen Liebe.

 


 

Almansur.

Ein Idyll.

1790.

Langsam erhob sich Almansur aus dem Schatten der Palme, eine Thräne rollte von seinen Wangen, er blickte ihr wehmuthsvoll nach, wie sie an seinem Stabe hinuntergleitete und sich im Staube verlor, die ganze Vergangenheit stand mit ihren hellen und finstern Farben vor ihm, Abendroth und Regennächte. Noch einmal blickte er rückwärts nach Bagdad und sahe wie sich der letzte goldne Mond hinter einem blauen Berge langsam hinabzog. — Nun so lebe wohl! Auf ewig wohl! rief er, und ging langsam weiter ohne selbst zu wissen, wohin. Die Sonne ging unter, die Vögel des Abends sangen im nahen Walde, aber seine Augen sahen weder das goldne Feuermeer um dort sich Trost zu holen, sein Ohr hörte nicht die Melodieen, die von jedem Zweige herab um ihn schwammen, der Wind spielte mit seinem Mantel, aber er ließ ihn nachläßig hängen und eilte weiter vom Wege ab, mit tiefgesenktem Blick.

Endlich blickte er auf, er sah sich in einem schönen Thale, rings um von grünen Bergen umschlossen, im Thale glänzte ein silberner See, auf den das Abendroth auf jeder Welle sich wiegte, die Berge erhoben sich sanft umher und auf ihnen schimmerten Reben, Palmen standen auf Abhängen und wiegten sich rauschend über das Thal hinab, die ganze Gegend spiegelte sich zitternd im See, und das Abendroth und der aufgehende Vollmond gossen ein so süßes Licht um alle Gegenstände, daß Almansur sich in einem Theile des Paradieses glaubte. Er stand und sahe die schönbewachsnen Berge, wie der Abendschein über die grünen Abhänge herüberschwamm und sanftes Roth auf den gegenüberstehenden Berg streute, durch einen Palmenhain schlängelte sich der schimmernde Glanz der Gluth des Himmels, und bebte zurück in jedem Tropfen der am Grase zitterte, von jedem Blatt, an welchem ein Rubin sich wiegte. Der Mond stand über einem finstern Tannenhain, ein kleiner Wasserfall rauschte, die großen Wälder sangen der Natur ihr Abendlied, der Tag eilte in sein Rosenbett hinab, das Heimchen zirpte, der Mond schien aus dem goldnen See zu trinken, und auf jedem leichten Wölkchen des Himmels, das unter dem Monde hinwegschlüpfte und ihm etwas von seinem goldnen Glanze stahl, schien Ruhe, Trost und Freude zu schweben. Lange stand noch Almansur so, doch endlich lößte sich sein Gefühl in die Harmonie einer wonnevollen Wehmuth auf die Erinnerung seines Unglücks war mit dem letzten Streit der untergehenden Sonne hinter den Bergen hinabgeleitet. Er bestieg den Berg, ging bald hinauf, bald hinab, und sein Blick schwebte stets auf den gegenüberstehenden Abhang, oder auf den Spiegel des tief unten glänzenden Sees.

Er ging über einen Quell, der aus den Spalten des Berges sich drängte und sein Silber hinuntergoß; er kam zu einer kleinen Vertiefung, wo unter Weidenzweigen versteckt der Gipfel eines moosbewachsnen Daches hervorragte. Ruhe und Heiterkeit schienen hier ihren Sitz aufgeschlagen zu haben; er ging herum um diesen Kranz von Weiden, und stand vor dem Eingang einer kleinen Hütte. Ein Greis, dessen Silberhaar im Winde hin und her wallte, pflanzte mit ruhigem Lächeln Reben, und band sie an die schwesterliche Ulme, dann sah er zum Monde hinauf, dann in den goldnen See hinab, und setzte wieder freudig seine Arbeit fort. — »Der Himmel schütte seinen Segen auf dich herab!« rief Almansur dem Greise zu; liebevoll dankte der Greis und führte den Jüngling in die dämmernde Hütte.

Freundlich sprangen dem Alten zwei Hunde entgegen, bellten und wedelten. Der Greis und der Jüngling setzten sich auf Flechtwerk von Binsen; dann holte der geschäftige Alte aus seiner Vorrathskammer Milch und Datteln. »Iß!« sprach er. — Almansur aß wenig; bald sah er die niedren Wände der Hütte an, bald blickte er auf den lächelnden Alten. Nach der Mahlzeit setzten sich beide vor dem Eingang der Hütte.

Du bist recht glücklich! fing Almansur nach einer langen Stille an, wenn man je glücklich werden kann. — Ja, war die Antwort des Greises; ich stahl mich aus dem Getümmel der Welt hinweg, und niemand vermißte mich; ängstlich, mit Schweißtropfen auf der Stirn jagte ich dem Glücke nach — umsonst! Es floh wie der luftgewebte Morgentraum; verzweiflungsvoll schlich ich mich in diese Hütte, ich sah mich um, und es stand neben mir. — Ja! Dank dir großer Prophet! Ich bin hier recht glücklich! — O, wenn ich am Morgen hier stehe, der frischgebadete Tag, rosenroth an jener neigenden Spitze hängt, dann zollen dir meine Thränen heißen Dank, dann seh ich auf mein voriges Leben zurück, wie der müde Pilger am Grabe des Propheten auf die zurückgelegten Steppen; — dann schwebt vor mir die ferne Zukunft, dann fliegt mein Geist durch das rosenrothe Gewebe des Morgens, er durchfliegt die Bahn der Sterne, und schwingt sich im Flug um die glühenden Räder des Sonnenwagens. — Jeder meiner Blicke schaut dann voll Dank zum Himmel!

Almansur horchte vorwärts gebeugt mit Ehrfurcht der Rede des Greises, er sah in seinen Augen eine Thräne glänzen, heiß rann eine Zähre über die Wangen Almansurs. — Dann ergriff er voll Zutraun die Hand des Greises; o weiter! sprach er, deine Stimme ist wie das Murmeln der fernen Quelle dem Durstigen. Weiter! Mein Geist fliege dir nach! — Versuch' es in todten Worten mir das Abendroth deines Glücks zu malen. —

O Jüngling, sprach der Greis, Glück läßt sich besser fühlen, als dies Gefühl sich in Worten zwängen läßt. — Leise schleicht sich durch das helle Weinlaub am Morgen die Sonne; sie fliegt zu meinem Bette und flüstert mir: »Erwache!« zu. Ich erhebe mich vom rothen Glanz umflossen, und sehe wie die Sonne majestätisch hinab ins Thal schreitet, die Natur wacht auf und lächelt freundlich der Sonne entgegen, unter mir glüht der See, über mir flammt der Himmel, die Waldung rauscht, die Lerche singt, der See bebt, und ihre Rosenwellen laufen mit dem Westwind um die Wette. Wenn das purpurne Gold des Himmels sich hinter den blauen Mantel stiehlt, dann besuch ich meine Heerden, die Ziegen blöken mir entgegen, die Lämmer hüpfen um mich her. — O ich lebe hier nicht ganz verlassen! Ich kenne jeden Baum dieser Gegend, jeden Zweig eines jeden Baums; wenn das erste Laub nach dem Winter erscheint, oder mein Blick des Frühlings erstes Veilchen erjagt, o dann freu ich mich eben so, als wenn ein längst gewünschter Freund unvermuthet dem Schiff' entsteigt; das erste Sommerlüftchen, das meiner Wange vorüberbebt, ist mir, was dem Elenden ein blauer Hoffnungsstrahl ist. Als der Sturmwind im vorigen Monden von meinem Berge herab eine junge Pappel ins Thal warf, da weint' ich um den jungen Baum, als habe mir der Tod einen geliebten Jüngling davon geführt. Ach, dies einsame Thal möcht ich nur gegen Mahomets Paradies vertauschen, es gilt mir mehr als die Erde mit ihren Königreichen, diese Bäume gelten mir mehr als Könige und Fürsten mit ihren Unterthanen. Ich besuche oft drüben die alten Palmen, sehe nach jenen jungen Birken die ich selber pflanzte, und freue mich über ihren Wachsthum wie ein Vater über seine Kinder. Im kleinen Gärtchen hinter meiner Hütte scheint die Gluth der Rose auf die weiße Lilie, das Veilchen kniet zu den Füßen der stolzen Malve, und jede der Blumen kenn' ich, bei jeder erinnre ich mich im Vorbeigehn, wann und wie ich sie pflanzte, jede habe ich selbst am Morgen und Abend begossen. Diese Blumen, diese Bäume sind meine Freunde, von ihnen brüstet sich keiner vor dem andern, von ihnen lacht mir keiner höhnisch nach. Neid und Verläumdung dürfen nicht über diese Berge fliegen, des Glückes Pfeil zerschnitt ihnen die Sehnen des Fittigs, sie liegen jenseits den Bergen und suchen vergebens mit schwarzen nachschleppenden Schwingen der Felsen Gipfel zu erklimmen; das Glück und die Ruhe fliegen hier verschlungen Arm in Arm durch den Himmel, in jedem Baum, in jeder Quelle flüstert Glück, in jedem Nachhall der Berge tönt ruhige Freude.

Wenn nach und nach das gelbe Laub zur Erde fällt, wenn der Herbst auf selbst gesponnenen Seidenfäden durch die Lüfte schwebt, sie um die Bäume wickelt, und das reife Obst mit den Blättern abschüttelt, dann seh' ich, wie die Natur sich einkleidet, und unter dem glänzenden Schwanenbette schläft, um gestärkt mit neuem Glanze zu erwachen. Wenn dann Regen herabrauscht, wenn der Nordwind durch den Gipfel der Palmen saußt, wenn die Fichten knarren, der Wind Schneegestöber vor sich her wirbelt — dann nehm ich von der Wand die silberbezogne Leier, dann sing' ich dem Frühlinge meines Lebens Lieder, und sehe lächelnd dem Untergang meiner Sonne entgegen. Dann dämmert vor meinen Augen der Nebel der Vergangenheit, dann schwing ich mich auf dem Adlersfittig meiner Phantasie durch Dämmrung ferner Vorzeit, durch schweigende öde Nacht der Zukunft. — In diesem Kreislauf wallte mir mehr als ein halbes Jahrhundert vorüber, in dieser schönen, ununterbrochenen Einförmigkeit. — —

O Jüngling! Mit warmer Freundschaft drückst du meine Hand, eine Thräne zittert in deinen schwarzen Augenwimpern, — sprich — führte dich Kummer zu meiner einsamen Hütte?

Almansur. Ja, Kummer führt mich zu dir, Greis! — Ach, laß mich mit Dir diese Hütte bewohnen, laß mich dein Sohn sein. Die Freude ist für mich gestorben. — Ich muß die Gesellschaft der Menschen verlassen; hier laß unter dieser Palme den Wind am Abend meine Seufzer davon führen, laß am Morgen mich unter dieser Cypresse weinen. — Warum sollt' ich zu jenen Menschen zurückkehren, wo jeder dem fliehenden Glücke nachläuft, und keiner den Saum seines Kleides berührt, wo einer des andern lacht, und blind für eigne Fehler ist, wo Verläumdung und Neid hinter mir gehn, die sich täuschend in das Gewand der Freundschaft hüllen. — Nein, hier will ich ein neues Leben beginnen, mein voriges Leben mir als einen Traum denken, den der Sonne heller Strahl verscheuchte. O Greis, weise meine Bitte nicht zurück, in keinem Winkel glimmt für mich ein Fünkchen Freude mehr als hier. Schon lange war es mir unerträglich, mich ohne Zweck und Absicht vom Wirbel der menschlichen Gesellschaft mit fortreissen zu lassen, warum sollt' ich noch ferner unter einem Haufen, wo jedes Gesicht mir zuwider ist, essen und trinken, schlafen und aufstehn, den einen Tag so wie den andern; warum leb' ich in der menschlichen Gesellschaft? Ich bin mir selbst und andern verhaßt! zu welchem Endzweck schuf der Schöpfer die Menschheit? Einer den andern zu quälen? Ihm den Genuß des Lebens zu rauben? Warum tanzen die zahllosen Welten den ewigen schwerfälligen Tanz um ihre Sonnen? Warum ließ der Schöpfer aus seiner Hand die Schöpfung hervorgehn? Warum warf er das Sternenheer durch den Himmel? Sollen wir hier leben, ohne glücklich zu sein, und dann wie der Baum verwelken; wozu dann dies quaalenvolle Leben? — Oder harrt schönerer Sonnenschein unsrer nach dem Todesschlaf; wozu diese Pilgerschaft durch Dornen, über Felsen? — — O Greis! dies, dies hat mich schon längst unglücklich gemacht! —

Der Greis sah ihn an und schwieg. »Verweile!« sprach er dann. Ein frommer Einsiedler schenkte mir schon vor vielen Jahren ein kleines Buch; es ist nur ein Märchen, der Mond scheint hell; ich will es dir lesen. — —

Er ging fort. Almansur sah indeß starr vor sich hin ins Thal, sein Blick ruhte auf einen Zweig, den der Wind hin und her warf; sein Kummer war zurückgekehrt, die mancherlei Scenen seines Lebens wachten in seiner Seele auf. Er preßte eine Thräne in sein Auge zurück; der Greis kam, setzte sich nieder und las: — —

Nadir. Ein Mährchen.

Der finstre Menschenhasser Nadir wandelte über eine von Arabiens Steppen. Die Sonne stand in der Mitte des Himmels und warf ihre glühenden Strahlen auf den Wandrer, ringsum kein Baum, kein Gesträuch, welches einen erquickenden Schatten darbot; Nadirs Auge suchte vergebens eine Quelle, seinen brennenden Durst zu löschen, er ging matt und langsam, er sah schmachtend umher, ob keine mitleidige Wolke herbeischweben wollte, ihm Regen und Kühlung zu schenken; so weit sein Auge reichte, glänzte der Himmel im hellblauen Gewande, der Sonne Strahlen wurden immer heißer und heißer, kein milder Wind wehte ihm Kühlung zu, Stille lag ausgestreckt über der Erde, die Vögel waren im Schatten des fernsten Waldes zurückgeflogen, und kein Dorf, kein Haus winkte dem Wandrer. Vor sich und um sich sah Nadir nur eine unermeßliche Wüste, er beneidete die kleine Fliege die sich in den Schatten des verdorrten Grases setzen konnte.

Nadir verwünschte tausendmal sein Schicksal, tausendmal das Schicksal der Menschen, denen ewig Quaal und Schmerz auf jedem ihrer Schritte folgen. Durch den blauen Himmel goß sich nach und nach ein sanfter Purpur, die Sonne sank, der Schatten flog über die Ebne.

Dank sei dir großer Prophet! rief der schmachtende Nadir, indem er über sich den Mond und die Sterne hervorkeimen sah. Er schleppte sich langsam fort, seine Zunge lechzte nach einem einzigen Wassertropfen. O ging' ich im tiefsten Schnee des klippigen Caucasus, könnt' ich jetzt durch einen Strom des Nordpols schwimmen! Er ging weiter. Es wehte ein kühlender Wind über die Haide, Nadir kam in einen Wald. Der Wind ward stärker, Wolken flohen durch den Himmel, und löschten mit ihren schwarzen Fingern den Mond und die Sterne aus, der Sturm schüttelte den Wald, die Fichten seufzten, die Cypressen rauschten, Regen stürzte herab. Endlich sah Nadir durch den verschränkten Wald ein fernes, flimmerndes Licht, das durch das nasse Laub und durch den Regen ihm entgegenblickte: er drängte sich durch den Wald, durch Gebüsche, die ihn oft mit ihren nassen Armen umfaßten: er kam durch die Waldung, und sah über eine Ebne das Licht vor sich glänzen.

Es war eine niedre Hütte, deren moosiges Dach vom Regen triefte, er schlug an die kleine Thür, ein Hund bellte ihm aus dem Hofe entgegen, der Wetterhahn des Daches knarrte im Winde; leise öffnete sich die Thür des Hauses, eine alte Frau trat heraus. — Wollt ihr einem armen Wandrer erlauben, diese Nacht hier zu schlafen? flehte Nadir. Sehr gern war die Antwort. Sie führte ihn in das Haus durch einen Gang. Dort, wo du das Licht durch die Thüre flimmern siehst, dort geh' hinein; — sie verließ ihn. Nadir bewunderte den großen Gang in der kleinen Hütte, seine Schritte hallten von der Mauer zurück, als er durch die Stille ging. Er stand vor der Thür, aus der das Licht ihm entgegenglänzte, — er öffnete sie — und das Erstaunen schlug seine geblendeten Augen zu. Er trat in einen großen unermeßlichen Saal, den tausend Lichter erleuchteten; die Wände glänzten von Marmor mit Gold umgossen, eine himmlische Musik schwamm auf den Wellen der Harmonie durch den Saal. — Wo bin ich? rief Nadir. — Ein prächtiggekleidetes Frauenbild kam ihm entgegen, sie führte ihn zu einem Tische und lud ihn zum Essen ein; Nadir aß und wagte kaum die Augen empor zu heben. Als er gegessen und getrunken hatte, fühlte er sich durch neuen Muth, durch neue Kraft beseelt, er sah um sich. Tausend Lichter glänzten auf Kronenleuchtern von Diamant. Saphir, Rubinen und Gold waren über die schönpolirten Wände hingestreut, unsichtbare Musik goß sich umher und gaukelte um Nadirs Ohr, sein Auge verlor sich ermüdet in die entferntesten Bogengänge, ohne ihr Ende erreicht zu haben; Nadirs Staunen ward immer größer.

»Komm!« rief ihm die Besitzerin dieses Pallastes zu und führte ihn durch die blendenden Säle. Er sahe sie mit allen Arten von Menschen angefüllt und weidete sich an den verschiedenen Gruppen. Hier tranken und aßen einige, dort weinten andre, andre tanzten in fröhlichen Reihen. Dieser Pallast, begann Nadirs Führerin, ist ein Werk meines gestorbenen Gatten, er suchte das Glück lange vergebens und fand es endlich mit mir in der Einsamkeit; zu seiner Erinnerung hat er mir dies Spielwerk hinterlassen, das ich erneuern kann, so oft ich will. — Er war ein mächtiger Zauberer, gewandt in allen geheimen Künsten; auf sein Gebot entstand dieser Pallast, er brachte in ihm die Welt im Kleinen zusammen. Sieh, jede Art von Menschen befindet sich hier; dort auf den Thron sitzt ein König, seine Stirn schmückt das Diadem, seine Schultern umfließt der Purpur, er wird von jedermann beneidet, aber ach! er beneidet heimlich den Sklaven, der jetzt vor ihm kniet und zittert; er ist ein gütiger Regent, er macht andre glücklich, ist aber selbst unglücklich. Jener Volkslehrer lehrt Demuth und haßt den der neben ihm steht, weil er ihn mehr als sich geehrt glaubt. Dort an jene Säulen gelehnt steht ein Haufe unglücklicher Menschen, in der Welt nennt man sie Kluge, sie sehn die Eitelkeit der Welt ein, sie lassen sich durch keinen Glanz von Ehre noch von Reichthümern blenden, ihre Wünsche scheinen so mäßig und sind doch so vielumfassend, werden fast nie erfüllt. — Dort stehen andre, für welche die Welt mit allen ihren Schönheiten gestorben ist, sie können keine Blume sehen, ohne ihr einen Namen zu geben und ihre Blätter zu zählen, keinen schönen Baum, ohne sein Laub und seine Rinde zu betrachten und zu bemerken, zu welchem Geschlecht er gehöre; sie kennen jeden Stern, der am Himmel flammt, und wissen die Stunde, wenn der Mond auf und untergeht, sie haschen jede Abendfliege, und stellen sie in ihren Rang in der Schöpfung, sie sagen uns, daß jeder Sonnenstaub bewohnt sei. — Dieser Pallast ist zugleich auf eine wunderbare Art mit Gemälden ausgeziert, sie sind doppelt; auf der einen Seite stellen sie alles ernsthaft, auf der andern dasselbe lächerlich dar. Sieh, hier trauert eine Mutter um ihren einzigen Sohn, dieser Zuschauer weint gerührt, jener auf der andern Seite lacht. — Siehst du jene dort, die so bleich sind und starr auf die Erde blicken? bei ihrer Geburt vergoß das Elend Thränen über sie und weihte sie sich dadurch zu seinen Kindern; sie können über ein gelbes Blatt weinen, das vom Baume auf die Erde fällt, sie hassen die Welt und sich am meisten; sie machen oft andre glücklich, aber kein Anblick von Glück, kein Anblick der aufgehenden Sonne kann sie vergnügt machen; sie lächeln, aber ihr Lächeln ist als wenn die Abendsonne durch einen verdorrten Baum scheint, ihnen folgt das Unglück wie ihr Schatten, ihre Augen sind matt von Thränen, ihre Wangen bleich, sie sind die ärmsten Geschöpfe. — Jener jauchzende Haufe verspottet sie, ihr Mund lacht stets, ihre Augen blinzeln jedem freudig entgegen, die Welt nennt sie Thoren, sie sind glücklich, denn sie halten sich für weise, sie fragen nicht nach ihrer Bestimmung, sie durchlachen ihr Leben, lachen im Winter eben so wie im Sommer, bei dem Aufgang der Sonne wie beim Untergang, die Natur nahm ihnen jede sanftere Empfindung und gab ihnen das Vermögen alles lächerlich zu finden. — Jene spielten mit ihrer Phantasie, der Verstand löste die Fesseln der gebundenen Einbildung, sie schoß wie ein Blitzstrahl dahin und nun hinkt der Verstand an seinen Krücken hinter sie her und kann sie nicht einholen, jede Saite ihrer Laute ist verstimmt und giebt angeschlagen einen falschen Ton, man nennt sie Wahnsinnige, Unglückliche; aber sie sind wirklich glücklich. Jener hält die Kette, die ihn an die Mauer festhält, für ein goldnes Halsgeschmeide, seine Lumpen für den Purpurmantel des Königs. Jener glaubt in seinem Strohlager alle Schätze Indiens zu besitzen und fühlt sich beseligt. — Jener ist taub für jeden Harfenton, blind für jede Schönheit, die der Maler der Natur abstahl, seine Seele sitzt auf seiner Zunge, er freut sich nur wenn er sich an den Tisch setzt, er hört nicht die himmlische Musik, die ihn umfließt, aber er lächelt beim Becherklang, der Duft von Speisen bringt Freude in seine Seele. — Wer von allen diesen scheint dir in dem Zustande zu sein, in den die Natur den Menschen aus ihrer Hand hervorgehn ließ? — O jener, rief Nadir, der sich an den Dampf der Speisen weidet, denn er ist der glücklichste, an sein Herz reicht nicht die Stimme des Elends, ihn durchbohrt nicht des Mitleids scharfer Pfeil, er ist der glücklichste, er kann viermal täglich glücklich sein; wozu sind jene feinern Empfindungen, sie bringen weit mehr Schmerz als Vergnügen hervor! — Sieh, jener Mann, fing die Führerin Nadirs an, der dort unbekannt herumgeht, ist ein verehrungswürdiger Mann; keiner kennt ihn, keiner achtet auf ihn, aber er findet sein Glück im Glücke anderer; manche heiße Thräne fleht im Dunkeln Segen für ihn vom Himmel, manche Brust athmet durch ihn freier, manche Klage verstummte durch ihn, er erfüllt den Beruf des Menschen, er macht andre glücklich, und nur dazu schuf uns die Natur. — Du willst die Gesellschaft der Menschen verlassen, komm und überzeuge dich, daß der Mensch da sei um in Gesellschaft glücklich zu leben; warum will der schwache Mensch seine Bestimmung erforschen, warum die Bestimmung der Welten? zwecklos rollen sie nicht um ihre Sonnen, aber warum wollen des Verstandes Maulwurfsaugen den Plan der Natur durchdringen? der Mensch ist da, das zu genießen, was ihm die freigebige Natur darbeut, sein Verstand soll aber nicht über die Gränze hinausschreiten wollen, die ihm gezeichnet ward. Sie gingen hin durch die hundert Bogengänge und Nadir bewunderte die Pracht des Pallastes; seine Augen wurden erhellt, er sahe ein, daß es Frevel sei, sich von den Menschen zurückzuziehn, vor ihm zerrann der dunkle Nebel, er durchdrang den Plan der höchsten Weisheit; er versprach zur Gesellschaft der Menschen zurückzukehren.

Der Tag öffnete die blinzelnden Augen, das Morgenroth flog über die Ebne und schimmerte an den Fenstern; Nadirs Führerin verließ ihn, ein Bogengang verschwand nach dem andern, mit ihm ihre Gemälde und ihre Beschauer, ein Licht erlosch nach dem andern, die Pracht gleitete von den Wänden, die Decke sank, der Saal zog sich zusammen, ward immer kleiner und kleiner, immer düstrer und düstrer, und der helle Sonnenschein glänzte endlich an den Wänden einer niedern Hütte. Nadir öffnete vor Staunen stumm die niedre Thür, er suchte vergebens den langen Gang, die alte Frau öffnete die kleine Hausthür, er ging hinaus, die Thür ward hinter ihm verschlossen; dieselbe kleine Hütte, an deren Thür er gestern klopfte — der Hund bellte ihm wieder nach, der Wetterhahn knarrte in den Wind, das moosbewachsne Dach triefte noch vom gestrigen Regen und das Morgenroth schwamm in den großen Tropfen. »Wacht' ich, oder träumt' ich?« rief Nadir aus; er sah über einen niedern Zaun in den Garten neben der Hütte, ein Knabe mit nackten Füßen pflückte sich Kirschen von einem Baume. Er stand lange stumm da, seine Phantasie malte ihm noch einmal den gestrigen Tag; stumm ging er weiter, blickte noch oft zurück nach der wundervollen Hütte, bis ein Wald den letzten weißen Schimmer von ihr ihm entzog. — —

Der Greis schwieg. Almansur sah starr vor sich hin. Der Mond schien hell, die Sterne bebten im schimmernden See, die Cypressen rauschten. Kehre zurück, Jüngling, begann der Greis, kehre zur Welt zurück, wer weiß, wo dein Glück schlummert, gehe hin und erwecke es, du bist zur Gesellschaft geboren, gehe hin und erfülle deine Bestimmung, genieße ohne zu grübeln und du wirst gewiß glücklich sein.

Almansur. Verzeihe, edler Greis, daß ich dich täuschte, dir meinen Gram nicht ganz enthüllte. Wenn du die Geschichte meines Unglücks hörst, und du räthst mir dann noch zur menschlichen Gesellschaft zurückzukehren, so will ich dein Verlangen erfüllen.

Ich heiße Almansur, mein Vater war ein Kaufmann in Bagdad; ich hatte einen Freund, einen einzigen, ganz mir gleichgeschaffenen, er starb vor wenig Wochen; ich hatte eine Geliebte, ich liebte sie mehr als meine Seele, sie vermählte sich vor wenig Tagen. — Roxane war schön, wie der werdende Tag, schöner wie eine der Houris, auf ihren Wangen floß Abendroth, ihre Lippen waren wie der Purpur der untergehenden Sonne, die sich im Meere spiegelt, ihr Lächeln war der Sonnenschein des Frühlings, in ihren blauen Augen lachte das ganze Paradies Mahomets, ihre blonden Haare flossen um ihre Schultern, wie der Nebel im goldnen Glanze der Morgensonne um Felsen sich kräuselt; — sie kannte meine Liebe. — Ihr Vater lag einst auf dem Sterbebette, nur ein Trank konnte ihn retten, aber er mußte ihn trinken in weniger Zeit als die Biene am Abend braucht nach ihren Zellen zurückzufliegen, es war ein Quell, der in der schwarzen Kluft eines weitentfernten Felsen murmelte. Roxane liebte ihren Vater, ich sah die Thränen in ihren Augen glänzen, ich schwang mich auf mein Roß, eilte hin, füllte eine Flasche mit diesem wundervollen Wasser, ich stürzte zurück, die Wälder sausten mir vorüber, eine Eiche raubte mir meinen Turban, mein Roß eilte dem Winde voraus, sein Hufschlag tönte laut, ich kam zurück; Roxanens Vater ward gerettet, ihr Lächeln dankte mir, und ich war vergnügt. Ich sank nieder von Schweiß und Staub bedeckt, mein gutes treues Roß starb noch an demselben Abend, Roxanens Lächeln dankte mir, und ich war vergnügt. O für sie hätte ich die heißen Ebnen Äthiopiens mit nackten Füßen durchmessen, für sie hätte ich unbedeckt den Schnee des Caucasus erklettert. Ach ich träumte eine so heitre goldne Zukunft in ihren Armen; mein Freund starb, sie trauerte mit mir, aber ach, sie gab ihre Hand einem andern, denn er war reicher als ich; vorgestern ward ihre Vermählung gefeiert, jeder Trompetenstoß, der aus der Ferne mein Ohr erreichte, jeder Klang der Cymbeln, jeder ferne Donner der Pauken, stieß einen glühenden Dolch durch meine Brust; in der Mitternacht verließ ich Bagdad kalt und stumm, verließ den Ort, wo jeder Baum, wo jedes Haus, verflossene frohe Scenen in meine Seele zurückriefen, die Sonne war für mich auf ewig untergegangen; ich ging fort ohne zu wissen wohin, endlich kam ich zu deiner glücklichen Einsamkeit. Edler Greis, o höre meine heiße Bitte, es ist der einzige Wunsch, der mir zurückblieb, laß mich an deiner Seite, im Schooße der Ruhe und der Einsamkeit, meine übrigen Tage verleben; ach, die Einsamkeit hat ja Trost für so manche Leiden, sie trocknet so manche Zähre, wiegt so manchen Kummer ein; hier in diesem glücklichen Thale will ich den Traum meiner Jugend noch einmal träumen, hier will ich weinen, wenn ich erwache. Laß mich bei dir wohnen, jedes Band, das mich an die Menschheit fesselte, ist gerissen, jede Freude hat der Ostwind von dort weggeweht, sie sind alle hier auf diesen Bergen hingestreut, laß sie mich hier wiedersuchen; laß sie mich wiederfinden, Greis, denn beim Barte des Propheten! ich kann nie unter Menschen wieder glücklich sein. — Aber warum glänzen Thränen in deinen Augen und verlieren sich in die Silberwellen deines Bartes? Woher diese Seufzer, die deine Brust erheben? Woher diese fliegende Röthe auf deinen Wangen?

Greis. Ach, Almansur! — deine Worte haben meinen entschlafenen Kummer erweckt, ich hielt ihn für todt, aber er schlief nur. — O Jüngling, du hast den Morgentraum meiner Jugend, meiner Phantasie wieder vorübergeführt. — Ein ähnlich Schicksal führte mich hierher; ach, Fatime! diese Thränen fließen dir! dieser Seufzer fliegt zu dir! Vor meinen Augen webt sich die Vergangenheit noch einmal hin, sie glänzt im Sonnenschein, eine Nebelwolke verfinstert sie auf ewig. — O Almansur, bewohne mit mir diese Hütte, trinke mit mir von meiner Milch, laß uns beide in den Schatten eines Baumes ruhn. Ach, ich will denken, du seist mein Sohn, denke du, ich sei dein Vater. Jüngling, du bist mir theuer geworden, theile mit mir was ich habe, wir wollen wie die Sonne des Tages, wie der Mond der Nacht, in schöner Gleichförmigkeit unser Leben verfließen sehn, wollen sehn, wie sich unser Leben in einem Kreise dreht, so leben, wie eine Welle beständig um ihr grünes Eiland murmelnd fließt; beide bewundern wir nun den Aufgang der Sonne, wir beide sehn ihrem Scheiden nach, du hilfst mir Blumen in meinem Gärtchen pflanzen, du begießest sie mit mir am Abend, du brichst mit mir das Obst von den Zweigen und freust dich mit mir des Frühlings und Sommers: Jeden Wandrer, der seinen Weg verfehlte, wollen wir mit Speise und Trank erquicken, und ihn dann auf die rechte Straße führen; dem Trauernden wollen wir den Balsam des Trostes reichen, vor dem Fröhlichen unsern Kummer in unsrer Brust verschließen. Wir erzählen uns dann die Geschichte unsrer verflossenen Jahre, wir tauschen unsre Erfahrungen gegen einander ein, ich lerne jeden Baum kennen, der dir einst mächtig war, du beschreibst mir deine vorige Wohnung so genau als wollte ich sie morgen beziehn, ich sage dir von jedem Bache, bei dem ich mich einst freute oder Thränen vergoß, ich zeichne dir jeden Gang in meines Vaters Garten, jede Rosenhecke, jeden Apfelbaum; so lebe ich in deiner vorigen Welt, du in der meinigen, oder wir sitzen am Abend unter dieser Cypresse und sehen wie sich der Mond auf jeder Welle wiegt, wie sich jene Ulme im Wasser spiegelt, wie ihre Zweige zittern, und durch ihr finstres Laub die Sterne gebrochen flimmern; wir erzählen uns wunderbare Mährchen so vertraut als wären es die alltäglichsten Dinge; wir träumen uns unser Leben nach dem Tode, bauen luftige Schlösser und reissen sie wieder ein; so leben wir, bis der Tod mir immer näher und näher schleicht und mich unvermerkt aus deinen Armen führt, dann häufest du mir einen Grabhügel unter jener Cypresse, die ich selber pflanzte, dann bewohnest du meine Hütte allein, dann sitzest du ohne mich vor dem Eingange, dann denkst du beim Schimmer des Mondes an den gestorbenen Abdallah, dann brichst du das Obst allein, und pflanzest Blumen ohne meine Hülfe, dem verirrten Pilger zeigst du das Gras auf meinem Grabe und sagst zu ihm: hier ruht ein biedrer Greis! dann sitzest du einsam in der kleinen Hütte und hörst den Regen gegen die Fenster schlagen, bis ich deinem Geiste mit einem Lichtkranze entgegenfliege.

 


 

Das grüne Band.

Eine Erzählung.

1792.

Durch die Thäler und über die Wiesen wandelte der graue Nebel; über einen Tannenhain blickte die Sonne noch einmal aus Westen auf die Fluren zurück, die sie itzt verlassen wollte; in den Wipfeln eines einsamen Gebüsches begann die Nachtigall ihr Lied, und das Murmeln eines kleinen Baches ward hörbarer: als über die Haide eine Schaar von Kriegern gegen die Veste Mannstein zog. Der letzte goldne Schein der Sonne flog zitternd die schönpolirten Rüstungen auf und ab, durch die abendliche Stille tönte laut der Huftritt ihrer Rosse. — Da schmetterte von der Zinne der Burg eine fröhliche Trompete, und weckte mit ihren Tönen den Widerhall am Tannenberge; die Zugbrücke ließ sich nieder, und Friedrich von Mannstein zog mit seiner Schaar in seine Veste, wo sein Hausgesinde sich um ihn her drängte, um ihm Glück zu wünschen, daß er aus der Fehde wohlbehalten zurück gekehrt sey.

Kaum war der Ritter von seinem Rosse gestiegen, als seine Tochter auf ihn zueilte und in die Arme ihres Vaters sank. »Meine Emma!« rief Friedrich, »bist du wohl? Gottlob, daß ich dich wiedersehe!« — »Kommt Ihr wohlbehalten zurück?« sprach sie, indem sie schüchtern um sich blickte und sich etwas aus den Armen ihres Vaters zurück bog. — »Habt Ihr viele von euren Leuten verloren?« — »Ja,« antwortete Friedrich, »zwölf, und unter diesen einen meiner treusten Diener.« — »Doch nicht« — fiel Emma schnell ein, — der Name Adalbert zitterte auf ihren Lippen, sie ward bleich, — »doch nicht — Wilibald?« sagte sie, indem sie eine unwillkührliche Thräne in ihr Auge zurückzwängte.

Eben diesen, erwiederte der Vater; der Alte hielt sich wacker, — aber er fiel, — er hat sein Leben rühmlich beschlossen. Wohl jedem Kriegesmanne, der so wie er stirbt! — Ich werde seinen Verlust fühlen; ich liebte ihn, als wär' er mein Bruder. — Aber komm in die Burg, liebe Tochter, der Nebel hängt schon kalt und feucht in den Wipfeln der Bäume, dein Haar flattert in der kühlen Abendluft; mich dünkt, du siehst bleich aus, — du bist doch wohl?

Ihr seid ja wieder hier, antwortete sie schnell.

»Herr Ritter!« sprach ein Knappe, der aus dem Schloßhofe trat, »wollt Ihr nicht in die Burg gehn? Euer Waffenbruder Konrad von Burgfels harrt Eurer drinnen.«

»Konrad? Er sei mir willkommen!« rief Friedrich, und ging in den Schloßhof; Emma, die Hausgenossen und sein Knappe Adalbert folgten ihm. — Adalberts und Emma's Blicke fanden sich. — Wie viel sagten sie sich nicht in diesem Blick! — Die Freude sich wiederzusehn, Dank für die Rettung, zärtliche Besorgniß, — dieß und hundert Fragen und hundert Antworten lagen in diesem einzigen Blicke. — Adalbert führte sein treues Roß in den Stall, Emma ging langsam aber heiter die Wendeltreppe hinan, blickte aus dem runden Fenster noch einmal in den Hof hinab, und begab sich dann in ihr Gemach.

Der wackre Konrad eilte dem Ritter Friedrich entgegen und schloß ihn froh in seine Arme. — »Gottlob!« rief er, »daß ich dich einmal wiedersehe! — Du kommst aus einer Fehde mit Manfred?«

Friedrich. Ja, Freund! und du?

Konrad. Woher? Für mich, weißt du ja, giebt's schon lange keine Fehden mehr! ich komme von meinem alten einsamen Schlosse. — Seit mein Karl nicht mehr da ist, sieht es so öde und verlassen aus. Stehe ich auf dem Altan, oder sehe ich aus den Bogenfenstern, so muß ich immer wider Willen nach dem Berge hinsehn, hinter welchem er zuletzt verschwand; die eisernen Fahnen auf der Burg rufen mir immer den Namen Karl zu, und muß dann jedesmal an den Tod denken. — Ach! es ist traurig, Freund, wenn man alt wird, der Tummelplatz unsrer Wünsche wird dann so eng, wir können nur noch wenig hoffen, — aber dieß wenige wünschen wir mit einer Sehnsucht, mit einer Wehmuth — So lange sich mein Sohn in Palästina unter den Ungläubigen herumtummelt, werde ich dich öfter auf deiner Burg heimsuchen, die Einsamkeit macht mich traurig.

Sie waren indeß in den Saal getreten. — »Setz dich, Freund!« sprach Friedrich, »ich habe dich schier verkennen gelernt, Konrad saß lange nicht auf jenem Sessel.«

Konrad. Es soll von itzt an öfter geschehen. — Du hast ihn geschlagen?

Friedrich. Den räuberischen Manfred, — ja — Zwölf meiner besten Leute hab' ich verloren, es war ein hitziges Gefecht. — Mein Knappe Adalbert, du wirst ihn kennen, hat sich heute wie ein wackrer Mann gezeigt, ohne ihn stand es so so — wir waren schon einmal zurückgetrieben, — ich sage dir, es wird ein tapfrer Ritter, ich will meinen Stolz an ihm erziehn. — Bringt Wein, Buben! —

Die Buben brachten Wein, und die Ritter tranken.

Konrad. Wir leben in unsern Nachkommen wieder auf; ich hoffe, mein Karl soll dem Namen Burgfels keine Schande machen.

Friedrich. Das wird er nicht. Welch ein glücklicher Vater bist du! Es war mein tägliches Gebet zu Gott, mir einen Sohn zu schenken, der mir einst die Augen zudrückte, der nach meinem Tode auf meiner Burg haußte, der — doch, wir wollen ja nicht traurig sein.

Konrad. Du hast es auch nicht Ursach, der weise Himmel erhörte dein Gebet vielleicht darum nicht, um dir Jammer zu ersparen. — Du weißt nicht, wie wehe der Kummer um einen geliebten, oder gar einzigen Sohn der Brust des Vaters thut. Man gewöhnt sich früh an Gram. — Bald siehst du den Knaben auf einen schroffen Felsen klettern, und zitterst bei jedem Schritte; der Jüngling kommt nicht von der Jagd zurück, und bei jedem Wiehern, bei jedem Hufschlag eines Rosses eilst du ans Fenster, aber er ist es nicht, dein schlafloses Auge starrt erwartend durch das Dunkel der Nacht, — und wenn du ihn gar fern von dir weißt, im Gewühl der Schlachten, — erst als Vater macht der Ritter mit der Furcht Bekanntschaft. — Alle Freuden seines vorigen Lebens, jede seligverflossene Stunde, jede schöne Erinnerung, das Glück der Vergangenheit und Zukunft flicht der Greis in einen freudenreichen Kranz und schlingt ihn um den Helm des Jünglings, — ach! und wie viel tausend Schwerter können diesen Kranz zerreissen. Wir setzen unser ganzes Vermögen auf einen Wurf, und in jedem Augenblicke müssen wir zittern, zu verarmen. — Es ist warlich besser der Vater einer hoffnungsvollen Tochter sein!

Friedrich. Du bist undankbar gegen das gütige Schicksal. — Den Knaben zum Jüngling werden sehn, in jeder seiner Thaten sich selbst wiederfinden, — nenne mir eine Freude, die größer sei, als diese. — Und wenn er nun zurückkehrt, wenn er nun von jenem Berg wieder heruntersprengt, vor ihm her der Ruhm, hinter ihm der Jubel des Volks, in seiner Rechten eine erbeutete Fahne, wenn er nun so in deine Arme eilt, wie dann?

Konrad der sich die Augen trocknet. Dann? — Nun dann will ich dir Recht geben, aber eher nicht.

Friedrich. Immer find' ich doch noch in dir den alten Konrad wieder, der jedesmal im Wort- und Lanzenkampf das Feld behalten muß. — Trink! stoß an! auf den Ruhm deines Sohnes!

Konrad. Und das Glück deiner Tochter!

Friedrich. Denkst du, daß ich für sie unbekümmert bin? — Wollen wir mit unsern Kindern tauschen, Konrad?

Konrad. Freund und Waffenbruder! — ein Gedanke kömmt mir wieder, den ich schon oft dachte, wenn ich des Nachts in meiner einsamen Kammer schlaflos lag, und der Wind um den Schloßthurm saußte, — sei du der Vater meines Sohnes, deine Tochter sei mein, doch so, daß keiner von uns das Recht auf sein Kind verliert.

Friedrich. Topp, alter Freund! — Da hast du die Hand eines Ritters, der noch nie sein Wort brach! — Bei Gott und Ritterehre! keiner als dein Karl soll der Gatte meiner Tochter werden, — nur muß er mit Ehre zurückkehren.

Konrad. Das wird er, wenn er zurückkehrt, dafür laß dir den alten Konrad bürgen. Mit Ruhm, oder nie sehn wir ihn wieder. —

Friedrich. Alter Freund! der Wein hat mich sehr froh gemacht. — Welch eine liebliche Zukunft seh' ich emporblühen! — Allenthalben winkt die schönste Blume des Lebens: Vaterfreude! — In diesem Garten wollen wir ruhen, bis wir in einen noch schönern hinüberschlummern.

Die Alten drückten sich schweigend die Hand, ihre Freude war eine wehmüthige geworden; ein Paar große Thränen fielen schwer aus ihren Augen, die sie in einem schönen Irrthum für Freudenthränen hielten. Sie merkten nicht, daß sie der bange Zweifel erzeugte: »Werden diese Träume in Erfüllung gehn?«

Sie saßen noch lange zusammen im traulichen Gespräch, und erzählten sich noch einmal die Geschichte ihrer Jugend und ihres männlichen Alters. Die Gesichter der Greise glühten voll Jugendkraft, beide vergaßen, daß sie Greise waren.

Die Mitternachtstunde rief sie endlich von ihrem Gespräche ab, jeder ging heiter in sein Schlafgemach.

 


 

Alles schlief schon in der Burg, der aufgehende Mond brach seine dämmernde Strahlen durch die Bogenfenster; eine heilige Stille schwebte über Flur und Wald mit leisem langsamen Fluge, nur die Burgglocke tönte durch die feierliche Einsamkeit: als die leisegezogenen Schritte Emma's längst den Wänden des großen Ganges, der die Zimmer der Burg theilte, hinrauschten. Sie hatte Adalbert in der Ferne gesehn, und schien ihm itzt wie von ungefähr zu begegnen.

Beide blickten sich froh in's Auge, denn sie wurden itzt von keinem Überlästigen beobachtet. »Meine Emma!« rief Adalbert aus, und schloß das Mädchen rasch in seine Arme.

»Bist du endlich wieder da?« fing Emma an, — »O! wüßtest du, wie vielen Kummer du mir indeß gemacht hast, die ganze Burg war mir indeß so eng wie ein Gefängniß, die Flur war für mich ein Klosterzwinger, denn Berge und Wälder schlossen mich ja ringsum ein und trennten mich von dir. — Der Garten schien mir öde und finster, das Blaue des Himmels hing düstrer als sonst über meinem Haupte — sage mir doch, — was hat itzt alles wieder so hell und frei gemacht?«

Adalbert. Die Sonne der Liebe, Emma!

Emma. Dein schönes Auge, Adalbert! — Ach! wie viel hab' ich um dich gelitten, itzt erst weiß ich es, wie theuer, wie unentbehrlich du mir bist. Beständig hab' ich an dich gedacht, und wenn meine Phantasie auch noch so fern umherschwärmte, so war die Rückkehr zu dir, ihrer lieben Heimath, doch stets das nächste: der Gedanke, der der fernste schien, war doch unmittelbar eins mit der Liebe. — Bei Dingen, wobei ich bis itzt nichts dachte, dacht' ich sehr viel, Vergangenheit, Zukunft und — dich! — Ich schwatze, lieber Adalbert! aber die Freude ist ja geschwätzig. —

Adalbert. Und welcher Liebende hörte dieß Geschwätz nicht gern?

Emma. Neulich ging ich jenen verdorrten Baum vorüber, — ich bin vor ihm hundertmal vorübergegangen, aber nicht mit diesem sonderbaren Gefühl — ich dachte plötzlich an jenes Jahr, in welchem er noch grünte; ich war noch ein Kind, als ich einst an ihn gelehnt die Frühlingsflur überschaute; — er blühte damals so schön, die Sonne glänzte so hell in seinen zitternden Blättern, o! wie fröhlich war ich damals, — die ganze Natur und der Baum schien mit mir fröhlich; — itzt stand er da, als wenn er mich traurig ansähe, als wenn es ihn schmerzte, daß er nicht mehr fröhlich seyn könnte. — Wie ganz anders war itzt alles um mich her als ehemals, und doch war mir diese Erinnerung nur wie von gestern. — Ach! Adalbert! da dacht' ich an dich und mich. —

Adalbert. Du erschreckst mich, Emma! ich war so heiter, du hast mich traurig gemacht.

Emma. Du glaubst nicht, Adalbert! wie sonderbar mir in diesem einzigen Augenblicke die Welt vorkam; die Vergangenheit schien mir ein Traum, die Zukunft ein Schatten. — Wie der Frühling entflieht dein Glück, sagte mir der ernste Baum; du wirst bald, sehr bald unglücklich sein. —

Adalbert. Verjage diese schwarze Ahnungen, laß diese grausamen Spiele deiner Einbildung! — Emma kann, darf nicht unglücklich sein!

Emma. Daß sie es kann, empfand ich in jedem Augenblicke deiner Abwesenheit. — Ach Adalbert! ich fange an zu glauben, daß Unglück sehr wohlfeil sei, und ich will mich an diesen Gedanken gewöhnen.

Adalbert. Du hast Recht. — Unglück ist ja der Preis, um den wir unser weniges Glück in diesem Leben erkaufen müssen. — Du seufzest, Emma? — Himmel! du weinst? — O! ich verstehe diese Seufzer, diese Thränen. — Könnt' ich doch das Schicksal fragen: Wird Emma einst die Meinige?

Emma. Um gewisses Unglück für ungewisse Hoffnungen einzutauschen? Laß sie ungewiß seyn, es sind doch immer Hoffnungen.

Adalbert. Und werden diese Hoffnungen nie Verzweiflung werden? Wird diese schöne Frucht nie vertrocknet vom Baume fallen? — Ach, Emma! — der Winter kömmt endlich: und Sommer und Herbst sind nur ein schöner Traum gewesen. — Wie dann?

Emma. Dann laben wir uns an der Erinnerung dieses schönen Traums, wie Kinder, die im Finstern erwacht sind und gern wieder einschlafen möchten.

Adalbert. Emma! wird dein Vater je den armen verwaisten Knappen Adalbert, der nichts als sein Schwert besitzt, mit deiner Hand beglücken? — Er, der Herr so vieler Burgen, der Besitzer großer Schätze? Wird er das je?

Emma. Willst du denn, daß ich durchaus sagen soll: ich glaube es nicht. — Doch warum wollen wir nur immer zweifeln? — Er hat dich erzogen, er liebt dich wie seinen Sohn, er schätzt deine Tapferkeit — Adalbert! wir wissen ja nicht, was die folgende Stunde gebiert, warum wollen wir denn über künftige Jahre hinwegschauen? — Trage von itzt an dieß grüne Band um deinen Arm, es erinnert dich vielleicht im Kampfe, dein Leben nicht unnöthig zu wagen.

Adalbert. Grün ist die Farbe der Hoffnung.

Emma. Und die Meinige. Verlier' es nie, es sei dir ein Unterpfand meiner ewigen Liebe und Treue.

Adalbert. Auch wenn die Farbe verbleicht ist? —

Emma. Auch dann.

Itzt rauschte die Thür eines Gemachs, die beiden alten Ritter traten heraus; ein stummer Händedruck, und Adalbert und Emma schieden. — —

Alles war wieder laut und geschäftig in der Burg, die Sonne war schon seit einigen Stunden aufgegangen, als vor den Thoren von Mannstein ein Ritter hielt, und begehrte eingelassen zu werden. Die Thore öffneten sich, im Burghofe stieg er ab, und ward dann in den Saal zum alten Friedrich geführt.

Friedrich ging ihm entgegen, ließ ihn sich niedersetzen, befahl ihm einen Becher Wein zu reichen, und fragte dann, was sein Begehr sei?

»Ich bin ein Abgesandter,« begann der fremde Ritter.

»So seid mir in meiner Burg nochmals willkommen!« sprach Friedrich — »Aber wer sendet Euch?«

Ritter. Der Ritter Manfred, der Euch wohl bekannt sein wird.

Friedrich. Was verlangt er?

Ritter. Er ist gesonnen seine Fehde mit euch zu endigen, Frieden zu schließen und Euer Freund zu werden.

Friedrich. Mein Freund? —

Ritter. Aber nur unter einer Bedingung —

Friedrich. Sie ist? —

Ritter. Eure schöne Tochter! —

Friedrich sprang auf, schlug unwillig mit der Hand auf den Tisch und blickte den Ritter zornig an. Dann ging er lange mit großen Schritten auf und ab. — Endlich stand er still, sah den Ritter noch einmal lange und bedeutend an, und sprach dann mit lauter, starker Stimme, die zuweilen nur von einer unterdrückten Wuth zitterte: »Geht zurück, Ritter! und sagt dem schändlichen Manfred, daß eher meine Burg in Trümmern stürzen soll, daß ich lieber mit eigner Hand meine Tochter ermorden, als in seinen Armen wissen will. — Ein Ritter, kein Meuchelmörder, soll ihr Gemal werden; unsre Fehde ist nicht geendet, kann nicht geendet sein, denn es ist die Pflicht jedes braven Ritters, Räuber zu vertilgen, und ein Räuber ist Manfred. — Sagt ihm nur, ich habe es nicht vergessen, wie er meuchlings den Grafen von Otterfeld gemordet, wie durch ihn des Edeln von Löwenau Burgen und Ländereien widerrechtlich gepreßt werden; sagt ihm, daß mein Schwert noch nicht in der Scheide ruhe, sondern bereit sei, den Kampf zu erneuen. — Will er Euch nicht glauben, so mag er sich von mir selbst die Antwort im Blachfelde holen.«

Schweigend stand der Ritter auf, schwang sich auf sein Roß, und jagte hinweg ohne nur einen Blick nach der Burg zurückzuwerfen.

Friedrich ging noch lange auf und ab, bis sich sein Ingrimm in einem freundschaftlichen Gespräche mit Konrad von Burgfels nach und nach verlor.

 


 

Am Abend hatten Konrad und Friedrich schon die Gesandtschaft Manfreds vergessen. Der Wein machte, daß sie in der Zukunft, welche sie sich erträumten, allenthalben nur Glück und Freude sahen, und dadurch harmlos und unbefangen die traurige Wahrheit vergaßen: daß jeder Augenblick ein Unglück erzeugen könne.

Emma stand indeß an einem Bogenfenster und blickte in die schöne Gegend hinaus, welche der Mond beleuchtete. Sie träumte sich in die Zukunft hinüber, tausend angenehme Gebilde flogen vor ihrer Seele auf, in denen sie stets sich an der Seite ihres Adalberts erblickte.

Die Luft wehte warm und lieblich. Ein sanftes Rauschen ferner Wälder rief das Andenken der Vergangenheit in ihre Seele zurück. Um sich diesem Gefühle ganz zu überlassen, schlich sie sich langsam auf den Altan der Burg und sah itzt mit jenem ruhigen Entzücken auf ihre väterlichen Fluren herab, mit dem der Liebende den Abendschein der Erinnerung vorigen Glücks betrachtet.

Itzt schwebte der Mond noch eben über einen fernen Hügel, nun sank er langsam, und ein blasser zitternder Glanz überflog noch einmal die Eichenwälder, dann standen sie ernst und finster da; die fernsten westlichen Wolken tauchten sich im Vorüberschweben in einen bleichen goldenen Schimmer, und bald lag die ganze Gegend in Dunkel eingehüllt, finster und schauerlich, wie die Zukunft dem, der Unglück ahndet.

»O Bild des Glücks!« rief Emma aus. — »So stirbt die letzte Hoffnung auf dem Grabe des Geliebten, so welkt die letzte Blume im Kranze menschlicher Freuden, so weht der Sturm die letzte Blüthe vom verdorrenden Baum.«

Eine heisse Thräne stieg langsam in ihr Auge.

Alles war still und feierlich, der Wind schwieg itzt, schwarze Wolken hingen ernst unter dem Glanze der Sterne über fernen Wäldern, und schon begann die Eule ihr einsames Klagelied aus der Felsenhöle — da braust es wie ein Waldstrom aus der Ferne, es rauscht daher wie ein Schwarm Gespenster, die durch den Eichenforst fahren, — ein unwillkührlicher Schauer zitterte langsam über Emma's Körper hin. —

Wie Hufschlag von Rossen kam es itzt näher, wie ein Klang von Harnischen. — Wie sich um den Felsen eine schwarze Wolke schleicht, so lenkte itzt eine düstre Schaar um die Mauer der Burg.

Emma wollte zurück und in das Gemach ihres Vaters eilen, aber sie fühlte sich zu schwach, eine unbekannte Macht hielt sie gewaltsam zurück, sie drängte sich bebend in die Ecke des Altans.

Itzt schwebte es über den Wall herüber, — schon rauschte es durch den Graben der Burg — da schmetterte plötzlich laut und furchtbar von der Zinne der Burg die Trompete des Thurmwächters, und Emma schrak heftig zusammen.

Plötzlich kam die ganze Burg in Bewegung, die Sturmglocke hallte fürchterlich, Panzer rasselten, Pferde wieherten, Tritte dröhnten laut durch alle Säle, Stimmen schallten verwirrt durch einander, — ihr war, wie in einem Traume, große Tropfen der Angst standen auf ihrer Stirn, und ihre Bangigkeit stieg endlich so hoch, daß sie mit einem schmerzhaften Vergnügen die Entwickelung dieses fürchterlichen Traums erwartete.

Noch einmal schrie alles plötzlich laut durcheinander, Rüstungen erklangen, Schwerter klirrten, dann eine kurze Stille, die von einem neuen Geschrei unterbrochen wurde, die Krieger wütheten wie zwei Gewitter gegeneinander. — Itzt hörte sie Adalberts Gang, er ging durch die Säle, den Altan vorüber, sie wollte seinen Namen ausrufen, aber kein Ton stand ihr zu Gebot.

Als er vorüber war, rief sie laut: »Adalbert!« — Aber er konnte diesen Ruf nicht mehr vernehmen. Sie raffte sich gewaltsam auf, und floh eilig durch die Säle, bleich und zitternd eilte sie durch die einsame Burg, in welche aus der Ferne der Kampf dumpf herauftönte; sie rannte durch eine verborgene Thür, eilte über die niedergelassene Zugbrücke nach dem offenen Felde, wo ihr die Sterne bleich und erschrocken über ihrem Haupte zu flimmern schienen.

Hier setzte sie sich auf einen kleinen Hügel nieder, und sah nach der Burg zurück, die wie in Nebelwolken eingehüllt da lag. — Das Schmettern der Trompeten tönte durch die ruhige Nacht, weithin flog der laute Klang über Berge und Wälder, gebrochen schmetterte der Widerhall am fernen Felsen die Töne nach, die dann verhallten und wie im Gebrause des Kampfs versanken. —

Der Schein von Fackeln sprang itzt durch das Dunkel der Nacht, Schatten flohen hin und her, Nacht und Helle kämpften mit einander, alle Schrecken boten sich die Hand, und schwebten furchtbar vor Emmas Auge, die endlich das Gesicht mit den Händen verdeckte.

Das Geräusch des Kampfes kam ihr näher, Krieger flohen ihr dicht vorüber, andre sanken verfolgt zu Boden, sie hörte das Röcheln der Todesangst und schauderte noch stärker.

Ein Ritter eilt daher, der Flüchtlinge verfolgt, sie springt auf und stürzt athemlos in seine Arme! — Es war Adalbert. —

»Adalbert! Adalbert!« ruft sie mit bebender Stimme und drückt sich fast ohne Bewußtsein an seine Brust, — »rette mich!«

»Manfred siegt!« rief er wüthend aus, »aber ein guter Engel ließ mich dich finden, meinen Muth zu stärken. — Zurück in den Kampf! — Ha! die Meutrer! — die Burg brennt!«

Er ließ sie sanft nieder, und stürzte wild hinweg.

Emma schloß die Augen, denn sie hörte noch immer die schrecklichen Worte: die Burg brennt! — Endlich blickte sie matt und schüchtern auf, — welcher Anblick! — Kühn wälzte sich eine Flamme aus der Burg himmelan, wie eine Welle im Sturm wogte sie majestätisch hin und her, und übersah mit kühnem Blicke die ganze Gegend. — Der Burggraben glühte im Widerschein, alle Wälder und Berge wankten hin und her im zitternden Flammenglanze, große Funken flogen Sternen ähnlich durch die Nacht, und sanken neben Emma im feuchten Grase verlöschend nieder! —

Im Schein sah sie die Kämpfenden gegeneinander wüthen, Arme gegen Arme in rastloser Arbeit aufgehoben; Schwerter glänzten wie fernes Wetterleuchten durch die Nacht, Trompeten und Hörner hallten wie Donner. — Ihre Augen schlossen sich müde und geblendet.

Sie öffnete sie nur mühsam nach langer Zeit, die Flamme war zurück gesunken, das Geräusch des Kampfes war verschwunden, die gräßlichste Stille lag schwer und drückend über der ganzen Natur. — Zweifel schüttelten itzt ihre Seele, eine noch schrecklichere Ungewißheit trat an die Stelle des vorigen Entsetzens. — »Gott!« rief sie lautseufzend, und im Ton der Verzweiflung.

»Emma!« seufzte es leise aus einem nahen Gebüsche mit dem ächzenden Tone eines Sterbenden. Emma bebte auf. Es rasselte im Laube. — »Mein Vater!« rief sie aus, und stürzte in die Arme Friedrichs, der verwundet hieher geflohen und niedergesunken war. —

»Wüthet noch die Flamme in der Burg meiner Väter?« fragte er mit schwacher Stimme.

»Nein!« sprach Emma, »die Flamme ist gelöscht.«

»Nun Gott sei Dank!« antwortete Friedrich und erhob sich.

Emma umschlang ihn mit ihren Armen, da fühlte sie das Blut des Greises über ihre Hand fließen.

»Himmel!« rief sie aus, »mein Vater, Ihr blutet!« — Schnell zerriß sie ihren Schleier und verband die Wunde so sorgfältig, als es die Finsterniß der Nacht erlaubte. Friedrich küßte sie und drückte sie stumm an seine Brust. — »O, ich bin glücklich!« sprach er endlich, »da ich dich wieder gefunden habe; mag Manfred doch in meinen Burgen wüthen, wenn du nur mein bleibst; mag das Feuer meine Schätze verzehren, wenn ich dich nur noch an meine Brust drücken kann. — Ich bin nicht unglücklich!« —

Der Tag fing an zu grauen, schwarze Wolken säumten sich mit sanftem Roth, ein kalter Morgenwind wehte, die Gegend trat nach und nach aus der Nacht hervor, und mit goldnem Gefieder schwang sich endlich das Morgenroth aus der Tiefe empor, und sein leuchtender Fittig umarmte den östlichen Horizont.

Friedrichs Wunde blutete nicht mehr, und er fühlte sich stärker, als er aus der Ferne über einen Berg einen Trupp Reiter auf sich zusprengen sahe; Adalbert war an ihrer Spitze.

»Sieg! Sieg!« frohlockte die jauchzende Schaar; »Sieg!« hallte das Thal mit seinen Felsen wieder; »Sieg!« sprach Emma freudig nach; eine Thräne der Freude stürzte schnell aus ihrem Auge, und eine schöne Röthe überflog ihr bleiches Antlitz. Friedrich erhob sich schnell bei dem Worte, und sah wieder so kühn umher, als er es sonst gewohnt war.

Adalbert stieg von seinem Rosse. »Manfred ist geschlagen!« sprach er, »nur wenige von seiner Rotte sind meinem strafenden Schwerte entronnen.« Friedrich eilte ihm entgegen, und schloß ihn herzlich in seine Arme. »Sei mir willkommen!« rief er ihm entgegen, »willkommen, mein geliebter Sohn!«

»Euer Sohn?« sprach Adalbert froh auffahrend; er blickte schüchtern auf Emma, die bei diesem Blicke erröthete.

»Ja! wie meinen Sohn lieb' ich dich,« sprach Friedrich, »verdank ich dir nicht alles? — Sage, wie kann ich dich belohnen? Fordre, bei meinem Ritterworte! alles was meine Ehre erlaubt sei dein.«

Adalbert blickte in Friedrichs Auge, schon wollte er den Namen Emma aussprechen, als er das Auge noch einmal zu ihr wandte. — Sie schlug schüchtern die Augen nieder, und schüchtern stammelten nun Adalberts Lippen statt Emma — »das Ritterschwert.« —

Er kniete nieder und stand als Ritter wieder auf.

 


 

Manfreds Schaar war gänzlich zerstreut, und die Ordnung in Friedrichs Burg wieder hergestellt. Das Feuer hatte durch Adalberts Vorsorge nur wenigen Schaden thun können, und obgleich viele von Friedrichs Kriegern gefallen und verwundet waren, konnte dieser doch dem Glück und Adalbert Dank sagen, daß er den verrätherischen Überfall nicht theurer hatte bezahlen müssen.

Konrad von Burgfels verließ Friedrichs Veste, um die seinige zu besuchen, der nächtliche Überfall hatte ihn besorgt gemacht; er reiste mit dem Versprechen ab, in kurzer Zeit wieder bei seinem Waffenbruder einzukehren.

Unmuthig ging indeß Adalbert im Schloßgarten auf und ab, denn sein Gedächtniß wiederholte ihm alle Vorfälle dieser Nacht mit den kleinsten Umständen. — »Adalbert!« rief er endlich aus, »was hast du gethan? —« Unbesonnen hast du den großen Augenblick deines Lebens verscherzt, in welchem die Waage deines Glücks im Gleichgewichte stand; — kam es nicht bloß auf dich an, glücklich zu seyn? — Ein Wort aus meinem Munde, und sie war mein, ewig mein! — Dein? Ist das so gewiß? — Welcher Sterbliche wagt es, so frech das ganze Glück seines Lebens einem einzigen Hauche anzuvertrauen? — Hätte mir nun das Nein wie meine Sterbeglocke fürchterlich aus seinem Munde getönt, Adalbert, wie dann? — Itzt bleibt dir doch noch die tröstende Hoffnung. — Aber hoffen, und ewig nur hoffen, indeß sich meine Kraft aufzehrt, und das Ziel meines Glücks immer weiter aus meinen Augen gerückt wird. — Hoffnung! dieser ärmliche Ersatz für Genuß, dieser schadenfrohe Schatten, der ewig uns freundlich winkt und uns so in unser Grab lockt, — lieber Gewißheit des Unglücks als dieses peinliche Schwanken zwischen Zweifeln und Hoffen, lieber sterben als in jedem Augenblick den Tod fürchten. Und muß ich nicht doch irgend einmal mein ganzes Glück einer Frage anvertrauen? — Ja! es sei gewagt, noch heut muß sich mein Schicksal entscheiden, — und was wag' ich denn dabei?

»Was?« fuhr er seufzend nach einer Pause fort, »die ganze Seligkeit dieses Lebens. Wie wird die ganze Welt verdorren, wie werden alle meine Freuden hinwelken, wenn der verdammende Urtheilsspruch mir tönt! — Aber sei's! der hat noch dem Glücke keine Krone abgewonnen, der nicht mit ihm zu würfeln wagte, — mag das Spiel um Tod und Leben gehn! — was ist mir ein solches Leben? der Tod sei mir willkommen! —

»O daß ich jenen Augenblick nicht benutzte! Jahre werden ihn mir nicht wieder anbieten, er nannte mich Sohn — Wird er mich je wieder so nennen? — Kenne ich nicht Friedrich, der so stolz auf seine Schätze ist?

»Und wer hat ihm diese erhalten? Und bin ich itzt nicht Ritter so wie er? — Itzt sind wir uns gleich, und die vorige glückliche Nacht hat mich noch über ihn gestellt.

»Stolzer Adalbert! Wer nahm dich verwaisten Knaben auf? Wer erzog dich? Wem dankst du dein Leben? — O, ich fühl' es! dieser Kampf meiner Seele wird nie enden.«

So stritt Adalbert lange mit sich selbst. Er ging heftig auf und ab, bald stand er plötzlich still und heftete den Blick auf den Boden, dann ging er langsamer, stand wieder still, bis er erschrocken wieder auffuhr, und noch schneller auf- und niederging.

»Wir sind ja Beide Menschen!« sprach er endlich langsam und beruhigt, »es betrifft das Glück meines Lebens, und auch er soll dadurch glücklich werden; ich will der zärtlichste Sohn seyn, ihn im Alter schützen, sein pflegen, es soll ihn gewiß nicht reuen. Er findet keinen Eidam, der seine Emma so lieben, so glücklich machen würde, als ich, das fühl' ich, und ihr Glück, hat er mir ja oft gesagt, wird auch das seinige sein.«

So ausgerüstet ging er itzt muthig in Friedrichs Gemach. Die Sonne war schon untergegangen, und der Ritter saß still und gedankenvoll in seinem Zimmer.

Adalbert fühlte sein Herz heftig klopfen, als er die Thür öffnete, die Brust ward ihm zu enge, er war mit dem Ritter so vertraut, und doch war es ihm als wollt' er itzt mit einem Unbekannten sprechen.

»Willkommen, Adalbert!« rief ihm Friedrich entgegen, »gut daß du kömmst, ich wollte dich schon rufen lassen; wir haben lange nicht mit einander getrunken, und ich bin heut so traurig. Es wird doch wohl nicht das letztemal sein, daß mir mit einander trinken?«

»Das letztemal?« fragte Adalbert und eine glühende Hitze überflog ihn; er war itzt fest entschlossen, kein Wort zu sagen.

Friedrich. Setze dich zu mir, Adalbert! wir wollen uns heut wohl sein lassen, du hast gekämpft, dafür mußt du ruhen.

Buben brachten Wein, der Alte goß die Becher voll, und Beide tranken. Adalbert nachdenkend und traurig, fast ohne zu wissen, daß er trank, Friedrich desto fröhlicher.

Friedrich. Du bist nicht munter, Adalbert! du trinkst ja warlich wie ein Mädchen. — Was ist dir?

Adalbert. Nichts. — Er sahe starr vor sich hin, indem er mit Wollen und Nichtwollen kämpfte. Itzt riß er sich gewaltsam aus seiner Träumerei, glaubte falsch geantwortet zu haben und setzte noch schnell und zerstreut hinzu: O ja!

Friedrich. Adalbert! du sprichst im Traume. Sonst bist du ein fröhlicher Gesellschafter, man verkennt dich heute ganz.

Adalbert. Heut?

Friedrich. Am ersten Tage deines Lebens?

Adalbert. Ich bin unzufrieden, — eine peinigende Reue verscheucht allen Frohsinn.

Friedrich. Reue? worüber?

Adalbert. Ein einziges Wort bereu' ich, ich bin unzufrieden mit dem heutigen Morgen.

Friedrich. Wie? — Wäre es nicht dein heißester Wunsch gewesen, in den Orden der Ritterschaft zu treten?

Adalbert. Nicht mein heißester, — meine Zunge sprach es wider meinen Willen, — ich hätte Euch — um Emma bitten sollen! —

Die letzten Worte sprach er sehr schnell; laut und schmerzlich fühlte er itzt sein Herz schlagen, das Wamms ward ihm zu enge; er wollte nach einem Becher greifen um seine glühende Röthe zu verbergen, aber der Becher fiel aus seiner zitternden Hand.

Eine lange tiefe Stille. Adalbert hörte seinen heißen Athem wehen und zwängte ihn in seine Brust zurück, er wünschte sich itzt in das Geräusch einer Schlacht, mitten unter die Stürme einer Gewitternacht.

»Adalbert!« sagte Friedrich, und Adalbert schrak zusammen, als hätte ihn der Blitz getroffen.

»Adalbert!« fuhr Friedrich fort, »du bist undankbar, — du bist mein Freund, bist du damit nicht zufrieden?

Adalbert. Nein, edler Ritter! ich will, ich muß Euer Sohn werden. —

Alle seine Furcht war verschwunden, denn Friedrich zürnte nicht, er hatte ihn angeredet, wie ein gütiger Vater seinen Sohn anredet. So tief vorher sein Muth gesunken war, so hoch stieg er itzt wieder empor.

»Du mußt?« sagte Friedrich, »wärst du boshaft genug, mir eine schwarze Mauer vor die schönste Aussicht hinzustellen? — Nein, Adalbert! — diese Bitte muß ich dir abschlagen.«

»Abschlagen?« sprach Adalbert ganz leise nach, als wenn er sich fürchtete, dieß Wort noch einmal zu hören. — Aber die Bahn war gebrochen, er war in einer Lage, die an kalte Verzweiflung grenzte, daher behielt er Muth genug zu fragen: »aus welcher Ursach?«

Friedrich. Meine schönsten Träume waren von jeher, daß meine Tochter einem Ritter vermählt würde von edler und berühmter Abkunft, — die fehlt dir; ich habe keinen Sohn, sie ist mein Stolz und meine Freude, — sie erbt von mir Burgen und Schätze, diese muß mein Eidam auch besitzen, — du hast diese nicht. — Du kannst mein Freund sein, aber nicht mein Sohn.

Adalbert. Ritter! um Gottes willen, widerruft was Ihr da gesagt habt! — Ruhm und Schätze verlangt Ihr? wie nichtswürdig ist beides in den Armen der Liebe! — Vater! Emma an meine Seite, und Ihr sollt in einem Himmel leben, Ihr sollt ungern diese Erde verlassen! — Können Euch Ruhm und Schätze Glück bezahlen? Wiegen Goldstücke die Thränen Eurer Tochter auf? — Ich muß verzweifeln, wenn Ihr nicht widerruft!

Friedrich. Adalbert!

Adalbert. Wird Euch nach meinem Tode auf dieser Stelle nie der Name Adalbert einfallen? — O Friedrich! Friedrich!

Er stürzte kraftlos nieder und umarmte heftig die Kniee des Ritters. — Friedrich beugte sich gerührt über ihn und hob ihn auf. »Unglücklicher!« sagte er, »Konrad hat mein Ritterwort, sie ist die Braut seines Sohnes.«

Adalbert. O widerruft Euer Ritterwort, vernichtet Euer Versprechen —

»Halt!« rief Friedrich und stand wüthend auf, »Bösewicht! mein Ritterwort brechen! — Bei Gott! dann mag der Henker mein Wappen zertrümmern, und den Namen Mannstein an eine Schandsäule schreiben! Geh Verworfner! — Geh! du entehrst das Schwert an deiner Seite.

Er schwieg und erwartete eine Antwort, aber Adalbert stand stumm und unbeweglich vor ihm, ohne alle Zeichen des Lebens.

»Von itzt an,« sprach Friedrich, »halte ich dich jeder Schandthat fähig; du verlässest morgen meine Burg, ich lasse dir ein Roß zäumen; bei meiner Ritterehre! ich will dich nicht wieder sehn, denn ein solcher Bube könnte Emma entehren, und Konrad von Burgfels ermorden.«

Itzt ging Adalbert stumm fort, an der Thüre des Zimmers stand er still, seine Kniee wankten, seine Hände zitterten, so nahte er sich dem Ritter und sagte halblächelnd: »Seht Ihr! nun haben wir doch zum letztenmal mit einander getrunken.«

Mit einer schweren Thräne sprach er die Worte »zum letztenmale« aus. Dann verließ er schnell und stumm das Gemach.

Friedrich sah ihm lange nach, dann starrte er auf die Thräne Adalberts, die brennend auf seine Hand gefallen war, er selbst konnte eine andre nicht in sein Auge zurückzwängen, sie rollte langsam über seine Wange.

Er wischte sie seufzend weg, trocknete dann die Thräne Adalberts, um es zu vergessen, daß ein Mann hier geweint habe.

Er hätte so gern diese Stunde vernichtet, ihm reute die Hitze, in welcher er Adalberts Leidenschaft zu unbillig behandelt hatte, — aber die Stunde war vorüber, die schrecklichen Worte waren gesprochen.

Betäubt ging Adalbert auf sein Zimmer. Das Loos ist gefallen! rief er wild und warf sich in einen Sessel; ich habe verloren, setzte er dann mit schrecklicher Kälte hinzu, — wie konnte ich auch auf einen Gewinn rechnen? — Dann ging er lange heftig auf und ab, öffnete stumm das Fenster und schaute mit starrendem Auge in die monderhellte Gegend.

Es war eine schöne Sommernacht, die Luft bebte ihm warm und lieblich entgegen, die ganze Gegend war still und ruhig; der Mond schien durch dunkele Tannen und warf in der Ferne auf die schlanken Erlen am See ein ungewisses Licht; Schatten und Helle flohen und wechselten; Eichen und Buchen standen da in Glanz und helles funkelndes Grün gekleidet, auf jedem sanftzitternden Blatte schien ein Flämmchen zu brennen und durch die Nacht zu leuchten. Durch die verschränkten Zweige schlüpfte der Strahl des Mondes und spielte wallend und webend auf dem grünen Rasen; die ganze bekannte Gegend war durch die magische Beleuchtung fremd und unbekannt; die Birken am Abhang des Berges waren Wolken ähnlich, die in den ersten Strahl des Morgens getaucht aufwärts schweben; ihre weißen Stämme glichen Geistern, die ruhig durch die Wolkennacht den Berg erstiegen. Unken klagten aus fernen Teichen, eine Nachtigall sang aus dem Busche ihr entzückendes Lied, Feuerwürmchen schwebten wie kleine Sterne durch die Nacht und spielten fröhlich im weißen Strahl des Mondes.

Die kalte Verzweiflung Adalberts lößte sich bald in die Thränen der Wehmuth auf. — Wenn er jetzt den Tönen der Nachtigall folgte, wenn sein Blick durch den glänzenden Himmel dahin eilte, so schien ihm der ganze heutige Tag nichts als ein Traum zu sein. — Wie könnte Unglück diese schöne Welt entstellen? so dachte er und freute sich schon auf das angenehme Gefühl, wenn er aus diesem Traum erwachen würde.

Seine Phantasie begann ein bezauberndes Spiel mit den Strahlen des Mondes, sie zeichneten ihm im wankenden Grase das Bild seiner Emma, bald wie sie ihm froh entgegeneilte, bald wie sie kniend vor ihrem Vater lag und ihn um seinen Segen bat. In den wunderbaren Gebilden der mondbeglänzten Wolken sah' er bald Ungeheuer, die seine Emma verfolgten, dann sah' er sich selbst, wie er für sie kämpfte und siegte, — sie reichte ihm den Kranz der Belohnung, und der Kranz floß in einen glühenden Dolch zusammen; aber sein Auge verfolgte so lange das schwebende Wölkchen, bis er den Myrthen-Kranz in ihm wiederfand.

So schwärmte sein Geist in den süßesten Träumen umher, der Zorn Friedrichs lag ihm wie in einer weiten Ferne, reizende Bilder lebten und webten in seiner Seele und stellten sich lächelnd vor jede traurige Erinnerung, — als nach und nach der Mond erblich und über die fernen Hügel das erste graue Licht des Tages zitterte.

Plötzlich war der schöne Schleier zerrissen, der seine Schläfe so sanft umfing, alle Täuschungen der Phantasie sanken plötzlich unter. Die Sterne verloschen, die Nachtigall verstummte, eine heilige Stille in der Natur — und er fand sich und seine Verzweiflung wieder. Mit dem Tage kehrten alle Gefühle des Schmerzes in seine Seele zurück. Alle Phantasien entflohen, die Freuden sanken mit dem Monde unter und der kalte Morgenwind wehte ihm die schreckliche Überzeugung zu: Du bist unglücklich!

Wie oft habe ich sie nicht unter jenem Baume gesehn, — dachte er jetzt, — ich werde sie dort nicht mehr sehn! Mein erster Gedanke beim Erwachen war sie, wie freudig sucht' ich den ersten Blick ihrer Augen! — jetzt wird der bleiche Gram an meinem Lager sitzen, und mir bei meinem Erwachen die dürre Hand entgegenstrecken. — Ach, Emma! wirst du mich vergessen? — O noch einmal wünsch' ich sie zu sehn, sie an das Versprechen ihrer Treue zu erinnern. — Werde ich sie noch einmal sehn? Sie schläft vielleicht noch und ahnet nicht, daß sie meinen Abschied auf ewig verschläft. — Emma! Soll ich fortgehn ohne wenigstens aus ihrem Munde ein süßes: Lebewohl! mitzunehmen?

Er verzögerte seine Abreise, er hoffte noch immer, daß sie bei seinem Zimmer vorbeirauschen würde, wie sie oft am Morgen that; er horchte aufmerksam auf jeden Zug des Windes. — Schon hundertmal hatte er die Thür geöffnet und hundertmal trat er wieder in das Zimmer zurück; es fiel ihm jedesmal ein, daß er auf ewig Abschied nehme, daß er, wenn er aus der Thür getreten sei, vielleicht eben so aus dem Leben gehe, ohne sie wiederzusehen. — Eine Stunde nach der andern eilte hinweg, sie kam nicht, — da stieg die Sonne düster hinter schwarzen Wolken empor — wüthend öffnete er die Thür, schlug sie heftig zu und ging.

 


 

Adalberts Sinne waren verschlossen, er verließ die Burg wie ein Träumender. Kurd, ein Diener Friedrichs, kam ihm mit einem Pferde im Hofe entgegen und fragte ihn, ob er nicht aufsitzen wolle; aber Adalbert wies ihn mit bitterm Hohn zurück: Friedrichs Rosse sind zu edel für den Knappen Adalbert, ich bin kein Bettler, um ein Geschenk von ihm anzunehmen.

Seufzend schaute er nach Emma's Fenster empor, sein Blick haftete brennend auf der Stelle, wo er sie sonst so oft gesehen hatte; es war ihm, als müßte er sie wenigstens jetzt noch einmal sehen: er sah sie nicht. Schon kehrte er sich ungewiß wieder nach der Burg um, als ihm sein treuer Jagdhund entgegen kam und wedelnd zu ihm hinaufsprang. — Halb wider seinen Willen stieß er ihn zornig mit dem Fuße zurück. Der Hund legte sich traurig und schmeichelnd nieder und blickte bittend zu seinem Herrn empor. — Kann die Verzweiflung den Menschen so sehr verzerren? rief er aus; ja du treuer Gefährte, du sollst mich auf meiner Pilgerschaft begleiten; ich will ein Wesen neben mir haben, dem ich traurig in's Auge sehen kann, du sollst meinen Schmerz theilen, dich liebe ich noch, du bist kein Mensch!

Etwas leichter ging er über die Zugbrücke durch das äußere Thor. Er stand auf dem Wall und sah gedankenvoll und schweigend nach der Burg zurück. Der Himmel hing düster und schwarz über der Gegend, ein kalter Wind knarrte mit der Wetterfahne, die Wellen des Burggrabens plätscherten schwermüthig gegen die Mauer und sonderbar traurig tönte aus den Regenwolken der frohe Gesang einer Lerche herab. Mit wehmüthigem Vergnügen suchte Adalbert die Plätze auf, wo er als Knabe mit dem alten Wilibald gespielt, wo Friedrich ihn von der Erde emporgehoben hatte, wo er mit der kleinen Emma so oft herumgeschwärmt war, — wie war das jetzt alles so verändert! damals schien die Sonne so heiter, die Zukunft lag wie ein goldner Maihimmel ausgespannt vor ihm, — und jetzt! — Er dachte an Emma's Ahnungen, schwermüthig sah er nach jenem verdorrten Baum hin, dem traurigen Sinnbilde seines Lebens.

Einige Landleute zogen am gegenüberliegenden Berge zu ihrer Arbeit hinauf. Die Stiere keuchten unter dem drückenden Joch, und schleppten den heiserknarrenden Pflug hinter sich. Armseliges Menschenleben! rief Adalbert aus. Ein Tag kriecht hinter dem andern verdrossen einher, jeder Morgen röthet sich zur Arbeit; unglückliche Menschen! die bloß heute leben, um morgen eben so wie heut für einen andern Tag zu sorgen, die das unerbittliche Schicksal fest hält, dieses langweilige Spiel zu spielen.

Er eilte hinweg und stand nach langer Zeit an einer Waldecke plötzlich still, denn er erinnerte sich, daß man von hier aus die Gegend der Burg zum letztenmale sähe. Er blickte noch einmal mit der wehmüthigsten Empfindung zurück, alle Freuden seiner Kindheit und Jugend schienen ihm jetzt gestorben und hundert wohlbekannte Bäume und Felsen standen wie Leichensteine auf ihren Gräbern. Nach langem Hinstarren wandte er sich und ging, er kehrte sich noch einmal um; aber sie war verschwunden, der Wald hatte sich wie ein schwarzer Vorhang vorgezogen.

Adalbert vermied auf seiner Reise den Anblick der Menschen, er bahnte sich Wege durch einsame Wälder und wildes Obst und Waldwurzeln mußten seinen Hunger befriedigen. Er wollte niemanden Dank schuldig sein. Der Unglückliche glaubt sich so gern von der ganzen Menschheit gehaßt, er findet Trost in diesem Wahn und in der Freude die ganze Menschheit zu verachten. Diese Verachtung war die Begleiterin Adalberts und er reiste mehrere Tage ohne einen Menschen zu sehn oder ihn zu vermissen.

Die Sonne ging unter, ihre blassen Strahlen fielen gebrochen durch das grüne Dunkel und flimmerten sterbend auf den Wellen eines kleinen rieselnden Bachs. Adalbert setzte sich an das Ufer des Baches und dachte an die Vergangenheit. Der Wind spielte mit dem grünen Bande Emma's, das an seinem Arme flatterte. — Ha! du willst zu ihr zurück! rief er aus. — Nein, du mußt bleiben, denn deine Farbe ist ja die Farbe der Hoffnung. Wo die Blume der Hoffnung welkt, da sproßt der Schierling der Verzweiflung. Du bist das letzte, das einzige, was mir von Emma übrig blieb; wenn ich dich verliere, worauf kann ich dann noch rechnen? — Die erste Thräne seit seiner Verbannung fiel auf das grüne Band. — Unglückliche Vorbedeutung! fuhr er mit gepreßter Stimme fort. — Nur auf Thränen soll ich rechnen? Thränen sollen meine ganze Erndte sein. — Er trocknete sie ab, sie hatte den Ort gebleicht, wo sie hingefallen war. — Emma! rief er plötzlich aus, — die Farbe der Hoffnung schwindet! — Wenn du mich je vergessen könntest!

Er lehnte sich an eine Birke, die über ihm säuselte; die einförmige Melodie des Baches wiegte ihn mitleidig in einen leichten Schlummer, aus welchem ihn das Klirren von Schwertern wieder weckte. — Das graue Licht des Abends flatterte ungewiß um die Wipfel der Bäume und furchtbar tönte das Waffengeräusch durch die Einsamkeit.

Er sprang auf und zog sein Schwert, indem er dem Schalle folgte. Ein kleiner Fußsteig führte ihn auf einen freien Platz des Waldes, wo er drei Männer gegen einen Ritter kämpfen sah, der unerschrocken und kalt mit einem Heldenblick unter allen Gefahren dastand. Er stürzte hervor und schlug den nächsten Räuber mit aufgehabenem Schwerte nieder; in eben dem Augenblicke fiel der zweite von der Hand des fremden Ritters, zitternd warf der dritte sein Schwert von sich und entfloh in die Nacht des Waldes.

Willkommen! mein Erretter, rief der fremde Rittersmann, indem er Adalberts Hand herzlich schüttelte; seid mir willkommen! Euch verdank' ich mein Leben!

Dafür will ich Euch den Dank erlassen, antwortete Adalbert bitterlächelnd.

Bist du so mit dem Schicksal zerfallen? — fragte der Fremde, — daß das Leben seinen Werth bei dir verloren hat?

Adalbert. Verschont einen Unglücklichen; ihn um sein Unglück fragen, heißt ihm einen Schlag auf seine frische Wunde geben.

Der Fremde erhob das Visier des Räubers, den Adalbert erlegt hatte. — Ha! Manfred! rief er aus.

Manfred? schrie Adalbert. — Ja, bei Gott! Mußtest du mir hier deine Schuld bezahlen? — Nun wirst du nicht mehr die Veste Friedrichs berennen wollen. —

Kommt mit mir, junger Held, sprach der Fremde, begleitet mich zu meiner Burg, ich bin der Ritter von Löwenau, wenn euch mein Name nicht unbekannt sein sollte.

Sie gingen. — Ich kenne ihn, begann Adalbert, der schändliche Manfred hatte während Eures Aufenthalts in Palästina eure Ländereien in Besitz genommen.

Ja, und als er vernahm, daß ich zurückgekehrt sei, legte er sich mit seinen Gesellen in das Dickicht dieses Gebüsches, weil er wußte, daß mich meine Straße hindurchführte. Wir sind meiner Veste nahe, ich schickte daher mein Gefolge voraus und setzte allein meinen Weg fort. Ich ward überfallen und wäre ohne Euren tapfern Beistand verloren gewesen.

Sie traten aus dem Wald heraus und die Burg lag vor ihnen. Adalbert wollte gehn. Wohin? fragte Wilhelm von Löwenau.

Wo ich keinen Menschen, wo ich keinen Glücklichen sehe, antwortete Adalbert. Warum sollte meine Traurigkeit eure Freude stören?

Löwenau. Bist du ein Verbrecher? — Er ließ seine Hand fahren.

Adalbert. Nein, dem Himmel sei Dank!

Löwenau. Und willst doch der Verbrecher Schicksal theilen? Willst dich wie ein Vatermörder in Wälder und dunkle Hölen verkriechen? Willst den Anblick der Menschen fliehen, wie einer, den sein Gewissen auf die Folter spannt? — Der Unglückliche darf kühn emporblicken, die Schläge des Verhängnisses geben ihm ein Recht, allenthalben Liebe zu fordern. — Zögre nicht, wenn ich dich für einen braven Rittersmann halten soll. —

Adalbert bedachte sich noch; aber der Gedanke, für einen Frevler zu gelten, trieb ihn an, dem Ritter zu folgen.

 


 

In der Burg setzten sich beide an den Tisch und Löwenau beobachtete seinen Gast genau.

Fremdling, begann er, als ihre Mahlzeit geendigt war, ich habe dir viel zu danken, du scheinst ein edler Mann zu sein, nimm meine Freundschaft, meine Brudertreue an, und sage mir, kann ich etwas von meiner großen Schuld abtragen, kann ich dir helfen?

Adalbert. Du mir? — O Wilhelm, was kann menschliche Hülfe dem nützen, auf dem das Schicksal zürnt?

Löwenau. Das Schicksal? — Daß der Unglückliche doch so gern so stolz ist sich von der Gottheit verfolgt zu glauben! — Sei aufrichtig gegen deinen Freund. — Vielen ging dadurch alle Hülfe verloren, daß sie sich dem Freunde nicht vertrauten, und doch klagen sie nachher: ich bin verloren, Niemand will mir helfen! oder sie seufzen gar über ihr Schicksal, da sie doch selbst die Zügel ihres Lebens in den Händen halten. Glaube meiner Überzeugung, wir selbst regieren unser Schicksal, wir müssen nur nicht unthätig die Zügel fahren lassen, und sie voll Trägheit einer fremden Macht übergeben wollen. — Noch immer so stumm?

Ich will sprechen, antwortete Adalbert, denn du bist ein edler Mann, du denkst nicht wie die meisten Menschen, und darum will ich mich dir vertrauen, ob ich gleich vorher weiß, daß du mir nicht helfen kannst. — Er erzählte ihm die Geschichte seines Unglücks und schloß mit diesen Worten: Sieh, Freund, so elend hat mich die Liebe gemacht, durch sie bin ich verwaist und ohne Vaterland. Die Freude hat für mich ihre Thür auf ewig verschlossen; was hinter mir liegt ist Sonnenschein, vor mir dehnt sich eine unendliche Nacht aus. Die Welt ist für mich todt und ich bin der Welt gestorben, sie ist mir ein öder Strand, an den mich ein unglücklicher Schiffbruch warf; die einzige Hoffnung, die mir aus diesem Sturme übrig blieb, — ist das Grab, und diese Hoffnung kann mir, dem Himmel sei Dank, durch nichts entrissen werden, diese Zuflucht ist dem Unglücklichen gesichert.

Löwenau. Sollte sich aber ein so mannhafter Ritter, wie du, so unumschränkt von der Liebe beherrschen lassen?

Adalbert. O Ritter, nimm mir meine Liebe und du nimmst mir alles, was nicht an mir verächtlich ist. — Nur sie rief mich zur Tapferkeit, zur Menschlichkeit, in diesem reinen Feuer wurden alle meine Gefühle geläutert, und alle meine Tugenden sind nur der Widerschein der Liebe. Geht diese Sonne unter, so flieht auch der letzte erborgte Schimmer von dem Abendgewölk. Mit meiner Liebe stirbt alles in mir, was Mensch heißt.

Löwenau. Ich will dir glauben, denn ich habe noch nie geliebt, seit meiner Kindheit leb' ich im Geräusch der Waffen; ein schönes Pferd war für mich das Meisterstück der Natur, und ich verstand die Schönheit nur an Harnischen zu bewundern, — und du glaubst gewiß, daß es für dich in dieser Welt kein andres Glück als die Liebe giebt. —

Adalbert. Keines! versagte mir die Liebe ihren Kranz, so sind für mich alle Blumen in der Natur gestorben.

Löwenau. Und Emma ist das einzige Mädchen, das du je lieben kannst?

Adalbert. Ich würde mir selbst verächtlich sein, wenn ich sie nicht mehr lieben könnte.

Löwenau. Sie muß sehr schön sein. — Adalbert, ich will dir einen Vorschlag thun, den du aber nicht zurückweisen mußt. Schon während deiner Erzählung faßte ich einen Gedanken, der gewiß, so sonderbar er ist, auszuführen wäre. — Doch noch vorher ein Wort. — Du nanntest mir in deiner Erzählung den Namen Konrad von Burgfels; ich kann dir gewisse Nachricht geben, daß er in Palästina geblieben ist. Er fiel im Kampf an meiner Seite. Wie, wenn du jetzt, da dieses Hinderniß aus dem Wege geräumt ist, zu Friedrich von Mannstein gingest, und von neuem um seine Tochter anhieltest?

Adalbert. Um von neuem schimpflich zurückgewiesen zu werden? — Mein Stolz verbietet es, Emma auf diesem Wege zu suchen. — Deinen andern Vorschlag, er mag so sonderbar sein, als er will. —

Löwenau. Nun so will ich dir meinen ganzen Entwurf mittheilen, aber du mußt mich nicht unterbrechen, ehe ich geendigt habe. — Du bleibst hier auf meiner Burg und lebst in einiger Verborgenheit. — Ich will zu Friedrich von Mannstein reisen und um seine Tochter anhalten; er schlägt sie mir gewiß nicht ab, denn er kennt mich als einen der reichsten Ritter dieses Landes, auch ist mein Name in Schlachten nicht ganz unberühmt — Auf meine Ritterehre! auf meine Brudertreue! ich reise dann mit ihr hieher, wie ich sie aus der Hand ihres Vaters empfange; du bewohnst mit ihr dann diese Veste, oder eine andre, sie ist heimlich bis zum Tod ihres Vaters deine rechtmäßige Gemalin, nachher magst du sie auch öffentlich dafür erkennen. — Wende mir nichts ein, zu viel kann ich für dich nie thun. — Ich weiß, tausend Freunde an meiner Stelle würden nicht so handeln, und hundert Liebhaber würden sich bedenken, ihre Einwilligung zu geben; aber wenn du sie so liebst, wie du sagst, wenn Emma dich wirklich wieder liebt, so müßt ihr beide meinem sonderbaren Entwurf keine Bedenklichkeiten in den Weg legen, Ängstlichkeit darf kein Menschenglück verhindern. —

Adalbert. O wie soll ich dir danken? — Er umarmte ihn rasch und drückte ihn heftig an seine klopfende Brust. — Bruder, du bezahlst, wie man einem Bettler eine Wohlthat vergilt. — Wie wenig ist ein Leben ohne Liebe gegen die Krönung der feurigsten Wünsche?

Löwenau. Du traust doch meiner Redlichkeit?

Adalbert. Verdiente ich sonst wohl den Namen deines Freundes?

Löwenau. Auch keiner meiner Blicke soll sich feurig zu deiner Emma verirren.

Beide waren so munter, daß sie sich nicht schlafen legen mochten; sie tranken die Nacht hindurch und überdachten noch mehr ihren Entwurf. Adalbert lächelte wieder und Löwenau versprach alles für seinen Freund zu unternehmen.

Als die Morgenröthe durch die Bogenfenster dämmerte, ließ sich Wilhelm ein Roß satteln, und sprengte davon. Adalbert sahe ihm lange nach, bis der Ritter mit seinem Knappen in einen Wald verschwand.


Der Liebende, der noch gestern das Schicksal anklagte, und sich den Unglücklichsten aller Sterblichen nannte, eilte froh so in die Burg zurück, als wenn sein Glück schon entschieden wäre. Er sahe wieder die Möglichkeit, glücklich zu werden, und eine kühne Hoffnung riß ihn um so höher wieder empor, je tiefer ihn vorher das Unglück gestürzt hatte. Er athmete wieder frei und unbesorgt, und dachte an den morgenden Tag mit eben der Unbefangenheit, mit der ein Knabe an ihn denkt, der vom Spiele auszuruhen kömmt.

Er ging durch die Burg, um sich mit allen Zimmern bekannt zu machen, er dachte sich schon Emma in die Säle, setzte sich in einen Sessel, und träumte sich Emma in den neben ihm stehenden. In jedem Gemälde suchte er mühsam die Züge zusammen, die auch nur die entfernteste Ähnlichkeit mit dem Gesicht seiner Emma hatten. Nur selten und schwach stieg der Zweifel an die glückliche Ausführung des Entwurfs seines Freundes in seiner Seele auf; er schien so unbesorgt, als wenn er mit dem Schicksal einen Vertrag geschlossen hätte.

Die Welt trat wieder aus dem Schatten hervor, die Natur blühte für ihn von neuem, ein neuer Frühling sank aus dem Morgenhimmel der Hoffnung nieder, und goß um jede Pflanze einen goldenen Schimmer; tausend schöne Träume tanzten um ihn her und reichten ihm ihren Nektarbecher; alle seine Sinne waren dem Gefühl der Freude aufgeschlossen.

Wie ein Genesender die Rückkehr seiner Kräfte fühlt, wie ein sanfter Purpur wieder über die bleichen Wangen schleicht, in den erstorbenen Augen das erste Feuer zuckt, so fühlte sich Adalbert jetzt wieder mit der Welt, mit allen Menschen ausgesöhnt; er empfand, daß er itzt Niemand hasse, oder auch nur hassen könne; in jedem Wesen ahnete er den Geist der Liebe, er hätte die ganze Natur an sein Herz drücken mögen.

So schwelgte er in den Armen der Hoffnung, er verlebte an dem Busen der holden Betrügerin Stunden, die unendlich mehr Freuden gewähren, als die Stunden des Genusses. — Der Knabe steht vor einer grünen Anhöhe, die ein goldnes Morgenroth beglänzt, durch die grünen Büsche funkelt freundlich der Flammenschein; er ersteigt den Berg, in die bezaubernde Gegend zu kommen, — aber die Sonne ist indeß heraufgekommen, der lockende Schimmer verschwunden.

Adalbert wäre auch ohne Emma nie unglücklich gewesen, wenn er nur immer so hätte hoffen können.

 


 

Friedrich von Mannstein hatte indeß in einer traurigen Einsamkeit gelebt. An jenem Morgen schon, an welchem Adalbert die Burg verließ, war es sein erster Gedanke, seine Verbannung zu widerrufen; aber Niemand wußte, welchen Weg Adalbert genommen hatte. Emma war untröstlich, als sie seine Abreise erfuhr.

Sie hatte sich so an Adalbert gewöhnt, daß sie sich ohne ihn ihr Dasein gar nicht denken konnte: er war der Gespiele ihrer Kinderjahre gewesen, sie hatte nur immer für ihn gelebt; seit sie gewünscht hatte, war er das Ziel aller ihrer Wünsche, denn in der Einsamkeit erzogen, hatte sie nie einen schönern Mann gesehen. — Sie dachte sich alles zurück, was sie mit Adalbert genossen und gelitten hatte, sie hatte so süß geträumt und unbarmherzig hatte sie das Unglück aus allen goldnen Phantasien gerissen, und vor ein wüstes Meer gestellt, in dem sich nichts als schwarze Wolkengebilde spiegelten. — Sie fiel nach und nach in eine Art von Betäubung, aus der sich der Geist zur Verzweiflung oder zur Versöhnung mit der Welt ermannt. Bei dem Mädchen, deren jugendliche Phantasie vor dem Bilde des Todes zurückschauderte, war das letzte der Fall, so sehr sie auch anfangs dagegen kämpfen wollte; aber der Schmerz hatte sie ermüdet, sie hatte das Maas der Traurigkeit erschöpft. Ihr Gram ward gemäßigter und sie fing ihre weiblichen Arbeiten wieder an, mit dem Vorsatz, ihren Kummer auf andre Stunden zu verschieben. Zwar flossen noch ihre Thränen sehr oft, wenn sie auf die Erinnerung Adalberts geleitet ward, aber es waren nicht mehr die heißstürzenden Thränen, die die Kinder des tauben Schmerzes, der Verzweiflung sind, bei denen der Leidende in der Natur nichts als sich und sein Unglück sieht; es waren die Thränen der Wehmuth, die auch oft nach Jahren noch fließen. Als sie zum erstenmal wieder lächelte, zürnte sie heftig auf sich selbst; das zweitemal zürnte sie nicht, aber sie nahm sich vor nicht wieder zu lächeln, und nachher glaubte sie, man könne doch trauern, ohne im Äußern die Zeichen der Traurigkeit anzunehmen. Friedrich schien den Kummer seiner Tochter nicht zu bemerken, und dies war eine Ursach mehr, die sie bewegte, ihn zu unterdrücken. Hätte er von Adalbert gesprochen, so hätte sie Muth gefaßt, ihm ihre Liebe zu gestehn, und sie hätte einen Theilnehmer, einen Vertrauten ihres Schmerzes gefunden. — So verwandelte sich Emma's Gram nach und nach in Wehmuth. So steigt die Leidenschaft vom höchsten Gipfel der Leiter eine Stufe nach der andern herab, bis dahin, wo sie nicht mehr Leidenschaft ist. Emma wehklagte nicht mehr über den Verlust eines Geliebten, sie war nur noch wegen eines abwesenden Freundes bekümmert.

Sie fühlte lebhafter, aber nicht so tief als ihr Vater; dieser war daher am ersten Tage nicht so traurig, als an den folgenden. Sein Kummer nahm fast in eben dem Grade zu, in welchem der Gram seiner Tochter sich milderte; denn er empfand itzt erst, wie viel er an Adalbert verloren habe. Ihm war ein Sohn abgestorben, und diesen vermißte er weit mehr, als er je vorher würde geglaubt haben. Er war jetzt stets allein, wenn er nicht in Emma's Gesellschaft war, denn Konrad von Burgfels hatte ihn noch nicht wieder besucht.

So stand die Veste Mannsteins einsam und verlassen, seit dem Tode der Mutter Emma's war diese Gegend nicht so öde und still gewesen. Dieser Einsamkeit überdrüssig, beschloß daher Friedrich ein kleines Fest anzustellen, welches ihn wieder an die Thaten seiner Jugend und seines männlichen Alters erinnerte. Er lud mehrere Ritter aus der Nachbarschaft ein, ließ einen grünen Platz vor der Burg zu einem Turniere einrichten, und Schranken setzen. Ein Paar goldene Sporen waren der Dank des Siegers, Emma sollte ihn überreichen.

Am Tage des Turniers erschien Konrad von Burgfels auf Friedrichs Veste, aber stiller und verschlossener als je. — Was ist dir, Konrad? fragte Friedrich ihm entgegeneilend. — Bist du krank?

Wollte Gott, ich wär' es! antwortete Konrad.

Friedrich. Was fehlt dir Freund? Dir ist ein Unglück begegnet. —

Konrad. Ach! Friedrich! — siehst du, ich hatte wohl Recht; falle nieder und danke, daß dir kein Sohn geboren ist, — ich hatte Recht.

Friedrich. Dein Sohn —

Konrad. Schläft in Palästina den eisernen Schlaf. — Friedrich, nun werden die Fahnen meiner Burg ewig »Karl« rufen, und trauriger als je, — mein Geschlecht ist ausgestorben. — Nun werde ich nicht mehr nach jenen Berg hinblicken, denn ihn werde ich nie heruntersprengen sehn mit einer erbeuteten Fahne; — mußte er gerade fallen? — Der einzige Sohn, der einzige Trost eines alten Vaters? Mußte ihn gerade der schadenfrohe Tod erwürgen? — Nun kann ich ihn nicht anders als in meinen Träumen sehn.

Friedrich. Tröste dich. Wer kann wider den murren, der das Leben giebt und nimmt? — Laß ihn, wer als Jüngling stirbt, der hat nur das Schöne dieser Welt genossen, alle ihre Leiden sind ihm vorübergegangen. Wie viele Greise wünschen nicht, als Jünglinge gestorben zu sein. — Zu viele Klagen über seinen Tod ist Gotteslästerung. —

Konrad. Wie gut doch die Reichen immer über Ertragung der Armuth zu predigen wissen! — Du bist noch im Besitz deiner Schätze, du ersteigst einen Hügel, auf dem die Aussicht umher immer schöner und schöner wird, oben entschlummerst du vom Strahl eines schönen Abends beleuchtet in den Armen deiner Kinder und Enkel; — ich gehe den Berg hinab, einsam und ohne Gefährten, in das enge schwarze Thal des Todes.

Friedrich. Auch ich habe einen Sohn verloren.

Konrad. Du?

Friedrich. Adalbert. — Er erzählte ihm die Geschichte seiner Verbannung.

Friedrich, begann Konrad, als der Ritter geendigt hatte, — rufe ihn zurück, mache ihn durch Emma glücklich, mache dich selbst in der Freude deiner Kinder glücklich. Ich habe nie so lebhaft gefühlt, was das eigentliche Glück des Lebens sei, als itzt, da ich keine Rechnung mehr darauf machen darf. Ach! Freund, Ehre, Geburt, Schätze, — betrügerische Schatten die uns necken, indeß das wahre Glück mitleidig lächelnd hinter unsern Rücken entflieht. — Wie gern möcht' ich mir durch meine Burgen, meine Ahnen, meinen Ruhm einen Sohn erkaufen können! unberühmt, arm und ohne Ahnen würd' ich mich doch von der ganzen Welt beneidet glauben. — Friedrich, folge meinem Rathe.

Friedrich. Wenn er hier wäre! — Niemand weiß, wohin er sich gewandt hat. —

Indeß waren die geladenen Ritter angelangt und Emma trat in ihrem festlichen Schmucke zu ihnen. Sie schien sich selbst zu gefallen.

Alles schickte sich zum Turnier an, die Ritter begaben sich in die Schranken und eine Menge Zuschauer aus der benachbarten Gegend versammelte sich. Emma saß auf dem Altan der Burg, die Kampfrichter gingen zu ihren Sitzen und zu diesen schlichen sich auch Konrad und Friedrich, unwillig daß ihren Armen die Schwerter und Lanzen zu schwer geworden.

Die Trompete des Herolds erschallte und das Turnier nahm seinen Anfang, als auf einem schwarzen muthigen Rosse sich ein stattlicher Ritter den Schranken näherte. Er ward eingelassen und zog sogleich die Augen aller Anwesenden auf sich — Emma verglich ihn in Gedanken mit Adalbert, der weniger groß, nicht diesen majestätischen Anstand hatte. Sie gestand sich, der Fremde sei schöner als Adalbert und alle ihre Wünsche erflehten ihm den Sieg. — Konrad dachte an seinen Sohn und seufzte.

Der fremde Ritter schwang seine Lanze mit einer Leichtigkeit, welche zeigte, daß ihm dieses Spiel nicht unbekannt sei. Er betrachtete Emma genau, er hatte sie sich dem allgemeinen Rufe nach schöner gedacht, ja eine vollkommene Schönheit erwartet; er fand sich sehr getäuscht; aber doch zog ein unbeschreibliches Etwas ihres Gesichts seine Blicke stets wieder nach ihr zurück, er fing an zu glauben, daß eine vollkommene Schönheit für das Herz selten so gefährlich sei, als ein anziehender Blick und ein Mund, um den Gram und Heiterkeit stets zu kämpfen scheinen. — Emma schlug einigemal die Augen nieder und erröthete. —

Das Turnier war geendigt, dem fremden Ritter ward einstimmig der Dank zuerkannt, er kniete nieder und empfing ihn aus der zitternden Hand des Fräuleins. — Er öffnete sein Visir, es war Wilhelm von Löwenau.

Emma's Blicke trafen auf die schwarzen feurigen Augen des Ritters und sanken in eben dem Augenblick beschämt auf ihr Busentuch; sie fühlte, daß in diesen Blicken etwas mehr als Neugier gelegen habe, aber doch konnte sie sich nicht enthalten, die Augen noch einmal aufzuschlagen, um den Anblick der vollkommnen männlichen Schönheit zu genießen. Löwenau kniete noch immer zu ihren Füßen und verschlang sie mit seinen Augen; das Geschmetter der Trompeten weckte ihn endlich aus seinem süßen Rausch und er erhob sich.

Friedrich eilte auf ihn zu und umarmte ihn, auch die übrigen Ritter begrüßten ihn und man begab sich zur Tafel.

Wilhelm von Löwenau saß als Sieger obenan und ihm gegenüber die schüchterne Emma, die jeden Gedanken an Adalbert zu verbannen suchte. — Löwenau aß und trank nur wenig, er schien unruhig und nachdenkend. Jeden Blick Emma's begleitete er und verweilte mit seinen Augen oft lange auf ihr. — Das Mahl war geendet, Emma ging in ihr Gemach und man brachte den Rittern die Pokale. Löwenau stand auf und ging in den Burggarten.

 


 

Mit niedergesenktem Haupte und verschlungenen Armen ging er hastig auf und ab, als ob er einen verlornen wichtigen Gedanken wiedersuche. — Er stand still, lehnte sich an einen Baum, und sahe mit einem wehmüthigen Blick nach den Fenstern der Burg hinauf, auf denen schon der sanfte Schimmer des Abends zitterte. Emma stand von ohngefähr an ihrem Fenster und ging wieder zurück, als sie den Ritter erblickte.

War das nicht Emma? rief er aus. — Warum klopft mein Herz ungestümer bei dem Gedanken? — Emma. — Wie gleichgültig tönte mir noch gestern dieser Name! Welche verborgene Zauberei hat sich in den Klang gemischt, daß heut mein Blut ihm schneller hüpft? Ist dieß Liebe, Wilhelm?

Nein, nein, sie ist die Verlobte meines Freundes, meines Erretters. — Es kann nicht Liebe sein. Liebe, sagt Adalbert, macht menschlicher, wohlwollend gegen jedes Geschöpf, und ist mir doch, als ob ich den Namen Adalbert haßte seit ich den Namen Emma liebe! — Nein, es ist nur Zuneigung, nur der erste starke Eindruck, den jeder neue Gegenstand macht. — Zuneigung? Mehr nicht? Und warum konnt' ich es nicht über mich gewinnen, ein Wort mit dem Ritter zu sprechen, der neben ihr saß? Wie konnt' ich ihn beneiden, daß ihn der Saum ihres Kleides berühre? Warum haßte ich jeden, den nur einer ihrer holdseligen Blicke traf? Was machte mich glühend heiß, wenn ihr Auge auf mir verweilte? — Freundschaft ist dieß Gefühl nicht, wenn es nicht Liebe ist, so bin ich wahnsinnig! — ist es aber Liebe, so soll Adalbert sehen, wie ein Mann eine Leidenschaft besiegt.

Besiegt? als ob hier schon etwas zu besiegen wäre. — Als ob es schon ausgemacht wäre, daß ich sie liebte! — Es kann, es darf nicht sein. Ich will mich mit aller meiner Männlichkeit panzern; sie gehört Adalbert, er liebt sie, sie ihn, ich habe sie ihm versprochen, — ein Mann, ein Ritter muß auf sein Versprechen halten und wenn er selbst darüber zu Grunde ginge.

Er eilte in die Burg zurück, und freute sich dieses Sieges.

 


 

Emma hatte sich indeß einigemal wieder dem Fenster genähert, ohne von Löwenau bemerkt zu werden. Sie konnte den schönen Mann nie ohne eine gewisse Theilnahme sehn und diese Theilnahme ging sehr bald in den Wunsch über: wenn dieser dich liebte! Ohne es selbst zu wissen, spann sie denn diesen Traum weiter aus, und die spielenden Phantasieen schlossen mit der Frage: Du liebst ihn also?

Sie erschrak nicht mehr über diese Frage, schon während der Mahlzeit hatte sie sich an diesen Gedanken gewöhnt. — Ganz leise fing ihr Herz an diese Frage mit Ja zu beantworten; sie hatte ihn schon geliebt, ehe sie noch die Möglichkeit dieser Liebe dachte, itzt gab sie erst zu dieser Liebe nur noch ihre Einwilligung. Dieß war der erste Augenblick, in welchem sie eine Art von Freude darüber empfand, daß Adalbert nicht in der Burg zugegen sei, das Andenken seiner Liebe lebte nur noch ganz schwach in ihrer Seele, nur wie die Erinnerung des gestrigen Abendmahls beim majestätischen Aufgang der Sonne. Sie fühlte, daß sie ihren Adalbert noch lange nicht so geliebt habe, als sie lieben könne, ja sie fing so gar an, sich ihre Gefühle abzustreiten, er war wie sie jetzt glaubte, nur ihr Freund gewesen. Durch die Erscheinung Löwenau's war überhaupt auf sein Bild jener Schatten der Gleichgültigkeit zurückgeworfen, aus dem die Liebe den geliebten Gegenstand an das hellste Licht hervorzieht. Alle Vollkommenheiten, die sie einst an Adalbert bewunderte, fand sie ungleich vollkommner an Löwenau wieder und jener behielt am Ende nichts als seine Fehler, die sie sonst immer zu seinen Vorzügen gerechnet hatte; und da man auch andre gern seiner eignen Fehler wegen anklagt, so glaubte sie darin, daß er nicht wenigstens Abschied von ihr genommen habe, einen Beweis zu finden, daß auch er sie nie geliebt habe. — In dieser Voraussetzung fand sie sehr viel Beruhigendes, und darum ward sie endlich Überzeugung.

Die Liebe stimmt die Empfindung feiner und roher, erhabner und niedriger; den vorher gemeinen Menschen erhebt sie oft zum Edelmuth; der Edle sinkt zum Gemeinen hinab, ein und ebenderselbe Gesang, der auf jedem Instrument in andern Tönen lebt. Was Emma sonst immer mit Verachtung angesehn hatte, schien ihr itzt wichtig; der geschmückte Löwenau gefiel ihr um ein großes Theil mehr als er ihr ohne Schmuck würde gefallen haben, sie gestand sich dieß Gefühl, und beschloß von jetzt an auch auf ihren Putz mehrere Aufmerksamkeit zu wenden. Sie sahe sogar die Erinnerung an Adalbert darum etwas gleichgültiger an, weil er nur ihres Vaters Knappe gewesen war.

Löwenau wollte eben durch den großen Gang in die Versammlung der Ritter gehn, als Emma, vielleicht zufällig, vielleicht mit Vorsatz, weil sie ihn hatte zurückkommen sehn, aus dem Gemache trat.

Ihr hier, Fräulein? rief Löwenau etwas hastig.

Sie wurde roth, denn sie glaubte in diesen Worten und in der Art, wie er sie sprach, einigen Unwillen des Ritters zu entdecken, oder den Gedanken, sie sei seinetwegen gekommen. — Um in den Garten zu gehn, antwortete sie, indem sie rasch vorbeihüpfen wollte. —

Ihr flieht mich? sprach der Ritter.

Euch fliehen? Dann müßtet Ihr nicht der Ritter Löwenau sein. —

Sie waren beide an ein Bogenfenster getreten und der Schein des Abends überflog mit freundlicher Röthe das Gesicht des Mädchens. —

Fräulein, — fing der Ritter nach einigem Stillschweigen an, die Sonne nimmt durch einen holdseligen Kuß von Euch Abschied, um Euch morgen wieder mit einem Kusse zu wecken. — Um Euer Antlitz zittert ein blasser Flammenschein, man sollte Euch für eine Heilige halten.

Daß Ihr nur nicht in die Versuchung kommt, mich anzubeten, erwiederte Emma schalkhaft.

Löwenau. Und wenn ich nun in die Versuchung käme? — Würdet Ihr mein Gebet erhören, schöne Emma? —

Emma. Ich müßte erst wissen, um was Ihr mich bitten wolltet. — Sie sprach diese Worte leise und mit zitternder Stimme, denn sie fürchtete und hoffte viel.

So bitt' ich Euch, sprach Löwenau, nicht so schnell von mir in den Garten zu eilen.

Nicht mehr als das? rief Emma schnell, und mit einem kleinen Unwillen über ihre getäuschte Erwartung. —

Löwenau. Wenn Ihr so gütig seid, mein Fräulein, so werdet Ihr mich leicht zu einem ungestümen Bitter machen.

Emma. Was könntet Ihr noch mehr wünschen? —

Löwenau. Euch sehen und nicht wünschen? —

Emma. Ihr sprecht in Räthseln.

Löwenau. Daß Euer Herz sie verstehen wollte!

Emma sahe starr vor sich hin. Löwenau's Augen wurzelten auf ihrem Antlitz, er zitterte, eine niegefühlte Empfindung bebte durch seinen Körper, wie mit Ketten riß es ihn zu Emma hin, er umarmte sie plötzlich und sprach mit leiser unterdrückter Stimme: Emma, ich liebe dich! —

Betäubt hing er an ihrem Halse, Emma sprach nicht, eine von seinen Händen lag in der ihrigen, sie drückte sie schweigend.

Liebst du mich? rief er, wie aus einem Traum erwachend. — Ein leises flüsterndes »Ja,« nur der Liebe hörbar, flog ihm entgegen.

Sein Gesicht sank auf das ihrige, er drückte einen brennenden zitternden Kuß auf ihre Lippen, — kein Gedanke, kein Gefühl, keine Erinnerung trat vor seine Seele, als daß er sie in seinen Armen halte; selbst daß sie ihn liebe, hatte er vergessen. —

Emma erholte sich zuerst aus ihrer Betäubung, noch einen Kuß drückte sie auf seine Lippen, und flohe dann zitternd in ihr Gemach, wo sie sogleich athemlos auf einen Sessel niedersank, als würde sie von einem Ungeheuer verfolgt. Löwenau starrte ihr nach, bis der letzte weiße Schimmer ihres Gewandes verschwand; lange noch blieb sein Auge unbeweglich auf einen Punkt geheftet, als wäre ihm ein Gespenst begegnet.

Endlich ging er in den Saal, wo alle Ritter noch fröhlich bei den Pokalen saßen; selbst Friedrich und Konrad hatten ihre verlornen Söhne vergessen.

Löwenau wandelte wie im Traum und beantwortete jede Frage nur unvollständig. — Friedrich glaubte, er sei von der Reise und vom Turnier ermüdet und ließ ihn durch einen Diener auf sein Zimmer führen. Auch die übrigen Ritter gingen aus einander. — Löwenau entschlief, als sich seine Phantasie müde geschwärmt, und seine Leidenschaften in Erschöpfung gekämpft hatten.

 


 

Als er am Morgen erwachte, war Adalbert und sein Versprechen sein erster Gedanke. Furchtbar trat diese Erinnerung auf ihn zu, und mahnte ihn schrecklich, auf dem Wege nicht fortzuwandeln, den er zu betreten angefangen habe. — Aber wie war es möglich rückwärts zu gehn? Er hatte ihr seine Liebe gestanden, und sie, daß sie ihn wieder liebe. Wenn dieß Geständniß nicht über seine Lippen geschlüpft wäre, so hätte er gegen seine Leidenschaft noch kämpfen können; jetzt aber würde er sich und Emma zugleich unglücklich gemacht haben. — Er überließ sich und sein Schicksal endlich ganz und gar der Zeit, wenigstens verschob er alles Nachsinnen, alle Entschlüsse bis auf jene Stunde, in welcher er bei dem Vater um sie anhalten wollte. — Weiß ich doch noch nicht gewiß, ob sie mir der Vater nicht abschlägt; geschieht es nicht, nun so kann ich ja auch dann noch immer für Adalbert handeln. — Mit diesen Täuschungen beruhigte er die Vorwürfe, die er in dem Innern seiner Seele fühlte.

Emma und Wilhelm waren sich bald nicht mehr fremd, das vertrauliche Du verdrängte bald die fremde steife Höflichkeit; denn Löwenau verachtete alle Zurückhaltung, alles Verschließen in sich selbst; er glaubte, es zieme dem Mann, stets gerade und offen zu handeln, keinem ungeprüft zu mißtrauen, von jedem Unbekannten das Beste zu denken, und ihn als Freund zu behandeln. So war Wilhelm der Freund der ganzen Welt. — Emma, die nie die Burg ihres Vaters verlassen hatte, die fast immer nur mit Geschöpfen ihrer Phantasie umgegangen war, besaß noch weniger Zurückhaltung; sie äußerte sich ganz so, wie sie war, kannte Verstellung kaum dem Namen nach, und traute jedem offenen Gesichte.

Er sprach itzt zuweilen von Adalbert, und sie gestand ihm, daß sie ihn nie geliebt habe. Sie glaubte es jetzt. — Löwenau fühlte sich durch diese Erklärung glücklich. — Beide waren sich bald unentbehrlich, und Löwenau gab den Einladungen Friedrichs, da die übrigen Ritter die Burg verließen, sehr gern Gehör. Wenn er jetzt nicht bei Emma war, war er sich selbst zur Last; jede Beschäftigung machte ihm Langeweile, und doch verlegte er die Stunde immer von einem Tag zum andern, in welcher er bei Friedrich um sie anhalten wollte; denn er fühlte sich in der Täuschung etwas beruhigt, daß er noch immer nicht gegen Adalbert handle.

Emma war jetzt liebenswürdiger als je; der leichte Gram um Adalbert hatte ihr manches von ihrer Lebhaftigkeit genommen, sie war jetzt mehr eine stille, leidende Schönheit, die sich um so reizender an den stärkern Mann anschließt und hinter seiner Brust einen Schirm gegen alle Stürme des Schicksals sucht. Ihre neue Liebe hatte ihr einen seelenvollen Blick gegeben, in welchem ein schönes Feuer brannte. — Der heftige Löwenau liebte sie bis zur Anbetung, denn es war seine erste Liebe. —

Endlich aber fand er doch diese Lage peinlich, er beschloß noch heute mit sich und Adalbert Abrechnung zu halten, noch heute bei dem Vater um sie zu werben. Er ging zum alten Friedrich, den er in einem Sessel nachdenkend im Saale fand. — Woran denkt Ihr, Ritter? redete er ihn an.

Friedrich. Bei mir ist ja leider die Zeit gekommen, wo ich nur noch in der Erinnerung leben kann; die Zeit der Thaten ist verschwunden.

Löwenau. Aber könnt Ihr nicht auch in der Zukunft leben?

Friedrich. In der Rückerinnerung lernen wir mehr, nur Thoren sind in der Zukunft zu Hause. — Wenn man seinen ganzen Reichthum anwendet, in jenem goldnen Lande Palläste aufzubauen, und ein Windstoß sie alle niederreißt: wohin soll dann der verarmte Pilger fliehen? — Über dem Lande der Zukunft liegt ein dicker Nebel; oft scheint uns aus der Entfernung etwas ein Schloß zu sein, und wenn wir näher kommen, ist es eine überhangende Klippe, die sich im nächsten Augenblick auf unser Haupt herabwirft. —

Löwenau. Ihr wollt also nicht hoffen?

Friedrich. O ja, aber die Hoffnung, jene Betrügerin, nicht zu meiner täglichen Gesellschaft machen. Das größte Glück erscheint klein, neben dem Bilde, das uns die Hoffnung vorhielt.

Löwenau. Die Hoffnung trägt für Euch die Gestalt Emma's, und eine solche Tochter — —

Friedrich. Je besser sie ist, desto mehr hab' ich zu fürchten, und je mehr ich sie liebe, je mehr verlier' ich in ihr. Alles wär' mit ihr dahin! Ich wünsche nichts, als sie glücklich zu sehn; dann werde ich es auch sein.

Löwenau. Habt Ihr noch auf keinen Eidam gedacht?

Friedrich. Er schläft in Palästina, Konrad von Burgfels, ihr mußt ihn gekannt haben, — ein anderer, — o ich mag nicht gern daran denken! — ein gewisser Adalbert liebte sie, ich schlug sie ihm ab; wäre er jetzt hier, sie wäre sein. —

Löwenau schwieg, und sahe düster vor sich nieder. Ein gewisser — Wollt Ihr sie keinem Ritter von berühmtem Hause geben? fragte er endlich.

Friedrich. Wer weiß ob sie mit einem solchen glücklich wäre?

Löwenau. Wenn er sie, wenn sie ihn liebte?

Friedrich. Dann würd' ich mich keinen Augenblick bedenken.

Löwenau kämpfte jetzt einen schweren Kampf, sein Edelmuth und seine Liebe rangen hartnäckig mit einander; oft wollte er den Namen Adalbert aussprechen, aber der Name starb auf den Lippen bei dem Gedanken an Emma. — Die Liebe blieb Siegerin. — Würdet Ihr mich als Eidam verschmähen, Ritter?

Friedrich. Euch? — Ist das Euer Ernst?

Löwenau. Könntet Ihr mir jetzt wirklich Scherz zutrauen?

Friedrich. Sie ist Euer, wenn sie Euch liebt.

Löwenau. Dafür kann ich Bürge sein. —

Friedrich. Nun so darf ich doch endlich hoffen, ein glücklicher Vater zu werden; ich zweifelte schon daran, denn man muß sich gewöhnen, an allem in dieser Welt zu zweifeln, was dem Glücke ähnlich sieht.

Löwenau. Ihr seid heute besonders traurig gestimmt. —

Friedrich. Ich will es nicht länger bleiben, mein Eidam muß nicht glauben, daß er an mir einen mürrischen Vater erhält.

Die Ritter sprachen noch lange zusammen; Friedrich ward sehr heiter, Löwenau ging endlich spät in sein Schlafgemach.

Sie ist mein! rief er aus. — Unwidersprechlich mein. — Itzt sei es fest beschlossen. — Sie ist mein, Adalbert! und sollt' ich darüber mein Leben, welches ich dir danke, gegen dich auf's Spiel setzen müssen. Die Freundschaft sterbe für die Liebe. Sie liebt ihn nicht; sie wäre unglücklich, und — bei allen Heiligen! — sie verdient es nicht zu sein. Auch er wird sie vergessen, — oder mein Leben — ein nichtiges Geschenk ohne sie, zurückfordern. Mag er! ich werde es vertheidigen, denn jetzt ist es Emma's Eigenthum. Der große Vertrag mit seinem Gewissen war bald von der Leidenschaft abgeschlossen; ihre Sprache hielt er für die Stimme der unpartheiischen Wahrheit, und schlief zu glücklichen Träumen ein.

 


 

Emma! du bist mein! dein Vater hat dich mir zugesagt, du mein! ich dein! so rief Löwenau als er in Emmas Zimmer trat und in ihre Arme eilte. — Jetzt kann uns nichts in der Welt von einander reißen.

Emma. Ich dein? du mein? —

Löwenau. Nur etwas mangelt unserm Glück und dieses Wort umfaßt noch mehr.

Emma. Was könnte dieses Etwas sein?

Löwenau. Daß Adalbert alle seine Rechte auf dich aufgiebt; so lange wir noch fürchten müssen, daß er zwischen unsre Umarmungen tritt, so lange sind wir nur halb glücklich. — Emma, ich weiß den Ort seines Aufenthalts, schicke ihm durch einen Bothen nur wenige Worte, die ihm sagen, daß du ihn nicht mehr liebst, daß er jeden Gedanken an dich vergessen solle, daß du mein seist. — Ich bitte dich darum, Emma. Dann wollen wir uns ohne alle Besorgnisse ganz dem Glück unsrer Liebe überlassen, dann soll keine ängstliche Furcht uns nahe treten, dann will ich es trotzig mit der Zeit aufnehmen, ob sie durch unzählige Jahre im Stande sei, meine Liebe zu schwächen.

Emma gab sehr leicht ihre Einwilligung, auch Löwenau setzte sich und schrieb diesen Brief:

Adalbert!

Mein Versprechen ist gebrochen! rechte mit dem Schicksal und nicht mit mir! Ich bin unschuldig. — Engel gaben der Versuchung nach und verspielten ihr ewiges Glück; ich bin nur ein schwacher Mensch, mag der Verlust Deiner Freundschaft meine Schwäche bestrafen. — Emma gehört Dir nicht mehr, sie ist mein, mir von ihrem Vater und der Liebe zugesagt. Zweifle nicht Adalbert, sie liebt Dich nicht, sie hat Dich nie geliebt. Alle Deine Hoffnungen sind durch mich gemordet; ermorde mich, wenn Du Dich rächen mußt; aber ihren Besitz wirst Du mir nie streitig machen. Gieb sie verloren Adalbert, sie kann in Ewigkeit nicht die Deinige werden. Ich bin der Hüter dieses Schatzes; wer ihn erlangen will, muß mich erst tödten.

Löwenau.

Emma hatte indessen einige Worte geschrieben, die sie ihm gab. Er legte sie in seinen Brief und siegelte ihn.

Ritter,

Vergeßt mich, so wie ich Euch vergessen will, denkt an mich stets wie an einen verstorbenen Freund; ich bin die Verlobte eines Ritters und darf mich daher nicht mehr nennen:

Eure Emma.

Löwenau gab die Briefe seinem Knappen Franz, der ihn nach Mannstein begleitet hatte. Dieser ritt noch an eben dem Tage fort, um so früh als möglich auf der Burg Löwenau's anzukommen.

Friedrich und Löwenau dachten itzt nur an das Vermählungsfest, welches sie recht glänzend zu machen beschlossen. Emma war in den Armen ihres Geliebten so glücklich, als man es auf dieser Welt sein kann.

 


 

Adalbert lebte während dieser Zeit noch immer unter seinen schönen Hoffnungen und erwartete täglich die Bothschaft seines Glücks. Sein vergebliches Warten machte ihn nicht traurig, nur verdrüßlich, denn dieser Aufschub schien die Hoffnung von dem glücklichen Fortgang des Unternehmens zu bestätigen. Er war oft auf die Jagd gegangen, hatte die schönen Gegenden in der Nähe besucht und dachte jeden Abend bei der Heimkehr, einen Bothen seines Freundes zu finden.

Er war von einem seiner Spaziergänge zurückgekommen und stand an eine Buche gelehnt, das Wolkenspiel im Abendroth zu betrachten, als er in der Ferne einen Reuter erblickte, der sich dem Schlosse näherte. Er erkannte bald in ihm Franz, den Knappen Löwenau's. — Schnell eilte er mit der Frage auf ihn zu: ob ihn der Ritter gesendet habe. — Franz antwortete mit Ja und überreichte ihm den Brief Löwenau's. —

Adalberts Herz klopfte heftig als er den Brief und die Aufschrift betrachtete, er zögerte ihn zu erbrechen. — Unaussprechliches Glück, oder Tod springt mir entgegen, — noch, noch darf ich hoffen, noch bin ich glücklich. — Die Sonne war untergegangen, er ging auf sein Zimmer, den Brief beim Schein eines Lichtes zu lesen. Dieser Augenblick war ihm feierlich, eine heilige Stille schwebte längst den Wänden des Gemachs, eine Grille zirpte leise und eine ferne Glocke tönte über den Berg herüber. — Er lößte das Siegel.

Emma's Brief fiel ihm zuerst auf, er kannte die Hand und küßte das Pergament. — Er las — und ward bleich, — er las von neuem und schaute wild mit weit geöffneten Augen empor, alle seine Gedanken verirrten sich, er wußte nur, daß er elend sei, kalt und fürchterlich faßte ihn diese Überzeugung an; was sein Elend sei, war aus seiner Seele geschwunden.

Emma! rief er endlich mit fürchterlicher Stimme, indem seine Besinnung zurückkehrte. — Er wagte es, noch einmal zu lesen, dann las er den Brief Löwenau's. — Seine Augen schlossen sich, wie von einer zu großen Helle geblendet, krampfhaft schlug er die Zähne zusammen und hing kalt und starr wie eine Leiche in dem Sessel. — Das hatte er nicht erwartet.

Er sprang nach einer Stille auf und brüllte wie ein Rasender: Fluch über alle, die in dieser Stunde glücklich sind! Fluch über alle Elende! — Ja, ich fluche mir selbst, ich fluche mir und ihr — o ihr Verzweifelten! kommt zu mir her an meine Brust und helft mich verfluchen! Eure Emma? Eure Emma? — Du lügst Meineidige! so hast du dich nie genannt! —

Mir hat noch keine Hoffnung Wort gehalten, keine Seligkeit der Erde hat mich Freund genannt. Mein Leben ist ein schwarzes Gewebe von Unglück, wie von einem Feind werd' ich vom Elend verfolgt, durch tausend Quaalen jagt es mich in den Rachen des Todes. Meinetwegen wird ein zärtlicher Vater grausam, meinetwegen ein edler Freund ein Ungeheuer, — ich gebe die Hoffnung, ich gebe das Schicksal auf. Ein blindes Ohngefähr würfelt mit Glück und Unglück, — gut, so will ich denn auch handeln, so lange ich noch handeln kann, — ich will zu ihnen, sie sollen aus ihren Umarmungen zurückstürzen, als hätten sie den Schuppenhals eines Drachen berührt. — Ich will nicht allein unglücklich sein, die Liebe haßt mich, der Haß soll mich itzt glücklich machen.

Eure Emma? — Konnte deine Hand diese Worte schreiben? Dieselbe Hand, die mir so oft den Schweiß des Kampfes von der Stirn trocknete, dieselbe Hand, die so oft in der meinigen lag und mich deiner Liebe versicherte — o Himmel! was für ein armseliges Ding ist die Tugend, wenn sich in wenigen Wochen der Mensch so ganz umschaffen kann! Richtet keinen Bösewicht mehr hin, er ist in wenigen Tagen vielleicht ein Muster für seine Richter! — Tugend? — Für mich ist keine Tugend, kein Gott mehr, denn sie, das Unterpfand für beide, ist mir verloren.

Er drückte knirschend Löwenaus Brief zusammen, sein Athem drängte sich schwer durch seine Kehle, tausend Centner waren auf seine Brust gewälzt. — Sein Blick fiel auf Emma's grünes Band nieder, das er auf seiner Brust immer als eine Reliquie getragen hatte, er riß es wüthend herab.

Das Pfand ihrer Treue! ihrer Liebe! — — Sie will mich vergessen. — Ich kann sie nie vergessen, und warum sollt' ich es auch? — wenn ich sie vergessen könnte, dann könnte ich einst wieder lächeln — aber das werd' ich nie wieder.

Er schwieg und lehnte sich in eine Ecke des Zimmers, alles war still wie eine Todtengruft.

Du hast mir mein Leben gestohlen, Emma, sprach er leise, um die tiefe Einsamkeit nicht zu stören; ich werde bald sterben und habe umsonst gelebt, von mir darf Niemand Rechenschaft dort jenseits fordern, nur über Jammer kann ich Red' und Antwort geben, — Emma, ich weise den fürchterlichen Richter an dich, und an dich Wilhelm!

Eure Emma! — Hättest du mir doch wenigstens das armselige »Du« übrig gelassen, — aber nichts sollte mir übrig bleiben. — Gut, setzte er mit schrecklicher Kälte hinzu, auch dies Band will ich dir zurückbringen.

Er glaubte einigemal, Emma und sein Freund hätten nur auf eine grausame Art mit ihm scherzen wollen, um seine Liebe auf die Probe zu stellen; er dachte, er hätte in seiner Wuth einige Ausdrücke zu stark empfunden, er suchte dann nochmals in den Briefen nach und quälte sich den fürchterlichen Sinn zu mildern, — aber umsonst! der kalte, gefühllose Buchstabe blieb derselbe, und seine Pein fand keine Linderung.

Der Ritter durchlebte eine fürchterliche Nacht, er konnte nicht schlafen, aber auch nicht wachen; tausendmal stand sein Verstand vor dem fürchterlichen Thor des Wahnsinns, er sahe tausend Gestalten vorüberziehn, die ihn bald mit Entsetzen, bald mit Wonne erfüllten; in dem einen Augenblick lag er in den Armen Emma's, alles war nur ein fürchterlicher Traum gewesen; er drückte sie an sein Herz, und das Knistern des Briefs, den er noch immer in seiner Hand fest eingeschlossen hielt, weckte ihn wie durch schadenfrohen Zauber aus seiner Trunkenheit. Bald kämpfte er mit Löwenau um Tod und Leben und sah ihn unter seinen Streichen fallen; bald verschlang alles um ihn her eine große wüste Leere, er stand mit seinem Schmerz allein in der tauben ausgestorbenen Wildniß, von einer unendlichen Nacht umfangen; Geister fuhren auf fernen Donnern und schwache Blitze spalteten das ungeheure Reich der ewigen Öde.

Er fühlte, wie seine Kräfte merklich schwanden. Gott! rief er, wenn ich diese Nacht sterben müßte! ohne sie noch einmal zu sehn! — Mein Geist muß von meiner gestorbenen Emma Abschied nehmen, ich muß, ich muß sie sehn.

Er wartete ängstlich auf den Anbruch des Morgens, die Nacht schien ihm Hohn zu sprechen, der Morgen kam immer noch nicht. — Endlich zitterte der erste graue Streif des Tages empor und Adalbert sprang schnell auf, riß ein Roß aus dem Stalle, und sprengte hinweg. Sein treuer Hund, der ihm oft auf der Jagd gefolgt war, begleitete ihn.

Er jagte rasch der Sonne entgegen, er spornte sein Roß unaufhörlich, denn die größte Eile war ihm zu langsam.

Eine drückende Hitze zog herauf und sein Roß war schon ermüdet, als er einen Ritter einholte, der auch diese Straße zog. — Wohin? fragte er diesen. — Nach Mannstein, war die Antwort, zur Hochzeit des edeln Löwenau und der schönen Emma. — Adalbert lachte wild auf. — Worüber lacht Ihr? — Voll Freude, daß wir einen Weg haben. — In eben dem Augenblicke gab er von neuem dem Rosse die Sporen und sprengte wie rasend hinweg. — Warum eilt Ihr so? rief ihm der Ritter nach. — Seht Ihr nicht, schrie Adalbert zurück, wie mir der bleiche Tod nachjagt? — Er war ihm bald aus den Augen.

Das grüne Band war um seinen Arm gebunden und flatterte ihm nach; Todtenblässe hatte sein Gesicht überzogen, sein Roß keuchte und sein treuer Hund lief ihm oft voraus, und sah ihn winselnd an, — aber ohne Bewußtsein jagte er immer wieder in neuer Wuth weiter. — Am Abend stürzte der Rappe todt nieder, der Hund war fort, als er sich nach ihm umsah. — Auch er hat mich verlassen, dachte Adalbert; aber der treue Gefährte lag schon weit hinter ihm sterbend am Wege.

Adalbert reiste zu Fuß die ganze Nacht hindurch, seine Kräfte schienen übermenschlich, tausend Schrecken schienen ihn unermüdet vor sich hin zu jagen. — Am Mittag des andern Tages entdeckte er in einem kleinen versteckten Thale eine Schäferhütte, sein Gaumen war von der Hitze aufgeschwollen, er trat in die Hütte und begehrte von einem Greise, den er dort fand, eine Schale Wasser. — Ihr sollt kühle Milch bekommen, sagte dieser, und gab seiner Tochter den Auftrag eine Schale voll zu holen. — Das kleine Mädchen eilte willig hinweg und Adalbert stand düster an die Thür gelehnt. — Das Mädchen verweilte etwas lange. Wo bleibst du, Emma? rief der Alte. Adalbert fuhr auf, das Mädchen trat in eben dem Augenblick herein und bot ihm freundlich lächelnd die Schale. Statt sie an den Mund zu setzen, warf er sie wüthend auf den Boden, daß sie in tausend Scherben zersprang; dann eilte er wie ein Wahnsinniger weiter.

Die Sonne ging schon unter, als er auf der Grenze des Horizonts einen Thurm erblickte, der ihm bekannt schien; — tausend Erinnerungen kamen in seine Seele zurück, — es war die Burg Mannstein.

 


 

Er stand still und sahe mit langem Blick nach der wohlbekannten väterlichen Gegend, und in seine Verzweiflung mischten sich einige Tropfen der Wehmuth, sie so wiederzusehn. Die Burg stand zaubervoll da in einem rothen Flammenschein. Die Sonne ging blutig unter.

Er eilte weiter. Der letzte Streif des Tages verschwand hinter einen grünen Berg; der Mond brach hervor, und glänzte durch die zitternden Tannenzweige. Schon unterschied er die erleuchteten Fenster der Burg, schon erblickte er in ihnen Schatten, die ungewiß hin und wieder schwebten, schon hörte er immer näher und näher das Tönen der Trompeten und den Donner der Pauken, — tausend brennende Dolche fuhren durch seine Brust.

Jetzt war er an die Burg gekommen. Er ging durch das offne Thor, das frohe Getümmel der Gäste lärmte ihm entgegen, er hätte gern geweint, aber seine Augen waren trocken. Er schlich sich in den Burggarten und setzte sich in eine kleine Laube, welche ein Fliederbaum bildete; bald sahe er still und mit anscheinender Ruhe durch die monderhellte Gegend, bald nach der geräuschvollen Burg. — Alle seine Empfindungen wurden nach und nach abgespannt; er war betäubt, als er zwei Gestalten auf sich zukommen sah, — es waren Löwenau und Emma. —

Löwenau hatte sich in sich selbst geirrt, er hatte sich für stärker gehalten, als er wirklich war, die Stimme seines Gewissens war nur unterdrückt gewesen, sie fing itzt um so lauter an zu sprechen. Er begann zu ahnen, daß er in Emma's Armen nie recht glücklich sein würde, aber ohne Emma lag ein grenzenloses Elend vor ihm. Er war am Abend still und nachdenkend gewesen, und wollte itzt mit Emma einen Spaziergang durch den Garten machen, um sich etwas zu beruhigen.

Emma war indeß immer froh und guter Laune gewesen; sie fühlte sich als Löwenaus Geliebte ganz glücklich — nur itzt, — so plötzlich aus dem Gewirre der Gäste, aus dem Klang der rauschenden Musik gerissen, mitten in die Einsamkeit eines schauerlichen Gartens gezogen, — itzt fühlte sie eine sonderbare Empfindung zu ihrem Herzen emporschwellen, sie hing an dem Arme Löwenaus und schloß sich fester an ihn. Mein Wilhelm, sagte sie endlich, — warum so traurig? Ich habe dich noch nie so still und gedankenvoll gesehn. — Deine Hand ist heiß.

Löwenau. Und die deine kalt. Du zitterst Emma?

Emma. Nicht vor Frost, die Sommernacht ist warm; — aber Wilhelm, es ist hier im Garten so heimlich, mir ist alles so sonderbar fremd, die Büsche rauschen und flimmern so wunderbar im Mondenstrahl; hast du nie einen Geist gesehn, Wilhelm?

Löwenau. Nie Geliebte; aber wie kömmst du zu der Frage?

Emma. Und wie kömmt dieser Gedanke zu mir? heut zu mir? — Mein Vater ist doch schon sehr alt, Wilhelm, ich habe ihn sonst nie so genau angesehn, der Gedanke ängstigte mich drinnen über eine Stunde lang: wie er mir so gegen über saß, schien er mir schon todt. — Der Anblick eines todten Menschen muß schrecklich sein, — wie mag ich wohl als Leiche aussehn?

Löwenau. Du quälst mich, Emma.

Emma. Sage mir, wie ich wohl als Leiche aussehn werde.

Löwenau. Wie der Frühling, der im Irrthum um einige Tage zu früh seine Blumen ausgestreut hat, und vom eisigen Winter wieder übereilt wird.

Emma. Wilhelm!

Löwenau. Was ist dir Emma? Warum fährst du zusammen?

Emma. Mir ist, als stünd' ich unter tausend Gespenstern! — sieh! jene Bäume dort sehn fürchterlich aus! —

Löwenau. Wir wollen in den Saal zurückgehn.

Emma. Wilhelm! — hörtest du kein Ächzen in der Nähe?

Löwenau. Nichts als den Wind, der durch die Laube rauscht.

Emma. Es war ein schweres Athmen — wie eines Sterbenden, — horch, wie die Blätter zusammenschlagen! — Gott im Himmel!

Sie sank ohnmächtig in seine Arme, denn Adalbert trat bleich und entstellt, mit verworrenen Haaren, dem Auge eines Wahnsinnigen, leise wie ein Gespenst aus der Laube; mit hohler gewürgter Stimme rief er: Emma!

Ihr Bewußtsein kam wieder, aber ihre Sinne blieben zurück, starr wie eine Leiche sahe sie in Adalberts Auge. — Emma! Emma! rief dieser wüthend, kennst du dies Band noch? — Er hielt es ihr mit zitternden Händen vor. — Geliebter! rief sie matt und wollte sich in die Arme Löwenaus werfen; Adalbert fing sie auf, zog einen Dolch und stieß ihn wüthend in ihre Brust. — Kaum war der Todesstreich geführt, so erwachte er wie aus einem tiefen Schlaf. — Emma! Emma! er hielt sie fest in seinen Armen; stirb nicht! ich war rasend! lebe, lebe, und sei glücklich! vergieb mir und lebe! laß mich für dich sterben! du darfst, du sollst nicht sterben. — Er kniete nieder und hatte sie fest in seine Arme gepreßt, als wenn er sie dem Tod abtrotzen wollte; er fühlte nicht, wie sein Blut aus zehn tödtlichen Wunden rieselte, die ihm indeß Löwenaus Dolch gestoßen hatte.

Endlich fühlte er seine Kraft ermatten, er ließ sie sanft auf den Rasen fallen. — Du stirbst, Emma? — Du stirbst? — Er sank neben ihr zur Erde.

Konrad und Friedrich kamen Arm in Arm durch den Buchengang die junge Braut zu suchen. — Wo ist meine Tochter? fragte Friedrich seinen Eidam.

Er wieß stumm mit dem blutigen Dolch auf sie hin.

Wo? fragte Friedrich.

Löwenau deutete noch einmal mit dem Dolch auf den Boden und Friedrich erkannte sie und Adalbert. Stumm schloß er Konrad in seine Arme und drückte ihn fest an sein Herz: nun haben wir beide nichts mehr zu hoffen!

Konrad. Das stille Grab, — und Jenseits!

Ein Minnesänger sang die traurige Geschichte und schloß mit diesen Versen:

Jenseit des Grabes wurden sie gekrönt,
Dort wurden ihre Herzen ausgesöhnt.
Oft schweben sie in feierlichen Stunden
Hin durch den wildverwachsnen Tannenhain,
Sie küssen wechselsweis im Mondenschein
Sich liebevoll die Todeswunden.
Manch Kind sieht sie auf Mondesstrahlen schweben,
Und fühlt ein leises schauerliches Beben:
O Mutter! ruft es aus, im blassen Schein,
Durchfahren Geister itzt den Hain. —
Die Mutter spricht: sei ruhig Kind,
In Silberpappeln wühlt der Abendwind.

 


 

 

Hinweise zum Text:

Folgende Änderungen wurden vorgenommen und sind im Text grau unterstrichelt:
 

Zweifel wälzen dich auf Zweifel Zweifel wälzen sich auf Zweifel
Abdallah sah ihn traurig nach Abdallah sah ihm traurig nach
der Frühling wird dich heitre machen der Frühling wird dich heitrer machen
bis sich das wilfe Keuchen (…) sich etwas besänftigt hatte bis sich das wilfe Keuchen (…) etwas besänftigt hatte
sobald dich meine Laute gerufen hast sobald dich meine Laute gerufen hat
Oder sie ungegesehn in den Strom (…) versenke Oder sie ungesehn in den Strom (…) versenke
fing nun an, die Macht (…) zu glauben fing nun an, an die Macht (…) zu glauben
andre stürzten Tod nieder andre stürzten todt nieder
an dem gräßlichem Thor an dem gräßlichen Thor
ich erlasse sie ihn ich erlasse sie ihm
der ihn am nächsten stand der ihm am nächsten stand
wann und wie sie pflanzte wann und wie ich sie pflanzte
rief ihm die Besitzerin dieses Pallastes zu zu rief ihm die Besitzerin dieses Pallastes zu
die ihm bald mit Entsetzen, bald mit Wonne erfüllten die ihn bald mit Entsetzen, bald mit Wonne erfüllten
sah ihm winselnd an sah ihn winselnd an





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To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License (available with this file or online at
http://gutenberg.org/license).


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH F3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS' WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTIBILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
business@pglaf.org.  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     gbnewby@pglaf.org


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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